Samstag, 28. Januar 2017

Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0479 .......... 20. Jahrgang


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  ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List findet sich

1.) Der Hinweis auf eine neue Studie zum Fraunehofer IOSB in Karlsruhe;

2.) eine Analyse des „Verteidigungs-Aktionsplans“ der EU-Kommission.


1.) Studie zu Dual-Use und Rüstungsforschung in Karlsruhe

IMI-Studie 2017/02
Fraunhofer IOSB: Dual Use als Strategie
Wie das Verteidigungsministerium Anschluss an die Wissenschaft suchte
und in Karlsruhe fündig wurde
http://www.imi-online.de/2017/01/20/fraunhofer-iosb-dual-use-als-strategie/
Christoph Marischka (20. Januar 2017)

Am Beispiel des Fraunhofer Instituts für Optronik, Systemtechnik und
Bildauswertung (Fraunhofer IOSB) in Karlsruhe und Ettlingen kann gezeigt
werden, dass Dual-Use auch eine Strategie des Militärs und der Regierung
darstellt, um:

1. Zivile Forschungsförderung militärisch nutzbar zu machen;
2. den Wettbewerbsdruck bei militärisch relevanten Technologien zu erhöhen;
3. eine engere Anbindung und schnelleren Transfer zwischen ziviler
Forschung und militärischer Anwendung zu erzielen; dementsprechend
4. das Personal in der Ressortforschung zu verjüngen; sowie
5. „zivile“ Märkte für militärische Technologien zu erschließen.

Diese Strategie wird zunächst anhand eines einzelnen Dokuments, der
Stellungnahme des Wissenschaftsrates zur Neustrukturierung der
Forschungsgesellschaft für Angewandte Naturwissenschaften e.V. (FGAN)
vom Januar 2007, dargestellt, wobei ersichtlich wird, dass das
Bundesverteidigungsministerium treibende Kraft hinter der Fusion von
FGAN und Fraunhofer-Gesellschaft war. Darin werden außerdem die o.g.
Motivationen hinter dieser expliziten Dual-Use-Strategie verdeutlicht.
In einem zweiten Schritt wird anhand der aktuellen Arbeit des Fraunhofer
IOSB dargestellt, dass dieses weiterhin eine starke militärische Prägung
aufweist und eng mit Rüstung, Bundeswehr und NATO verwoben ist. Zugleich
konnte das IOSB, wie von der Bundeswehr vorgesehen, umfangreich an der
„zivilen“ Sicherheitsforschung partizipieren. Dies gilt v.a. für
Projekte zur Grenzüberwachung bzw. „maritimen Sicherheit“. Entsprechend
kann am Beispiel des IOSB auch gezeigt werden, wie Forschung zur
Grenzüberwachung der Rüstungsindustrie zugute kommt, militärisch
relevante wissenschaftliche Erkenntnisse hervorbringt und junge
Wissenschaftler_innen an militärische Fragestellungen und Technologien
heranführt. Letztes wird besonders – und wie vom BMVg angestrebt – durch
die enge Zusammenarbeit des IOSB mit dem Karlruher Institut für
Technologie (KIT) ermöglicht, wie abschließend beispielhaft anhand
wissenschaftlicher Biographien aufgezeigt werden soll.

Die Studie als PDF:
http://www.imi-online.de/download/IMI-Studie2017-2-IOSB-Web.pdf


2.) Analyse des Verteidigungs-Aktionsplans der EU-Kommission

IMI-Analyse 2017/02
EUropas „Brexit-Dividende“
Militarisierung-Aktionsplan und Rüstungshaushalt
http://www.imi-online.de/2017/01/24/europas-brexit-dividende/
Jürgen Wagner (24. Januar 2017)

Was die außen- und sicherheitspolitischen Schlussfolgerungen aus den
Großereignissen Brexit (23.6.2016) und US-Wahl (8.11.2016) anbelangt,
singen derzeit fast alle politischen Entscheidungsträger von demselben
Blatt. Mit dem bevorstehenden Austritt Großbritanniens verlasse ein
militärpolitischer „Blockierer“ in Kürze die Union, weshalb in der
Außen- und Sicherheitspolitik durchaus eine „Brexit-Dividende“ zu
erwarten sei, so etwa die Meinung von Uwe Optenhögel, dem Direktor des
Europa-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brüssel, die aber derzeit
unisono zu vernehmen ist.[1]

