Aus der Projektwerkstatt in Saasen am 26.4.2018
11.4., 13 Uhr in München: Aktionsschwarzfahrer vor Gericht
Infoveranstaltung zu Nulltarif, Verkehrswende und Schwarzfahren um
19 Uhr
Mit einer Demonstration in Zügen von Kempten
über München,
Nürnberg und Frankfurt bis Gießen wandten sich fünf
Umweltaktivisten im März
2015 gegen Gefängnisstrafen für Schwarzfahrer und traten für
einen Nulltarif in
Bussen und Bahnen ein. Jetzt, über drei Jahre später, steht
einer von ihnen in
München vor Gericht – wegen „Erschleichung von Leistungen“,
obwohl die mit
Megafon, Spruchbändern, Flyern und Schildern am Körper,
bundesweiter Presseankündigung
und Polizeibegleitung alles andere als heimlich erfolgte. Doch
die
Staatsanwaltschaft München sah in allem trotzdem eine heimlich
durchgeführte
Fahrt ohne Ticket – und klagte Dirk Jessen, einen Teilnehmer der
Aktion, an.
In der ersten Instanz verhängte das Amtsgericht
Starnberg
auch tatsächlich eine Strafe. Die wird nun auf den Prüfstand
gestellt, denn der
Angeklagte hat Berufung eingelegt. Zudem ist die Debatte
weitergegangen.
Inzwischen fordert selbst der Richterbund ein Ende des
zigtausendfachen
Bestrafens von Fahrgästen ohne Fahrschein. Im manchen Städten
bilden Strafverfahren
zu diesem Delikt über ein Drittel aller Fälle. Die sogenannten
Aktionsschwarzfahrer, zu denen der Angeklagte in München gehört,
bilden unter
diesen vielen eine Besonderheit. Für sie ist das Schwarzfahren
eine politische
Aktion. Sie wollen auffallen, um für Nulltarif, eine Verkehrswende
und das Ende
der Bestrafung des Schwarzfahrens zu kämpfen. Schilder und
Flugblätter sind das
Mindeste, was sie stets mich sich führen. Bei der jetzt
angeklagten Fahrt war
es noch mehre Aktionsutensilien. „Es ist völlig absurd, das als
Erschleichen
bestrafen zu wollen“, schimpft der bundesweit bekannte
Öko-Aktivist Jörg
Bergstedt über das Starnberger Urteil. Er war bei der Aktion
selbst dabei – und
wurde bereits freigesprochen. Selbst die Staatsanwaltschaft
erkannte den
demonstrativen Charakter an und plädierte auf Freispruch,
allerdings in Gießen.
Am Mittwoch, den 11.4.2018, wenn ab 13 Uhr im Landgericht München
(Nymphenburger
Str. 16) verhandelt wird, wird er Verteidiger des Angeklagten sein
– eine spannende
bis absurde Konstellation.
Der Paragraph, um den es geht, sprich von
„Erschleichung von
Leistungen“. Es sei klar erkennbar gewesen, dass die Beteiligten
keine
Fahrkarten gehabt hätten, findet sich als Vermerk einer
Zugbegleiterin in den
Akten. Da die Aktion vorher angekündigt war, wussten auch Bahn,
Bundespolizei
und MVG Bescheid. Letztere hatten damals die U-Bahn-Abgänge mit
zusätzlichem
Personal gesichert, mussten die Aktivisten nach Hinweis auf das
Demonstrationsrecht im Hauptbahnhof aber gewähren lassen. An
anderen
U-Bahnhöfen gingen sie auf eigene Faust gewalttätig gegen die
Aktionsgruppe
vor. Die Bundespolizei hatte schon nach dem ersten Fahrtabschnitt
mit Text und
Fotos bundesweit die Presse unterrichtet, mehrere Radiosender
berichteten noch
während der Fahrt. „Dass die Staatsanwaltschaft München und die
Amtsrichterin
aus Starnberg dennoch von Erschleichen, also einer Heimlichkeit
ausgingen, ist
eher Rechtsbeugung als Rechtsprechung“, kritisiert der Verteidiger
den Prozess
gegen Dirk Jessen. Konkret würden zudem die Fahrtabschnitte
zwischen München
und Würzburg angeklagt. „Zu dem Zeitpunkt hatte die Bundespolizei
schon selbst
begleitende Öffentlichkeitsarbeit zu unserer Aktion laufen –
entsprechend war
auch die Stimmung in Nürnberg und Würzburg.“ Auf beiden Bahnhöfen
seien die
Aktivisten zwar von den Uniformierten empfangen worden, es hätte
aber eine
lockere Stimmung geherrscht. „Manche Polizisten machten Selfies
mit uns. Wir
waren eher berühmt als heimlich an diesem Tag!“ Zudem stießen die
Zugbegleiter des
zweiten, jetzt vor Gericht verhandelten Zuges schon zum zweiten
Mal an diesem
Tag auf die Gruppe.
