Dienstag, 31. Januar 2017

Von allem die Hälfte – weltweit?! (Gisela Notz)

 
Im Oktober 2016 erschien der Global Gender Gap Report. Er ist ein Bericht, der seit elf Jahren jährlich vom World Economic Forum (WEF) erstellt wird und der die Gleichstellung der Geschlechter weltweit analysiert. Das WEF ist auch jenes Forum, das die jährlichen Elitetreffen in Davos veranstaltet, durch die es vor allem bekannt geworden ist. Der Bericht umfasst unter anderem eine Rangordnung der Nationen, der in die Bereiche Wirtschaft, Bildung, politische Teilhabe, Gesundheit und Überlebenschancen in 144 untersuchten Ländern unterteilt ist. Die Index-Werte der Nationen berücksichtigen dabei die relative Benachteiligung von Frauen in den verschiedenen Teilbereichen.

Der im Herbst erschienene aktuelle Bericht zeigt, dass das Bemühen, den sogenannten Gender Gap, also die Kluft zwischen den Geschlechtern, zu schließen, sich weltweit drastisch verlangsamt hat. Zwar liegen Frauen und Männer in Gesundheits- und Bildungsfragen nahe beieinander. In diesen Bereichen sind Frauen bis zu rund 95 Prozent an das Männer-Niveau herangerückt. Der inzwischen hohe Bildungsstand der Frauen schlägt sich jedoch weder bei der politischen Teilhabe (Frauenanteil weltweit durchschnittlich 25 Prozent) noch bei der wirtschaftlichen Gleichstellung von Frauen und Männern am Erwerbsarbeitsplatz nieder. In mehr als der Hälfte der Länder sind die Parlamente lediglich zu 20 Prozent mit Frauen besetzt. Auch bezogen auf die wirtschaftlichen Chancen sind Frauen immer noch deutlich schlechter gestellt. Hier besteht eine Kluft von 59 Prozent; sie hat sich gegenüber den letzten Jahren vergrößert. Das wird vor allem auf die unbezahlt geleistete Reproduktionsarbeit der Frauen zurückgeführt. Von formaler Gleichberechtigung sind wir immer noch weit entfernt, und die »Frauenfrage« ist nach wie vor ungelöst.

Wie schon in den Jahren zuvor, geht der erste Platz an das viel gelobte Island, das von Journalistinnen sogleich als das »Land der Seligen« gepriesen wird. Nach deren Meinung, hat es den Platz wohl nur deshalb bekommen, weil Frauen und Männer sich die Kinderbetreuung teilen. Inzwischen ist längst bekannt, dass Frauen die keine »Familie« haben, zumindest in den europäischen Ländern ebenso benachteiligt sind, im Niedriglohnsektor oder »freiwillig« umsonst arbeiten (müssen), weil der Arbeitsmarkt nichts anderes bereithält. Auch dürfte bekannt sein, dass Menschen längst nicht in allen Ländern der Welt in der »Normalfamilie« zusammenleben.

Die nächsten Plätze belegen – dreimal darf geraten werden – Finnland, Norwegen, Schweden. Dass Ruanda den fünften Platz »gewann«, überrascht schon eher. Mit dem Bericht sorgte das WEF vor allem in deutschsprachigen Mainstreammedien für viel Aufmerksamkeit, weil Deutschland, die Schweiz und Österreich in der im Bericht enthaltenen Gleichstellungsrangliste auf den Plätzen 13, 12 und 52 liegen – und damit hinter Ländern wie Ruanda. Vor allem wird einhellig bedauert, wie schlecht es doch um die Gleichstellung bestellt sei, wenn ein afrikanisches Land so viel besser abschneidet. Das ist freilich ein Skandal, denn diese drei Länder gehören zu den reichen Ländern der Welt.