Tatsächlich ließ man nicht viel Zeit verstreichen, um schnell Nägel mit
Köpfen zu machen: Bereits einen Tag  nach dem britischen Referendum, am
24. Juni 2016, gaben die Außenminister Deutschlands und Frankreichs,
Frank-Walter Steinmeier und Jean-Marc Ayrault, mit ihrem Ruf nach einer
massiven Militarisierung der Europäischen Union die Richtung vor. Nun
könnten und müssten endlich lange geplante, bislang aber von
Großbritannien blockierte Vorhaben in die Praxis umgesetzt werden. Diese
Kernforderung wurde in der Folge dann auch von der EU-Globalstrategie
(28.6.2016), dem zweiten deutsch-französischen Papier, diesmal der
Verteidigungsminister Ursula von der Leyen und Jean-Yves Le Drian
(12.9.2016), und von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner
Rede zur Lage der Europäischen Union (14.9.2016) erhoben. Schließlich
trafen sich die Staats- und Regierungschefs auf ihrem – informellen,
weil Großbritannien nicht eingeladen wurde – Ratstreffen in der
slowakischen Hauptstadt, wo sie sich mit der sogenannten
Bratislava-Agenda darauf verständigten, bis zum 60jährigen Jubiläum der
 Unterzeichnung der Römischen Verträge im März 2017 einen detaillierten
Plan zur Militarisierung der Europäischen Union vorzulegen.[2]

Die Wahl Donald Trumps verleiht diesen Ambitionen zusätzlichen
Rückenwind: Seine Drohung, die Verbündeten sicherheitspolitisch im Regen
stehen zu lassen, sollten sie nicht mehr Geld in den Rüstungssektor
pumpen, dient hierzulande als willkommener Anlass, den Ausbau des
Militärapparats als regelrechten Sachzwang darzustellen. Auf dieser
Grundlage legte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini Mitte
November 2016 einen Implementierungsplan für die EU-Globalstrategie vor,
der ein ambitioniertes Einsatzspektrum und daraus abgeleitet ein
größeres militärisches Anforderungsprofil und die Forderung nach einer
„besseren“ Finanzierung des EU-Militärapparates enthielt. Diese – noch
relativ vagen – Vorschläge wurden anschließend vom EU-Rat gebilligt,
woraufhin die EU-Kommission Ende November 2016 einen „Europäischen
Verteidigungs-Aktionsplan“ vorlegte, den sie nicht unbescheiden, aber
leider wohl zutreffend, als „bahnbrechend“ bezeichnete. Dies gilt vor
allem für den von der Kommission vorgeschlagenen „Europäischen
Verteidigungsfonds“, der aus zwei Komponenten bestehen soll: Einem schon
länger ins Auge gefassten Rüstungsforschungshaushalt sowie dem
„Kronjuwel“ des Aktionsplanes, einer Art EU-Beschaffungshaushalt. Noch
in diesem Jahr sollen die Modalitäten des Fonds vollständig
ausgearbeitet werden, mit dem die Rüstungsfinanzierung auf EU-Ebene in
eine völlig neue Dimension vorstoßen würde.


Brexit + Trump = EU-Weltmacht?

Wie gesagt, eigentlich hören sich aktuell nahezu alle
EU-Entscheidungsträger mehr oder weniger gleich an. Geradezu trotzig
äußerte sich etwa die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini unmittelbar
nach der Wahl Donald Trumps, nun müsse zum großen Sprung nach vorn
ausgeholt werden: „In den kommenden Monaten und Jahren – man kann sogar
sagen: in diesen Stunden – wird es eine zunehmende Nachfrage nach Europa
geben von unseren Nachbarn und unseren Partnern in der Welt. Die
Forderung nach einem von Prinzipien geleiteten globalen
‚Sicherheits-Dienstleister‘ wird wachsen. Die Forderung nach einer
Supermacht, die an mehrseitige Bündnisse und Zusammenarbeit glaubt.“[3]

