Von Uri Avnery أوري أفنيري אורי אבנרי
Übersetzt von Ellen Rohlfs اِلِن رُلفس
Herausgegeben von Fausto Giudice Фаусто Джудиче فاوستو جيوديشي
Quelle: Tlaxcala
BENJAMIN NETANJAHU ist unser Ministerpräsident fürs Leben.So scheint es. Offensichtlich glaubt er dies auch.
Er glaubt es nicht nur. Er handelt entsprechend. Um sicher zu gehen, hat er zwei notwendige Dinge getan: a) jeden möglichen Konkurrenten eliminieren und (b) sich mit männlichen und weiblichen Troddeln umgeben; keiner von diesen könnte als plausibler Nachfolger angesehen werden. In der Tat, der Gedanke, dass irgendeiner von diesen jemals Ministerpräsident werden könnte, lässt einen schaudern.
Also sind wir mindestens fürs Leben an ihn gebunden. Zeit, um dieser Aussicht gegenüber zu treten.
ER IST nicht der Schlechteste. Keiner ist dies jemals. Für jeden schlechten Führer gibt es noch einen schlechteren (Mit Ausnahme von Adolf Hitler, vielleicht).
Blicken wir also zuerst auf die positiven Seiten seiner Regierung. Da gibt es, (tatsächlich) welche.
Nummer 1: Er ist nicht verrückt.
In der Welt gibt es mehrere verrückte Führer. Wir haben eine ganze Anzahl von Verrückten innerhalb und außerhalb der Regierung. Netanjahu ist keiner von ihnen.
Nummer 2: Er ist nicht unverantwortlich.
Während des letzten Gaza-Krieges, als alle Arten von Politikern und andere Demagogen ihm zuriefen, alle möglichen unverantwortlichen Dinge zu tun , wie das Zurück-erobern des Gazastreifens, verweigerte er dies und folgte dem Rat der Armee.
(In Israel verabscheut die Armee zur Zeit sinnlose Abenteuer. Die Armeeoffiziere sind in der Regel viel weniger unbesonnen als die Politiker.)
Man kann natürlich fragen, wie kamen wir überhaupt erst in diesen Morast? Tatsächlich passt die alte Definition zu Netanjahu: Eine schlaue Person ist jemand, der weiß, wie man aus einer schlimmen Situation herauskommt, in die eine weise Person überhaupt niemals hinein geraten würde.
Nummer 3: Er ist ein erfolgreicher Redner.
Das ist natürlich keine notwendige Voraussetzung. David Ben Gurion war ein schlechter Redner. Levi Eshkol war ein miserabler Redner. Beide waren im Vergleich zu Golda Meir Demosthenes-gleich, deren Vokabular im Hebräischen und Englischen aus etwa hundert Wörtern mit schlechtem Akzent bestand. Das war für sie genug, um jede Hörerschaft zu überzeugen.
Netanjahu ist ein vollendeter Redner im entgegengesetzten Sinn. Er spricht ein gutes Hebräisch; er hat eine tiefe Stimme, seine Gesten sind angemessen. Tatsächlich hat man oft den Eindruck, dass er Stunden vor dem Spiegel verbrachte, um den Vortrag ganz genau hinzubekommen.
Doch überzeugt er nur diejenigen, die überzeugt werden wollen. Um kritische Zuhörer zu überzeugen, ist die ganze Vorstellung zu sehr einstudiert, zu perfekt. Wie sein Haar zu glatt, zu perfekt blau-weiß gefärbt ist. (Neulich wurde bekannt, dass sein persönlicher Friseur auf der Regierungslohnliste mehr als ein Kabinettminister verdient. Recht so, denke ich.)
Wenn Netanjahu vor der Welt als Vertreter Israels spricht, liefert er eine glaubwürdige Vorstellung. Nicht brillant, vielleicht nicht sehr überzeugend, aber auch nicht beschämend.
VIELE LEUTE in Israel oder außerhalb glauben, dass Netanjahu ein totaler Zyniker ist, ein Mann ohne wirkliche Überzeugungen, dessen einziges Ziel es ist, für immer an der Macht zu bleiben.
Ich glaube nicht, dass dies wahr ist.
Ein Zyniker ohne Überzeugungen würde viel weniger gefährlich sein. Aber Netanjahu ist kein Zyniker.
