Sonntag, 15. September 2013

Torschütze und lahmes Schaf?

Buchtipp von Harry Popow Ein Fußballmatch läuft ähnlich ab wie ein Spiel im realen Leben. Viele stürmen das gegnerische Tor, zwei stehen abwartend in den Toren und die Masse der Zuschauer sitzt jubelnd in den Rängen. Der Autor Heiko Schrang verkörpert alle drei Positionen in einer Person. Sein Buch muss man nicht nur gelesen haben, sondern auch verdauen: „Die Jahrhundertlüge, die nur Insider kennen.“ Der Autor, geboren 1969, ist bekennender Buddhist. Im Untertitel heißt es „erkennen – erwachen – verändern.“ Es liest sich spannend, allein schon wegen der recht unbekannten skandalösen politischen Fakten als auch wegen der Kapitel. Aber: Es ist interessant und enttäuschend, aufklärend und lähmend zugleich. Sowohl als auch, wie der Autor oft betont in seinem Text. Wissend, dass ich gegen den Strom vieler Kommentatoren, die dieses Buch über den grünen Klee loben, schwimme, sage ich, es ist auch ein gefährliches Buch. Zur Sache: Was nur Insider kennen, will natürlich auch der Leser wissen. Und tatsächlich, der Autor schießt nahezu auf jeder Seite dieses zweigeteilten Textes Tore in das kapitalistische Machtsystem, weshalb auch klar ist, dass dieses Buch, wie Heiko Schrang schreibt, nicht in den großen Buchhandlungen zu finden sein wird. Andererseits: Ich habe noch niemals ein politisches Sachbuch gelesen und rezensiert, dass dermaßen widersprüchlich in seinen inhaltlichen Aussagen ist. Es teilt sich in zwei Teile. Der erste Teil widmet sich den objektiven Machtverhältnissen und ist deshalb der Kapitalelite selbstverständlich zu heiß und ein Dorn im Auge. Der zweite Teil dieses Textes kommt einem privaten Selbsttor gleich, denn da verfällt der Autor – es ist sein gutes Recht – in eine die Kapitalherrschaft duldende Buddha-Position. Und dieser Standpunkt, auf den noch eingegangen wird, befindet sich in Kongruenz mit der bürgerlichen Ideologie der Nur-Selbstbestimmung des Menschen, seines gottgewollten Daseins und letztlich der Aussage, dass das Bewusstsein das Sein bestimmen würde und nicht umgekehrt. Idealismus pur! Beifall zunächst für die mühevoll recherchierten und teilweise in der Öffentlichkeit geheimgehaltenen Fakten des ersten Teils dieser Dokumentation. Aus der Absage von Verlagen, das Buch zu drucken, zieht er mit Recht den Schluss, „dass starke Abhängigkeiten zwischen Politik, Wirtschaft und Medien bestehen,…“ (S.9) Den ersten Volltreffer – wie kann es anders sein, wenn man vom dialektischen Prinzip Ursache und Wirkung ausgeht – landet er im Bereich der Bankenherrschaft. „Eines der wohl bestgehüteten Geheimnisse, (…) ist die Tatsache , dass die amerikanische FED (Federal Reserve Bank) keine staatliche Einrichtung, sondern eine Privatbank ist, die im Jahre 1913 gegründet wurde.“ (S. 13) Unter der Führung der beiden Großfinanzgruppen Rothschild und Rockefeller, so der Autor, wurde eine private Zentralbank mit dem Recht geschaffen, eigenes Geld zu drucken und auszugeben, was gegen die amerikanische Verfassung verstieß. Dieser Schwindel bewirkte, dass sich die Gütermenge der Welt in den letzten 30 Jahren nur vervierfachte, während „sich die Geldmenge um das Vierzigfache vermehrt“. (S.14) Die FED habe vor allem durch Obligationen der US-Regierung das Pfandrecht – staatlich und privat – auf den Grundbesitz der gesamten Vereinigten Staaten von Amerika. Zahllose Gerichtsverfahren, diese Machtanhäufung rückgängig zu machen, seien bisher ohne Wirkung geblieben. So habe John F. Kennedy 1963 dies versucht, um der Regierung zu ermöglichen, „wieder