Fast genauso klingt auch eine „Entschließung zur Umsetzung der
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“, die das Europäische
Parlament am 14. Dezember 2016 verabschiedete: „Das Europäische
Parlament […] betont, dass die EU ihre Sicherheits- und
Verteidigungsfähigkeiten stärken muss, da sie ihr volles Potenzial als
Weltmacht nur nutzen kann, wenn sie ihre einzigartige ‚Soft Power‘ im
Rahmen eines umfassenden EU-Ansatzes mit ‚Hard Power‘ kombiniert“.[4]
Pflichtschuldig bedienten sich die Parlamentarier hier einer Wortwahl,
die exakt so bereits von Kommissionschef Juncker in seiner bereits
erwähnten Rede zur Lage der Europäischen Union in die Debatte
eingespeist worden war: „Mit zunehmenden Gefahren um uns herum reicht
Soft Power allein nicht mehr aus. […] Europa muss mehr Härte zeigen.
Dies gilt vor allem in unserer Verteidigungspolitik. Europa kann es sich
nicht mehr leisten, militärisch im Windschatten anderer Mächte zu segeln
oder Frankreich in Mali allein zu lassen. Wir müssen die Verantwortung
dafür übernehmen, unsere Interessen und die europäische Art zu leben zu
verteidigen.“[5]

Auch die Journaille wollte sich da nicht lumpen lassen – „herausragend“
war in diesem Zusammenhang der von nicht weniger als zehn
Zeit-Redakteuren gezeichnete Artikel „Weltmacht! Echt jetzt?“, in dem es
heißt: „Nach der Wahl Donald Trumps erkennen die Europäer, dass sie
künftig selbst ihre Interessen durchsetzen und ihre Sicherheit
garantieren müssen – und was dem noch alles im Wege steht. […] Europa
muss nicht ‚Weltmacht‘ werden im amerikanischen Sinne, mit
Flugzeugträgergruppen, die stählern durch alle Weltmeere pflügen. […]
Europa hat Interessen in Afrika, in einem Teil von Asien (Syrien!
Afghanistan!) und an all seinen Außengrenzen, vom Balkan bis Marokko,
vom Atlantik bis tief ins südliche Mittelmeer. Hier Mitverantwortung zu
übernehmen, weit über den eigenen Kontinent hinaus – auch das ist
Weltmacht. Regional begrenzte Weltmacht ganz gewiss, aber auch zum
Glück. Aber für eine ziemlich große Region.“[6] In aller Bescheidenheit
will man also „nur“ eine „regional begrenzte Weltmacht“ werden, was
allerdings mehr mit den Realitäten zu tun hat, als mit allzu großer
Zurückhaltung. Schon lange ist es im Strategiediskurs Konsens, dass die
EU erst die regionale Vorherrschaft in ihrem sogenannten
Nachbarschaftsraum erringen muss, bevor sie ernst zu nehmende
Weltmachtambitionen artikulieren kann.[7]

Wie auch immer, die Richtung war jedenfalls klar vorgegeben: Weltmacht
durch Militarisierung! Wie bereits erwähnt, blieb darüber hinaus aber
zunächst Vieles im Unklaren. Die meisten genannten Papiere gaben zwar
ehrgeizige Ziele aus, blieben aber reichlich vage, wie diese dann
konkret umgesetzt werden sollen. Vor diesem Hintergrund stellt der
„Implementierungsplan Sicherheit und Verteidigung“, den die
EU-Außenbeauftragte Mogherini am 14. November 2016 vorlegte, einen
weiteren wichtigen Zwischenschritt bei der Konkretisierung der
EU-Militarisierungsagenda dar.[8]


Mogherinis Implementierungsplan

Schon die unter Mogherinis Ägide verfasste EU-Globalstrategie (EUGS) vom
Juni 2016 gab das ehrgeizige Ziel aus, die Union müsse „autonome“ – also
ohne US-Unterstützung stattfindende – Militäreinsätze durchführen
können. Dies erfordere umfassende militärische Kapazitäten, die nur
durch eine potente Industrie bereitgestellt werden könnten: „Die
europäischen Anstrengungen auf dem Gebiet der Sicherheit und der
Verteidigung sollten die EU in die Lage versetzen, autonom zu handeln
[…] Die Mitgliedstaaten [benötigen] bei den militärischen
Spitzenfähigkeiten alle wichtigen Ausrüstungen, um auf externe Krisen
reagieren und die Sicherheit Europas aufrechterhalten zu können. Dies
bedeutet, dass das gesamte Spektrum an land-, luft-, weltraum- und
seeseitigen Fähigkeiten, einschließlich der strategischen
Grundvoraussetzungen, zur Verfügung stehen muss. […] Eine tragfähige,
innovative und wettbewerbsfähige europäische Verteidigungsindustrie ist
von wesentlicher Bedeutung für die strategische Autonomie Europas und
eine glaubwürdige GSVP.“[9]

