Ein Kommentar zu Jörn Schulz‘ Artikel: „Im Stahlgetwitter. Donald Trump will die Ära des Freihandelsregimes beenden“ in der Jungle World vom 25.01.2017
Was ist „nationalkapitalistische“ Außenpolitik? Man könnte denken, es handle sich um die Außenpolitik eines kapitalistischen Staates, der sowohl ein Auge auf das Kapitalwachstum als auch auf die Vergrößerung seines eigenen Einflussbereiches wirft. Das aber meint Jörn Schulz in seinem Kommentar in der Jungle World zur Außenpolitik des neuen US-Präsidenten Donald Trump nicht. Stattdessen will er darauf hinaus, wie perfide Trumps Außenhandelspolitik ist, weil sie anders als die bisherige US-amerikanische Strategie das Vorankommen nurmehr des nationalen Kapitals im Blick habe und patriarchal sei.
Trump lege ein einziges Programm zur Kapitalvernichtung vor – es wird ironisch hinzugefügt: ganz im Sinne Marxscher Krisentheorie –, um anschließend einen Aufschwung herbeizuführen. Dabei übersieht Jörn Schulz so schlicht wie fatal, was für eine Kalkulation von Seiten der USA auch bisher schon der „bestehende[n] Basis des globalisierten Kapitalismus, [also dem] Freihandelsregime“ zugrunde lag: Jeder halbwegs erfolgreiche Staat will einerseits die Bedingungen für sein heimisches Kapital in der ganzen Welt fördern. Deswegen drängen kapitalstarke Staaten andere dazu, ihre Handelspolitik zu liberalisieren: möglichst keine oder geringe Zölle, Einfuhrbeschränkungen oder indirekte Hindernisse wie Umwelt- oder Sozialstandards. Das Problem daran: In Verhandlungen mit anderen Staaten mögen diese dasselbe auch vom Ausgangsstaat fordern. So mag jener sich genötigt sehen, auf beliebte Instrumente zum Schutz des heimischen Kapitals zu verzichten. Das ist ein ständiges Zerren darum, wer wem wie viel aufdrücken kann und welcher Staat am längeren Hebel sitzt, um die eigenen Bedingungen entweder einzelnen anderen Ländern oder in der WTO gerne gleich dem Rest der Welt zu diktieren.
Auch eine Liberalisierung, wie sie die USA – tatkräftig unterstützt durch die EU insbesondere seit den Neunzigern – vorangetrieben hat, ist das Ergebnis einer solchen Abwägung: Durch Verzicht auf ein ganzes Arsenal an handelspolitischen Maßnahmen hoffen ökonomisch potente Staaten insgesamt zu profitieren, weil es im Austausch für diesen Verzicht mehr Möglichkeiten fürs heimische, starke Kapital im Rest der Welt gibt. Das ist eine Abwägung ganz im Sinne sowohl dieser Staaten als auch deren konkurrenzfähiger Kapitale.
Es ist diese Abwägung – welches Mittel, welche (außen-)politische Strategie führt zum nationalen Erfolg und wie viel Verzicht auf handelspolitische Maßnahmen ist das wert? –, die bei Trump anders ausfällt. Gleichzeitig basiert seine Abwägung aber ganz genauso wie vorangegangene US-Handelspolitiken auf dem Willen, heimisches Kapitalwachstum zu generieren.
Zur These, Trump werde als Patriarch für diesen Kursschwenk gefeiert: Kein Zweifel, er ist ein ganz offenherziger Sexist und tritt autoritär auf. Dieses autoritäre Auftreten goutieren viele seiner Anhänger, andere wiederum sind zwar nicht begeistert, akzeptieren das aber als „markige Form“ der Präsentation des Inhalts, den sie richtig finden. Der Hinweis auf das autoritäre Gehabe erklärt aber eben nicht die Begeisterung für die Inhalte – nämlich dass sich Massen von Amerikanern als Opfer genau des Freihandels fühlen, den Trump auch um der heimischen Arbeitsplätze und der sie bedingenden inländischen Akkumulation willen einzudämmen verspricht.
Anders ausgedrückt: Ganz patriarchal wurde auch in der WTO – zumindest als die globalen Machtverhältnisse dies in den Neunzigern noch zuließen – den wirtschaftlich schwächeren Staaten eine Zumutung nach der anderen aufgedrückt. Das Autoritäre alleine kann es also nicht sein, was Trump und seine Anhänger so kritisch gegenüber der herrschenden und von den USA entscheidend vorangetriebenen Norm des Handelsregimes sein lässt.
Wie absurd Trumps Programm sei, will Jörn Schulz an einer Rechnung deutlich machen: „Die Abkehr vom Freihandel erhöht die Produktionskosten und damit Preise für Investitions- wie Konsumgüter.“ Das stimmt. Richtig ist aber auch: Die Strategie muss nicht, kann aber durchaus aufgehen. Denn verrückt oder absurd ist der Versuch nicht, Kapitale, die ihre Waren in den USA verkaufen, auch im Inland produzieren zu lassen und damit Einkommen, Steuereinnahmen (wenn auch sinkende) und darüber Wachstum zu generieren. Warum eine Einschränkung der bisherigen Handelsliberalisierung ein Problem ist und für wen eigentlich, diese Erklärung bleibt Schulz schuldig. Unabhängig davon, ob Trump sein Ziel erreichen kann, fehlt auch jegliche Kritik an der Zielsetzung, das eigene Land groß und stark zu machen.
