Montag, 30. April 2018

Proteste auf Sizilien, Kreta und Zypern



IMI-Analyse 2018/11



Das Mittelmeer als Aufmarschgebiet für die Luftschläge in Syrien

von: Jacqueline Andres | Veröffentlicht am: 28. April 2018



In der Nacht vom 13. auf den 14. April 2018 führten Frankreich, Großbritannien und die USA mehr als 100 Luftschläge auf mind. drei Ziele in Syrien durch, die – wie es offiziell heißt – mit dem Chemiewaffenprogramm des Landes in Verbindung standen. Dazu zählten das Barzeh Forschungs- und Entwicklungszentrum in Damaskus, das Him Shinshar Lager und der Him Shinshar Bunker.1 Gerechtfertigt wurden diese Luftschläge als Präventivmaßnahme gegen einen erneuten Einsatz von Chemiewaffen gegen die syrische Bevölkerung. Noch bevor die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen ihre Untersuchungen abschließen konnte, machten u.a. die USA, Großbritannien und Frankreich Assad als Verantwortlichen aus und bombardierten die besagten Orte.
Normalisierung von „humanitär begründeten Repressalien“?
Während die Bundesregierung die Luftschläge als erforderlich und angemessen einstufte, bezeichnete der Wissenschaftliche Dienst der Bundesregierung den Angriff als völkerrechtswidrig. Er verwies zudem darauf, dass die Luftschläge, die gemeinsam mit der ebenfalls völkerrechtswidrigen Bombardierung der syrischen Luftwaffenbasis Schairat durch die USA nach einem der syrischen Regierung zugeschrieben Giftgaseinsatz im April 2017 einen neuen Trend herauszubilden scheinen und Auswirkungen auf die zukünftige Auslegung des Völkerrechts mit sich bringen könnten. So könnte diesen eine „gewohnheitsrechtsprägende Bedeutung“ zukommen und zu einer Normalisierung solcher rechtswidrigen Militärschläge führen:Ob sich mit den Militäreinsätzen von 2017 und 2018 gegen Chemiewaffeneinrichtungen in der Zukunft ein neuer Ausnahmetatbestand vom Gewaltverbot für Fälle von ‚humanitär begründeten Repressalien‘ herausbilden wird, ist nicht gänzlich auszuschließen.“2
Logistische Knotenpunkte auf Mittelmeerinseln
Nach Angaben des US-Generals Kenneth F. McKenzie Jr. wurden die eingesetzten Raketen u.a. aus dem Roten Meer, dem nördlichen persischen Golf und aus dem östlichen Mittelmeer abgefeuert. Aus dem letzteren starteten drei SCAT-Raketen von der französischen Fregatte Languedoc und sechs Tomahawk-Raketen von dem Angriffs-U-Boot John Warner der US-Marine. Weitere Angriffe erfolgten durch die jeweiligen Luftwaffen – von zwei US-amerikansichen Langstreckenbombern B-1 Lancer (19 Luft-Boden-Marschflugkörper), von britischen Mehrzweckkampfflugzeugen des Typs Tornado und Typhoon (8 Storm Shadow Raketen) und von französischen Kampfjets des Typs Rafele und Mirage (9 SCALP-Raketen). Doch die Logistik dieser Bombardierung ermöglichten auch zahlreiche US- und NATO-Strukturen im europäischen Raum. Wie mit Hilfe von internetbasierten Flugverfolgungswebsites recherchiert und durch David Cenciotti auf theaviationist.com3 zusammengetragen wurde, nutzten die USA für die Vorbereitung und die Durchführung dieser Luftschläge u.a. Sizilien (Naval Air Station Sigonella) und Kreta (Naval Support Activity Souda Bay), während Großbritannien auf den britischen Stützpunkt Akortiri auf Zypern zurückgriff.