Mogherinis Implementierungsplan greift diese Ziele auf und benennt auch
dieselben drei Bereiche wie die EUGS, in denen das Militär tätig werden
können soll: Auslandseinsätze, Ausbildungs- und Ausstattungshilfe sowie
die innere „Sicherheit“. Allerdings wird der Implementierungsplan, was
die konkreten Einsatzszenarien anbelangt, deutlich konkreter als die
Globalstrategie:

„Als Bereitsteller von Sicherheit sollte die EU ein weites
Betätigungsfeld haben, sich dabei aber auf die Regionen in ihrer
Nachbarschaft konzentrieren. [D]ie EU [sollte] daher in der Lage sein,
die folgenden Arten ziviler Missionen und militärischer Operationen im
Rahmen der GSVP außerhalb der Union durchzuführen, mehrere davon
parallel, im Rahmen unterschiedlicher Szenarien, auch in Situationen mit
erhöhtem Sicherheitsrisiko und bei mangelhafter Infrastruktur vor Ort:

– Gemeinsame Krisenbewältigungsoperationen in Situationen mit hohem
Sicherheitsrisiko in den die EU umgebenden Regionen;
– gemeinsame Stabilisierungsoperationen, einschließlich Luftoperationen
und Spezialeinsätze;
– zivile und militärische Krisenreaktion, einschließlich militärischer
Krisenreaktionsoperationen, unter anderem unter Rückgriff auf die EU
-Gefechtsverbände insgesamt oder im Rahmen eines auf die Mission
zugeschnittenen Streitkräftedispositivs;
– Ersatz/zivile Exekutivmissionen;
– Luftraum-Sicherungsoperationen einschließlich Luftnahunterstützung und
Luftraumüberwachung;
– Operationen zur maritimen Sicherung oder Überwachung, einschließlich
in der Nachbarschaft Europas auf längere Sicht;
– Missionen zum Aufbau ziviler Fähigkeiten und zur Reform des
Sicherheitssektors (Überwachung, Begleitung und Beratung, Schulung),
unter anderem mit Blick auf die Polizei, die Rechtsstaatlichkeit, das
Grenzmanagement, die Terrorismusbekämpfung, die Abwehrbereitschaft, die
Reaktion auf hybride Bedrohungen und die zivile Verwaltung, sowie zivile
Überwachungsmissionen;
– Aufbau militärischer Fähigkeiten durch Beratungs-, Ausbildungs- und
Begleitmissionen, einschließlich  –  wenn nötig – eines soliden Schutzes
der Kräfte sowie militärische Überwachungs-/Beobachtungsmissionen.“[10]

Mit den aktuellen zivilen und militärischen Zielvorgaben (Headline
Goals), die festlegen, über welche konkreten Kapazitäten die EU verfügen
soll, sind diese Einsatzszenarien nicht zu „bewältigen“. Aus diesem
Grund spricht sich Mogherini für eine Erhöhung der Zielvorgaben aus – in
der EUGS fand sich die Forderung zwar auch schon, aber deutlich
verklausulierter. Nun lautet gleich die erste Überschrift „Eine neue
Zielvorgabe“, unter der dann ausgeführt wird: „Das vorgeschlagene neue
Anforderungsprofil […] zielt darauf ab, eine in Sicherheits- und
Verteidigungsfragen stärkere Union hervorzubringen, die in der Lage ist,
heutige Bedrohungen und Herausforderungen effektiver anzugehen, mit den
erforderlichen Kapazitäten, Werkzeugen und Strukturen, um den Bürgern
mehr Sicherheit zu garantieren.“[11]

