Dienstag, 31. Januar 2017

Couragierte Friedensfreunde und der Papst (Ralph Hartmann)

 
Die Hetze gegen Russland oder, wie man heutzutage sagt, das Russland-Bashing hat in den letzten Monaten in der Mehrzahl der NATO-Staaten, selbstverständlich auch in der Demokratiehochburg Bundesrepublik Deutschland und ihren Leitmedien, einen neuen Höhepunkt erreicht. Zu den Vorwürfen zählen: Invasion in der Ostukraine, verheerende Luftattacken in Syrien, Staatsdoping, Einmischung in die USA-Präsidentenwahl und Hackerangriffe auf streng geheime Dokumente der Demokraten und einiges mehr. Da konnten einige friedliebende deutsche Demokraten nicht abseits stehen. Ihre beispielhafte Aktion liegt zwar einige Wochen zurück, aber ihre Argumente waren so scharfsinnig und überzeugend, dass sie keinesfalls in Vergessenheit geraten dürfen.

Auftakt war ein Appell unter der Überschrift »Schluss mit dem Massenmord in Aleppo!«, den Ulrich Schreiber, Direktor des Internationalen Literaturfestivals Berlin, Daniel Cohn-Bendit, Ex-Mitglied im Europäischen Parlament, und Gleichgesinnte Anfang Dezember verfasst hatten. Um sich nicht in den Ansätzen einer Analyse des schrecklichen Geschehens zu verzetteln, feuerten sie couragiert gleich aus vollen Rohren: »Ungeheuerliches geschieht in Syrien. Für seinen Traum von neuer imperialer Größe überzieht Präsident Putin die Stadt Aleppo mit einem mörderischen Bombenkrieg … Die Welt schaut entsetzt und tatenlos zu. Friedensfreunde aller Fraktionen, wo bleibt ihr? Warum redet ihr nicht von Putins Schande? … Putins Vernichtungskrieg gegen Aleppo ist ›lupenreiner‹ Massenmord! Bürger Europas! Tragt eure Empörung vor die russischen Botschaften …« Und so trugen sie ihre Empörung einen Tag nach dem Nikolaustag vor die russische Botschaft in Berlin Unter den Linden. Etwa 300 Personen schlossen sich ihnen an, darunter der Regisseur Volker Schlöndorff, der frühere Kulturstaatsminister Michael Naumann, die Schriftsteller Herta Müller und Friedrich Christian Delius, der Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Auch der Grünen-Chef Cem Özdemir ließ sich blicken, um am Rande der Veranstaltung mit trefflichen Worten das »zynische Machtkalkül« Putins zu entlarven, das sich nicht, wie von diesem behauptet, gegen die Islamisten, sondern gegen die syrische Zivilbevölkerung richte. Reden wurden nicht gehalten.

Dafür hatte sich Ulrich Schreiber bereits vor der Kundgebung ausführlich und wohldurchdacht im Inforadio des Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) geäußert und festgestellt: »Die Brutalität, mit der das russische Militär in Zusammenarbeit mit Assad dort vorgeht, hat es, glaube ich, nach dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben …Und wenn gezielt Krankenhäuser, Schulen, Kinderkrankenhäuser bombardiert und das ist das Drama und das Kriegsverbrechen. Ich denke, dass Putin und Assad vor den internationalen Kriegsgerichtshof in Den Haag müssen!« (Originaltext nach Tonaufzeichnung http://mediathek.rbb-online.de/radio/Interviews) Ein anderer Mitunterzeichner des Appells, der Schriftsteller Peter Schneider, machte ebenfalls vor der Protest-Manifestation aus seinem Herzen keine Mördergrube. Im Tagesspiegel brandmarkte er den »Massenmord« in Aleppo, bei dem »alle, die sich nicht ergeben – Kinder, Frauen, Alte, Kranke – zum Islamischen Staat [gehören] und entsprechend behandelt werden [dürfen]«. Im gleichen Blatt erinnerte sich der Journalist und Theaterkritiker Rüdiger Schaper zwar daran, dass christliche Kirchen, armenische, aramäische, syrisch-orthodoxe, nebeneinander in Aleppos Altstadt stehen, aber zugleich schrie er seinen Zorn hinaus: »Aleppo ist Assads Inferno. Im eigenen Land. In einem russischen Satellitenstaat.« Mittlerweile hat sich auch unsere Bundeskanzlerin den schreienden Friedensfreunden angeschlossen. Nach dem kürzlichen EU-Gipfel hat sie Russland und den Iran beschuldigt, für Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung in Aleppo verantwortlich zu sein. Diese Verbrechen müssten geahndet werden. Wie sie das machen will – mit einem Raketenbeschuss des Kremls, einer Entführung Putins nach Guantanamo oder sonstwie – hat sie nicht verraten.

