„Nein zur Mine. Ja zum Leben“: Nach der Messe stellt sich der Priester
zusammen mit seinen Ministranten und Gläubigern zu einem
Anti-Bergbau-Graffiti und winkt.
Foto: Oliver Ristau
Wasser ist eigentlich nicht orange. Auch nicht in El
Salvador. Doch in San Sebastian, im Osten des kleinen
mittelamerikanischen Landes, schon. Gustavo Blanco rührt mit einem Stock
in dem Bächlein herum, das die ursprünglich grauen Bachkiesel rot
gefärbt hat. Es plätschert idyllisch, das war es dann aber mit der
Naturromantik. Der Rinnsaal entwässert eine alte Goldmine, in der
Blancos Vater einst gearbeitet hatte – weiter oben jenseits des Mais‘,
der bergan in dichten Reihen wächst.
Das Bergwerk
steht zwar seit Ausbruch des Bürgerkriegs Anfang der 1980er Jahre still,
doch Wasser und Sauerstoff sind in den leeren Stollen immer noch aktiv,
lösen Metalle wie Cadmium, Blei, Kupfer und Eisen aus dem Gestein und
spülen sie aus. Wissenschaftler nennen eine solche rote Bergwerkssoße
„acid mine drainage“. Sie verseucht das Wasser der Flüsse und lässt die
Fische sterben. Studien der Regierung aus San Salvador haben die Gifte
in den Böden rundherum nachgewiesen. „Die Firmen haben hier über
Jahrzehnte Gold für Millionen von Dollar herausgeholt“, sagt der
58-Jährige. „Uns ist nichts geblieben außer Armut und Kontamination.“
Die
Menschen leben in einfachen Häusern unter Wellblech. Geteerte Straßen
sind ebenso Mangelware wie Schulen und Krankenhäuser. Stattdessen tickt
oben auf dem Berg eine weitere Zeitbombe. Ein steiler Schotter- und
Lehmweg windet sich hinauf zu dem Plateau, wo früher der Eingang zur
Mine war und noch immer die Stollen ins Innere des Berges führen. Ein
paar Männer haben sich Unterstände gebaut aus Holzpfählen unter Schatten
spendenden Aludächern: mit Hängematten für die kurzen Pausen, zwischen
denen sie in die glutofenheißen Gänge kriechen – in der Hoffnung, dem
Berg ein bisschen Edelmetall abzutrotzen.
Auch
zwei große gelbe Stahlcontainer schmoren in der Mittagshitze, halb von
Pflanzen überwuchert. Blanco klopft mit einem Finger dagegen. Der dumpfe
Klang, der antwortet, zeigt, dass sie nicht leer sind. Zyanidlauge sei
drinnen, sagt er. Die US-Minenbetreiber hätten die Container mit der
hochgiftigen Chemikalie einfach stehen gelassen, als sie das Land mit
Beginn des Bürgerkriegs Hals über Kopf verließen. Der Einsatz von
Zyanidlauge ist ein etabliertes Verfahren, um Gold aus Erzen zu lösen.
Ob es wirklich in den Containern lagert, weiß niemand ganz genau. „Wir
haben in der Hauptstadt schon oft um eine Entsorgung gebeten – ohne
Erfolg. Wir haben Angst, dass die Behälter eines Tages leck schlagen und
das Zyanid in die Umwelt entweicht“, sagt Blanco. So wie vor Wochen in
einer Goldmine im Nordwesten Argentiniens, wo der Damm eines
Absetzbeckens des Konzerns Barrick Gold barst und eine Giftwelle von
einer Million Liter Zyanid die Umwelt überschwemmte.
Anti-Bergwerksaktivisten nicht selten gefoltert und ermordet
„Wir
haben nicht grundsätzlich etwas gegen den Goldabbau, wenn er uns denn
Wohlstand brächte“, erzählt der Gemeindevertreter. Doch mittlerweile
seien die meisten Menschen in San Sebastian Gegner des großen
Goldbergbaus. Auch weil sie wissen, dass die Goldgier in El Salvador
noch schlimmere Folgen hatte als rotes Wasser. Im Department Cabañas,
rund 120 Kilometer weiter westlich, hat sie den Tod gebracht.
El
Salvador ist zwar nicht größer als Hessen. Doch unter den Bergen der
mittelamerikanischen Kordilleren, die von Mexiko bis Panama reichen,
lagern große Mengen an Bodenschätzen, auf die es internationale
Bergbaukonzerne abgesehen haben. Seit 2008 wird nirgendwo im Land mehr
geschürft. Der Grund: die Regierung in San Salvador hat aus
Umweltschutzgründen ein Moratorium verkündet, das sämtliche
Minenaktivitäten verbietet.