ihr eigenes, schuldenfreies Geld“ herauszugeben, ohne auf die Kreditaufnahme angewiesen zu sein. Auch aus diesem Grund bezahlte er dafür noch im gleichen Jahr mit dem Leben. Es sei kein Wunder, dass durch die Senkung der Kaufkraft des Dollars seit 1913 um ca. 98 Prozent immer mehr Staaten versuchen, sich dem Betrug zu entziehen und ihre Handelsbeziehungen auf Euro-Basis umstellen wollen, was für die USA enorme Verluste bedeuten würde. (S. 14/15) Heiko Schrang setzt seine Torschüsse punktgenau auf den 256 Seiten an und entlarvt sowohl unser Geldsystem, das auf dem Prinzip von Zins und Zinseszins beruht, als auch die Auslegung des Grundgesetzes der BRD, das „dem aus Zins entstandenen Eigentum mehr Schutz einräumt, als dem Erarbeiteten“. (S. 21) Er wirft Bonn Verrat an der D-Mark vor und offenbart, dass in Wahrheit hinter den Entscheidungen zur Abschaffung der D-Mark die „heimliche Nebenregierung der EU, der ERT (European round table of industrialists) stehe. Dieser hätte bereits im Frühjahr 1991 einen Fahrplan für eine Währungsunion veröffentlicht. (S.26) Aufs Korn nimmt er die Zerstörung der Nationalitäten durch die EU-Bürokraten, hinter denen ganz andere Interessen- gruppen, wie zum Beispiel die Bilderberger, stehen, sowie die still und leise erfolgende Entsorgung der Demokratie. Man spreche sich sogar für ein Ende „der Souveränität der Parlamente in Europa“ aus. „Das wäre dann mit dem Ende der alten demokratischen Ordnung verbunden und käme einer Diktatur in Europa nah,“ schreibt der Autor auf Seite 30. Entlarvende Torschüsse fallen gegen Verschwörungen, wie zum Beispiel Goldmann-Sachs. Dieses unsichtbare Imperium habe ein Vermögen von mehr als 700 Milliarden Euro und übersteige „das Budget des französischen Staates um das Zweifache“, so der Autor. Der Börsenhändler Alessio Rastani sagte in einem Interview der britischen BBC im Herbst 2011: „Nicht die Regierungen beherrschen die Welt, sondern Goldmann-Sachs regiert die Welt.“ (S. 41) „Gefährlich“ nahe kommt der Autor auch dem oft unterdrückten Thema der Geldgeber für Hitler, wobei auch die USA ihre Hände im Spiel hatten. Scharfe Schüsse lässt er fallen, um die Hintergründe und vorgetäuschten Anlässe von Kriegen ans Tageslicht zu zerren, so Pearl Harbor, den Tonkin-Zwischenfall (Vietnamkrieg), die Irakkriege, die Afghanistan-Lüge, die Lybienlüge. Er zählt die mysteriösen Todesfälle auf, Opfer auch in Politik und Wirtschaft. Deshalb nochmal zum Fall Kennedy: Er wollte nicht nur die FED durch eine staatliche Zentralbank ersetzen, sondern auch den Vietnamkrieg beenden sowie der Entwicklung „von Atomwaffen in Israel Einhalt gebieten“. (S. 91) Er warnte vor einer Verschwörung der Strippenzieher im Hintergrund, die „mit dem Einsatz größter Geldmittel entscheidenden Einfluss auf die Politik“ nehmen, „um Zensur und Überwachung einführen zu können“. (S. 92) Offen bekannte der Milliardär David Rockefeller 2002 in seinen Memoiren: Man sei gut vorbereitet, „um zu einer Weltregierung zu gelangen. Die übernationale Autorität und Kompetenz einer intellektuellen Elite und der Weltbanker ist sicher eher zu bevorzugen, als zu erlauben den einzelnen Nationen sich selbst zu entwickeln (…)“. (S. 93) Nicht zu vergessen die nicht aufgeklärten Todesfälle von Rohwedder, Herrhausen, Barschel, Möllemann u.a. Ein ganzer Abschnitt ist den Illuminaten gewidmet, deren Orden ebenfalls „die Errichtung einer neuen Weltordnung – in Verbindung mit einer Weltregierung“ anstreben, ebenso wie die bereits erwähnten Bilderberger, die als unsichtbare Regierung im Mai 1954 in den Niederlanden