Die anlässlich der Kundgebung vor Russlands Botschaft getroffenen Einschätzungen sind brillant. Neu sind sie nicht. In der Reihe derer, die die menschenfeindliche Politik des Kremls anprangern und Putin die Maske vom Gesicht reißen, gehört zweifellos der Grünen-Politiker Werner Schulz. Bereits am 20. Januar 2015 forderte er in einem Interview im Deutschlandfunk, Putin als »Kriegstreiber, als Aggressor international anzuprangern«. Und acht Monate zuvor hatte er einen Vorschlag gemacht, dessen Verwirklichung Russlands Expansionspolitik ein für alle Mal ein Ende gesetzt hätte. Um Putin »zur Räson zu bringen«, regte er an, den Vertrag von Montreux von 1936, der die Durchfahrt von Kriegsschiffen im Bosporus regelt, für ungültig zu erklären, »damit hätte man die Schwarzmeer-Flotte auf Grund gesetzt«, und »neue Kriegsschiffe, U-Boote, die könnten sich dann alle im Schwarzen Meer tummeln«. Dass Russland einen derartigen Schritt nicht hinnehmen und notfalls militärisch mit allen Folgen für den internationalen Frieden beantworten würde, dürfte dem Grünen-Politiker bei seiner Anregung bewusst gewesen sein. Offen bleibt dann nur die Frage, wer tatsächlich ein »Kriegstreiber« ist?

Dass die genannten und die anderen Protestierer mit dem gleichen Zorn gegen die furchtbaren Untaten der USA und anderer NATO-Staaten in Vietnam, Afghanistan, Jugoslawien, Irak, Libyen aufgeschrien hätten, ist nicht überliefert.

Leute wie Schulz, Özdemir und Cohn-Bendit, die den russischen Präsidenten verteufeln, sollten gelegentlich im Netz nach Zitaten von Henry A. Kissinger suchen, um folgende drei Sätze zu finden: »Für den Westen gilt: Die Dämonisierung von Wladimir Putin ist keine Politik. Sie ist ein Alibi für die Abwesenheit von Politik«. (www.ipg-journal.de/kommentar/artikel/henry-a-kissinger-eine-daemonisierung-putins-ist-keine-politik-298/) Aber gut, der ehemalige Sicherheitsberater des US-Präsidenten und spätere Chef des State Departments war maßgeblich an zu vielen Verbrechen beteiligt, zum Beispiel an der Flächenbombardierung Vietnams und Kambodschas, an der Inszenierung des Putsches in Chile, um sich normalerweise als Ratgeber zu eignen. Aber wo er recht hat, hat er recht. Wesentlich sympathischer ist da Papst Franziskus, der am 12. Dezember 2016 über den Nuntius in Damaskus, Mario Zenari, den er kurz zuvor zum Kardinal ernannt hatte, ein Schreiben an Präsident Baschar al-Assad übermittelte. Darin brachte er seine Sympathie für Syrien und dessen Volk unter den schweren Bedingungen zum Ausdruck und verurteilte alle Formen von Extremismus und Terrorismus. Er rief dazu auf, die Bemühungen zu vereinen, um den Krieg in Syrien zu beenden und den Frieden in diesem Land wiederherzustellen. Zugleich äußerte er die Hoffnung, dass auf dem Territorium Syriens das frühere harmonische Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und Religionen wiederhergestellt wird. (https://de.sputniknews.com/politik/20161212313729548) Der Papst spricht vom früheren »harmonischen Zusammenleben« in Syrien, die deutsche Monopolpresse von der FAZ bis zu Bild von einer »grausamen Diktatur«. Kein Wunder also, dass das Schreiben des Papstes, das vor allem in Italien als »historische Geste« bezeichnet wurde, in den bundesdeutschen Medien totgeschwiegen wurde; gemäß dem guten alten, bereits im Römischen Reich formulierten und vom Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe in Versform gebrachten Motto: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

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