taz v. 21.4.2018
Am Sonntag eröffnet der mexikanische
Präsident die Hannover-Messe, um für weitere deutsche
Investitionen zu werben. Auf die Rechte Indigener wird dabei
aber kaum Rücksicht genommen
Aus Oaxaca, Mexiko
Wolf-Dieter Vogel
Die Einwohner der
süd-mexikanischen Stadt Unión Hidalgo staunten, als sie das
Dokument der Energiekommission in ihren Händen hielten. 96
Windräder sollen auf ihrem Land gebaut werden, hieß in dem
Schreiben, das die Indigenen im Juli vergangenen Jahres erhielten.
Fast niemand wusste von den Plänen, und hätten sie nicht selbst
angefragt, wüssten sie es vielleicht bis heute nicht.
Das ist ein Verstoß gegen
internationales Recht. Die Konvention 169 der Internationalen
Arbeitsorganisation und die UN-Erklärung über die Rechte indigener
Völker sehen vor, dass die Gemeinschaften befragt werden müssen,
bevor Großprojekte auf ihrem Boden geplant werden. Die Bewohner
haben deshalb Klage gegen die Windanlage eingereicht.
Die rund 100.000 indigenen Zapoteken,
die in den Gemeinden der Landenge von Tehuantepec im Bundesstaat
Oaxaca leben, haben allen Grund zur Skepsis. Noch immer sind
zahlreiche Gemeinden von dem Erbeben im September 2017 gezeichnet:
eingestürzte Häuser, Geröllhaufen, zerstörte Straßen. Bis heute
warten viele Bewohner vergeblich auf Unterstützung von der
Regierung. Ihre Vorfahren hatten sich vor über 3.000 Jahren in
dieser tropischen, von Wind und Hitze geprägten Region
niedergelassen. Viele Bewohner betrachten das Land als kollektives
Eigentum für Ackerbau und Viehzucht.
Vergifteter Boden
Doch immer wieder müssen sie erleben,
wie Behörden, korrupte Politiker und Unternehmer dort Projekte in
Angriff nehmen, die die natürlichen Lebensgrundlagen zerstören.
Garnelenzuchtanlagen vernichten Mangrovenwälder, Erdölraffinerien
verschmutzen die Fischgründe im Meer, ein geplantes Bergwerk würde
Flüsse und Boden vergiften.
Und nun also ein neuer Windpark. Schon
jetzt befinden sich auf der Landenge zwischen Pazifik und Atlantik
auf 21 Energieparks über 1.500 Windräder. Unzählige von ihnen
zieren die Felder entlang der Hauptstraße, die in den Süden, nach
Guatemala führt. In Reih und Glied stehen sie da, wie eine
gigantische Armee aus Betonriesen, die nur langsam am Horizont des
flachen Landes verschwindet. Allein in Unión Hidalgo wurden zwei
Windparks erstellt: Piedra Larga I und II.
Viele Bewohner der Landenge wehren sich
mit Demonstrationen, Straßenblockaden und juristischen Mitteln
gegen diese Projekte, zumal in den Gemeinden meist nur eine
korrupte Clique von Mächtigen davon profitiert. Dasselbe gilt für
den Bergbau. Den Streitigkeiten zwischen Gewinnern und Verlierern
solcher Anlagen fallen immer wieder Menschen zum Opfer. So
ermordeten Unbekannte im Februar drei Aktivisten der Organisation
Codedi, die gegen den Bergbau und für das Selbstbestimmungsrecht
der indigenen Gemeinden kämpft. Mindestens 37 Menschen starben
laut Amnesty International 2017 in Mexiko wegen
solcher Konflikte.
Wenn der mexikanische Präsident Enrique
Peña Nieto am Sonntag bei der Eröffnung der Hannover-Messe
spricht, wird von diesen Toten keine Rede sein. Mexiko
ist das Partnerland der Industrieschau, und da geht es um den
Produktions- und Exportstandort. „Wir wollen das neue Gesicht Mexikos
zeigen, das moderne Mexiko “, erklärte
Wirtschaftsminister José Rogelio Garza.
Das Land ist der viertgrößte Exporteur
von Automobilen und Elektrowaren, bietet günstige Arbeitskräfte
und hat über 40 Freihandelsverträge vereinbart. Zwar sind die
Perspektiven für Ausfuhren in die USA derzeit wegen der
protektionistischen Politik des US-Präsidenten Donald Trump
unsicher, aber Mexiko gilt zugleich als Sprungbrett
nach Asien. Mit der Privatisierung der staatlichen Erdölindustrie
hat Peña Nietos Regierung zudem dafür gesorgt, dass internationale
Investoren freie Hand haben. Der Bergbau soll intensiviert und die
Windkraft gestärkt werden.
