Konfliktparteien liefern sich schwere Gefechte im Südosten der Türkei / Westliche Staaten schweigen
Die Lage in vielen Städten im kurdischen Südosten der Türkei ist
dramatisch: Beschuss von Wohnvierteln durch die Armee, Straßenkämpfe,
Razzien, Versorgungsnotstände.
Foto: dpa/Sedat Suna
Ankara tut somit genau das, was der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan seinem syrischen Amtskollegen Baschar al-Assad vorwirft und weshalb er das militärische Eingreifen der internationalen Gemeinschaft und die Einrichtung einer Flugverbotszone fordert, um Zivilisten vor staatlichem Terror zu schützen.
Inzwischen steigen die Opferzahlen dramatisch an. Seit Mittwoch, berichtet AFP, seien als Folge »der jüngsten Großoffensive der Türkei gegen die PKK« innerhalb weniger Tage 102 PKK-Kämpfer getötet worden, dazu zwei Soldaten und fünf Zivilisten. Allerdings sind dies Angaben der sogenannten Sicherheitskräfte, deren Angaben kaum vertrauenswürdig sind.
Nach Darstellung von Oppositionsvertretern sind mindestens zwei Drittel der Toten Unbewaffnete gewesen. Menschen würden auf der Straße erschossen, weil sie aus reiner Notlage das Ausgangsverbot »verletzen«. »Uns erreichen Hilferufe von Menschen, die sagen, dass sie sich seit sieben Tagen im Keller verstecken und Hilfe brauchen«, zitiert dpa den Parlamentsabgeordneten der Demokratischen Partei der Völker (HDP) Ferhat Encü. In manchem Viertel, so der frischgewählte HDP-Vertreter, gebe es keine intakten Häuser mehr, die Gebäude seien zerstört oder in Brand gesetzt worden. Soldaten durchsuchten ohne richterliche Anordnung Wohnungen. Leichen lägen auf der Straße und könnten wegen der Kämpfe nicht abgeholt werden. Insgesamt seien an dem Einsatz etwa 10 000 Armeeangehörige und Spezialkräfte der Polizei beteiligt. Encu hält sich nach eigenen Angaben in der abgeriegelten 120 000-Einwohner-Stadt Silopi auf.
Tatsächlich kommen ausländische Beobachter in der Türkei zu der Ansicht, dass weniger PKK-Kämpfer bewaffneten Widerstand gegen das Militär leisten als vielmehr Gruppen junger Kurden, die weder der militärischen Struktur der PKK zuzurechnen sind noch deren Befehlen folgen. Erdogan habe mit seiner schroffen Beendigung der Dialogpolitik mit kurdischen Persönlichkeiten Tausende junge Kurden geradezu zur Militanz gedrängt.
Zum militärischen Vorgehen der Regierung kommt ihre verbale Aufrüstung. Erdogan erklärte am Wochenende in einer Fernsehrede, er sei entschlossen, die PKK zu »vernichten«. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu assistierte mit der Drohung, der Militäreinsatz werde so lange dauern, bis die betroffenen Städte »gesäubert« seien. Offensichtlich hegt man in Ankara keinerlei Befürchtungen, dass es etwa Kritik aus dem Ausland geben könnte. Nicht einmal eine leise Form des Protests wie die Einbestellung eines türkischen Botschafters zur Übergabe einer Protestnote hat es bisher gegeben.
Sollte das so bleiben, könnte Davutoglu dies als Erfolg auf der ganzen Linie für seinen kürzlichen Brüssel-Besuch werten. Dort hatte er den EU-Vertretern, im Klartext gesprochen, zugesagt, den Zustrom syrischer Flüchtlinge über die Türkei in die EU einzudämmen. Dafür wurden nicht nur drei Milliarden Euro, sondern auch ein Wegschauen gegenüber türkischen Menschenrechts-Verbrechen, zum Beispiel an den Kurden, zugesagt.
Der Ko-Chef der HDP, Selahattin Demirtas, hat die türkische Regierungspartei am Sonntag mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verglichen. Die Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) von Davutoglu und Erdogan sei »der IS der Türkei«, zitierte die Istanbuler Zeitung »Cumhuriyet« Demirtas. Seine Partei kämpfe gegen die Dschihadistenmiliz und gleichzeitig kämpfe sie auch gegen das faschistische Verständnis, das die AKP von der Gesellschaft habe.
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