„Wir erwarten, dass das Landgericht die
skandalöse
Entscheidung des Amtsgerichts mit einem deutlichen Freispruch
aufhebt“, hoffen
Angeklagter und Verteidiger auf ein anderes Ergebnis als vor dem
Amtsgericht.
Angesichts der Tricks, die das Amtsgericht angewendet hätte, um
eine
Verurteilung zu erreichen, sei ein starkes Signal nötig, um solche
Justizwillkür einzuschränken. „Gerade angesichts der Debatten um
den Sinn der
Schwarzfahr-Bestrafung, den Klimaschutz und die Idee es Nulltarifs
kann es doch
nicht sein, dass hier Gerichte den Straftatbestand noch nach
Belieben
ausdehnen.“ Alles außer einem Freispruch würde den Verdacht
nähren, dass die
Justiz zwar über zu viel und unsinnige Arbeitsbelastung jammere,
aber
gleichzeitig nicht davon abzubringen sei, immer mehr, immer höhere
und, wie
hier, auch in ganz neuen Anwendungsgebieten Strafen zu verhängen.
So oder so wird der Prozess in München zu einem
Politikum. Die
Verhandlung ist öffentlich und findet im Raum B170/1. Stock statt.
Danach laden
die Aktivisten und Münchener Initiativen zu einer
Informationsveranstaltung ein,
bei der sie über Aktionsideen zur Verkehrswende und den Sinn des
Nulltarifs als
wichtige Forderung informieren wollen. Beginn ist am 11.4. um 19
Uhr im Leonrod-Haus
für Kunst, Kultur
(Dachauer Str. 114,
2. Eingang). Neun Tage später stehen im Bundestag sowohl die
Streichung des
Strafparagraphen zum Schwarzfahren als auch Testphasen für den
Nulltarif in zwanzig
deutschen Städten, darunter München, zur Debatte. Insofern haben
die beiden
zentralen Forderungen der der Aktionsschwarzfahrt von
2015 inzwischen
die große Politik erreicht: Die Frage der Strafbarkeit des
Schwarzfahrens und der
Einführung des Nulltarifs als wirksame Maßnahme gegen Klimawandel,
Luft- und
Lärmverschmutzung. Verteidiger Jörg Bergstedt wird direkt von zwei
Vorträgen
über Nulltarif und Verkehrswende in Bayreuth und Regensburg nach
München kommen
– und als konnte Mitte März in Gießen erneut seine weiße Weste als
Aktionsschwarzfahrer behalten. Ein Verfahren wegen seiner
Aktionsfahrten ohne
Ticket, aber mit Kennzeichnung wurde vom Landgericht Gießen
eingestellt.
- Hintergründe, Gesetzestexte und –kommentare, Urteile und Studien zum Nulltarif unter www.schwarzstrafen.tk.
