Dienstag, 22. Dezember 2015

Jacob Samuel Beck (Peter Arlt)


Die Besucher sind begeistert: »Alles wie echt und doch gemalt!« Die perfekte Wiedergabe der Farbtöne, so des berührten und unberührten Pflaumenblaus, zeugt von hoher Sensibilität für Stofflichkeit und von kunstfertiger Wiedergabe. Der Realismus des Erfurter Malers Jacob Samuel Beck (1715–1778), dem das Angermuseum zum 300. Geburtstag eine Ausstellung widmet, fand sein Vorbild in der holländisch-flämischen Kunst des 17. Jahrhunderts. Deshalb eröffnet den Rundgang das »Früchtestillleben mit Hering« und kostbaren Schalen, Gläsern und Zitrone von Jan Davidsz. de Heem, gefolgt von Becks »Früchtestillleben mit Weinglas«, im gleichen Sensualismus gemalt. Die Zitrone mit spiralförmig hängender Schale, die in leichter Drehung mal schmal, dann breiter erscheint, mit im Lichte aufleuchtenden Rändern, ein Muster lebendiger Schmuckformen, ästhetisch verfeinert. Selbst in unserer Zeit gibt es Bestrebungen, die Realität mit der holländischen Maxime »naar het leven« ganz »naar het traditie« (Panorama-Museum Bad Frankenhausen, 2005) zu erfassen und in der »anachronistischen« Malweise ein Lob handwerklicher Tugenden und eine Sehnsucht nach Ursprünglichkeit und Echtheit auszudrücken. Eine Tendenz, mit der der Realismus-Begriff nicht auf den unmittelbaren Zugriff auf die Realität zurückgeschnitten werden sollte, denn sinnliche Präsenz sucht auch expressive und andere Formen und Repräsentanz, Bildzeichen. Die Rückwendung zu Einfachheit, Natürlichkeit und Geschmack kennzeichnet in den Gemälden Becks das nachbarocke Zeitalter der Empfindsamkeit.

95 Arbeiten belegen in guter Hängung das reichhaltige Schaffen des Künstlers. Den Totentanz-Zyklus aus großen Gemälden, den Beck zusammen mit anderen Malern für das Erfurter Waisenhaus anfertigte, ist von einem Großbrand zerstört worden und kann in kleinformatigen Drucken gezeigt werden; auch die Anbetungsszenen vom Hochalter im Erfurter Dom in Reproduktionen. Die Bilder mit Genreszenen und religiösen Motiven berühren weniger als die fein gemalten Frucht- und Gemüsestillleben und Tierdarstellungen, für die Beck geschätzt wurde. Herausragend das aus Privatbesitz stammende »Gemüsestilleben mit zwei Meerschweinchen«, daneben das »Gemüsestilleben mit Albinokaninchen«, zwei Pendantbilder von 1768, die ein prächtiges Lob auf die Züchtung verschiedener Kohlarten in Erfurt und auf Christian Reichardt ausbringen, der die Samenzucht und den Erwerbsgartenbau begründete und das mehrbändige Werk »Land- und Gartenschatz« herausbrachte. Der Kurator des Angermuseums, Thomas von Taschitzki, entdeckte bei der Bildersuche mehrfach solche zusammen entstandenen Gegenstücke, die oft ein drittes Mittelbild umrahmten. Er fand in einigen Bildern Motivtransfers, so die angeschnittenen Früchte in dem »Stilleben mit vier Melonen«, um 1765/70, und im Gemälde »Früchte mit Fayenceschale«. Der Katalog, so erschienen, wird neue Einsichten verschaffen.

Die Konzentration auf das naturgetreue Individuelle legt die Meditation über das Leben nahe und enthält deshalb Sinnbildlichkeit. Die von Heuschrecken zu einem filigranen Adergeflecht angefressenen Deckblätter in Becks »Zwei Krautköpfe« sprechen vom zeitlichen Prozess der Dinge, von ihrer Nichtigkeit und Vergänglichkeit (Vanitas). Bei anderen Gemälden könnte gefragt werden, ob die Weintrauben vielleicht eucharistisch oder die Zitrone, die dem Wein hinzugefügt wird, auch humoralmedizinisch für die Mahnung zur Mäßigung stehen. Oder wenn über den Früchten ein Schmetterling schwebt und mit dem Kontrast der Leichtigkeit beseeltes Leben ins Bild bringt.

Jacob Samuel Beck war ein gefragter Porträtmaler, das zeigen Bilder von prominenten Erfurter Bürgern des 18. Jahrhunderts, von Rektoren und von Mitgliedern der Höfe von Schwarzburg-Sondershausen und Sachsen-Weimar-Eisenach. Sein bedeutendster privater Auftraggeber war ein Bürger als Edelmann, der Generalpostmeister Reichsgraf Gustav Adolf von Gotter, Besitzer vom Schloss Molsdorf. Ein charakterstarkes, womöglich ein Selbstporträt konnte das Museum auf dem Kunstmarkt sensationell günstig erwerben.

Nebeneinander hängen die beiden späten Künstlerbildnisse vom Weimarer Hofbildhauer Martin Gottlieb Klauer und vom jungen Komponisten, Dichter, Freimaurer und Erfurter Student Joseph Martin Kraus, deren poetischer Sinn berührt. Engelsgleich oder wie Amor schwebt zum Bildhauer ein nacktes Kindchen, wohl sein mit der Mutter verstorbener Sohn, der mit wehendem Schleier seinen Fuß auf das Buch der »Ilias« setzt, eine »traumhafte Vision Klauers«, wie Helmut Börsch-Supan vermutet. Ein Bild im Bilde zeigt eine Grafik mit jener Gemme, auf der Amor den Löwen zähmt. Und vor dem träumenden Komponisten Kraus liegt ein leeres Notenblatt, daneben ein volles Bierglas. Dass er melancholisch eine Wange in die Hand stützt und unter dem Ellenbogen sanft ein Ruhekissen liegt, soll für die Empfindsamkeit des Künstlers sprechen, zeigt aber vielleicht auch die Schwierigkeiten des Malers mit Proportionen und Räumlichkeit. In den Sinn kommt mir »Der Raucher« von Paul Cézanne »mit dem der Gestalt unaufhaltsam entgegenstürzenden Tisch« (Fritz Erpel) und bestätigt mir den Gedanken Thomas S. Eliots, dass die Sicht auf frühere Kunst durch spätere Kunst beeinflusst wird, ebenso wie diese ihre Regeln von dem Vergangenen her übernimmt.
Angermuseum Erfurt, Anger 18, bis 17. Januar 2016, Di–So (auch Feiertag) 10–18 Uhr. Eintritt: 6/4 Euro. Begleitend zur Ausstellung erscheint ein Katalog.

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