Es gibt offenbar schlimmere Jobs, als in einem Krisenland deutsche Gewehre zu verkaufen. Zu Vorführungen kommen hohe Offiziere und örtliche Bürgermeister. Sie bestaunen die deutsche Technik, brandneu, frisch geölt. Herr B. war jahrelang Vertreter der deutschen Waffenschmiede Heckler & Koch in Mexiko. Er lieferte nicht nur, er organisierte auch Kurse für die Sicherheitskräfte: Man ging zum Schießstand, probierte die neuen G36-Gewehre aus, dann ging man essen in der nahen Kantine. Die Mexikaner waren begeistert vom deutschen Service, die Kollegen in Deutschland waren zufrieden mit den guten Geschäften und wünschten per Mail alles Gute: "Viel Glück in Acapulco."
Die Anträge sind so formuliert, dass die Bundesregierung keinen Ärger macht
Als lästig empfanden die Mitarbeiter von Heckler & Koch eigentlich nur die Bürokraten in der Heimat: Die Beamten in den Berliner Ministerien nämlich achteten penibel darauf, dass die G36-Gewehre nicht in unruhigen Weltgegenden landeten. Zum Beispiel im mexikanischen Bundesstaat Guerrero am Pazifik. Dort, wo auch Acapulco liegt, und wo Drogenbanden, nicht zuletzt aber Mexikos brutale Sicherheitskräfte für immer neue Gewaltexzesse sorgen.Der Waffenhändler B. und mehrere Manager von Heckler & Koch aber sollen sich einig gewesen sein, sich das mexikanische Geschäft nicht von den Bürokraten vermiesen zu lassen. Also sollen sie - so legen es die Erkenntnisse deutscher Ermittler nahe - getäuscht und manipuliert haben. Zwischen 2006 und 2009 verkaufte Heckler & Koch demnach für gut vier Millionen Euro insgesamt 4700 G36-Gewehre sowie Zubehör zum Verbleib in den mexikanischen Staaten Jalisco, Chiapas, Guerrero und Chihuahua - obwohl die Menschenrechtslage dort aus Sicht der Bundesregierung als kritisch galt, und folglich auch ohne Genehmigung deutscher Rüstungskontrolleure.
Von Mitte Mai an müssen sich zwei frühere Geschäftsführer, zwei Ex-Vertriebsleiter, eine damalige Vertriebsmitarbeiterin und der einstige Mexiko-Vertreter der Waffenschmiede vor dem Landgericht Stuttgart verantworten. Die örtliche Staatsanwaltschaft wirft ihnen Verstöße gegen das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen vor. Heckler & Koch erklärte auf Anfrage, man werde "zu gegebener Zeit Stellung beziehen". Die Waffenfabrik verwies auf den anstehenden Prozess. Der könnte lebhaft werden. Selbst der frühere Mexiko-Vertreter B., er ist Bürger des Landes und lebt dort, dürfte vor Gericht erscheinen. Die Justiz hat ihm jüngst freies Geleit zugesichert. Er kann also anreisen, zuhören und aussagen, ohne gleich verhaftet zu werden. B. ist ein redseliger Typ. In einer TV-Dokumentation der ARD hat er sich einmal mit den Worten verteidigt, er fühle sich von Heckler & Koch "verarscht und ausgenutzt".
Die Geschichte beginnt 2005, es ist das letzte Jahr der Kanzlerschaft Gerhard Schröders. Mexikos Regierung rüstet gerade auf für den Drogenkrieg, die zentrale Beschaffungsstelle des Verteidigungsministeriums möchte deutsche Sturmgewehre kaufen und die Waffen im ganzen Land verteilen, an Soldaten und Polizisten. Die Bundesregierung muss das Geschäft billigen und möchte wissen, in welchen Staaten Mexikos denn der "Endverbleib" der Waffen sei. Als Heckler & Koch die Staaten Jalisco, Chiapas und Chihuahua nennt, meldet das Auswärtige Amt Bedenken an, denn in diesen Staaten drohten Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte. Mitarbeiter von Heckler & Koch erfahren bald von den Schwierigkeiten und klagen darüber, dass man ihnen offenbar Steine in den Weg lege.
Schon hier offenbart sich das deutsche Dilemma zwischen Moral und Export. Statt Waffengeschäfte mit Mexiko generell zu verbieten, tut die Bundesregierung dies nur für bestimmte Teile des Landes. Als könnten Waffen nicht frei zirkulieren. Deutschland will nicht in Krisengebiete exportieren, aber die nähere Umgebung der Krisengebiete gilt als unproblematisch.
