Samstag, 21. Juli 2018

Zustimmung zur Leiharbeit: Die wundersame Läuterung der IG-Metall-Führung

Für Dialektik in Organisationsfragen

Zustimmung zur Leiharbeit:

Die wundersame Läuterung der IG-Metall-Führung

In einem als „Kampagne und betriebspolitische Offensive – Leiharbeit, industrienahe Dienstleistungen/Werkverträge“ überschriebenen 15 seitigen Papier stellt der IGM-Vorstand fest: „Wir sind nicht gegen Leiharbeit als vorübergehendes Flexibilisierungsinstrument, deshalb: Missbrauch verhindern – Umfang begrenzen – Bedingungen gestalten.“ (S. 4)
Es wurde Betriebsräten und damit Belegschaften im April 2018 sozusagen als Direktive – mit den sich für sie daraus ergebenden Aufgaben – zugestellt. Darin wird ihnen erklärt, wie „Missbrauch“ verhindert wird, was gestaltet werden soll und dass es hierbei in jedem Fall um „Gute Arbeit“ geht. Entsprechend heißt es: „Wir wollen Arbeit: Sicher, gerecht und selbstbestimmt für alle Beschäftigten, Gute Arbeit für Alle“.
Die IGM-Spitze beruft sich mit ihren Aussagen auf „Leitanträge“, „Leitbilder“ und Ausführung von Beschlüssen des 23. ordentlichen Gewerkschaftstages (siehe dazu auch KAZ 352/353/354). Der hat im Oktober 2015 in Frankfurt/Main unter dem Motto „Gute Arbeit – Gutes Leben“ zwei Anträge zum Verbot der Leiharbeit abgelehnt und in der „E 2“ (Entschließung) u. a. festgestellt: „Leiharbeitnehmer und Leiharbeitnehmerinnen sowie Werkvertragsbeschäftigte müssen besser geschützt und gerecht bezahlt werden. Für die IG Metall ist das Leitbild ‚Gleiche Arbeit – gleiches Geld’ weiter maßgebend ...“
Dieser Gewerkschaftstag hat aber gar keinen Beschluss gefasst, in dem es heißt: „Wir sind nicht gegen Leiharbeit ...“ Deswegen jetzt anzunehmen, der IGM-Vorstand hätte sich bei seiner o. g. Feststellung geirrt oder sei Opfer einer „vorübergehenden“ geistigen Umnachtung, eines Komas oder eines Blackouts geworden, wäre allerdings falsch. Eine solche Annahme würde ihm im Falle einer Anklage wegen Zustimmung zur Klassenspaltung und Schwächung gewerkschaftlicher Kampfkraft und/oder Verschleierung bzw. getrübter Wahrnehmung realer gesellschaftlicher Zustände, auch noch mildernde Umstände einbringen. Von einem Blackout der IGM-Führung kann aber keine Rede sein. Das „vorübergehende Flexibilisierungsinstrument“, dem sie hier das Wort redet, das zum 1. April 2017 erneut geänderte Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), ist seit 1972 – das sind 46 Jahre – als gegen alle Lohnabhängigen gerichtetes Spaltungs- und Entrechtungsinstrument des Kapitals in Kraft. Es hat die Arbeitskraftdealer, die „Verleiher“ – bei den Belegschaften immer noch die Sklavenhändler – gleich massenweise auf den Plan gerufen – zurzeit. immer noch rd. 11.000. Der größte Zusammenschluss unter ihnen, der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmer – abgekürzt iGZ – hat am 17. Mai 2018 in Münster gerade sein 20-jähriges Jubiläum gefeiert. Seitdem die Arbeitskrafthändler die Arbeitskraft unserer vom Kapital auf die Straße gesetzten Kolleginnen und Kollegen zu Dumpinglöhnen verhökern, ist deren Situation als Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter bekannt. Ihre politisch gewollte und mit dem AÜG verfolgte Rechtlosigkeit, die ganzen Unglaublichkeiten der gegen sie gerichteten Schikanen: Bestrafung, Sanktionen durch Jobcenter bei Ablehnung von Leiharbeit, ständig wechselnde Arbeitsorte, Unsicherheit, Unterbezahlung, familiäre Situation, Spaltung der Belegschaften, Lohndumping, Schwächung betrieblich-gewerkschaftlicher Kampfkraft usw. usf. Das alles wird seit Jahren nicht nur in der IGM, sondern ebenso im DGB, in allen Einzelgewerkschaften, bei Gewerkschafts-Kongressen und -Seminaren als Skandal diskutiert und dokumentiert. Hierbei ist es gleichzeitig die Basis von zahlreichen gegen die Leiharbeit gerichteten Verbotsanträgen bei Gewerkschaftstagen. Und darum geht es der IGM-Führung. Ihre Zustimmung zum „vorübergehenden Flexiinstrument“ soll die Diskussion über die Forderungen nach Leiharbeits-Verboten endgültig beenden. Hierbei versucht sie ohne Diskussion durchzusetzen, was der 23. ordentliche IGM-Gewerkschaftstag – auf den sie sich beruft – nicht explizit beschlossen hat. Da macht es sich gut, die Feststellung, „Wir sind nicht gegen Leiharbeit...