Lateinamerikanische Aktivist*innen fordern eine gerechte Weltwirtschaftsordnung
Von Knut Hildebrandt
(Hamburg, 15. August 2017, npl).- Buntes Treiben erfüllt
den Hof der Viktoria-Kaserne in Hamburg-Altona. Das
heute als alternatives Kulturzentrum genutzte Areal ist
einer der Veranstaltungsorte des „Gipfels der globalen
Solidarität“. Zu diesem sind Anfang Juli tausende
Aktivistin*innen aus aller Welt nach Hamburg angereist.
Während die Staatschefs der mächtigsten
Industrienationen bei den G20-Gesprächen in den
Messehallen über globales Wirtschaftswachstum und
Welthandel reden, wollen sie sich über Alternativen zu
Freihandel und industriellen Großprojekten austauschen.
Die globalisierungskritische Aktivistin María Atilano
ist in die Viktoria-Kaserne gekommen, um an einem
Workshop zu Ressourcen-Konflikten teilzunehmen. Der
Workshop wird von zwei alten Bekannten geleitet,
Trinidad Ramírez und Omar Esparza aus Mexiko.
Großprojekte Grund für
Menschenrechtsverletzungen
In ihrem Einführungsvortrag berichtet Trinidad
Ramírez, dass in Mexiko Großprojekte gegen den Willen
der Menschen durchgesetzt werden. Und es werden die
Menschenrechte, sowohl Einzelner, als auch ganzer
Dorfgemeinschaften verletzt. Doch sicher wird
Präsident Enrique Peña Nieto vor den versammelten
Staatsoberhäuptern behaupten, in Mexiko sei alles in
bester Ordnung, vermutet sie weiter. Aber das sei eine
Lüge, erklärt Ramírez den Teilnehmer*innen des
Workshops.
Trinidad Ramírez weiß genau wovon sie spricht. Seit
mehr als fünfzehn Jahren kämpft sie gegen den Bau des
neuen Internationalen Flughafens von Mexiko-Stadt. Der
soll auf dem Land ihrer Gemeinde San Salvador Atenco
entstehen. 2006 kam es unter dem damaligen Gouverneur
des Bundesstaates Mexiko und heutigen Präsidenten Peña
Nieto zu Angriffen der Polizei auf die
Flughafengegner*innen. Zwei Menschen starben, es gab
hunderte willkürliche Verhaftungen. 26 Frauen wurden
in der Haft vergewaltigt. Die Nationale
Menschenrechtskommission spricht von gravierenden
Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei.
Vertreibung durch den Bergbau
Aber auch andere Workshop-Teilnehmer*innen berichten
von der Bedrohung durch Großprojekte. Samuel Arregoces
stammt aus der afrokolumbianischen Gemeinde Tabaco im
Bundesstaat Guajira. Sein Dorf musste einer
Kohlengrube weichen. Um den Weg für die die
Kohlebagger frei zu machen, ließ die Regierung es im
Jahr 2001 brutal räumen.
Kein Einzelfall in Lateinamerika, wie Catalina Caro
erklärt. Denn all diese Projekte verdrängen Gemeinden
und zerstören nicht nur die Landschaft sondern auch die
Art und Weise, in der die Menschen auf ihrem Land leben.
Catalina Caro stammt ebenfalls aus Kolumbien. Sie
arbeitet für eine Organisation, welche Kommunen in ihrem
Kampf gegen Vertreibung durch Großprojekte unterstützt.
Gemeinsam mit Samuel Arregoces ist sie nach Hamburg
gekommen, um den Landraub durch ausländische Investoren
anzuklagen.
Freihandel vernichtet Arbeitsplätze in
Mexikos Landwirtschaft
Was Vertreibung und Raubbau an den Naturressourcen
der Länder des globalen Südens mit Freihandelsabkommen
zu tun haben, erklärt María Atilano. Die 69-jährige
Mexikanerin arbeitet seit Jahren zum Thema Freihandel.
Sie war mehrmals in Brüssel, um an Beratungsgesprächen
zum Globalabkommen zwischen der EU und Mexiko
teilzunehmen.