Folgerichtig schlägt Mogherini daraufhin vor, in der kommenden Zeit
„Fähigkeitslücken“ zu identifizieren und auf dieser Grundlage den sog.
„Plan zur Kapazitätsentwicklung“, dessen Aufgabe genau im Schließen der
deklarierten Defizite besteht, anzupassen. Vor allem drängt der
Implementierungsplan aber darauf, das ambitionierte Vorhaben auch mit
den „erforderlichen“ finanziellen Ressourcen auszustatten: „Die
Zielvorgaben müssen durch die notwendigen Finanzmittel untermauert
werden.“[12]

Diese drei Kernpunkte: Konkretisierung eines breiten Einsatzspektrums;
Erhöhung der zivilen und militärischen Zielvorgaben; und eine „bessere“
Finanzausstattung wurden noch am selben Tag vom Europäischen Rat in
seinen Schlussfolgerungen nahezu wortgleich übernommen und damit
gebilligt. Allerdings blieben Implementierungsplan und
Schlussfolgerungen, wie schon die Papiere zuvor, vor allem in dem –
traditionell immer relativ heiklen – Finanzpunkt recht nebulös, was das
konkret bedeuten soll. Dieses „Defizit“ wurde schlussendlich durch den
„Verteidigungs-Aktionsplan“ behoben, den die EU-Kommission am 30.
November 2016 vorlegte.


Rüstungs-Aktionsplan: Kronjuwel „Verteidigungsfonds“

Die Ambitionen der EU-Kommission, EU-Interessen militärisch „schützen“
zu wollen, gehen aus diesem Statement des „Verteidigungs-Aktionsplans“
deutlich hervor: „Europa muss für den Schutz seiner Interessen, seiner
Werte und der europäischen Lebensweise einstehen. […] Die Kommission ist
bereit, sich in einem bisher nicht gekannten Ausmaß in der Verteidigung
zu engagieren, um die Mitgliedstaaten zu unterstützen. Sie wird die der
EU zur Verfügung stehenden Instrumente einschließlich EU-Finanzierungen
und das volle Potenzial der Verträge ausschöpfen mit dem Ziel, eine
Verteidigungsunion aufzubauen.“[13]

Aus dem Zitat wird auch ersichtlich, dass es – bislang zumindest –
keineswegs selbstverständlich war, dass die EU-Kommission im
Militärbereich eine wichtige Rolle spielt. Tatsächlich sind
Militärfragen im EU-Institutionengefüge intergovernmental geregelt und
demzufolge allein Sache der Mitgliedsstaaten. Alle wesentlichen
Entscheidungen werden deshalb vom Rat der Staats- und Regierungschefs
gefällt, die Rolle der EU-Kommission, des Parlaments und damit auch des
EU-Haushaltes ist eigentlich vergleichsweise gering. In diesem
Zusammenhang wurde – nicht zuletzt lange auf Druck Großbritanniens –
Artikel 41, Absatz 2 des Vertrags von Lissabon lange – zu Recht – so
interpretiert, dass er jegliche militärrelevante Finanzierung aus dem
EU-Haushalt ausschließt. Wörtlich heißt es darin: „Die operativen
Ausgaben im Zusammenhang mit der Durchführung dieses Kapitels gehen
ebenfalls zulasten des Haushalts der Union, mit Ausnahme der Ausgaben
aufgrund von Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen
Bezügen“. Mittlerweile hat sich aber eine Neuinterpretation dieses
Artikels durchgesetzt, derzufolge sich das Verbot ja nur auf „operative
Ausgaben“ beziehe und damit ausschließlich Ausgaben für Militäreinsätze
beinhalte – davon sei aber beispielsweise die Rüstungsforschung nicht
betroffen.[14]

Die Kommission argumentiert nun u.a. im Aktionsplan, eine Verwendung von
EU-Geldern für den Rüstungssektor sei eine notwendige Folge des
EUGS-Anspruches auf die Fähigkeit zur eigenständigen Kriegsführung.
Dieser sei ohne „ausreichende“ Investitionen in die Forschung und
Entwicklung von Spitzentechnologie nicht realistisch. Da es den
Nationalstaaten aber seit Jahren nicht gelänge, genug Gelder in den
Rüstungssektor zu pumpen, müsse eben die  EU-Ebene „aushelfen“, so die
Rechtfertigung für zusätzliche Maßnahmen auf EU-Ebene: „Dieser
Aktionsplan ist eng verknüpft mit dem Umsetzungsplan für Sicherheit und
Verteidigung aus der Globalen Strategie, in dem neue Zielvorgaben für
die Union und Maßnahmen zu deren Erfüllung festgelegt sind […] Viele
Mitgliedstaaten haben ihre Verteidigungsbudgets in den letzten 10 Jahren
gekürzt. […] Ohne nachhaltige Investitionen in den Verteidigungsbereich
läuft Europas Industrie Gefahr, nicht über das erforderliche
technologische Know How zu verfügen, um die nächste Generation
entscheidender Verteidigungsfähigkeiten aufzubauen. Letztlich wird
dadurch die strategische Autonomie der Union und ihre Fähigkeit,
Sicherheit bereitzustellen, beeinträchtigt.“ (S. 3)