“ mit Floskeln von „Gutem Leben und Guter Arbeit“ zu garnieren und sie Betriebsräten und Belegschaften als Bestandteil einer „Kampagne und betriebspolitischen Offensive“ zum Nachschwätzen in die Köpfe zu transportieren.
Es ist dabei nichts Neues, dass die große Mehrheit der opportunistischen, in der Regel sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer dem Kapital und der Regierung über die Jahre hinweg zum 1. Mai und/oder bei anderen Veranstaltungen und Ereignissen versichert haben und versichern, dass sie nichts gegen Leiharbeit haben. „Ich habe immer für die Legalisierung der Leiharbeit als Flexibilisierungsinstrument gestritten“ hat Berthold Huber – von November 2007 bis November 2013 IGM-Vorsitzender – 2012 festgestellt und angefügt: „Ich bin der Meinung, dass wir das brauchen.“
Wer mit Hilfe des IGM-Vorstands zur Meinung von Huber kommt und Leiharbeits-Verbotsdiskussionen abschwört, der landet unbelastet davon beim 15-seitigen Vorstandspapier. Mit Hinweisen auf „Infopakete, Toolbox, belastbare Vereinbarungen“, „Leiharbeit als Flexibilitätsreserve“, „Tarif ME2018“ u. a. enthält es das Programm für die „prekär Beschäftigten“: die Verwaltung und Gestaltung ihrer Arbeitsverhältnisse durch Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen in den Betrieben der „Entleiher-Kapitalisten“, wie z. B. bei VW, AUDI, MAN, BMW, ihren „Kontraktlogistikern“ usw. Auf diesem Wege lässt sich immer behaupten, dass an der Rechtsungleichheit der Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter gearbeitet wird. Dabei bleibt die Leiharbeit der Tarifpolitik als Betätigungsfeld oder auch als „Spielwiese“ der „Tarifexperten“ erhalten, ebenso die Rechtsungleichheit. Mit allem, was oben genannt ist, mit dem Heuern und Feuern, dem einfach Abmelden und Nachhauseschicken, dem Kuschen für eine Festanstellung und den sich daraus ergebenden Erpressungsmöglichkeiten bleibt sie in Wirklichkeit unverändert. Das wird z. T. verschleiert mit dem Verweis auf hochgejubelte und schöngefärbte Tarif- o. a. Vereinbarungs-Erfolge, die hier nicht bestritten werden. Dazu zählen z. B. die Erhöhung von Löhnen und/oder Branchenzuschlägen, die eine oder andere Übernahme von Leiharbeitern in ein „ordentliches Arbeitsverhältnis“ u. a. Und hierbei gibt es noch viel Arbeit für alle, die sich z. B. bei der IGM oder in der sich aus acht Einzelgewerkschaften zusammensetzenden DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit als Tarifexperten bewähren wollen. Bei der Leiharbeit gibt es „noch viel Raum“ für Verbesserungen, hat Annelie Buntenbach, stellvertretende DGB-Vorsitzende, der Redaktion der Osnabrücker Zeitung Mitte Mai erklärt. Wobei sie offensichtlich davon ausgeht, dass die Kapitalisten sich mit dem Klammerbeutel der ihnen ständig vom DGB nachgeworfenen Sozialpartnerschaft gepudert und das Hirn vernebelt haben. „Die Arbeitgeber-Verbände müssen mehr dazu beitragen, die Arbeitsbedingungen stärker der ‚Normalarbeit‘ anzunähern“, hat sie erklärt. (Osnabrücker Zeitung online, 16.05.2018, Artikel von Uwe Westdörp) Warum sollten die Kapitalisten das tun, hat sich die IG-Metall-Führung doch mit ihrem neuen Vorstoß schon wunderbar an ihre Bedürfnisse angenähert. Und dafür hat sie in den Staub getreten, was noch zu Beginn der 90er Jahre Beschlusslage in der IG Metall war – als die IGM noch Schrittmacher im DGB im Kampf für das Verbot der Leiharbeit war!