Er wuchs im Schatten seines Vaters Ben Zion auf, ein harter Familientyrann, der überzeugt war, dass er nicht den Respekt erhielt, der ihm von seinen akademischen Kollegen und Institutionen zukam.. Deswegen emigrierte er vorübergehend in die USA, wo Benjamin als richtiger amerikanischer Junge aufwuchs.
Der Vater war ein eifriger extremer Rechter. Der Führer der zionistischen Rechten, der brillante Wladimir (Ze’ev) Jabotinsky, war für ihn zu moderat. Ben Zion war spezialisiert auf die Geschichte der spanischen Inquisition und schrieb ein gewichtiges Buch darüber, aber seine Kollegen erwiesen ihm nicht die Ehre, von der er glaubte, sie stünde ihm zu. Er wurde sehr verbittert.
Benjamin verehrte seinen Vater und betrachtete ihn als Genie, aber der Vater bewunderte seinen älteren Sohn Yoni, einen Militäroffizier, der bei dem berühmten Entebbe –Überfall starb. Von „Bibi“ hatte der Vater eine ziemlich geringe Meinung. Er sagte einmal öffentlich, dass Benjamin ein guter Außenminister werden könnte, aber kein Ministerpräsident. In Israel wird der Außenminister mit einiger Geringschätzung behandelt. Ein echter He-Man hofft Verteidigungsminister zu werden.
All dies flößte in den jungen Benjamin einen brennenden Eifer, seinem toten Vater zu zeigen, dass er ein ausgezeichneter Ministerpräsident sein konnte. Dies bildete auch die ideologische Basis für all seine Gedanken und Aktionen: die unerschütterliche Überzeugung, dass die Juden „das ganze Eretz Israel“ in Besitz nehmen müssen – das ganze Land zwischen Mittelmer und dem Jordan.
Jedes Wort, das Netanjahu je sagte, das dieser Grundüberzeugung widersprach, ist eine eklatante Lüge. Aber wie die alten Römer gesagt haben sollen: „ Es ist süß und passend, fürs Vaterland zu lügen“.
INNERHALB DIESES verborgenen Parameters ist Netanjahu tatsächlich ein Zyniker. Er klebt an der Macht und hat keine Neigung dazu, sie jemals aufzugeben.
Und tatsächlich ist er ein vollkommener Politiker. Es gibt keine Anzeichen, dass er irgendeinen von ihm ernannten Minister respektiert. Er scheint, ein Vergnügen daran zu haben, jedem einzelnen den Job zu geben, der am wenigsten zu ihm/ zu ihr passt. Die Kulturministerin, Miri Regev, eine vulgäre, primitive, ganz unkultivierte Politikerin ist ein ausgezeichnetes Beispiel, aber die meisten ihrer Kollegen sind nicht viel besser.
Keiner von diesen kann Netanjahus Position zum mindesten gefährden. Verglichen mit ihnen, ist er die überragende Figur.
In den andern Parteien innerhalb der Regierungs-Koalition – und außerhalb – ist die Situation nicht viel besser. Einige von ihnen zeigten (wenigstens in den Meinungsumfragen) einige Hoffnung, doch dies erwies sich als zu kurzlebig. Moshe Kahlon, der gegenwärtige Finanzminister, ein netter Kerl, aber als nationaler Führer ist er ganz klein. So ist es auch mit Yair Lapid, dem früheren Finanzminister, der jetzt in der Opposition ist, der fest davon überzeugt ist, dass ihn das Schicksal zu Netanjahus Nachfolger auserwählt habe. Sein einziges Problem ist, dass nur sehr wenige diesen Glauben teilen.
Viel beunruhigender ist, dass die Labor-Partei (jetzt „Zionistisches Lager“) ohne jede Persönlichkeit ist, die nur in die Nähe von Netanjahus Führungsstatur kommen könnte. Der Parteiführer Yitzhak Herzog ist eine traurige Enttäuschung.
Fast alle Parteifunktionäre meiden sogar das hervorstechende Staatsproblem zu erwähnen: die Besatzung. Kaum jemals äußern sie das gefährliche Wort Frieden. Es ist viel besser über „politische Vereinbarungen“ „Endabkommen“ und ähnliches Blabla zu reden.