Schulz erwähnt nur die sich ankündigende Einschränkung des Freihandels, beurteilt diese aber nicht. Wenn protektionistische Politik von links kritisiert wird, dann meist, weil sie westliche Staaten unredlicherweise gegen billig produzierte Waren aus ärmeren Ländern abschirme und der Freihandel aus diesem diesem Grund als etwas Gutes angesehen wird. Der Autor lässt diese Lesart zumindest zu, wenn er betont, „das Freihandelsregime [solle] durch nationalkapitalistische Machtpolitik ersetzt werden“ – ganz so, als wäre es den USA früher um Freihandel per se statt Freihandel im eigenen Interesse gegangen. Dabei ist das „Freihandelsregime“ ganz im Gegenteil gerade als Produkt nationalstaatlicher „Machtpolitik“ entstanden. Unter den Spielregeln des Freihandels wurden und werden weltweit alle Waren denselben Konkurrenzbedingungen auf einem globalen Markt ausgesetzt, was die Ausbeutung in Billiglohnländern erst so richtig effizient macht – für wenige Kapitale vor Ort und v.a. für die großen Kapitale im Westen und aus China ist das ein großer Gewinn. Was der Arbeiterin in Bangladesch besser bekommt, ist von allem möglichen abhängig – materiell beschissen geht es ihr mit und ohne Freihandel.
„Trump beansprucht also nicht weniger als den Primat der Politik über die Ökonomie“. Das Neue sieht Schulz in Trumps Ansatz dann darin, dass Handelsabkommen nun „politisch motiviert“ seien. Neu ist daran nichts, die ganze WTO etwa ist ein Primat der Politik über Ökonomie: Für jeden internationalen Handel müssen Staaten die politischen Rahmenbedingungen erst ausmachen, bevor das Kapital im Ausland investieren, ausbeuten und akkumulieren kann. Denn ohne den heimischen Staat im Rücken ist Kapital im Ausland stets der Willkür des anderen Staates unterworfen. Das leistet der Staat nicht, weil er so schwach und von diesem Kapitalen erpressbar wäre, sondern weil er selbst ein Interesse an starken, sich weltweit engagierenden Kapitalen hat.
Wer die Motivation von Staaten für Handelsliberalisierung verkennt – und das tut Schulz, indem er nationalistische Politik und „rücksichtslose Machtpolitik“ allein Trump unterstellt, lässt gerade die westlichen Staaten viel besser davonkommen als nötig und richtig. Zugespitzt zeigt sich das in dem Missverständnis darüber, was „America First“ heißt: Trump behauptet, Obama hätte nicht „America First“ im Sinn gehabt – und Schulz suggeriert, der US-Präsident habe damit recht. Genau das Gegenteil ist aber der Fall: Auch eine auf Liberalisierung setzende Handelspolitik hat den nationalistischen Anspruch, der sich in „rücksichtsloser Machtpolitik“ in internationalen Verhandlungen widerspiegelt und, wenn es halbwegs gut läuft, ebenso im Ergebnis solcher Gespräche.
Was daran noch stimmt, ist, dass sich Trump in den letzten Wochen nicht darauf verließ, dass unter den gesetzten Spielregeln die Ökonomie schon funktionieren werde. Aber an den Pranger der nationalistisch-erbosten Öffentlichkeit wurden Unternehmen schon von allen möglichen politischen Strömungen gestellt – in den USA wie in Europa –, wenn sie etwa Produktionsstandorte ins billigere Ausland verlagerten. Handelspolitik hat eben einen nationalistischen Ausgangspunkt und daran werden allzu ‚vaterlandslose Unternehmen‘ auch immer wieder mal erinnert. Trump spitzt das zu und droht die Zügel ordentlich anzuziehen, wenn große Kapitale nicht entsprechend seiner Vorgaben handeln. Aber dass das politische Eingriffe wären, die es vorher nicht gegeben hätte, legt eine harte Ignoranz gegenüber der Handelspolitik der letzten Jahrzehnte nahe.
Es gibt so viel Material für eine vernünftige Kritik an Trump. Dass der neue US-Präsident Handelspolitik betreibe im „ideologischen Wahn“ und mit dem Wunsch nach Zerstörung „um der Zerstörung selbst willen“, damit eine Handelsliberalisierung zunichte mache – unter der im übrigen die Massen dieser Welt mit Hungerlöhnen leiden – und damit mindestens in den USA Schaden anrichtet, geht ziemlich am Kern dessen, was Trump handelspolitisch vorhat, vorbei. Eine solche Kritik füttert Ressentiments statt ein Verständnis von der Situation zu schaffen, was alleine Ausgangspunkt einer jeden vernünftigen Kritik zu sein hat. Aber es wäre naiv zu erwarten, dass das die Stoßrichtung des Artikels ist.
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