IGM in den 90ern: „Moderner Sklavenhandel“

So lautet die Überschrift eines Arbeitsheftes einer IGM-Schriftenreihe (Heft Nr. 132), die zu Beginn der 90er Jahre als „Handlungsanleitung für betroffene Betriebsräte und ArbeitnehmerInnen“ vom IGM-Vorstand herausgegeben wurde. Nachstehend einige Auszüge aus dem 44 seitigen Arbeitsheft. Im Vorwort dazu wird festgestellt: „Die IG Metall hat die gesetzlichen Neuregelungen der Leiharbeit abgelehnt und fordert seit jeher ein gesetzliches Verbot der Leiharbeit. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand:
Leiharbeit unterhöhlt das staatliche Vermittlungsmonopol,
Leiharbeit zerstört das Prinzip der Tarifeinheit im Betrieb,
Leiharbeit ermöglicht die Auflösung von Dauerarbeitsplätzen im Rahmen gesicherter Arbeitsverhältnisse,
Leiharbeit führt zu zwei Klassen von Arbeitnehmern im Betrieb,
Leiharbeit engt den Geltungsbereich kollektiver betrieblicher Regelungen ein und gefährdet die Mitbestimmung im Betrieb u.v.m.“ (S. 7)
Als Konsequenz dessen, was auf den Seiten des Arbeitsheftes zur Leiharbeit insgesamt festgestellt wird, heißt es: „Gewerkschaftspolitische Perspektiven: Verbot der Leiharbeit durchsetzen!“ (S. 41)
Darunter wird in weiteren Absätzen ausgeführt: „Die politische Forderung muss deshalb nach wie vor lauten: Jegliche Form der Leiharbeit muss verboten werden, weil sie sich als arbeitsmarkt- und sozialpolitisch als äußerst schädlich erwiesen hat. Auch die Probleme bei der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung machen ein solches Verbot erforderlich. Es fehlt jedoch zur Zeit am politischen Willen, die Leiharbeit zurückzudrängen. Stattdessen haben die sog. ,Beschäftigungsförderungsgesetze’ von 1985 und von 1990 die weitere Ausbreitung der Leiharbeit sogar noch begünstigt.
Die IG Metall wird daher auch in Zukunft an ihrer auf mehreren Gewerkschaftstagen beschlossenen Forderung nach einem Verbot der Leiharbeit festhalten müssen. Zur Durchsetzung dieser Forderung kann jedoch der alltägliche Kampf der Betriebsräte um die Zurückdrängung der Leiharbeit auf betrieblicher Ebene ein wichtiger Wegbereiter sein.“
Bei diesen Ausführungen wird deutlich, wogegen der ehemalige IGM-Vorsitzende Huber bei seinem Kampf für die „Legalisierung der Leiharbeit“ gestritten hat.
Etwas Besseres als die jetzige IGM-Vorstandserklärung kann den Kapitalistenverbänden nicht passieren. Damit im Rücken, können sie sich beruhigt in ihren Sesseln zurücklehnen und die gewerkschaftliche Akzeptanz der Leiharbeit mit einem großen Schluck aus der Pulle feiern. Die IGM-Spitze nimmt ihnen ein großes Stück Arbeit ab, indem sie sich faktisch gegen alle wendet, die inner- und außerhalb der Gewerkschaften für ein Verbot der Leiharbeit sind und dafür kämpfen.
Das Vorstandspapier ist ein Fall für die innergewerkschaftliche und die Diskussion in Betriebsräten und Belegschaften. Es geht weiterhin um die Organisierung des Kampfs für ein Verbot der Leiharbeit. Weder die Gewerkschaften und noch weniger Betriebsräte und Belegschaften brauchen irgendwelche „vorübergehenden Flexibilisierungsinstrumente“. Sie wenden sich wie die Leiharbeit und alle anderen sogenannten „prekären“ Arbeitsverhältnisse ausnahmslos gegen alle Lohnabhängigen. Es wäre gut, wenn sich Betriebsräte und Belegschaften bei der Diskussion darüber verständigen und zusammenschließen und der IGM-Führung per Resolution o. a. Anschreiben unmissverständlich mitteilen: Die Akzeptanz der Leiharbeit wird von uns abgelehnt!
Ludwig Jost