Das ist der Industrie
ein Dorn im Auge. Noch hält sie in El Salvador die Füße still und
wartet, dass ein zentraler Fall vor dem Internationalen
Schiedsgerichtshof bei der Weltbank in New York in ihrem Sinne
entschieden wird. Es geht um den kanadisch-australischen Rohstoffkonzern
Oceana Gold. Der verklagt den Staat El Salvador auf 320 Millionen Euro
Schadenersatz. Hintergrund für die Zuständigkeit des Schiedsgerichts
sind Freihandelsabkommen wie sie derzeit auch in Europa verhandelt
werden. Die geforderte Summe entspricht der Hälfte des
Gesundheitsbudgets des Landes, in dem ein Drittel der Bevölkerung unter
der Armutsgrenze lebt – für eine Mine, für die das Unternehmen nie eine
Lizenz zur Ausbeutung besaß, doch für die Menschen ihr Leben genommen
wurde.
So wie in San Isidro 2009: „Wir hatten uns
für unsere Gemeinde etwas anderes vorgestellt, wollten grünen Tourismus
verwirklichen“, erzählt Angel Rivera. Der kräftige Mann berichtet mit
zusammengesunkenen Schultern von den grausamsten Tagen im Leben der
Familie. Sein Bruder Marcelo „war eines der bekanntesten Gesichter der
Proteste gegen das Bergwerk“. Vor sechs Jahren kehrte der Lehrer eines
Tages nicht von der Schule nach Hause zurück. Angel und ein Trupp von
Freunden starteten eine Suchaktion. Zwölf Tage lang durchkämmten sie
Felder, Wälder, durchwateten Bäche, drehten Steine um. Mit in die Ferne
gerichteten Augen und tonloser Stimme spricht Rivera weiter – eine
Distanz schaffend, um das Erlebte besser ertragen zu können. „Wir fanden
in einem Brunnen eine Leiche, die gefoltert worden war. Die Fingernägel
waren mit Gewalt herausgerissen. Ich fragte mich, wie ich das unserer
Mutter erklären soll.“
Marcelo Rivera war nicht
der einzige lokale Anti-Bergwerksaktivist, der in Cabañas zwischen 2009
und 2013 ermordet wurde. Alle hatten gegen die geplante Mine von Oceana
Gold protestiert – damals hieß die Firma noch Pacific Rim. Sie hatte
Anfang der 2000er Jahre damit begonnen, das Goldvorkommen zu erkunden.
Alles verlief friedlich, bis die Regierung zunächst das Umweltgutachten
für die Eröffnung der Mine wegen eklatanter Mängel zurückwies und
schließlich das Moratorium erließ.
Die Firma hat
die Beteiligung an den Attentaten und Morden stets zurückgewiesen und
kriminelle Banden verantwortlich gemacht, aber auch keine Anteilnahme
mit den Opfern gezeigt. Der Mord an seinem Bruder sei weder
polizeilich-juristisch verfolgt worden, noch habe „es eine Reaktion des
Unternehmens gegeben“, sagt Rivera. Mitgefühl zu zeigen sei doch das
Mindeste. Doch Pacific Rim interessierte offenbar nur die Frage
entgangener Gewinne. 2013 wurde die Firma vom Wettbewerber Oceana Gold
übernommen, der das Verfahren seitdem weiterverfolgt. Die tragischen
Vorfälle fechten Unternehmensvertreterin Ericka Colindres nicht an.
Während sie zu den Morden schweigt, stellt sie in einer schriftlichen
Stellungnahme zur Klage fest: „Der von Pacific Rim initiierte Prozess
ist ein unabhängiger und international respektierter Mechanismus, um die
Frage (des Schadenersatzes – Anm. des Autors) zu klären.“
In
der Hauptstadt San Salvador teilt man diese Ansicht nicht. „Dass
wirtschaftlich ausgerichtete Schiedsgerichte Entscheidungen fällen, in
denen Menschenrechtsverletzungen eine Rolle spielen, ist nicht
akzeptabel“, sagt der Jurist Davi Morales. Er studiert seine Unterlagen,
hinter ihm thront die blau-weiß-blaue Nationalflagge. Morales ist Chef
des staatlichen Büros zur Verteidigung der Menschenrechte. „Schließlich
kam es erst zu den Mordanschlägen, nachdem die Firma keine Genehmigung
zum Abbau der Edelmetalle erhalten hatte“. Auch wenn die Urheberschaft
unklar sei, könne das Schiedsgericht den Fall nicht einfach auf
ökonomische Fragen beschränken.
