Stalin – der Humanist
Von Alfred Kantorowicz
„Wenn du dir eine Persönlichkeit vorstellen kannst, die in jeder Beziehung das Gegenteil von dem ist, was die Antistalinisten überall verbreiten, dann kannst du dir eine ungefähre Vorstellung dieses Mannes machen“, das schrieb seinerzeit der von Präsident Roosevelt nach Moskau entsandte Joseph E. Davies an seine Tochter Emlen nach seiner ersten Begegnung mit Josef Stalin. Er berichtete über den tiefen Eindruck, den er empfangen hatte.„Als Stalin eintrat, erhob ich mich und näherte mich ihm. Er begrüßte mich mit einem herzlichen Lächeln und mit großer Schlichtheit, aber mit einer wirklichen Würde. Man gewinnt den Eindruck eines Mannes von außerordentlicher Intelligenz und abgewogener Weisheit … Das Gespräch mit ihm war wirklich eine geistige Erquickung, die wir alle zu genießen schienen. Bisweilen scherzten und lachten wir. Er hat einen guten Humor. Sein Geist ist umfassend. Er ist scharfsinnig, aber vor allen Dingen weise. …“
Joseph E. Davies, war, wenngleich selbst ein Großkapitalist, und den oberen Zehntausend der amerikanischen Gesellschaft zugehörig, als ein Jugendfreund Roosevelt immerhin ein Mann guten Willens, der sich bemühte, gerecht zu sehen. Aber selbst ein so unversöhnlicher Feind der Sowjetunion wie der vormalige Stabschef Eisenhowers, General Bedell Smith, der in der Truman-Ära von Außenminister Marshall als Botschafter nach Moskau entsandt wurde, konnte sich der ergreifenden Persönlichkeitswirkung des Humanisten Stalin nicht entziehen. Der hartgesottene Beauftragte der amerikanischen Kriegstreiber warnte nach seiner Rückkehr aus Moskau davor, das staatsmännische Genie Stalins zu unterschätzen, und er bekannte: „Von Angesicht zu Angesicht ist Stalin keineswegs, wie einige Journalisten bei uns schreiben, eine unansehnliche Persönlichkeit. Er ist nicht sehr groß, aber fest und aufrecht, und es geht der Eindruck großer Kraft von ihm aus. Seine feinen dunklen Augen erschienen mir weder sanftmütig, wie jemand beobachtet haben will, noch aber ‚kalt wie Stahl‘, wie andere sagen, sondern aufmerksam, ausdrucksvoll und klug. Er scheint wirklich gütig zu sein.“
Von der Wortgewalt Stalins geben uns seine Reden und Schriften überzeugende Beispiele. Der Autor der Werke ‚Fragen des Leninismus‘, ‚Marxismus und nationale Frage‘, ‚Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion‘, und nicht zuletzt des bahnbrechenden, einen Wendepunkt in der Sprachwissenschaft darstellenden Essays ‚Über den Marxismus in der Sprachwissenschaft‘ ist ein Schriftsteller von höchstem, man darf getrost sagen, vom säkularem Rang. Das soll neben der Erkenntnis der geschichtsnotorischen staatsmännischen Taten und des Feldherrngenies Stalins nicht vergessen werden, will man die Dauerhaftigkeit und den vollen Umfang seiner Bedeutung für Mitwelt und Nachwelt richtig abschätzen.
Stalins Sprache ist stets klar, direkt und genau, abhold jeder Phraseologie. Der Schriftsteller und Wissenschaftler Stalin packt den Gegenstand der Erörterung ohne Umschweife an, er geht tief in den Kern der Frage, aber er hat eine wunderbare Fähigkeit entwickelt, höchst anschaulich und allgemein verständlich über oftmals schwierige Probleme sprechen zu können. Er hat einleuchtende, im besten Begriff volkstümliche Beispiele und zutreffende, die behandelte Frage erhellende Zitate aus den Schriften der Klassiker der Literatur und des Marxismus gegenwärtig, die seine These unwiderleglich machen. Seine Reden und Schriften sind übrigens gewürzt, aufgelockert und einprägsam durch einen kräftigen, unwiderstehlichen Humor. Er wünscht nicht zu dekretieren, sondern zu überzeugen. Deshalb auch lässt er seine Leser und Hörer in der Form von Frage und Antwort am Denkprozess teilhaben, der zu dem von ihm dargelegten unausweichlichen Folgerungen führt.
