Bei Tunnelarbeiten senkt sich das Gleisbett einer vielbefahrenen Nord-Süd-Strecke. Die Bahn reagiert hilflos
Von Katrin Küfer
Nicht tief genug gefrorener Boden? Baustelle Bahntunnel Rastatt
Foto: Uli Deck/dpa
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Nichts geht mehr. Eine Woche nach der überraschenden Sperrung der Rheintalstrecke zwischen Karlsruhe und Basel ist noch kein Ende abzusehen. Bei Tunnelbauarbeiten unter der der für den europaweiten Eisenbahnverkehr äußerst wichtigen Nord-Süd-Verbindung im badischen Rastatt hatten sich die Gleise abgesenkt. Der Fall dürfte als bisher folgenreichster Rückschlag für das bundesdeutsche Eisenbahnwesen in die Geschichte eingehen. Und es zeigt offenbar mehr Wirkung als alle Bahnstreiks der vergangenen Jahre zusammen. Das spricht Bände über den Zustand der Verkehrsinfrastruktur und wirft viele Fragen auf.
Während Fahrgäste zur Bewältigung der 20 Kilometer zwischen Rastatt und Baden-Baden auf Busse umsteigen können und dadurch vielleicht eine Stunde später am Ziel sind, bereitet die Streckensperrung vor allem den Güterbahnen, dem Handel und der Industrie Kopfzerbrechen. So warnen Logistiker und Unternehmensverbände bereits vor Lieferengpässen bei Arzneimitteln, Lebensmitteln und Rohstoffen für die industrielle Weiterverarbeitung.
»Eine einzige kollabierte Bahntunnel-Baustelle bei Rastatt hat die wichtigste Schlagader des transeuropäischen Schienengüterverkehrs unterbrochen und bremst die Industrie nördlich und südlich der Alpen aus«, so der Notruf des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen, in dem private Güterbahnen zusammengeschlossen sind. »Die Zeit drängt extrem: Die Züge stehen im Stau und fressen Geld, die Industrie benötigt und produziert ständig weiteren Nachschub«, heißt es in einer Erklärung des Lobbyverbands vom Montag. Es sei »besonders tragisch«, dass mehrere Ersatzstrecken derzeit ebenfalls durch Bauarbeiten blockiert oder stark eingeschränkt seien.
Man arbeite »intensiv an Ersatzkonzepten im Schienengüterverkehr« und setze auf weiträumige Umfahrung ebenso wie auf eine »Verlagerung auf andere Verkehrsträger wie das Binnenschiff oder den Lkw«, hatte die Deutsche Bahn AG (DB) am Dienstag angekündigt. Doch dies ist praktisch und technisch schwierig. Eine akzeptable und den Ansprüchen genügende Ausweichstrecke ist ausgerechnet am Oberrhein nicht vorhanden. Die Strecken im westlich des Stroms gelegenen französischen Elsass kommen wegen technischer und rechtlicher Hürden für die meisten Güterzüge nicht in Frage. »Auf beiden Seiten ist in den vergangenen Jahrzehnten Bahninfrastruktur abgebaut worden«, bemängelt Gerhard Stolz, Vorsitzender des Regionalverbandes Mittlerer Oberrhein des »Fahrgastverbandes Pro Bahn«. Außerdem fehle im Elsass eine durchgängige Elektrifizierung mit passender Signaltechnik. All dies sei auch eine Folge der falschen und einseitig auf Autos und Straßen orientierten Verkehrspolitik und der engstirnigen Sichtweise von Politik und Bahnmanagement auf beiden Seiten des Rheins.
Dass auch in Baden-Württemberg keine passenden Umleitungsstrecken mit ausreichender Kapazität für lange Güterzüge vorhanden sind, ist eine Folge jahrzehntelanger Versäumnisse. Während in der Schweiz fast 100 Prozent aller Bahnen elektrifiziert sind, können wichtige Strecken im Auto-»Ländle« wie etwa der Abschnitt von Basel Richtung Bodensee nur mit Dieseltraktion befahren werden. Ein zentraler Abschnitt der sogenannten Gäubahn zwischen Stuttgart und Zürich ist seit 1946 nur eingleisig befahrbar. Der zweigleisige Wiederausbau lässt weiter auf sich warten, während die parallel verlaufende Autobahn A 81 in den 1970er Jahren mit hohen Kosten gebaut wurde und heute weiter saniert wird. Zudem ist auch die »Gäubahn« derzeit durch Gleisbauarbeiten südlich von Stuttgart blockiert.
Wenn die DB-Manager den Güterverkehrskunden als Notlösung den Umstieg von der Schiene auf extrem überlastete Straßen und auf Binnenschiffe anbieten, ist das aus Sicht kritischer Beobachter ein Armutszeugnis. Dies könnte auch der angeschlagenen Güterbahn DB Cargo weiter zusetzen und ihren Marktanteil senken. Der Stillstand an der »Rastatt-Delle« könnte indes einen Boom in einer ganz anderen Branche auslösen. So dürften die absehbaren Regress- und Schadensersatzforderungen Heerscharen von Juristen über Jahre beschäftigen.
Initiativen, die weiterhin in der Landeshauptstadt gegen das dortige Tunnel- und Bahnhofsprojekt »Stuttgart 21« protestieren, kritisierten die »Leichtfertigkeit, mit der die DB offensichtlich Tunnelbauarbeiten unter einer der Hauptstrecke des deutschen Bahnverkehrs betrieben hat«. Dass es keinen »Plan B« gegeben habe, zeuge von »Selbstüberschätzung der DB und Versagen des aufsichtführenden Eisenbahnbundesamts«, so Bündnissprecher Norbert Bongartz vergangenes Wochenende. Die »Beteuerungen der Bahn«, sie habe die Tunnelbauarbeiten mitten im Stadtgebiet Stuttgarts voll im Griff, seien »keinen Pfifferling wert«. Bahn und Tunnelbaufirma hatten bislang stets betont, dass in Rastatt und anderswo mit der Vereisung des Bodens auf minus 35 Grad ein »absolut sicheres und zugleich neuartiges Tunnelbauverfahren« zur Anwendung gekommen sei.
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