Sizilien
In der Nacht vom 12. auf den 13. April führten mindestens drei auf Sizilien stationierte Seefernaufklärungs- und U-Boot-Jagdflugzeuge (P8-Poseidon) des US-Militärs Erkundungsflüge unweit der syrischen Küste aus.4 Zudem überflog eine aus Sigonella gestartete Drohne des Typs RQ-4 Global Hawk nur wenige Stunden vor den Luftschlägen die Küstenregion von Libanon und Syrien. Nach Einschätzungen Cenciottis konnte dieser Einsatz, der höchstwahrscheinlich zur Bildaufklärung (IMINT) und zur Erfassung und Analyse anderer elektronischer Signale (ELINT) diente, als Vorbote der darauf folgenden Militärschläge verstanden werden. Anschließend bewegte sich die Global Hawk Richtung Nordägypten, wo gegen Mitternacht ein US-amerikanisches Aufklärungsflugzeug des Typs RC-135V dazu stieß. Dieses verfügt über eine technische Ausstattung für die elektronische und die Fernmeldeaufklärung (COMINT). Es schien, so Cenciotti, als würden die beiden Flugzeuge nach abgeschlossener Aufklärungsmission nun „Platz für die Kampfflugzeuge“ machen. Nach den Luftschlägen startete erneut eine Global Hawk von Sigonella, um den entstandenen Schaden auszuwerten (BDA- Battle Damage Assessment).5
Zur Kommunikation zwischen den US-amerikanischen Militäreinheiten nutzen die USA das seit 2017 aktivierte Satellitenkommunikationssystem Mobile User Objective System (MUOS) auf dem Gelände der Naval Radio Transmitter Facility bei Niscemi, welches wiederum dem rund hundert Kilometer entfernten Militärstützpunkt Sigonella unterstellt ist.
Seit 1957 sind US-amerikanische Soldat_innen dort stationiert – aktuell liegt die Zahl bei rund 3.600 Soldat_innen. Die Funktionen der Basis werden stetig ausgebaut – insbesondere ihre Aufgaben im Bereich der Aufklärung und Kommunikation nehmen mit den neu installierten Strukturen zu. Seit 2017 ist das MUOS aktiv, welches die Datenübertragungskapazität des vorherigen Kommunikationssystems um ein zehnfaches erhöht und eine zuverlässige Kommunikation aller Einheiten des US-Militärs weltweit ermöglicht. Das MUOS ist wesentlich für die Übertragung der mit Drohnen und Aufklärungsfliegern gesammelten Daten. Voraussichtlich noch im Jahr 2018 wird das Aufklärungssystem Alliance Ground Surveillance der NATO in Sigonella aktiviert. Es besteht aus fünf Global Hawk Drohnen mit einer Reichweite von je 16.000km und einer Hauptkontrollstation (Main Operating Base – MOB) in Sigonella, sowie aus mehreren mobilen Steuerungsstationen, die überall eingesetzt werden können. Im Juni 2017 erhielt der italienische Rüstungskonzern Leonardo, ehemals Finmeccanica, den Auftrag, das NATO AGS Logistics Information System (ALIS) zu stellen und somit die Zuständigkeit für das Management und die Instandhaltung der MOB sowie für die Ausbildung und Einstellung des dazugehörigen Personals zu erhalten. Für die Übertragung der von den eingesetzten Drohnen gesammelten Daten und Bildern liefert Leonardo den Wide Band Data Link, der die Kommunikation zwischen der Bodenstation und den Drohnen ermöglicht.6 Das AGS ist ein wichtiger Bestandteil der bedeutsamen Erneuerung der NATO-Aufklärungs- und Überwachungsstrukturen (ISR).7 Zuletzt wurde am 20. April 2018 General Phillip A. Stewart zum Kommandeur der NATO Alliance Ground Surveillance Force, die dem Allied Command Operations unterstellt ist, ernannt.8 Zudem soll in Sigonella die Satellitenbodenstation SATCOM gebaut werden, welche als Schwesterrelaisstation der Militärbasis Ramstein fungieren wird und damit ebenfalls einen essentieller Datenhub für die Drohnenkriege darstellt.