Erweitertes VW-Werk
Für deutsche Unternehmen ist Mexiko
zu einem bedeutsamen Partner geworden. Rund 2.000 Firmen sind dort
vertreten. Insbesondere die Fahrzeugindustrie und ihre Zulieferer
haben zugelegt: VW hat sein Werk erweitert, Daimler, Audi und BMW
sind mit neuen Fabriken angetreten. Auch der Siemens-Konzern
plant, seine Investitionen zu intensivieren. Die Energiereform
eröffne viele Optionen, heißt es bei Siemens- Mexiko .
Deren Vertreter Iván Pelayo kündigte an, man werde mit dem Partner
Grupo México in Hannover die Fortschritte im Bergbaubereich
vorstellen. Mit der Grupo México arbeiten die Deutschen daran, den
Kupferabbau in der Mine Buenavista del Cobre effektiver zu
gestalten. Das Bergwerk im nördlichen Bundesstaat Sonora hat eine
lange Geschichte von verfolgten Gewerkschaftern, Unfällen und
Umweltkatastrophen. Viele Opfer eines Chemieunglücks von 2014
warten bis heute auf eine Entschädigung.
Angesichts korrupter Politiker,
krimineller Banden und ungeklärter Landkonflikte kann in vielen
Regionen Mexikos niemand garantieren, dass die
Betroffenen solcher Großprojekte zu ihrem Recht kommen. Dennoch
planen europäische Firmen weitere Windparks. Auch Siemens will 300
Millionen US-Dollar in Unión Hidalgo investieren, bestätigte im
März der Energieminister von Oaxaca, José Luis Calvo Ziga. An den
bereits bestehenden Anlagen ist das spanische Unternehmen Gamesa
beteiligt, das 2017 mit dem deutschen Konzern fusionierte. Gamesa
ist einer der Hauptakteure im mexikanischen Windenergiegeschäft.
In Unión Hidalgo und anderen Städten
der Region denkt man ungern daran zurück, wie die Windparks Piedra
Larga I und II durchgesetzt wurden. Auch damals seien sie nicht
gefragt worden, berichten Bewohnerinnen und Bewohner. Billigen
Strom, Arbeitsplätze und Geld hätten die Unternehmen versprochen,
aber von all dem sei nichts geblieben. Ein paar hundert Euro Pacht
erhalten die Bauern jährlich pro Windrad, in Deutschland sind es
ab 50.000 Euro aufwärts.
Von einer günstigen Energieversorgung
kann auch nicht die Rede sein. Der „saubere Strom“ geht via
Exklusivvertrag direkt an Konzerne wie Walmart. Auch VW will sein
Werk mit der grünen Energie eines eigens dafür gebauten Windparks
versorgen. Sie seien nicht gegen Windenergie, sagt die Aktivistin
Bettina Cruz, sondern gegen die Gewalt, mit der transnationale
Unternehmen ihre Projekte durchsetzen. „Das Schlimmste ist, dass
sie unsere Gemeinschaften gespalten haben“, sagt die Indigene, für
die die staatliche Kommission für Menschenrechte jüngst
Schutzmaßnahmen gefordert hat. Bettina Cruz war mehrmals Opfer von
Angriffen geworden.
Ein Projekt liegt auf Eis
„Die Anlagen nutzen nur denen, die
Zugang zu den Windfirmen, den Politikern und reichen Bauern
haben“, ergänzt der in der Landenge ansässige Pfarrer Benito
Velázco Pardo. In Unión Hidalgo ist das zum Beispiel Bürgermeister
Wilson Sanchez Chévez. Der Gemeindepräsident geriet jüngst in die
Kritik, weil er Hilfsgelder für Opfer des Erdbebens gezielt an
Angehörige und Freunde verteilt hat. Mit dem neuen Energiepark
sieht es für ihn derzeit schlecht aus. Wegen des Widerstands der
Bevölkerung liegt das Projekt auf Eis, bis eine Befragung
durchgeführt wurde. Und die könne sich wegen der Schäden durch das
Beben verzögern, erklären die Aktivisten: „Die Behörden müssen
verstehen, dass man keine Befragung mit Menschen durchführen kann,
die kein würdiges Dach über dem Kopf haben.“
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