Donnerstag, 26. April 2018

Deutschland entschloss sich? (Horst Schäfer)


»Deutschland entschloss sich«, so erfuhren wir von der ARD-Tagesschau unter Berufung auf das Auswärtige Amt und Außenminister Heiko Maas, »vier russische Diplomaten auszuweisen«. Diese Entscheidung sei »in enger Abstimmung innerhalb der Europäischen Union und mit NATO-Verbündeten gefallen«.

Ach ja? Die »Abstimmung« mit Österreich, Bulgarien, Zypern, Griechenland, Luxemburg, Malta, Portugal, Slowenien und mit der Slowakei war wohl danebengegangen, denn diese neun EU-Länder hatten sich den Strafmaßnahmen gegen Russland nicht angeschlossen. Auch einige NATO-Staaten glänzten durch Abwesenheit. Offenbar war man hier – im Gegensatz zur Bundesregierung – von den haarsträubenden Argumenten der britischen Tory-Regierung nicht überzeugt, sicher auch in Erinnerung an die ähnlich gefälschte Begründung der Blair-Regierung für ihre Beteiligung am völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak. Vielleicht berücksichtigte man in diesen Staaten auch, wie ihre etwa 60 Millionen Bürger mehrheitlich über die gefährliche Zuspitzung der Lage durch westliche Politiker dachten ...

Als sich »Deutschland entschloss«, die bellizistische Politik von Großbritannien und den USA gegen Russland zu unterstützen, hatte sich da die Bundesregierung mit der deutschen Bevölkerung abgestimmt? Konnte sie sich auf eine Mehrheit stützen? Weit gefehlt, denn unzählige Umfragen der letzten Jahre zeigen, dass mindestens eine Zweidrittelmehrheit der Deutschen für eine Politik der Verständigung und des Friedens mit Russland eintritt. Und diese Haltung spiegelte sich auch in den letzten Tagen in tausenden von Meinungsäußerungen auf den Webseiten selbst der einflussreichen regierungstreuen Medien wider.

Ob bei Spiegel, Zeit, FAZ oder Springers Welt, überall wurden die Artikel verurteilt, die mit den Argumenten der Verschwörungstheoretiker vom angeblichen russischen Giftanschlag in Salisbury eine Verschärfung der Politik gegen Russland begründeten. Gefühlte 90 Prozent der Briefschreiber erhoben Einspruch. Hier nur wenige Bespiele.

»Die NATO spielt kalter Krieg. Hoffentlich wird kein heißer draus«, meint »Joeerg V«. Und »Anni B.« ergänzt: »Die NATO ist schon ein toller Verein. Sieht zu, wie eines ihrer Mitglieder ohne Mandat nach Syrien einmarschiert und dort Zivilisten ermordet, erhebt aber den Zeigefinger gegen Russland.« »Vandenplas« urteilt über diese Politik: »Einig in den Abgrund. So sichert man den Frieden, bis kein Stein mehr auf dem anderen steht.« Einen anderen Aspekt sieht »Tokra S«. und fragt: »Wie schlimm steht`s denn um das Finanzsystem, dass hier im Eiltempo ein Krieg organisiert wird?« Und »Horst S.« mutmaßt: »Anscheinend sollen wir auf einen Krieg vorbereitet werden, da Russland seine Bodenschätze nicht freiwillig abgibt.«

Der Jurist »wille17« bekennt: »Als Strafverteidiger dreht es mir den Magen herum ... Entweder es liegen Beweise vor, dann bitte Hosen runterlassen. Oder das Maul nicht soweit aufreißen ... Auf die Bevölkerung jedenfalls wirkt eine Verurteilung, die auf verdichteten Vermutungen basiert, als Bankrotterklärung eines Rechtsstaates.« Für Muru ist klar: »Es ist so ähnlich wie bei Husseins Massenvernichtungswaffen, man braucht für die Bevölkerung eine Erklärung, damit man einen Krieg auch begründen kann.« Und der Forist »Gewitterwitterer« fragt besorgt: »Was kommt als nächstes? Wird mit einem atomaren Erstschlag gedroht? Man könnte meinen, dass das nicht mal so abwegig ist. Mein Gott ...«

Auch »Tikal69« kann es nicht fassen: »Da marschiert die Türkei vor aller Augen in ein Nachbarland ein, während wir im Fernsehen Leopard-Panzer aus deutscher Produktion sehen. Unsere Regierung hingegen ... will erst mal abwarten. Anders hingegen im Fall Skripal, wo die britische Regierung bisher noch gar keine Beweise vorgelegt hat, aber unsere Regierung sich sofort mit GB gegen Russland solidarisiert und sogleich Sanktionen beschließen will. Das ganze wird dann nur noch durch große Teile unserer Presse getoppt, für die Beweise offensichtlich auch nur noch sekundär sind.«

Im Kommentar von »Frickartist« wird gefordert: »Wir sollten keine Zweitauflage [des Zweiten Weltkriegs] provozieren und endlich mit diesen NATO-Drohungen und diesem Boykott-Gedröhn aufhören. Wir üben Loyalität mit Partnern, die ganze Regierungen gestürzt und Präsidenten liquidiert haben.« »Hansa24« fasst alles in einem einzigen Satz zusammen: »Die Rolle der BRD ist einfach nur noch zum Schämen!«

Diese Haltung spiegelt sich auch in einer Leserumfrage von Springers Welt-Online wider. »Wie sollte sich der Westen gegenüber Russland verhalten?« wollte das Schwesterblatt der Bild-Zeitung von seinen Usern wissen. Die Befragten konnten entweder zwei verschlungene Hände wählen (»Auf Russland zugehen«) oder eine drohende Faust (»Härte gegenüber Russland zeigen«). Bis Ostermontag beteiligten sich mehr als 17.000 Leser. 22 Prozent machten bei der Faust einen Klick. 78 Prozent entschieden sich für die verschlungenen Hände.

Wie hatte die Bundesregierung ihre Beteiligung an den Sanktionen gegen Russland doch eingeleitet: »Deutschland« entschloss sich. Deutschland?


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