gegründet wurden. (S. 137) Peinlich für 29 deutsche Politiker, die als Teilnehmer der Bilderberger-Treffen namentlich genannt sind, unter ihnen Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und Guido Westerwelle. (S. 141) So knallhart der Autor die Mächtigen dieser Welt gegen das Schienenbein tritt, so zaghaft und zurückhaltend verhält er sich als Torhüter oder Nur-Zuschauer. Eben noch beschießt er Schuldige, Banken, das Kapital, die Illuminaten, Bilderberger und Freimaurer – und nun kneift er. Zieht sich als bekennender Buddha auf sein Ich zurück, auf dessen Position, die da lautet: „Jeder Mensch erschafft sich seine Welt mit seinen Gedanken“. (S. 222) Dabei gehört zum wichtigsten Erbe der Klassiker, dass jegliche Veränderungen und Erscheinungen in der Gesellschaft nicht aus den Köpfen kommen, sondern aus der Produktionsweise und dem Austausch der Produkte. Schrang mahnt, man dürfe bei der oben beschriebenen Faktenlage nicht „stehen bleiben“. Allerdings verändere man gar nichts, sagt er, „wenn Sie diese Personen oder Gruppen für die Weltprobleme verantwortlich machen und womöglich noch bekämpfen“. (S. 152) Man solle in der heutigen hektischen Welt mehr nach seinem Inneren Ausschau halten, um dort Ruhe und Gelassenheit wiederzufinden. (Was im übrigen ohnehin die meisten machen.) Auf Seite 184 heißt es: „Wenn Sie sich ändern, dann ändert sich automatisch Ihre Welt und die Welt um Sie herum.“ Man solle sich mehr Zeit nehmen, nach innen zu schauen und sich die Frage nach dem Sinn des Lebens zu stellen, was ja auch richtig ist. (S. 217) Sehr befremdlich ist, wenn Heiko Schrang nach den Ursachen von Kriegen forscht indem er behauptet, dass die meisten Kriege von Menschen begonnen wurden, „die Minderwertigkeitskomplexe hatten und sich im Innersten schwach und unglücklich fühlten“. (S. 187) In der Meditation finde man „innere Wahrheit und Glück “. (S. 195) Man solle nicht nach Schuldigen in der Außenwelt suchen, „da wir wissen, dass diese nur eine Spiegelung unserer inneren Welt“ darstelle. (S. 222) Man strebe eine Welt ohne Schuldzuweisungen und Verurteilungen an!!! Die Aktivitäten protestierender Bürger lähmend und nahezu gefährlich wirkt jedoch, wenn der Autor den Zeigefinger erhebt, nicht gegen den Krieg zu kämpfen, sondern den Frieden in sich selbst herzustellen. (S.183) Das ist selbstverständlich seine Sache und seine private Sicht. Er geht jedoch nicht davon aus, dass die Erfahrungen und Erkenntnisse der Leser deckungsgleich mit denen des Autors sind. Was bleibt da dem schwachen Leser übrig, als sich ebenfalls auf die Ränge des Stadions zu begeben und mit Frohsinn abzuwarten, wie eine erfolgreiche Mannschaft ihre Tore schießt. Man bleibt außen vor und trägt nur Verantwortung für sich selbst. Beim Spiel mag das angehen, beim Spiel des Lebens geht das – wie die Geschichte und die Gegenwart leider zeigen – finster aus. Der Schlusssatz geht so: Man gehe von außen nach innen und dann wieder von innen nach außen, „um unsere Welt zu verändern“. (S. 229) So wird der angriffsfreudige Torschütze „Buddha“ zu einem lahmen Schaf… Heiko Schrang: „Die Jahrhundertlüge, die nur Insider kennen“, Macht-steuert-Wissen Verlag, ISBN: 978-3-9815839-0-8, 256 Seiten, 4. Auflage 2013, Preis: 24,90 Euro, Druck und Bindung: Media-Print Informationstechnologie GmbH, 33100 Paderborn. Erstveröffentlichung in der Neuen Rheinischen Zeitung http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19421 Mehr über den Rezensenten: http://cleo-schreiber.blogspot.com

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