Montag, 30. April 2018

Packt den Marx aus!


Der Klassiker der Arbeiterbewegung lebt. Es gilt, ihn vor falschen Freunden zu schützen

Von Stefan Huth
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Wird am 5. Mai in Trier enthüllt: Die Bronzestatue des chinesischen Künstlers Wu Weishan
Ein Sinnbild: Am internationalen Kampftag der Arbeiterklasse steht die überlebensgroße Statue des Philosophen und Ökonomen Karl Marx (1818–1883), inzwischen restlos in Lumpen gewickelt, in der Innenstadt von Trier. Zu seinem 200. Geburtstag am Samstag soll die Skulptur des chinesischen Künstlers Wu Weishan ­– ein Geschenk der Volksrepublik an die Geburtsstadt des wichtigsten Theoretikers der Arbeiterbewegung – feierlich eingeweiht werden. In Anwesenheit sozialdemokratischer Prominenz, versteht sich. So wird neben der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Maria Luise »Malu« Dreyer auch Parteichefin Andrea Nahles bei der Zeremonie zugegen sein und dem Denker zu Leibe rücken. Das offizielle Programm zum Marx-Jubiläum mit über 300 Veranstaltungen allein in der Moselstadt ist, wen wundert’s, ebenfalls sozialdemokratisch weichgespült. Von Klassenkampf, von Revolution gar soll da nicht die Rede sein. Dem Klassiker wird der kritische Stachel gezogen, indem man ihn totfeiert.
Keine Frage: Die Kriegs- und Hartz-IV-Partei SPD hat sich gründlich von ihrer Geschichte emanzipiert. Nur konsequent also, dass selbst auf ihrer Website bis heute kein Hinweis auf Marx’ Geburtstag zu finden ist. Und nicht auf den 1. Mai, den der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) traditionell zum »Tag der Arbeit« verkleinert. Dass letzterer den 200. des revolutionären Denkers in seinem Internetauftritt ebenfalls komplett beschweigt, überrascht allerdings. Immerhin war es Marx, der sich nicht erst im Rahmen des Genfer Kongresses der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) 1866 für die Einführung des Achtstundentags ins Zeug gelegt hat – und damit das Fundament für die 1. Mai-Demonstrationen schuf, die mit dieser Kernforderung zwei Jahrzehnte später Kapitalisten in vielen Ländern das Fürchten lehrten. Er polemisierte gegen deren »Werwolfs-Heißhunger nach Mehrarbeit«, kämpfte in Gremien von Arbeiterorganisationen leidenschaftlich für die Beschränkung des Arbeitstags: »Denn von der Zeit hängt es ab, ob die Gesellschaft die Zeit hat, sich menschlich auszubilden«.
junge Welt, am Kiosk
In Zeiten von Digitalisierung, neuen Technologien und verschärftem Konkurrenzkampf stehen viele, über Jahrzehnte in harten Kämpfen errungene Rechte wieder zur Disposition. So plädierte Marx’ Gratulantin Nahles noch unlängst für mehr zeitliche »Flexibilität« der Beschäftigten, Lobbyverbände des Kapitals versuchen schon seit langem, am deutschen Arbeitszeitgesetz zu kratzen. Laut Angaben der Statistikbehörde Eurostat arbeiten Erwerbstätige in der Schweiz durchschnittlich bereits 43 Stunden pro Woche – ein Spitzenwert in Europa. In Österreich ist man unterdessen schon weiter. Die Regierung aus ÖVP und FPÖ möchte bis zum Sommer ein Gesetz auf den Weg bringen, um den Zwölfstundentag und die 60-Stundenwoche zu ermöglichen. Ihrem Klassenauftrag werden die Rechten damit in glänzender Weise gerecht. Hier wie dort und anderswo also: höchste Zeit für entschlossenen, organisierten Widerstand!
Im Zeichen neoliberaler Umverteilung von unten nach oben sinken die Lohnquoten, steigen die Profite – verschärft sich die Ausbeutung permanent. Warum das so ist, lässt sich in Marx’ Schriften nachlesen, man muss sie nur auspacken. Die menschlichen Verhältnisse menschlich zu machen bleibt Aufgabe der Arbeiterbewegung und ihrer Organisationen, wie schwach sie derzeit auch sind. Marx wusste: »Die Verkürzung des Arbeitstags ist dafür die Grundbedingung.«

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