Aus dem Hafen der sizilianischen Stadt Augusta legte am 12. April die USS New York Richtung Jordanien ab, um dort angrenzend an syrischen Gewässern an der Militärübung Eager Lion teilzunehmen. Bei den fiktiven Übungsszenarien ging es auch um einen Angriff mit Chemiewaffen.9 Es ist fragwürdig ob es sich hierbei um einen Zufall, oder um eine Drohung bzw. um einen flankierenden Einsatz der kurz danach erfolgten Luftschläge handelte.
Kreta
Von Souda Bay startete am 13. April 2018 das Aufklärungs- und Fernmeldeflugzeug Boeing RC-135 Richtung Naher Osten.10 Bereits am 9. April flog ein solches vom gleichen Stützpunkt aus in die Region. Laut Tyler Rogoway beeinhaltete ihr Einsatz vermutlich Fernmeldeaufklärung und die Erstellung eines elektronischen Lagebilds. Diese Informationen seien für die Routenplanung der später eingesetzten Kampfflugzeuge sowie der gelenkten Marschflugkörper essentiell.11 Aus Souda Bay hob in der besagten Nacht auch das Tankflugzeug McDonnel Douglas KC ab, um zwischen den Inseln Kreta und Zypern in die Operation eingebundene Militärflugzeuge zu betankten. Zudem flog ein Lockheed EP-3, welches Funksignale abhören (COMINT) und andere elektronische Signale erfassen kann (ELINT), von Sigonella Richtung Syrien ab.12
Souda Bay rückt als logistischer Knotenpunkt wie Sigonella immer mehr in den Fokus der NATO, der USA und der EU. Seit 1969 nutzen die USA ihren mittlerweile als Naval Support Activity (NSA) Souda Bay benannten Stützpunkt auf der Halbinsel Akrotiri unweit der kretischen Stadt Chania sowie den dortigen zivil-militärischen Flughafen „Ioannis Daskalogiannis“. Zu den Funktionen dieses Stützpunktes, wo rund 650 US-amerikanische Militärangehörige stationiert sind, zählen u.a. die Steigerung „der Kriegsfähigkeit […] durch die Versorgung, das Bedienen und das Unterstützen übergeordneter Einrichtungen und Dienste, die sich der Kampfbereitschaft und Sicherheit von Schiffen, Flugzeugen, Militäreinheiten und Personal widmen“.13 Darüber hinaus fungiert Souda Bay u.a. als Marinewaffendepot. Auch die geostrategische Lage Kretas, als südlichster Punkt Europas unweit der Kriegsschauplätze in unterschiedlichen arabischen Ländern und unweit des Schwarzen Meeres ist einer der entscheidenden Faktoren, die Souda Bay eine wichtig Rolle für Aufklärungsmissionen und US-amerikanische sowie multinationale Einsätze zuschreiben. Unweit des Stützpunktes Souda Bay befindet sich mit der NATO Missile Firing Installation einer der wichtigsten Raketenschießplätze in Europa, wo Boden-, Luft- und See-Bombardierungen, wie sie zum Teil in Syrien durchgeführt wurden, eingeübt werden.