Leiharbeit im Klassenkampf

Die Interessengemeinschaft Deutscher Zeitarbeitsunternehmer (iGZ) feierte jüngst bei einem mit großem Brimborium veranstalteten Bundeskongress ihr 20-jähriges Bestehen. Nach eigenen Angaben ist sie mit über 3.500 Mitgliedsunternehmen der größte Arbeitskraftdealer-Verband in der BRD. In ihrer Pressemitteilung erklärt sie, Ziel sei die allgemeine Akzeptanz der Zeitarbeit als Normalarbeitsverhältnis. Da passt ja die Erklärung der IGM-Führung – sozusagen als Geburtstagsgeschenk zur Aufwertung der Arbeitskraftdealerei – wie die Faust aufs Auge.
Ein Schatten fiel auf die schöne Geburtstagsfeier durch eine Mahnwache, deren Teilnehmer symbolisch Ketten an den Füßen trugen und auf Transparenten forderten: Leiharbeit verbieten! 

Nur zur Erinnerung

Dass die Leiharbeit verboten wird, wollten 2015 auch die IGM-Geschäftsstellen Braunschweig und Frankfurt/Main auf dem IGM-Gewerkschaftstag im Oktober 2015 durchsetzen. Ihre Anträge mit der Forderung nach einem Verbot der Leiharbeit wurden abgelehnt. Die Antragsberatungskommission hat erklärt: „Ein Verbot der Leiharbeit steht aus unserer Sicht nicht zur Debatte. Das ist aus rechtlichen Gründen auch gar nicht möglich. Die Forderung des Antrags kann deshalb nicht umgesetzt werden. Deshalb lautet die Beschlussempfehlung ‚Ablehnung’“.
Bei den rechtlichen Gründen berief sich die Kommission auf ein Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 4. April 1967. Die Verfassungsrichter haben sich dabei unter Berufung auf Artikel 12 des Grundgesetzes (GG) – „Berufsfreiheit“ – die Krücke gedreht, um den Kapitalisten im Angesicht einer erstmalig nach der Nachkriegskonjunktur auftretenden kleinen Wirtschaftskrise das „Flexibilisierungsinstrument Leiharbeit“ zu verschaffen. Dafür haben sie das bei der Bundesanstalt für Arbeit liegende Arbeitsvermittlungsmonopol – es galt bis zu diesem Zeitpunkt auch für „Arbeitnehmer-Überlassungsverträge“ – zerschlagen und damit den Weg für die private „gewerbsmäßige Arbeitsvermittlung“ frei gemacht. U. a. haben sie hierbei festgestellt: „Es komme sogar noch hinzu, dass Arbeitnehmer-Überlassungsverträge ein besonderes wirtschaftliches Interesse dadurch erfüllen könnten, dass sie die Arbeitskraft solcher Arbeitnehmer mobilisieren, die aus verschiedenen Gründen keine Dauerstellung annehmen können oder wollen.“ (Michael Kittner, z. B. Arbeits- und Sozialordnung, 2008, 33. Auflage, S. 119 f.)
Das „Arbeitskraftmobilisieren solcher Arbeitnehmer“ haben ab 2004 insbesondere die „Personalserviceagenturen“, die „PSAs“ nach „Hartz I“ übernommen. Sie haben den Arbeitskraftverleihern die Erwerbslosen zugetrieben und fürs Schikanieren und Unterdrucksetzen abkassiert, bis sie wegen Betrugs- und Korruptionsaffären sowie Bankrott u. a. geschlossen wurden. Ihre Aufgabe hatten sie sowieso erfüllt: die Leiharbeit für die Arbeitsämter und Jobcenter als normales „Arbeitsangebot“ zu legalisieren. Fürs Mobilisieren und Schikanieren sind heute die Nachfolger der PSAs zuständig. Die Jobcenter arbeiten im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeit ebenfalls mit den Firmen der Arbeitskrafthändler, den „Verleihern“ eng zusammen. Dabei gilt ebenso: Wer sich erwerbslos meldet/melden muss und/oder Hartz IV- Empfänger ist, wird in aller Regel unter Druck gesetzt. Er/sie muss in jedem Fall mit Sanktionen, Kürzung oder Sperrung von Geldleistungen rechnen, wenn ein vom Job-Center als – „nicht ablehnbar“ bezeichnetes Angebot – nicht angenommen wird. Dazu gehört auch die Annahme einer Arbeit als Leiharbeiterin oder Leiharbeiter.
