Dienstag, 22. Dezember 2015

Mittelamerika/El Salvador: Widerstand gegen die Blutsauger


 Von Oliver Ristau
„Nein zur Mine. Ja zum Leben“: Nach der Messe stellt sich der Priester zusammen mit seinen Ministranten und Gläubigern zu einem Anti-Bergbau-Graffiti und winkt.  Foto: Oliver Ristau
El Salvador verbietet aus Sorge vor Umweltschäden den Abbau von Rohstoffen. Wegen entgangener ökonomischer Gewinne klagt eine kanadische Firma deshalb vor dem Internationalen Schiedsgericht in New York.

Wasser ist eigentlich nicht orange. Auch nicht in El Salvador. Doch in San Sebastian, im Osten des kleinen mittelamerikanischen Landes, schon. Gustavo Blanco rührt mit einem Stock in dem Bächlein herum, das die ursprünglich grauen Bachkiesel rot gefärbt hat. Es plätschert idyllisch, das war es dann aber mit der Naturromantik. Der Rinnsaal entwässert eine alte Goldmine, in der Blancos Vater einst gearbeitet hatte – weiter oben jenseits des Mais‘, der bergan in dichten Reihen wächst.
Das Bergwerk steht zwar seit Ausbruch des Bürgerkriegs Anfang der 1980er Jahre still, doch Wasser und Sauerstoff sind in den leeren Stollen immer noch aktiv, lösen Metalle wie Cadmium, Blei, Kupfer und Eisen aus dem Gestein und spülen sie aus. Wissenschaftler nennen eine solche rote Bergwerkssoße „acid mine drainage“. Sie verseucht das Wasser der Flüsse und lässt die Fische sterben. Studien der Regierung aus San Salvador haben die Gifte in den Böden rundherum nachgewiesen. „Die Firmen haben hier über Jahrzehnte Gold für Millionen von Dollar herausgeholt“, sagt der 58-Jährige. „Uns ist nichts geblieben außer Armut und Kontamination.“
Die Menschen leben in einfachen Häusern unter Wellblech. Geteerte Straßen sind ebenso Mangelware wie Schulen und Krankenhäuser. Stattdessen tickt oben auf dem Berg eine weitere Zeitbombe. Ein steiler Schotter- und Lehmweg windet sich hinauf zu dem Plateau, wo früher der Eingang zur Mine war und noch immer die Stollen ins Innere des Berges führen. Ein paar Männer haben sich Unterstände gebaut aus Holzpfählen unter Schatten spendenden Aludächern: mit Hängematten für die kurzen Pausen, zwischen denen sie in die glutofenheißen Gänge kriechen – in der Hoffnung, dem Berg ein bisschen Edelmetall abzutrotzen.
Auch zwei große gelbe Stahlcontainer schmoren in der Mittagshitze, halb von Pflanzen überwuchert. Blanco klopft mit einem Finger dagegen. Der dumpfe Klang, der antwortet, zeigt, dass sie nicht leer sind. Zyanidlauge sei drinnen, sagt er. Die US-Minenbetreiber hätten die Container mit der hochgiftigen Chemikalie einfach stehen gelassen, als sie das Land mit Beginn des Bürgerkriegs Hals über Kopf verließen. Der Einsatz von Zyanidlauge ist ein etabliertes Verfahren, um Gold aus Erzen zu lösen. Ob es wirklich in den Containern lagert, weiß niemand ganz genau. „Wir haben in der Hauptstadt schon oft um eine Entsorgung gebeten – ohne Erfolg. Wir haben Angst, dass die Behälter eines Tages leck schlagen und das Zyanid in die Umwelt entweicht“, sagt Blanco. So wie vor Wochen in einer Goldmine im Nordwesten Argentiniens, wo der Damm eines Absetzbeckens des Konzerns Barrick Gold barst und eine Giftwelle von einer Million Liter Zyanid die Umwelt überschwemmte.