Vor diesem Hintergrund betont die Kommission gleich zu Anfang des
„Verteidigungs-Aktionsplans“, es sei dringend erforderlich, dass die
Europäer mehr „in die Entwicklung wichtiger Verteidigungsfähigkeiten
investieren.“ (S. 3) Zu diesem Zweck solle ein „Europäischer
Verteidigungsfonds“ mit zwei Komponenten eingerichtet werden: einem
„Forschungsfenster“ und einem „Fähigkeitenfenster“.

Forschungsfenster: Schon im Februar 2016 hatte eine aus
Rüstungslobbyisten und Militärpolitikern besetzte und von der
EU-Industriekommissarin einberufene „Gruppe von Persönlichkeiten“ einen
Bericht vorgelegt, in dem die Einrichtung eines
EU-Rüstungsforschungshaushaltes im nächsten EU-Haushalt (2021-2027) im
Umfang von 500 Mio. jährlich gefordert wurde.[15] Diese Zahl wurde im
Anschluss von einem Bericht des EU-Parlaments aufgenommen[16] und fand
nun auch eins zu eins Eingang in den Verteidigungs-Aktionsplan der
EU-Kommission. Dem Rüstungsforschungshaushalt soll mittels einer
„Vorbereitenden Maßnahme“ im Umfang von 90 Mio. Euro der Weg geebnet
werden: „Angesichts der Bedeutung der Investitionen in die
Verteidigungsforschung, der Größe der nationalen
Verteidigungsforschungshaushalte und der hohen Entwicklungskosten für
Spitzenverteidigungstechnologie könnten für ein solches ‚Fenster‘
schätzungsweise Mittel von jährlich 500 Mio. EUR erforderlich sein, um
eine substanzielle Wirkung zu erreichen“. (S. 8)

Fähigkeitenfenster: Während sich die Einrichtung eines
EU-Rüstungsforschungshaushaltes leider schon länger abzeichnete, ist die
zweite Komponente des vorgeschlagenen „Europäischen Verteidigungsfonds“
gänzlich neu. Noch nicht einmal in Junckers Rede zur Lage der
Europäischen Union vom 14. September 2016, in der von Kommissionsseite
erstmals die Einrichtung eines EU-Verteidigungsfonds vorgeschlagen
wurde, fand das sog. „Fähigkeitenfenster“ Erwähnung. Im Gegensatz zur
Forschung, will man hier einen beträchtlichen Schritt in Richtung einer
(Ko)Finanzierung länderübergreifender Beschaffungsprojekte durch die
Europäische Union gehen: „Es [das Fähigkeitenfenster] würde die
gemeinsame Finanzierung der Entwicklung und Beschaffung im Bereich der
strategischen Prioritäten bei den Fähigkeiten sicherstellen. […] Der
Schwerpunkt dieses ‚Fensters‘ soll auf den Phasen im Anschluss an FuT
liegen, d. h. Prototypen sowie die Entwicklung und Beschaffung von
Gütern und Technologien. Nach ersten Schätzungen könnte ein
Referenzbetrag von 5 Mrd. EUR pro Jahr als Zielmarke dienen. Dies
entspricht 2,5 % der gesamten nationalen Verteidigungsausgaben in der EU
und 14 % der nationalen Ausgaben für Verteidigungsfähigkeiten.“ (S. 10)