Mit der „Sanktionspraxis“ der Job-Center beschäftigt sich ein Urteil des Sozialgerichtes Gotha. Es ist der Meinung, dass einem Hartz-IV-Bezieher das Arbeitslosengeld nicht gekürzt werden darf, weil er ein Arbeitsangebot abgelehnt hat und erklärt die bisherige Praxis als verfassungswidrig, weil sie die Menschenwürde des Betroffenen antastet, sowie Leib und Leben gefährden kann. Das Gericht ist der Auffassung, dass die im Sozialgesetzbuch festgeschriebenen Sanktionsmöglichkeiten der Jobcenter gleich gegen mehrere Artikel des Grundgesetzes verstoßen. Das Gothaer Gericht ist bundesweit das erste Gericht, das die Frage aufwirft, ob die Sanktionsmöglichkeiten der Jobcenter mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Es fragt, ob auch neben der Verletzung der Gewährleistungspflicht des Existenzminimums, damit auch des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit, gleichfalls noch die grundgesetzlich garantierte Berufsfreiheit durch die Sanktionen ausgehebelt wird. (Info: www.gewerkschaftsforum-do.de)
Darüber haben die Delegierten des 23. ordentlichen Gewerkschaftstages nicht diskutiert, als sie sich die Argumente der Antragsberatungskommission unterjubeln ließen. Die hat mit ihren Aussagen die Freiheit der Berufswahl für die Arbeitskrafthändler verteidigt und mit anderen Worten erklärt: Ein Verbot der Leiharbeit ist nicht möglich, weil damit das Grundrecht der Arbeitskraftdealer – berufsmäßig mit der Arbeitskraft Lohnabhängiger und Erwerbsloser zu handeln – verletzt bzw. abgeschafft wird. Im Klartext: Ca. 1 Million Arbeiterinnen und Arbeiter müssen ihre Entrechtung erdulden, um das Grundrecht dieser „Sklavenhändler“ zu gewährleisten!
„Die IGM wird nicht nach­lassen, langfristig für die Zielsetzung eines Verbots der Leiharbeit in ihrer jetzigen Form entsprechend einzutreten.“
Das ist bzw. war die Beschlusslage des 22. ordentlichen Gewerkschaftstages der IGM 2011 in Karlsruhe zur Leiharbeit. Und die war schon sehr weichgespült (gegen „Leiharbeit in ihrer jetzigen Form“). Mit ihrer Feststellung hat die Antragsberatungskommission sogar das kurzerhand ausgehebelt und der IGM-Vorstand hat daraus die neue Zielsetzung: „Wir haben nichts gegen Leiharbeit ...“ gemacht.
Die Behauptung, ein Verbot der Leiharbeit sei rechtlich nicht möglich, ist absoluter Unsinn. Gesetze sind immer veränderbar. Hierbei ist es auch in den Gewerkschaften eine bekannte Tatsache, dass das Grundgesetz seit seinem Bestehen (23. Mai 1949) immer wieder geändert wurde, allerdings nur, wenn es darum ging oder geht, Interessen des Kapitals durchzusetzen. So z.B. die 1955 beschlossene Aufstellung von Streitkräften (Bundeswehr) entgegen dem Potsdamer Abkommen, die Möglichkeit der Außerkraftsetzung der bürgerlichen Demokratie durch die Notstandsgesetze 1968, oder die Verstümmelung des Asylrechts bis zur Unkenntlichkeit 1993.
Zur Veränderung von Gesetzen gehört natürlich unser gemeinsamer Kampf mit den Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern. Er muss aus den Betrieben heraus von Betriebsräten und Belegschaften und in den Gewerkschaften diskutiert organisiert werden. Und hierbei geht es nicht nur um die Abschaffung der Leiharbeit. Es geht um den Kampf gegen jegliche Entrechtung z.B. von Arbeitern aus anderen Ländern mit oder ohne Pass, vor Krieg und Verfolgung geflüchtet oder einfach eingewandert. Es geht um die Entrechtung durch Werksverträge und befristete Verträge. Es geht um die Entrechtung durch ungleichen Lohn für gleiche Arbeit. Es geht um die zunehmende Entrechtung der jungen und der alten Arbeiter, der alleinerziehenden Mütter, der von den Jobcentern Drangsalierten. Und so weiter. Nur durch gemeinsamen Kampf und Solidarität mit all denen können wir AfD, CSU usw. die Stirn bieten und die Stärke gewinnen, die Abschaffung der kapitalistischen Ausbeutung, die Abschaffung des Lohnsystems in Betrieben und Gewerkschaften wieder zum gemeinsamen Kampfziel zu machen.
Ludwig Jost