Anti-Bergwerksaktivisten nicht selten gefoltert und ermordet

„Wir haben nicht grundsätzlich etwas gegen den Goldabbau, wenn er uns denn Wohlstand brächte“, erzählt der Gemeindevertreter. Doch mittlerweile seien die meisten Menschen in San Sebastian Gegner des großen Goldbergbaus. Auch weil sie wissen, dass die Goldgier in El Salvador noch schlimmere Folgen hatte als rotes Wasser. Im Department Cabañas, rund 120 Kilometer weiter westlich, hat sie den Tod gebracht.
El Salvador ist zwar nicht größer als Hessen. Doch unter den Bergen der mittelamerikanischen Kordilleren, die von Mexiko bis Panama reichen, lagern große Mengen an Bodenschätzen, auf die es internationale Bergbaukonzerne abgesehen haben. Seit 2008 wird nirgendwo im Land mehr geschürft. Der Grund: die Regierung in San Salvador hat aus Umweltschutzgründen ein Moratorium verkündet, das sämtliche Minenaktivitäten verbietet.
Das ist der Industrie ein Dorn im Auge. Noch hält sie in El Salvador die Füße still und wartet, dass ein zentraler Fall vor dem Internationalen Schiedsgerichtshof bei der Weltbank in New York in ihrem Sinne entschieden wird. Es geht um den kanadisch-australischen Rohstoffkonzern Oceana Gold. Der verklagt den Staat El Salvador auf 320 Millionen Euro Schadenersatz. Hintergrund für die Zuständigkeit des Schiedsgerichts sind Freihandelsabkommen wie sie derzeit auch in Europa verhandelt werden. Die geforderte Summe entspricht der Hälfte des Gesundheitsbudgets des Landes, in dem ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt – für eine Mine, für die das Unternehmen nie eine Lizenz zur Ausbeutung besaß, doch für die Menschen ihr Leben genommen wurde.
So wie in San Isidro 2009: „Wir hatten uns für unsere Gemeinde etwas anderes vorgestellt, wollten grünen Tourismus verwirklichen“, erzählt Angel Rivera. Der kräftige Mann berichtet mit zusammengesunkenen Schultern von den grausamsten Tagen im Leben der Familie. Sein Bruder Marcelo „war eines der bekanntesten Gesichter der Proteste gegen das Bergwerk“. Vor sechs Jahren kehrte der Lehrer eines Tages nicht von der Schule nach Hause zurück. Angel und ein Trupp von Freunden starteten eine Suchaktion. Zwölf Tage lang durchkämmten sie Felder, Wälder, durchwateten Bäche, drehten Steine um. Mit in die Ferne gerichteten Augen und tonloser Stimme spricht Rivera weiter – eine Distanz schaffend, um das Erlebte besser ertragen zu können. „Wir fanden in einem Brunnen eine Leiche, die gefoltert worden war. Die Fingernägel waren mit Gewalt herausgerissen. Ich fragte mich, wie ich das unserer Mutter erklären soll.“
Marcelo Rivera war nicht der einzige lokale Anti-Bergwerksaktivist, der in Cabañas zwischen 2009 und 2013 ermordet wurde. Alle hatten gegen die geplante Mine von Oceana Gold protestiert – damals hieß die Firma noch Pacific Rim. Sie hatte Anfang der 2000er Jahre damit begonnen, das Goldvorkommen zu erkunden. Alles verlief friedlich, bis die Regierung zunächst das Umweltgutachten für die Eröffnung der Mine wegen eklatanter Mängel zurückwies und schließlich das Moratorium erließ.
Die Firma hat die Beteiligung an den Attentaten und Morden stets zurückgewiesen und kriminelle Banden verantwortlich gemacht, aber auch keine Anteilnahme mit den Opfern gezeigt. Der Mord an seinem Bruder sei weder polizeilich-juristisch verfolgt worden, noch habe „es eine Reaktion des Unternehmens gegeben“, sagt Rivera. Mitgefühl zu zeigen sei doch das Mindeste. Doch Pacific Rim interessierte offenbar nur die Frage entgangener Gewinne. 2013 wurde die Firma vom Wettbewerber Oceana Gold übernommen, der das Verfahren seitdem weiterverfolgt. Die tragischen Vorfälle fechten Unternehmensvertreterin Ericka Colindres nicht an. Während sie zu den Morden schweigt, stellt sie in einer schriftlichen Stellungnahme zur Klage fest: „Der von Pacific Rim initiierte Prozess ist ein unabhängiger und international respektierter Mechanismus, um die Frage (des Schadenersatzes – Anm. des Autors) zu klären.“
In der Hauptstadt San Salvador teilt man diese Ansicht nicht. „Dass wirtschaftlich ausgerichtete Schiedsgerichte Entscheidungen fällen, in denen Menschenrechtsverletzungen eine Rolle spielen, ist nicht akzeptabel“, sagt der Jurist Davi Morales. Er studiert seine Unterlagen, hinter ihm thront die blau-weiß-blaue Nationalflagge. Morales ist Chef des staatlichen Büros zur Verteidigung der Menschenrechte. „Schließlich kam es erst zu den Mordanschlägen, nachdem die Firma keine Genehmigung zum Abbau der Edelmetalle erhalten hatte“. Auch wenn die Urheberschaft unklar sei, könne das Schiedsgericht den Fall nicht einfach auf ökonomische Fragen beschränken.