Politisch-rechtlicher Eiertanz

Wie gesagt, vonseiten der Mitgliedsstaaten besteht zwar ein großes
Interesse, EU-Gelder für militärische Belange „locker“ zu machen.
Gleichzeitig wollen sie aber keine Kompetenzen an die suprastaatliche
EU-Ebene abtreten. Auch der Kommission ist dies bewusst, weshalb sie
versucht, möglichen Bedenken der Mitgliedsstaaten, dass sie die
Kontrolle über politisch wie wirtschaftliche wichtige
Rüstungsbeschaffungsprozesse verlieren könnten, gleich offensiv
entgegenzutreten. Unmissverständlich wird deshalb betont, dass die
Mitgliedsstaaten hier den Hut aufhaben sollen: „Die Ermittlung von
Prioritäten und die Eigentumsrechte an den Fähigkeiten würden eindeutig
bei den Mitgliedstaaten verbleiben, welche derartige Fähigkeiten auch
betreiben. […] Die finanziellen und operativen Entscheidungen in Bezug
auf konkrete Projekte und ihre Finanzierungsmodalitäten verbleiben bei
den Mitgliedstaaten, die sich am jeweiligen Projekt beteiligen, im
Rahmen der auf der Ebene der Dachstruktur festgelegten Regeln.“ (S. 11)

Die Finanzierung des „Fähigkeitenfensters“ soll einerseits durch die
Mitgliedsstaaten erfolgen, wobei diesbezügliche Aufwendungen weder den
Beschränkungen des Stabilitätspaktes noch sonstigen fiskalischen
Strangulierungsmaßnahmen der Troika unterliegen sollen. So zumindest
dürfte diese Passage des „Verteidigungs-Aktionsplans“ zu verstehen sein:
„Die nationalen Kapitalbeiträge zum ‚Fähigkeitenfenster‘ werden als
‚einmalige Maßnahmen‘ im Sinne des Stabilitäts- und Wachstumspakts
betrachtet und belasten somit nicht die strukturellen
Konsolidierungsanstrengungen, die von den Mitgliedstaaten erwartet
werden.“ (ebd.)

Auf der anderen Seite betont die Kommission aber auch unmissverständlich
ihre Bereitschaft, EU-Gelder für den Verteidigungsfonds heranziehen zu
wollen: „Die Kommission wird sämtliche Möglichkeiten der Finanzierung
des ‚Fähigkeitenfensters‘ aus dem EU-Haushalt prüfen, die mit den
Verträgen im Einklang stehen. Sie ist außerdem bereit, das ‚Fenster‘ mit
ihrer finanziellen und technischen Fachkenntnis zu unterstützen.“ (S.
12) Ein Vorschlag, den die Kommission in diesem Zusammenhang macht,
besteht darin, hierfür die EU-Struktur- und -Investitionsfonds
anzuzapfen. Über sie werden in den  nächsten drei Jahren insgesamt satte
315 Mrd. Euro ausgeschüttet, wobei aber bislang Militärausgaben
ausschlossen waren: „Die EU-Struktur- und -Investitionsfonds (ESI-Fonds)
können von den Mitgliedstaaten im Verteidigungssektor in Anspruch
genommen werden, sofern damit ein Beitrag zu den Zielsetzungen des
jeweiligen Fonds geleistet wird […] Die Verteidigungsindustrie kann
einen Beitrag zu den in den ESI-Fonds festgelegten Zielen leisten und
etwa die wirtschaftliche Entwicklung auf regionaler Ebene als
Multiplikator für hohe Investitionen in Kompetenzen, Arbeitsplätze und
die technologische und wirtschaftliche Entwicklung fördern.“ (S. 14)

Tatsächlich gibt es kaum einen wirtschaftlichen Sektor, in dem Geld
unproduktiver angelegt wäre, wie diverse Studien bestätigen[17], das
hält die Kommission jedoch nicht davon ab, wie hier unablässig das
Gegenteil zu behaupten. Brisant ist das „Fähigkeitsfenster“ jedoch vor
allem, weil es endgültig die Axt am Finanzierungsvorbehalt aus Artikel
41(2) anlegt. Sollte nach der Forschung auch die Anschaffung von
Rüstungsgütern aus dem Verbot ausgeklammert werden, ist der Weg zu einem
voll ausgebauten EU-Beschaffungshaushalt, über den dann noch einmal ganz
andere Milliardenbeträge in den Rüstungssektor geleitet werden können, frei.