Mehr als plakativer Protest
Es
geht um viel Geld. Firmenvertreterin Colindres spricht von 1,3
Millionen Unzen Gold – Marktwert mehr als eine Milliarde Dollar. Und
Oceana Gold macht weiter Werbung für das Projekt. Unter anderem Namen
wirbt die Firma in sozialen Netzwerken, veranstaltet Feiern, spendierte
nach Beobachtung nationaler Minengegner „hier mal einen Sack Reis, zahlt
da mal einen Arztbesuch“. Firmenvertreterin Colindres verspricht, im
Falle eines Zuschlags zur Goldausbeutung „die höchsten Standards im
Umweltmanagement zu etablieren.“
Doch das
Umweltministerium in der Hauptstadt San Salvador winkt ab. „Eine intakte
Umwelt ist ein wichtiger Pfeiler, damit El Salvador auch noch künftigen
Generationen eine Lebensgrundlage bieten kann“, sagt der
stellvertretende Amtschef Angel Ibarra. „Diese Strategie eines guten
Lebens kollidiert mit der Idee des Bergbaus.“ An seinem Schreibtisch,
der vor Büchern überquillt, erklärt der ehemalige Honorarprofessor für
Umweltrisiken an den Universitäten von Barcelona und Girona seine Vision
eines modernen Staates, der einer nachhaltigen Entwicklung folgt. Von
draußen dringen Vogelstimmen herein. Dann bricht es aus ihm heraus: „Es
ist ein Skandal, wenn private Unternehmen die Politik einer demokratisch
gewählten Regierung torpedieren.“
Er begrüßt es
deshalb, wenn Salvadorianer ein Zeichen gegen Gold und das Gericht
setzen. So wie in Arcatao im nördlichen Department Chalatenango an der
Grenze zu Honduras. In dem Landstädtchen mit seinen 2000 Einwohnern ist
der Protest gegen den Bergbau greifbar. Parolen und Malereien bedecken
die Mauern. „Nein zu den Minen, ja zum Leben“, steht auf der weißen
Mauer unterhalb der katholischen Kirche, ein anderes Motiv zeigt den
Tod, der seinen Arm nach der intakten Natur ausstreckt, untermalt von
der Aufforderung: „Raus aus El Salvador, Minenunternehmen.“
Aber
es geht hier nicht nur um plakativen Protest. In Arcatao wird in einer
offiziellen Volksbefragung darüber abgestimmt, ob die Menschen damit
einverstanden sind, dass in ihrer Gemeinde „Projekte zur Erschließung
und Förderung von Metallrohstoffen durchgeführt werden“ wie es auf dem
Wahlzettel heißt. Am Tag der Abstimmung herrscht Hochbetrieb in der
kleinen Stadt. Alte Männer mit Macheten unter dem Arm, junge Frauen mit
kleinen Kindern – schon früh bilden sich beim Bürgermeisteramt Schlangen
vor den Registriertafeln und den Tischen mit den Wahlurnen. Wahlhelfer
erklären denjenigen, die nicht lesen und schreiben können, wie die
Abstimmung läuft. Auch die katholische Kirche bezieht Position: Nach der
Messe stellt sich der Priester zusammen mit seinen Ministranten und
Gläubigern zu einem Anti-Bergbau-Graffiti und winkt. Von einer anderen
Häuserwand am Kirchplatz blickt das Konterfei Oscar Romeros auf die
Szenerie, des früheren Erzbischofs von San Salvador, der sich gegen die
Unterdrückung der Armen ausgesprochen hatte und 1980 ermordet wurde.
Es geht um die Berge, die sich hinter der kleinen
Stadt auftürmen und über die sich der blaue Himmel wölbt. Noch wird dort
nirgendwo Gold abgebaut. „Doch die Firmen warten nur darauf“, sagt
Nicolas Rivera. Er ist auf einer Farm am Fuße eines dieser Hügel
aufgewachsen, den die Konzerne gerne abtragen wollen. Nach zehn Minuten
holpriger Fahrt mit dem Pick-Up ist die Erhebung erreicht. Der letzte
Aufstieg geht nur noch zu Fuß. Der Blick schweift über eine grüne
Bergwelt bis tief ins Nachbarland Honduras hinein. Es wimmelt von
Libellen und Schmetterlingen. Cerro Patacon wird der Hügel genannt –
nach einem Blut saugenden Insekt. „Wir wollen nicht, dass neue
Blutsauger kommen und diese Landschaft plündern“. Die Menschen leben von
der Landwirtschaft, von Bohnen und Mais, Rindern und sauberem Wasser.
„Minen würden die Basis unseres Lebens zerstören.“ Noch mehr vor allem
junge Menschen würden in die Emigration gedrängt.
So
wie Rivera denken an diesem Wahltag eigentlich alle. 99 Prozent sagen
Nein – dokumentiert von einem Team internationaler Wahlbeobachter, zu
denen die Deutsche Anna Backmann von der Nichtregierungsorganisation CI
Romero zählt. „In Europa machen wir uns nur selten klar, welche Folgen
der Rohstoffabbau für die Menschen vor Ort hat.“ Sie ist beeindruckt,
„wie geschlossen die Ablehnung ausfällt.“ Noch am Wahlabend kündigt der
Bürgermeister eine Gesetzesinitiative an, um den Goldbergbau in Arcatao
zu verbieten. Doch ob dieser Ausdruck demokratischen Willens beim
Schiedsgericht in New York Eindruck hinterlässt, ist zweifelhaft.
Nachdem die Beweisaufnahme 2014 abgeschlossen wurde, kann eine
Entscheidung täglich fallen. Nicht nur in El Salvador, auch in Europa
wird der Ausgang sicher genau verfolgt werden.
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