NETANJAHUS HAUPTINSTRUMENT der Herrschaft geht zurück auf die alten Römer (wie es zum Sohn eines Historikers passt): Divide et Impera (Teile und herrsche).
Er ist ein großartiger Aufhetzer; Juden gegen Araber, orientalische Juden gegen Aschkenasim, religiöse gegen säkulare. (Er selbst ist ein Ungläubiger, aber die Religiösen aller Richtungen sind seine stärksten Verbündeten.)
Hass geht mit Angst. Es ist ein alter jüdischer Glaube, dass die ganze Welt uns zerstören will („Aber Gott rettet uns aus ihren Händen“ wie jeder Jude am Passahabend deklamiert) Das ist jetzt wahrer denn je.
Die Iraner wollen uns ausrotten. Die Araber wollen uns ins Meer werfen. Die Linken sind noch schlechter: sie sind Verräter. Bibi ist der einzige, der uns von all diesen retten kann. Gott mag etwas nachhelfen.
ABER DIE wirkliche Gefahr von Netanjahus Herrschaft ist sein totales Schweigen zu Israels Hauptproblem, seine existentielle Frage: der 130-jährige Krieg mit den Palästinensern und durch Erweiterung mit der ganzen arabischen und vielleicht muslimischen Welt.
Durch die Ideologie seines Vaters festgelegt, ist er nicht in der Lage, einen Zoll unsres heiligen Vaterlandes abzugeben (Wie viele Israelis glaubt er nicht an Gott, glaubt aber, dass Gott uns dieses Land verheißen hat. Tatsächlich war Gott sogar großzügiger und versprach uns alles Land zwischen Nil und Euphrat).
Einige bantustan-artige, nicht mit einander verbundene Enklaven für die Palästinenser – warum nicht? solange wir sie nicht alle mit einander vertreiben können. Aber nicht mehr.
Dies verhindert jede Bemühung um Frieden. Es garantiert einen Apartheidstaat oder einen bi-nationalen Staat mit einem permanenten Bürgerkrieg. Netanjahu weiß dies sehr genau. Er macht sich keine Illusionen. Also äußerte er die logische Antwort: „Wir werden immer mit dem Schwert leben“. Gutes Hebräisch, schreckliche Staatsmannsschaft.
Unter seiner Herrschaft wird Israel unwiderruflich den Abhang hinuntergleiten und schließlich in die Katastrophe. Je länger seine Herrschaft dauert, umso größer ist die Gefahr.
Alles in allem: Netanjahu ist ein Mann ohne intellektuelle Tiefe, ein politischer Manipulator ohne reale Lösungen, ein Mann mit einem imposanten Äußeren, aber einem leeren Inneren.
Mittlerweile ist er groß im Erfinden von Belangen, die die Aufmerksamkeit vom schicksalhaften Problem ablenken. Ganz Israel war monatelang mit der Debatte über den „Naturgasplan“ beschäftigt (vor der israelischen Meeresküste wurde nämlich Gas entdeckt), über die Art und Weise , wie die Gewinne aufgeteilt werden sollten. Netanjahu unterstützt mit all seiner Macht den „Plan“, der den Gewinn in die Taschen einer Handvoll Reicher fließen lässt, die irgendwie mit Sheldon Adelson , seinem Schutzherrn ( und manche sagen seinem Beschützer) verbunden sind .
In der Zwischenzeit können „König Bibi“ und seine höchst unpopuläre Gemahlin Königin Sarahle sich mit Befriedigung umschauen. Da gibt es niemanden, der ihre unbegrenzte Herrschaft („Amtszeit“ scheint eine unpassende Definition). gefährdet.
Sie denken daran, einen königlichen (sorry, Ministerpräsidenten-) Palast, anstelle der ziemlich schäbigen gegenwärtigen Residenz, mitten in Jerusalem zu bauen.
Rund um sie herum ist nichts außer einer politischen Wüste.
Ich würde zu Gott beten, uns zu erlösen. Aber leider glaube ich nicht an Ihn.
Danke Tlaxcala
Quelle: http://zope.gush-shalom.org/home/en/channels/avnery/1449855777/
Erscheinungsdatum des Originalartikels: 12/12/2015
Artikel in Tlaxcala veröffentlicht: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=16811
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