Vor lauter Tricksereien, klagt ein Mitarbeiter, blicke er selbst nicht mehr durch
Heckler & Koch löst das Problem auf seine Weise. Kaum deutet sich der Ärger in Berlin an, hat der Waffenhändler B. das mexikanische Militär schon um neue Papiere gebeten. In den neuen Formularen über den "Endverbleib" der Sturmgewehre tauchen Problemstaaten nicht mehr auf. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft Stuttgart besteht kein Zweifel darüber, was hier geschehen sei: Die Mexikaner hätten die Papiere pro forma so geändert, dass Berlin zustimmen konnte. Die Gewehre wurden dann auch im Februar 2006 in der ursprünglich geplanten Menge nach Mexiko exportiert. Wollte die Bundesregierung den offensichtlichen Schwindel nicht sehen?Der mutmaßliche Schwindel flog durch einen Fehler auf
Für Heckler & Koch laufen die Geschäfte nun immer besser. Neben den drei ersten Problemstaaten in Mexiko hat nun auch der Staat Guerrero Interesse, der als notorisch gewaltverseucht gilt. Der Waffenverkäufer B. erfährt, dass die örtlichen Sicherheitskräfte mindestens 1500 Sturmgewehre von Heckler & Koch wünschen, aber er weiß auch, dass der Staat unter an-derem wegen Polizeigewalt verrufen ist. Beim Vertrieb von Heckler & Koch regt B. an, im nächsten Exportantrag den Staat Guerrero lieber nicht zu erwähnen.Im Lauf der Jahre zeigt sich noch deutlicher, wie die Exportkontrolle offenbar umgangen wird. Die Mexikaner stellen Urkunden über den geplanten Endverbleib der Waffen aus, in denen genau das steht, was Heckler & Koch-Manager vorgeben, um die deutsche Bürokratie zufriedenzustellen. Gleichzeitig denken die mexikanischen Behörden gar nicht daran, ihre Gewehre nur dort zu verteilen, wo es Berlin angemessen findet. Das Militär verfrachtet die Waffen nach eigenem Ermessen dorthin, wo es die Sicherheitslage angeblich verlangt. Dieses Doppelspiel geht lange gut. Einmal frohlockt B., man habe die Konkurrenz aus Nordamerika bald endgültig ausgestochen.
Die Mitarbeiter der Waffenschmiede reagieren so, wie das damals offenbar stets geschehen ist: Sie bestellen bei den Mexikanern offizielle Briefe, in denen das steht, was Berlin mutmaßlich lesen will. Diesmal weisen sie die Mexikaner an, diese sollten doch bitte mitteilen, dass sie Chiapas irrtümlich erwähnt hätten.
Der Zwischenfall zeigt, wie das deutsche Dilemma selbst die Bundesregierung spaltet. Im Außenministerium, dem Hort politischer Bedenken, hat man jetzt Verdacht geschöpft und möchte die seltsame Chiapas-Geschichte in Mexiko selbst aufklären. Das Wirtschaftsministerium dagegen, besorgt um lukrative Aufträge, entgegnet, es reiche doch, wenn ein Diplomat mal in den Staat Chiapas reise und nachsehe, ob Polizisten deutsche Gewehre in den Händen hielten. Noch erstaunlicher ist es, dass das Wirtschaftsministerium Heckler & Koch offenbar vorwarnt: Es informiert die Waffenschmiede darüber, dass nun in Mexiko ermittelt werde. Laut Staatsanwaltschaft gibt es für eine solche Indiskretion keinerlei Rechtsgrundlage.
Nun verdichtet sich der Konflikt in der deutschen Botschaft in Mexiko. Der dortige Chef des politischen Referats reist Ende 2006 in den Staat Chiapas, wo die Polizei mit Gewehren patrouilliert. Der Diplomat sieht aber kein G 36. Als er nachfragt, erklären ihm die Sicherheitskräfte, ihre Waffen stammten aus Asien. Gleichzeitig bearbeitet Heckler & Koch einen Vertrauensmann, der in der deutschen Botschaft in Mexiko arbeitet: Die Waffenschmiede unterrichtet ihn vorab über die anstehenden Ermittlungen, offenbar in der Hoffnung, diese lenken zu können. Am Ende meldet der Vertrauensmann nach Berlin, es gebe keine Hinweise darauf, dass die Waffen falsch verwendet würden. Ob er gelogen hat, ist unklar. Die Staatsanwaltschaft schließt jedenfalls aus der Episode, dass die Beschuldigten nicht einmal Halt davor gemacht hätten, die Ermittlungen der deutschen Botschaft zu beeinflussen.
Irgendwann schien selbst Heckler & Koch von den mutmaßlich kriminellen Tricksereien überfordert zu sein. Er mache drei Kreuze, wenn der Fall vorbei sei, erklärt einmal ein Mitarbeiter. So langsam, sagt er intern, blicke er selbst nicht mehr durch, was echt oder erfunden sei.
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