Zypern
Die vier britischen mit Shadow Storm Raketen bewaffneten Kampfflieger starteten von der britischen Militärbasis Akortiri auf Zypern.14 Obwohl ihre Funkortung abgestellt war, konnte laut Cenciotti die Präsenz dieser Flieger durch ihren unverschlüsselten Funkkontakt mit zivilen Flugverkehrskontrollzentren, wie mit dem Athinai Control Centre (ACC) in Athen nachgewiesen werden.15 Seit der Unabhängigkeit Zyperns von der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien, behielt diese die Stützpunkte Akortiri, Episkopi sowie Dhekelia bei. Der Luftwaffenstützpunkt Akrotiri gilt als Großbritanniens wichtigste Basis für militärische Operationen im Nahen Osten. Sie spielt u.a. eine wesentliche Rolle für Aufklärungsmissionen und die Luftschläge in Syrien und in Irak.16
Proteste gegen die Einbindung der Inseln in den Krieg
Auf allen drei genannten Mittelmeerinseln fanden Proteste gegen ihre Einbindung in die völkerrechtswidrigen Luftschläge statt. Bereits am 13. April 2018 hatten bereits mehr als 4.000 Personen vor der US-amerikanischen Botschaft in Athen gegen die zu dem Zeitpunkt noch nicht erfolgten Luftschläge demonstriert. Auf Kreta fand wenige Tage später ein anti-imperialistischer und anti-militaristischer Aktionstag in Chania und in Heraklion statt.17 Zu den treibenden Kräften hinter den Protesten zählt v.a. die kommunistische Partei KKE, die sich gegen die Nutzung von Stützpunkten in Griechenland für den Krieg in Syrien wehrt. Auch vor dem britischen Militärstützpunkt Akrotiri demonstrierten mehr als 350 Menschen – viele von ihnen stehen laut der Zeitung The Guardian der KKE nahe. In Italien demonstrierten am Samstag, den 21. April 2018 hunderte Menschen vor dem hauptsächlich von den USA genutzten NATO-Militärstützpunkt Sigonella gegen die Bombardierung Syriens und für eine Demilitarisierung Siziliens. 18 In all den aufgezählten Protesten richtete sich die Kritik auch an die jeweilige Regierungen, die sich zwar offiziell nicht an den Luftschlägen beteiligten, jedoch diese durch die zugelassene Nutzung der dortigen NATO-, US- oder britischen Stützpunkte logistisch ermöglichten.
Anmerkungen
1 News Transcript. Department of Defense Press Briefing by Pentagon Chief Spokesperson Dana W. White and Joint Staff Director Lt. Gen. Kenneth F. McKenzie Jr., defense.gov, 14.04.2018
2 Thomas Wiegold: Luftangriff auf Syrien: „Bewaffnete Repressalie im humanitären Gewand“, augengeradeaus.net, 20.04.2018
3 David Cenciotti: Everything We Know (And No One Has Said So Far) About The First Waves Of Air Strikes On Syria. theaviationist.com, 14.04.2018
4 Tim Ripley: US Navy ramps up surveillance off the Syrian coast, janes.com, 12.04.2018,
5 Cenciotti: 14.04.2018
6 Leonardo wins the bid for the logistic and support services for NATO’s Alliance Ground Surveillance Programme, leonardocompany.com, 21.06.2018
7 George I. Seffers: From Eyes in the Skies to Data on the Ground, afcea.org, 01.04.2018
8 Stewart Assigned Commander of NATO Alliance Ground Surveillance Force, afcea.org, 20.04.2018
9 Salvo Catalano: Da Augusta partita una nave militare statunitense diretta in Giordania, sabato protesta a Sigonella, meridonews.it, 17.04.2018
10 Cenciotti: 14.04.2018
11 Tyler Rogoway: Air Strikes Targeting Syrian Military Sites Appear To Have Begun (Live Updating), thedrive.com, 09.04.2018
12 Cenciotti: 14.04.2018
13 Commander, Navy Installations Command Naval Support Activity Souda Bay: Mission and Vision, cnic.navy.mi
14 Cyprus government criticised after use of RAF base in Syria strikes, theguardian.com, 15.04.2018
15 Cenciotti: 14.04.2018
16 Ebd.
17 Οι μαθητές της Κρήτης : EE και ΝΑΤΟ σας ξέρουμε καλά για κέρδη και πετρέλαια σκοτώνετε παιδιά, prismanews.gr, 18.04.2018
18 Protesta a Sigonella contro guerra in Siria: in centinaia verso la base, lasicilia.it, 21.04.2018

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