„Equal pay“ – Gleicher Lohn für gleiche Arbeit

„Branchenzuschläge“ sind ein Versuch, in die Nähe des Prinzips – gleicher Lohn – für gleiche Arbeit (Equal Pay) zu kommen. Nach dem AÜG hat es für die Leiharbeit von 2004 bis zum 31. März 2017 als gesetzlicher Mindestanspruch gegolten, wenn es nicht durch Tarifverträge unterlaufen und ausgehebelt wurde. Dafür haben – abgesehen von den „Christlichen Gewerkschaften“ – die IGM und die DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit in ständiger Regelmäßigkeit gesorgt. Ab 1. April 2017 gilt dafür nach dem geänderten AÜG eine Wartezeit von 9 Monaten, die aber durch erneute Tarifabschlüsse wieder kassiert wurde (s. u. Zwischenbericht Däubler).
Zurück zu den Branchenzuschlägen. Sie gelten aufgrund eines von der IGM eingeklagten Bundesarbeitsgerichtsurteils von 2017 „auch bei Dienstleistern, die die Produktion in Metallbetrieben unterstützen.“ In den Betrieben, für die sie von der IGM tariflich vereinbart sind, müssen Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter sie schriftlich geltend machen, weil die Kapitalisten sonst trotz BAG-Urteil nicht zahlen. Mit Hilfe von Betriebsrat und IGM-Vertrauensleuten, die ihnen die Angst vor Abmeldung genommen haben, wurde das von 450 bei VW-Kontraktlogistikern – wie Ceva Logistics – beschäftigten Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern durchgesetzt.
(Infos ebenfalls Juni metallzeitung, kursiv wörtlich übernommen)
Das „Flexibilisierungsinstrument Leiharbeit“
Es hat längst eine juristische Seite, die Hunderte Akten füllt. Dabei geht es um viele Klagen auf Equal Pay, wie die bis vor dem Europäischen Gerichtshof gehende Klagekampagne von Arbeitsrechtler Prof. Däubler und LabourNet. In einigen Fällen (Bericht im Labournet) klagen dabei Gewerkschaftsmitglieder mit dem Rechtsschutz ihrer Gewerkschaft – z. B. ver.di – gegen die gewerkschaftlichen Tarifverträge. Bei einer ganzen Reihe anderer Klagen geht es um Weiterbeschäftigung, um Festanstellung bei VW, der Tochter Autovision o. a. In dem Zusammenhang ist LabourNet Germany eine wahre Fundgrube für jeden, der sich über Klagen, Gerichtstermine, Urteile und z. B. über den Stand o. e. Klagekampagne informieren will. Nachstehend zwei Beispiele: Januar Kampagne und Februar 2018 Stellungnahme zu Gerichtsurteil.
Zwischenbericht von Prof. Wolfgang Däubler: Die Leiharbeitskampagne – oder: die Mühen der Ebene