Mehr als plakativer Protest

Es geht um viel Geld. Firmenvertreterin Colindres spricht von 1,3 Millionen Unzen Gold – Marktwert mehr als eine Milliarde Dollar. Und Oceana Gold macht weiter Werbung für das Projekt. Unter anderem Namen wirbt die Firma in sozialen Netzwerken, veranstaltet Feiern, spendierte nach Beobachtung nationaler Minengegner „hier mal einen Sack Reis, zahlt da mal einen Arztbesuch“. Firmenvertreterin Colindres verspricht, im Falle eines Zuschlags zur Goldausbeutung „die höchsten Standards im Umweltmanagement zu etablieren.“
Doch das Umweltministerium in der Hauptstadt San Salvador winkt ab. „Eine intakte Umwelt ist ein wichtiger Pfeiler, damit El Salvador auch noch künftigen Generationen eine Lebensgrundlage bieten kann“, sagt der stellvertretende Amtschef Angel Ibarra. „Diese Strategie eines guten Lebens kollidiert mit der Idee des Bergbaus.“ An seinem Schreibtisch, der vor Büchern überquillt, erklärt der ehemalige Honorarprofessor für Umweltrisiken an den Universitäten von Barcelona und Girona seine Vision eines modernen Staates, der einer nachhaltigen Entwicklung folgt. Von draußen dringen Vogelstimmen herein. Dann bricht es aus ihm heraus: „Es ist ein Skandal, wenn private Unternehmen die Politik einer demokratisch gewählten Regierung torpedieren.“
Er begrüßt es deshalb, wenn Salvadorianer ein Zeichen gegen Gold und das Gericht setzen. So wie in Arcatao im nördlichen Department Chalatenango an der Grenze zu Honduras. In dem Landstädtchen mit seinen 2000 Einwohnern ist der Protest gegen den Bergbau greifbar. Parolen und Malereien bedecken die Mauern. „Nein zu den Minen, ja zum Leben“, steht auf der weißen Mauer unterhalb der katholischen Kirche, ein anderes Motiv zeigt den Tod, der seinen Arm nach der intakten Natur ausstreckt, untermalt von der Aufforderung: „Raus aus El Salvador, Minenunternehmen.“
Aber es geht hier nicht nur um plakativen Protest. In Arcatao wird in einer offiziellen Volksbefragung darüber abgestimmt, ob die Menschen damit einverstanden sind, dass in ihrer Gemeinde „Projekte zur Erschließung und Förderung von Metallrohstoffen durchgeführt werden“ wie es auf dem Wahlzettel heißt. Am Tag der Abstimmung herrscht Hochbetrieb in der kleinen Stadt. Alte Männer mit Macheten unter dem Arm, junge Frauen mit kleinen Kindern – schon früh bilden sich beim Bürgermeisteramt Schlangen vor den Registriertafeln und den Tischen mit den Wahlurnen. Wahlhelfer erklären denjenigen, die nicht lesen und schreiben können, wie die Abstimmung läuft. Auch die katholische Kirche bezieht Position: Nach der Messe stellt sich der Priester zusammen mit seinen Ministranten und Gläubigern zu einem Anti-Bergbau-Graffiti und winkt. Von einer anderen Häuserwand am Kirchplatz blickt das Konterfei Oscar Romeros auf die Szenerie, des früheren Erzbischofs von San Salvador, der sich gegen die Unterdrückung der Armen ausgesprochen hatte und 1980 ermordet wurde. 

Es geht um die Berge, die sich hinter der kleinen Stadt auftürmen und über die sich der blaue Himmel wölbt. Noch wird dort nirgendwo Gold abgebaut. „Doch die Firmen warten nur darauf“, sagt Nicolas Rivera. Er ist auf einer Farm am Fuße eines dieser Hügel aufgewachsen, den die Konzerne gerne abtragen wollen. Nach zehn Minuten holpriger Fahrt mit dem Pick-Up ist die Erhebung erreicht. Der letzte Aufstieg geht nur noch zu Fuß. Der Blick schweift über eine grüne Bergwelt bis tief ins Nachbarland Honduras hinein. Es wimmelt von Libellen und Schmetterlingen. Cerro Patacon wird der Hügel genannt – nach einem Blut saugenden Insekt. „Wir wollen nicht, dass neue Blutsauger kommen und diese Landschaft plündern“. Die Menschen leben von der Landwirtschaft, von Bohnen und Mais, Rindern und sauberem Wasser. „Minen würden die Basis unseres Lebens zerstören.“ Noch mehr vor allem junge Menschen würden in die Emigration gedrängt.
So wie Rivera denken an diesem Wahltag eigentlich alle. 99 Prozent sagen Nein – dokumentiert von einem Team internationaler Wahlbeobachter, zu denen die Deutsche Anna Backmann von der Nichtregierungsorganisation CI Romero zählt. „In Europa machen wir uns nur selten klar, welche Folgen der Rohstoffabbau für die Menschen vor Ort hat.“ Sie ist beeindruckt, „wie geschlossen die Ablehnung ausfällt.“ Noch am Wahlabend kündigt der Bürgermeister eine Gesetzesinitiative an, um den Goldbergbau in Arcatao zu verbieten. Doch ob dieser Ausdruck demokratischen Willens beim Schiedsgericht in New York Eindruck hinterlässt, ist zweifelhaft. Nachdem die Beweisaufnahme 2014 abgeschlossen wurde, kann eine Entscheidung täglich fallen. Nicht nur in El Salvador, auch in Europa wird der Ausgang sicher genau verfolgt werden.

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