Maria Atilano glaubt, der Freihandel habe sich
negativ auf Mexiko und die anderen Länder
Lateinamerikas ausgewirkt. Denn er hätte nicht zu
deren Entwicklung beigetragen, sondern nur den
Interessen der transnationalen Konzerne gedient. So
habe sich nach Inkrafttreten des Freihandelsabkommens
NAFTA zwischen Mexiko, Kanada und den USA im Jahr 1994
die Situation in der mexikanischen Landwirtschaft
drastisch verschlechtert. Importe von billigem Mais
und anderen subventionierten Nahrungsmitteln aus den
USA hätten die kleinbäuerliche Landwirtschaft in
Mexiko fast völlig zerstört. Deshalb seien große Teile
der Landbevölkerung gezwungen gewesen, in den Norden
des Landes zu gehen, um dort Arbeit auf den Feldern
großer Agrarkonzerne zu suchen. Und diese
Agrarkonzerne, welche zu transnationalen Unternehmen
gehören, behandelten die Leute fast wie Sklav*innen.
Neuverhandlungen werden keine Verbesserungen
bringen
Auch sei das Versprechen neuer, attraktiver
Arbeitsplätze in der Industrie nie eingelöst worden.
Denn die Investor*innen werden mit niedrigen Löhnen
und einer Liberalisierung des Arbeitsrechts ins Land
gelockt. Mit einem Mindestlohn von weniger als vier
Euro am Tag bewegt sich Mexiko auf dem Niveau von
Billiglohnländern.
Durch eine Reihe von Verfassungsreformen will die Regierung Enrique Peña Nietos das Land jetzt sogar noch attraktiver für ausländische Investor*innen machen. Vor allem soll diesen erleichtert werden, in Mexiko Bodenschätze abzubauen. Das wird dazu führen, dass noch mehr Menschen von ihrem Land vertrieben werden, erklärt María Atilano.
Durch eine Reihe von Verfassungsreformen will die Regierung Enrique Peña Nietos das Land jetzt sogar noch attraktiver für ausländische Investor*innen machen. Vor allem soll diesen erleichtert werden, in Mexiko Bodenschätze abzubauen. Das wird dazu führen, dass noch mehr Menschen von ihrem Land vertrieben werden, erklärt María Atilano.
Die mexikanische Regierung erhofft sich von den
Reformen aber günstigere Ausgangsbedingungen für die
anstehenden Neuverhandlungen von NAFTA und dem
Globalabkommen mit der EU. Auch das sieht Maria
Atilano kritisch. Sie glaubt nämlich, dass die
Modernisierung der Abkommen die Situation der
mexikanischen Bevölkerung weiter verschlechtern wird.
Denn das Hauptaugenmerk der USA sei darauf gerichtet,
eine bessere Kontrolle über die Industrieproduktion zu
erlangen und gleichzeitig Handelsbeschränkungen durch
Mexiko weiter abzubauen.
Menschenrechte müssen mehr in den Mittelpunkt
gerückt werden
Das sieht auch Omar Esparza so. Davon abgesehen ist für
ihn die ausufernde Korruption in Mexiko das größte
Problem, mit dem das Land derzeit zu kämpfen hat. Jeder,
vom Lokalpolitiker bis in die Regierungsspitze, sei nur
daran interessiert in die eigene Tasche zu wirtschaften.
Das mache es ausländischen Investor*innen leicht, ihre
Projekte gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen.
Deshalb fordert Esparza, bei den Neuverhandlungen der
Verträge die Menschenrechte zu stärken. Nur so könne
verhindert werden, dass die reichen Länder weiter die
armen ausplündern.
Diese und die Forderung nach einer gerechten
Weltwirtschaftsordnung brachten ihn, Trinidad Ramírez,
María Atilano und tausende Aktivist*innen aus aller
Welt auf die Straßen Hamburgs. Gemeinsam forderten sie
auf der Demonstration „Grenzenlose Solidarität statt
G20“ von den versammelten Staatschefs, die Belange der
Menschen und nicht die Interessen der Konzerne in den
Mittelpunkt der Gespräche zu stellen.
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