- Kontakt: Jörg
Bergstedt (Verteidiger und befasst mit den Rechtsfragen zum
§265a StGB sowie dem Möglichkeiten des Nulltarifs), c/o
Projektwerkstatt, 06401-903283,
kobra@projektwerkstatt.de (ab 5.4. unter 01522-8728353).
Drei Tage, fünf Veranstaltungen zum Thema in
Bayreuth, Regensburg,
München und Stuttgart:
- Mo,
9.04.2018 19:00 Uhr in Bayreuth, TransitionHaus (Ludwigstr. 24)
Kurzfilm, Vortrag und Diskussion "Argumente und Aktionen für NULLTARIF UND AUTOFREIE STÄDTE"
Der fahrscheinlose öffentlicher Verkehr ist zentraler Baustein einer sozial gerechten und ökologisch Verkehrswende, an deren Ende autofreie Städte und lebendige Straßenräume stehen. Mit Kurzfilm, Vortrag und Diskussion werden unter anderem Städte vorgestellt, in denen der Nulltarif schon funktioniert. Die "Verkehrsutopie 2018 bis 2025" für Gießen zeigt, wie eine Verkehrswende aussehen kann - und muss. Am Ende geht es um Aktionen, die den nötigen politischen Druck erzeugen, vom Aktionsschwarzfahren über Kommunikationsguerilla bis zu großen Aktionen z.B. um ausgewählte Städte autofrei zu blockieren.
- Di,
10.04.2018 19:00 Uhr in Regensburg, LIZE Linkes Zentrum
(Dahlienweg 2a)
Kurzfilm, Vortrag und Diskussion "Argumente und Aktionen für NULLTARIF UND AUTOFREIE STÄDTE"
- Mi,
11.04.2018 13:00 Uhr in München, Landgericht, Nymphenburger Str.
16, Raum B170/1. Stock
SCHWARZFAHR-STRAFPROZESS (Fahren mit Hinweisschild, Flyern, Megafon, Transpi, vorheriger Demo und Pressearbeit ... soll trotzdem "heimlich" gewesen sein)
- Mi,
11.04.2018 19:00 Uhr in München, Toberaum im Leonrodhaus für
Kunst, Kultur (Dachauer Str. 114, 2. Eingang)
Kurzfilm, Vortrag und Diskussion "Argumente und Aktionen für NULLTARIF UND AUTOFREIE STÄDTE"
- Mi,
11.04.2018 19:00 Uhr in Stuttgart, Rathaus
Podiumsdiskussion "Verkehrswende statt Mooswände!" der Initiative FreiFahrenStuttgart (siehe www.freifahrenstuttgart.de)
-- (Bitte bei Antworten lange Mailzitate wegschneiden ... spart Daten, Zeit und Unübersichtlichkeit :-) Projektwerkstatt Saasen, 06401-903283, Fax 03212-1434654 Ludwigstr. 11, 35447 Reiskirchen-Saasen (20 km östlich Giessen) www.projektwerkstatt.de/saasen_______________________________________________PGP unter www.projektwerkstatt.de/feedback.html - Seminarhaus und politische Aktionswerkstätten - Archive, Bibliotheken und Gruppenräume (mit Bahnanschluss) Spannende Bücher und DVDs unter www.projektwerkstatt.de/materialien! Angebote für Aktionstrainings, Workshops und Vorträge: www.projektwerkstatt.de/referent.html und ../termine. Die Projektwerkstatt lebt davon, dass woanders Sachen übrig sind: Eine Liste, was gebraucht wird, ist unter www.projektwerkstatt.de/gesucht zu finden, z.B. kleines Audio-Aufnahmegerät, Obstpresse, Ansteckmikrofone (mit Kabel oder per Funk), CanonEF- oder M-Objektive und viele Verbrauchsmaterialien.
Mailingliste von Hoppetosse - Netzwerk für kreativen Widerstand. Alle Infos und Formular für Aus-/Eintragen sowie Archiv: www.projektwerkstatt.de/ovu.
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