Die Universalität von Stalins Wissen ist von Freund und Feind gleichermaßen bezeugt. Jeder, der einmal in persönlichen Kontakt mit Stalin gekommen ist, und nicht allein seine Kampfgefährten und Genossen, sondern bürgerliche Staatsmänner wie Franklin Delano Roosevelt, oder übelwollende Gegner wie Winston Churchill, waren von der erstaunlichen Fülle der Kenntnisse und der Urteilskraft Stalins tief beeindruckt.
Ein sowjetischer Besucher, G. Sawtschenko, berichtete einst über seinen Besuch bei Stalin: „Wir gingen in die Wohnung von Jossif Wissarionowitsch. Ein riesiger Haufen Bücher, die offenbar gerade aus der Druckerei gekommen waren, lenkte unsere Aufmerksamkeit auf sich. Es gab hier Bücher über Textilindustrie, Gerberei, Kriegsgeschichte und literarische Werke.
„Wann finden Sie die Zeit, das alles durchzulesen, Josef Wissarionowitsch“, entschlüpfte mir unwillkürlich die Frage. Genosse Stalin lächelte.
„Ich mag noch so beschäftigt sein“, sagte er, „jeden Tag sehe ich unbedingt an die 500 Seiten durch. …Das ist meine Ration.“
„Eine große Ration, Josef Wissarionowitsch?“
„Macht nichts, ich bin daran gewöhnt. Das habe ich in den Gefängnissen und in der Verbannung gelernt. Jetzt haben sich, wie Sie sehen, die Bücher etwas angestaut, aber ich werde aufholen. Ich empfehle auch Ihnen, so viel wie möglich zu lesen“, fügte er hinzu und schenkte jedem von uns ein Buch.“
Viel zu lesen, das Wort und die Wissenschaft zu meistern, das ist das Anliegen des vorbildlichen Humanisten Josef Stalin, des verständnisvollen Kenners der Literatur und der Wissenschaft, des Mannes, der den Toast, den er nicht lange vor dem Krieg bei einem Empfang der Mitarbeiter der Hochschulen im Kreml ausgebracht hatte, als tiefe Verpflichtung fühlte. „Auf das Gedeihen der Wissenschaft“, brachte Stalin damals seinen Toast aus, und er formulierte: „ … jener Wissenschaft, die sich vom Volk nicht abgrenzt, sich vom Volk nicht fernhält, sondern bereit ist, dem Volk alle Errungenschaften der Wissenschaft zu übermitteln, die dem Volk nicht aus Zwang, sondern freiwillig und mit Freuden dient.“
„Auf das Gedeihen der Wissenschaft, jener Wissenschaft, die es nicht zulässt, dass ihre alten und anerkannten Führer sich selbstgefällig als Priester der Wissenschaft, als Monopolisten der Wissenschaft abkapseln, die den Sinn, die Bedeutung und die Allmacht des Bundes der alten Wissenschaftler mit den jungen Wissenschaftlern begreift, die freiwillig und mit Freuden alle Tore des Wissens den jungen Kräften unseres Landes öffnet und ihnen die Möglichkeit gibt, die Gipfel des Wissens zu bezwingen, die anerkennt, dass die Zukunft den jungen Wissenschaftlern gehört.“
Das sprach der Humanist Stalin, der getreue Schüler, Mitstreiter und berufene Nachfahr Lenins, der ihn und uns gelehrt hatte, dass „nur durch genaue Kenntnis der von der gesamten Menschheitsentwicklung hervorgebrachten Kultur, nur durch deren kritische Verarbeitung, die proletarische Kultur geschaffen werden kann.“
Unter Stalins führendem Einfluss haben diese Leitsätze in der Sowjetunion eine höchst verbindliche und beglückende Anwendung gefunden: in der Literatur ebenso wie in der Wissenschaft.
