Donnerstag, 26. April 2018

Politik auf dem Sprungbrett (Winfried Wolk)


Nun haben wir eine neue, handlungsfähige Regierung. Ein markantes, immer wieder zitiertes Merkmal des neuen Kabinetts: Viele der neuen Minister sind relativ jung und mehrere auch weiblich. Besondere Fachkompetenz als Voraussetzung wird nirgendwo erwähnt. Ich nehme an, dass die gegeben ist, wenn sich jemand jahrelang im Parteiapparat hochgearbeitet hat. Da kann der Karriereweg dann, wie wir wissen, durchaus über das Familien-, das Arbeits- bis hin zum Verteidigungsministerium führen. Die notwendige Kompetenz wächst einfach mit. Das ist normal im politischen Geschäft. Unsere Immernoch- und Immerwieder-Kanzlerin hatte am 27. Februar im Focus ein weiteres, für ihre Partei wichtiges Berufungskriterium verkündet: Bewähren soll sich der »CDU-Nachwuchs« in der Regierung und den Erfahrungsschatz erweitern. Ein Ministerposten sei nämlich ein mögliches Sprungbrett. Ich bin irritiert. Ministerposten als Bewährung für Parteinachwuchs, als Erweiterungsplattform  für den persönlichen Erfahrungsschatz und als Sprungbrett – wohin? Welche Perspektiven werden da von der hier als Bewährungshelferin agierenden Bundeskanzlerin in den Blick genommen?

Ich war bisher der Meinung, dass es die Aufgabe der Menschen ist, die in eine solch verantwortliche Position gekommen sind, daran zu arbeiten, dass kluge Lösungen für all die Probleme gefunden werden, die sich im fortwährenden Spiel der gesellschaftlichen Kräfte auftun. Und diese Problemlösungen sollten so gestaltet werden, dass das deutsche Volk vor Schaden bewahrt und sein Nutzen gemehrt wird. Jedenfalls schwören das so alle, die ein Regierungsamt antreten. Von Sprungbrett und Erweiterung des Erfahrungsschatzes ist in diesem Eid nicht die Rede. Das Magazin Cicero informierte in einem Artikel mit dem Titel »Am intellektuellen Nullpunkt« darüber, wie zwei der neuen jungen Minister auf die Zeitläufe im Sinne einer konservativen Politik Einfluss nehmen wollen. Julia Klöckner, die neue Landwirtschaftsministerin will »die Veränderungen, die auf uns zukommen, so gestalten, dass sie den Schrecken für die Bürger verlieren«. Und Jens Spahn, unser neuer Gesundheitsminister, will »die Geschwindigkeit von Veränderungen so reduzieren, dass sie erträglich sind«.

Unsere hoffnungsvollen Sprungbrettbesetzer werden also nicht etwa Veränderungen auf ihre Sinnhaftigkeit hin überprüfen oder Veränderungen, die in die falsche Richtung laufen, in die richtige Richtung lenken und bereits fehlgelaufene Entwicklungen korrigieren. Ihre Tätigkeit wird sich, wenn ich die Aussagen richtig interpretiere, vor allem darauf konzentrieren, dass die Veränderungen die Schrecken verlieren und in einer erträglichen Geschwindigkeit ablaufen. Ist das angesichts der Probleme, die in den letzten Jahren mit diesem stoischen »Weiter so«-Programm nicht nur unangetastet gelassen wurden, sondern die sich dadurch vervielfacht haben, nicht arg wenig? Aber vielleicht erwarte ich zu viel von Menschen, die sich auf ein solches Sprungbrett wagen.

Immerhin stellen sie sich der Aufgabe, uns das erträglich zu vermitteln, was sich bereits durch die EU- und Globalisierungsprogramme in der Realisierungsphase befindet. So las ich am 7. März bei heise online über die Möglichkeiten des Investitionsschutzabkommens Bilateral Investment Treaty (BIT) und über die verblüffenden Veränderungen im internationalen Handelsgeschäft, die das Abkommen ermöglicht. Da hatte die Slowakei 2006 eine in der Privatisierungseuphorie der 1990er Jahre beschlossene Liberalisierung des Krankenversicherungsmarktes gegenüber dem niederländischen Versicherungskonzern Achmea teilweise rückgängig gemacht, weil man sich im Nachhinein offensichtlich über den Tisch gezogen erlebte. Achmea sah das aber anders, wollte keinesfalls auf das lukrative Geschäft verzichten und verlangt nun als Entschädigung für entgangene Gewinne von der Slowakei 22,1 Millionen Euro. Ähnlich verfuhr der kanadische Konzern Gabriel Resources mit Rumänien. Das Unternehmen wollte in Rumänien mittels Zyanid Gold fördern, konnte nach Ansicht der rumänischen Behörden allerdings die Gefahr einer Grundwasserverseuchung nicht ausschließen, weshalb auch die ungarische Regierung intervenierte. Weil auch viele der Bewohner in der Region ihre Grundstücke nicht zu dem ihnen gebotenen Preis verkaufen wollten und eine Enteignung misslang, scheiterte das Projekt. Deshalb verlangt der kanadische Konzern nun vier Milliarden US-Dollar von Rumänien. Die kanadische Minengesellschaft Pacific Rim forderte 2009 nicht nur 77 Millionen Dollar Schadensersatz für die angefallenen Investitionen zur Erkundung der Goldvorkommen des mittelamerikanischen Staates El Salvador, sondern zusätzlich 234 Millionen Dollar für entgangene Gewinne, nachdem El Salvador die Genehmigung zum Goldabbau verweigerte. Gold zu schürfen, ohne überhaupt Gold zu schürfen, ist also mittlerweile ein lukratives globales Geschäft. Das Investitionsabkommen BIT sieht wie auch TTIP und CETA private Schiedsgerichte als Entscheidungsgremien bei Streitigkeiten vor. Für Europa hat der Europäische Gerichtshof jetzt entschieden, dass das mit der Autonomie des Unionsrechts unvereinbar ist, deshalb soll nun ein ordentliches Gericht über die Rechtmäßigkeit solcher Forderungen urteilen. Das Geschäftsmodell aber, das Großkonzernen ermöglicht, Staaten  und Volkswirtschaften in finanzielle Abhängigkeiten zu bringen und Schadensersatzforderungen wegen großzügig geschätzter entgangener Gewinne einzufordern ist offensichtlich nicht zu beanstanden.

Unsere beiden Neuminister Klöckner und Spahn jedenfalls haben den Radius ihres Arbeitsprogramms umrissen. Wenn das, was sie da sagten, ernst zu nehmen ist, werden sie solche, die Allgemeinheit enorm schädigenden Geschäftsmodelle weder regulieren noch außer Kraft setzen. Vielleicht geht das freie Spiel der Kräfte, wo immer der Stärkere gewinnt, etwas verlangsamt weiter, damit am Ende der Schrecken nicht zu groß ausfällt, doch für die Gesellschaft ist das keine wirklich positive Veränderung. Unsere neuen Sprungbrettbesetzer dagegen können mit dem Sprung in die richtige Richtung tatsächlich dann noch ganz andere Karrieren starten. Immerhin erweitern sie ihren dafür notwendigen Erfahrungsschatz und dürfen sich grundsätzlich bewähren.

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