Noch sind viele Details unklar und die Kommission ist sich
offensichtlich des politischen und rechtlichen Eiertanzes bewusst, den
sie zwischen Begehrlichkeiten der Mitgliedsstaaten und den Bestimmungen
des EU-Vertrages (oder ihrer Umgehung) vollführen muss. Die Energie, mit
der sie dabei aber neuerdings zu Werke geht, lässt befürchten, dass sie
in der Lage sein könnte, diese Probleme aus dem Weg zu räumen. Lange
will man sich beim „Fähigkeitenfenster“ etwa in jedem Fall nicht Zeit
lassen, um die Sache auf den Weg zu bringen: „Mit einem solchen Fenster
sollten jährlich Mittel in der Größenordnung von etwa 5 Mrd. EUR
mobilisiert werden können. Die ersten Schritte sollten 2017 unternommen
werden. Die Kommission wird 2017 unverzüglich eine Vorstudie einleiten,
um diesen Schätzwert genauer festzulegen.“ (S. 12)


Anmerkungen

[1] Optenhögel, Uwe: Brothers in Arms. Trotz Brexit wird in der
europäischen Verteidigung zusammenwachsen, was zusammengehört,
Internationale Politik und Gesellschaft, 18.01.2017.
[2] Siehe hierzu ausführlich Wagner, Jürgen: Bratislava-Agenda:
EU-Rüstungsschub nach dem Brexit, – in: AUSDRUCK (Oktober 2016).
[3] Küster, Kai: Mehr Sicherheit mit einer europäischen Armee?,
Deutschlandfunk, 14.11.2016.
[4] Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. Dezember 2016 zur
Umsetzung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (2016/2036(INI)).
[5] Juncker, Jean-Claude: Rede zur Lage der Union: Hin zu einem besseren
Europa – Einem Europa, das schützt, stärkt und verteidigt, Straßburg,
14.09.2016.
[6] Weltmacht! Echt jetzt?, Zeit Online, 17.11.2016. Gezeichnet von
Jochen Bittner, Georg Blume, Gerhard Gnauck, Angela Köckritz, Matthias
Krupa, Jörg Lau, Michael Thumann, Gero von Randow, Heinrich Wefing und
Ulrich Ladurner.
[7] Wagner, Jürgen: NATO. Aufmarsch gegen Russland, Berlin 2016, S. 65ff.
[8] Implementation Plan on Security and Defence, Brüssel, 14. November
2016 (14392/16).
[9] Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln: Ein stärkeres Europa. Eine
Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen
Union, Brüssel, 28.06.2016.
[10] Der Implementierungsplan liegt nicht in deutscher Übersetzung vor.
Die zitierte Passage wurde aber wortgleich in die Schlussfolgerungen des
Rates vom 14. November 2016 übernommen.
[11] Implementation Plan on Security and Defence, S. 2.
[12] Ebd., S. 18.
[13] Europäischer Verteidigungs-Aktionsplan, Brüssel, 30.11.2016
(COM(2016) 950 final), S. 23. Alle folgenden Seitenangaben im Text
beziehen sich auf dieses Dokument.
[14] Siehe zur Argumentation u.a. des Wissenschaftlichen Dienstes des
Bundestages Lösing, Sabine/Wagner, Jürgen: Kreative Kriegsfinanzierung.
Rüstungsforschung, Ertüchtigung und das Ende des zivilen EU-Haushalts,
IMI-Studie 2016/03.
[15] Report of the Group of Personalities on the Preparatory Action for
CSDP-related research, EUISS, Paris, Februar 2016.
[16] Siehe den am 22. November 2016 angenommenen Bericht des
Europäischen Parlaments zur „Europäischen Verteidigungsunion“
(2016/2052(INI)), in dem festgestellt wird, dass „für das
Forschungsprogramm der EU im Bereich Verteidigung in diesem Zeitraum ein
Gesamthaushalt von jährlich mindestens 500 Mio. EUR benötigt wird, um
glaubwürdig zu sein und Wesentliches zu erreichen“.
[17] Siehe zum Beispiel eine Untersuchung, die zu dem Ergebnis gelangt,
dass in keinem Bereich weniger Arbeitsplätze pro investierter Milliarde
entsteht, wie im Rüstungssektor: Hartung, William D./Peterson, Natalie:
Minimum Returns: The Economic Impacts of Pentagon Spending, Center for
International Policy, February 7, 2013, S. 5.
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