Als im Sommer 1934 in der Sowjetunion der große Schriftstellerkongress stattfand, zu dem viele der bedeutendsten Schriftsteller aus aller Welt zu Gast waren, sagte Stalin: „Große Meister des Wortes kommen zu Euch.“ Und wie ein Echo scholl es beinahe allen Reden entgegen, die während der großartigen, auch den skeptischen Besucher überwältigenden geistigen Manifestation dieses Kongress gehalten wurden.
„Lernt von ihnen!“ Mit den großen Meistern des Wortes aber waren gekennzeichnet auch die bedeutenden Dichter und Schriftsteller der bürgerlichen Welt, deren Gedanken und Visionen in den Herzen und Hirnen der Abermillionen in Sowjetlanden eine Heimstätte fanden, die sie zu ihren eigenen Vaterländern oftmals nicht mehr besaßen.
Die Schriftsteller aus aller Welt haben gesehen, mit welcher Achtung und welcher Liebe die unvergänglichen Meisterwerke nicht nur der jungen sozialistischen, sondern auch das große Erbe der bürgerlichen Literatur zu Vorbildern gemacht wurden, Vorbildern nicht zur äffischen Nachahmung, sondern als Gegenstand einer achtungsvollen intellektuellen Auseinandersetzung, in der sich die neue historische Epoche ankündigt, die sie überwindet, um sie auf höherer Stufe wieder gemäß ihrem Range einzuordnen.
Stalin war berufen, diese Schätze der Kultur nicht nur zu mehren, sondern auch gegen den Ansturm der Barbarei zu verteidigen. Er ist kein Mann der leeren Versprechungen und leeren Drohungen; er wägt seine Worte, der Meister des Wortes. Wir Deutsche hätten gut daran getan, auf seine Warnung in der berühmten Rede am 10. März 1939 auf dem 18. Parteitag zu hören, in der er die Welt wissen ließ, dass sich in der Sowjetunion „in genügender Anzahl Zwangsjacken für solche Verrückte finden würden, die, unter welchem Vorwand auch immer, einen gewaltsamen Angriff auf das Land der Sowjetunion wagen sollten.“ Wir hätten in der Tat gut daran getan, uns rechtzeitig warnen zu lassen und unseren Verrückten selber Zwangsjacken anzulegen.
Als die ‚Verrückten‘ uns doch in den widersinnigsten und verderblichsten aller Kriege hineingezogen hatten, da sprach Stalin das Wort, das seine tiefe Weisheit, seine Größe als Staatsmann und als Mensch, aber auch die Gewalt seiner einprägsamen Formulierungskraft bezeugt: „Die Erfahrungen der Geschichte besagen, dass die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt.“
Was aber die Hitlers betrifft, so kennzeichnete Stalin ihre Barbarei in der unvergessenen Formulierung: „Diese Leute, die weder Gewissen noch Ehre besitzen, Leute mit einer Moral von Bestien, haben die Stirn zur Vernichtung der großen russischen Nation aufzurufen, der Nation Plechanows und Lenins, Belinskis und Tschernyschewskis, Puschkins und Tolstois, Glinkas und Tschaikowskis, Gorkis und Tschechows, Setschenows und Pawlows, Repins und Suzikows, Suworows und Kutusows! …“
In diesen stolzen und zornigen Worten zeigt sich, dass der große Patriot mit der Verteidigung der Sowjetmacht und der Errungenschaften des Sozialismus auch die Verteidigung des großen Erbes der Kultur, Literatur und Wissenschaft vor dem Ansturm der Barbarei meint.
„Als größter Realist unter den öffentlichen Männern hat Stalin sich der widerstrebenden Mitwelt herausgestellt“, schrieb der in seiner Altersweisheit ehrwürdige deutsche Meister des Wortes, Heinrich Mann, und fügte hinzu: „Gerade er verzichtet am wenigsten auf den Rang eines Intellektuellen.“
(„Stalin – der Humanist“, veröffentlicht am 21. Dezember 1950 in: ‚Tägliche Rundschau‘, Berlin, Organ der sowjetischen Besatzungsmacht, aus: Alfred Kantorowicz, ‚Im 2. Drittel unseres Jahrhunderts‘, Köln, ohne Jahr)
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