Der Referent für Sozialpolitik und Gesundheit der österreichischen Wirtschaftskammer Rolf Gleißner war alarmiert. Er sah sich den Bericht genau an und fand die verwendeten Methoden »unseriös und manipulativ«. Äpfel seien mit Birnen verglichen worden. Die Botschaft, dass Länder wie Österreich bei der Gleichstellung hinter Entwicklungsländern lägen, hält er für »absurd«. Er verweist darauf, dass, sortierte man die Rangliste nur anhand des Kriteriums Einkommensgleichheit, Ruanda sogar auf Platz eins landen würde – und Österreich nur auf Platz 84. Dass eine Frau in Ruanda nur ein Zweiundzwanzigstel dessen verdient, was eine Österreicherin im Durchschnitt bekommt, bliebe dabei unberücksichtigt. Diese Feststellung mag man als Ausdruck seiner Enttäuschung über den schlechten Platz »seines« Landes deuten. Dennoch lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob die Forderung, »von allem die Hälfte« für einen globalen Genderbericht tragen kann.

Der Index bewertet Länder danach, wie gut sie ihre jeweiligen Ressourcen und Chancen unter ihrer männlichen und weiblichen Bevölkerung aufteilen, unabhängig vom Gesamtniveau dieser Ressourcen und Lebenschancen. Er untersucht die Lücken innerhalb eines Landes und nicht den Level, um den Index vom Entwicklungsstand eines Landes zu entkoppeln. Tatsächlich betonen die Autorinnen, dass es der Anspruch des Global Gender Gap Index sei, eine Aussage über den Grad der Gleichstellung »unabhängig vom Grad der Entwicklung« zu machen. Es ist aber fraglich, wie aussagekräftig ein relativer Wert angesichts ungleicher Ausgangsbasis aufgrund großer absoluter Unterschiede ist, und ob somit nicht unzulässig von den äußerst verschiedenen Umständen abstrahiert wird. Der Report bewertet Ergebnisse, zum Beispiel den Frauenanteil in Spitzenpositionen, und nicht Rahmenbedingungen, wie beispielsweise die wirtschaftliche Situation, die Unternehmensformen, die Arbeitsmarktstrukturen und die Formen des Zusammenlebens.

Laut Bericht hätten wir beim jetzigen Fortschrittstempo für die Geschlechtergleichstellung in 170 Jahren die vollständige Gleichheit erreicht. Das hieße, dass Frauen überall den gleichberechtigten Zugang zu Gesundheit, Bildung, politischer und wirtschaftlicher Teilhabe bekommen sollen wie ihre Männer, weil sie die Hälfte der Menschheit stellen. Wollen wir das? Schließlich blieben dann die Frauen in Tschad, Saudi-Arabien, Syrien, Pakistan sowie Jemen – das waren die letzten Plätze auf der Liste – weiter arm; so arm wie ihre armen Männer. Und auch in der BRD gäbe es gleich viele »Hartz IV«-Empfänger wie -Empfängerinnen. Und wenn es Bereiche gibt, in denen Frauen mehr haben als Männer, bekommen sie das dann etwa abgezogen?

Schon die Sozialistinnen der ersten deutschen Frauenbewegung wussten das besser. Sie kritisierten, dass es den bürgerlichen Frauenbewegungen lediglich um die Gleichstellung mit »ihren Männern« ging. Daher forderten die Bürgerlichen zum Beispiel lange Zeit das Dreiklassenwahlrecht, auch für Frauen. Den Sozialistinnen ging es um den »Kampf aller Ausgebeuteten ohne Unterschied des Geschlechts gegen alle Ausbeutenden, ebenfalls ohne Unterschied des Geschlechts« (Ottilie Baader). Und da sie Internationalistinnen waren, ging es um die weltweite Emanzipation der Arbeiterinnen, die in allen Ländern auf der untersten Stufe der Gesellschaft standen und von allen Ausgebeuteten die am meisten Unterdrückten waren. Schließlich galt, was Clara Zetkin formulierte: »Das Ziel ist das Frauenrecht als Menschenrecht« – weltweit.

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