Seit Mitte Mai, seit der Sendung über Leiharbeit in ‚Die Anstalt‘ habe ich über 500 Mails bekommen. In den ersten Tagen waren es besonders viele, doch Anfragen gibt es auch heute noch. Die meisten Zusendungen waren in einem anderen Stil geschrieben als ich ihn von Betriebsräten und Arbeitnehmern gewohnt bin. In jeder zweiten Mail war von ‚Ausbeutung‘[1] und ‚Sklavenhaltersystem‘ die Rede. Man sei von allen verraten und verkauft worden, die Gewerkschaften eingeschlossen. Auch bei anderen war die Wut mit Händen zu greifen. (...) Sehr viele Einsender gingen davon aus, es gebe schon eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, der man sich anschließen könne. Das war ersichtlich nicht der Fall. Auch ist etwas Derartiges in der Prozessordnung nicht vorgesehen. Der Einzelne muss seinen Verleiher verklagen, um Equal Pay, gleichen Lohn wie die Stammarbeitnehmer, zu bekommen. Der juristische Weg dorthin ist im Grunde gar nicht kompliziert (...) Die Leiharbeitstarife weichen von dem, was ohne sie gelten würde, nur zu Lasten der Leiharbeitnehmer ab. Etwas Derartiges kann auch ein höchst wohlwollender Beobachter nicht mehr als Wahrung des ‚Gesamtschutzes‘ ansehen. Also haben die Tarifverträge ihren Ermächtigungsrahmen überschritten und sind deshalb unwirksam. Der einzelne Leiharbeitnehmer kann gleiche Bezahlung wie ein Stammarbeitnehmer verlangen. (...) Im Juni und Juli 2017 hatte ich insgesamt etwa 25 Leiharbeitnehmer zusammen, die zum Anwalt gehen und einen Prozess wagen wollten. (...) Nur ungefähr die Hälfte hatte sich tatsächlich gemeldet. Die andere Hälfte war ‚abgängig‘. Ich schrieb diese zweite Hälfte an und fragte, weshalb sie sich nicht an den Anwalt gewandt hätten; ‚wir waren doch anders verblieben.‘ Die meisten haben geantwortet, manche ausweichend (‚keine Zeit‘), manche hatten schlicht Angst. (...) Bei der anderen Hälfte der Mandanten gab es viele inhaltliche Probleme...”
Arbeitsgericht Gießen
In einer Stellungnahme zu einem Urteil des Arbeitsgerichtes Gießen, mit dem eine Klage auf Equal Pay abgelehnt wurde, erklärte Wolfgang Däubler am 14.02.2018: „Ich finde die Entscheidung nicht gut, weil von einer Sicherung des ‚Gesamtschutzes‘ nicht die Rede sein kann. Auch die heutigen Tarifverträge für Leiharbeiter weichen nur zu Lasten des Leiharbeitarbeitnehmers vom gesetzlichen Niveau ab. Das ist kein ‚Gesamtschutz‘. Die Neun-Monats-Frist für Equal Pay nach dem neuen Gesetz bringt praktisch nichts. Die meisten Leiharbeitnehmer scheiden sowieso schon vorher wieder aus (ungefähr zwei Drittel). Bei anderen gibt es Fälle, in denen zum Ablauf des 9. Monats gekündigt wurde. In zwei Fällen wurde vom Arbeitgeber angeboten, die fragliche Person ab April weiterzubeschäftigen. Da fängt das Zählen der neun Monate wieder von vorne an ...“
https://kaz-online.de/artikel/die-wundersame-laeuterung-der-ig-metall-fuehrung

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