Ein schrecklich moderner Staat
Wieder wurden in Mexiko Studenten ermordet.
Wieder verhindern Beamte die Aufklärung. Trotzdem macht
Deutschland mit dem Land Geschäfte.
von W.-D. Vogel
taz v. 27.4.2018
Die Angehörigen der 43 in Mexiko
verschwundenen Studenten warten schon 43 Monate
darauf, dass der Verbleib ihrer Söhne aufgeklärt wird. 43
Monate, in denen die Strafverfolger alles dafür getan haben,
zu vertuschen, was tatsächlich hinter dem Angriff steckt.
Vieles spricht dafür, dass Militärs und Bundespolizisten in
den Fall verwickelt sind – und das passt gar nicht in das
Bild des modernen Mexiko, das Präsident Enrique Peña Nieto
letztes Wochenende auf der Hannover-Messe gegenüber
Kanzlerin Merkel zeichnete. Für das Verschwinden sollen
lediglich lokale Polizisten und Kriminelle verantwortlich
sein. Aus diesem Grund hat die Generalstaatsanwaltschaft
bereits drei Monate nach dem Angriff eine „historische
Wahrheit“ verkündet.
Sie wollen keine historischen
Wahrheiten, stellten deshalb am Donnerstag zu Recht tausende
Demonstranten klar, die für die Aufklärung der jüngst
verübten Morde an drei
Filmstudenten auf die Straße gegangen sind. Der Fall
zeigt einmal mehr, dass das Verschwindenlassen jeden treffen
kann und in allen Regionen stattfinden kann, die von der
organisierten Kriminalität kontrolliert werden.
Das sind viele und es gibt genug
Beweise dafür, dass zahlreiche Gouverneure der PRI, also
Peña Nietos Partei, direkt mit Verbrechern zusammenarbeiten,
die Journalisten killen, Studenten wie die aus Guadalajara
in Säure auflösen oder Leichen nach der Folter tot an
Brücken aufhängen.
In Peña Nietos Amtszeit sind bereits
über 100.000 Menschen ermordet worden, mehr als je zuvor in
der neueren Geschichte des Landes. 35.000 Personen gelten
als verschwunden. Die meisten Fälle bleiben straflos, weil
korrupte Beamte eine Aufklärung bewusst verhindern oder
gleichgültig hinnehmen. Dessen ungeachtet preist der
Präsident Mexiko als demokratischen Investitionsstandort an,
in dem Menschenrechte eine große Rolle spielen.
Wer dieser Lügengeschichte wie Merkel
zustimmt, um dann zum Geschäftlichen überzugehen, leidet an
Realitätsverlust und läuft Gefahr, sich mitschuldig zu
machen.
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