Sonntag, 15. September 2013
Mainstreams, Privilegien und Ausschlüsse in linken Gruppen
- Gedanken zur Moderation
https://trainingskollektiv.wordpress.com/
Wer schreibt und warum?
Wir Schreiber*innen sind drei Menschen, die in unterschiedlichen Zusammenhängen aktiv sind und sich mit Gruppendynamik, Moderation und Entscheidungsfindung beschäftigen. Im März 2013 haben wir an einem Kurs in Wales teilgenommen, der von drei britischen Trainings-Kollektiven organisiert wurde und bei dem es unter dem Titel “Facilitating Change” (Etwa: “Moderation für soziale Veränderung” wobei „facilitating“ schwer übersetzbar ist) darum ging, wie wir Gruppen unterstützen können, nachhaltigere und langfristig erfolgreiche Gruppen- und Entscheidungsprozesse zu haben. Der einwöchige Kurs war sehr erfahrungs-zentriert, kaum theoretisch, vielmehr ging es von Anfang an darum, konkret Ausschluss-Mechanismen und Machtverhältnisse innerhalb der Gruppe der Teilnehmenden zu benennen und sich damit auseinanderzusetzen und so aus der Praxis zu lernen – mit vielen Aufs und Abs, intensiven Momenten, Tränen und Wut, vielen Diskussionen und individuell verschiedenen Aha-Erlebnissen.
Aus der Fülle von Gedanken, Eindrücken und Fragen, die der Kurs für uns gebracht hat, wollen wir versuchen etwas herauszuziehen, was für den deutschsprachigen Kontext von Nutzen sein kann.
Die von uns beobachteten Probleme sind nicht neu, und unsere Gedanken dazu sind auch keine objektiven, neuen Erkenntnisse, haben bei uns aber ein bisschen Klarheit und viel mehr Fragen angestoßen und wir hoffen, etwas davon mit euch teilen zu können.
Probleme, die wir beobachten.
In den sozialen Bewegungen, in denen wir aktiv sind, wird oft versucht im Konsens zu entscheiden, eine Welt ohne Ausbeutung und ohne Herrschaftsverhältnisse angestrebt, und (theoretisch) setzen Menschen sich, in unterschiedlichen Maß, damit auseinander, wie Rassismus, Kapitalismus, Heterosexismus und andere Herrschaftsverhältnisse funktionieren, und versuchen öffentlich mit Aktionen, Kampagnen, Bildungsarbeit usw. dagegen zu steuern.
Trotzdem haben wir den Eindruck, dass große Teile dieser Bewegungen lange nicht so heterogen und vielfältig sind, wie sie sein könnten. Stattdessen beobachten wir, dass sich viele Gruppen ausschließlich aus weißen, akademisch gebildeten Menschen mit Mittelschichts-Hintergrund zusammensetzen. Abstraktes, rationales Denken mit viel Selbstkontrolle dominiert das Geschehen, und als männlich wahrgenommene Menschen haben immer noch in vielen Fällen mehr Einfluss als die, die als weiblich oder nicht-männlich wahrgenommen werden. Obendrein fällt uns bei vielen Gruppen und Bewegungen auf, dass sie sich nicht nur politisch, sondern auch subkulturell stark von Anderen abgrenzen und Menschen, die bestimmte Kleidungsstile, Verhaltens- und Sprach-Codes u.a. nicht teilen, mit Verschlossenheit und teilweise Misstrauen begegnet wird.
Ein anderer Aspekt ist der, das viel zu viele Gruppen sich auflösen, wegbröckeln, sich zerstreiten usw. Dafür gibt es sicherlich viele und häufig externe Gründe, wie Repression, zunehmende ökonomische Unsicherheit, Vereinzelung usw. – um die soll es an dieser Stelle nicht gehen. Aber wie müssten Gruppenprozesse und Kommunikation in Gruppen aussehen, damit genau diese nicht die Gründe für das Auseinanderbrechen werden?
Mainstream und Margin
Das im englischen Sprachraum verbreitete Modell von Mainstreams und Margins hat uns geholfen, Ausschluss-Mechanismen in Gruppen besser zu verstehen. Deshalb hier eine kurze Einführung:
Mit Mainstream sind diejenigen Werte, Verhaltens- und Arbeitsweisen, Sprechweisen und Identitäten gemeint, die in einer Gruppe das Geschehen bestimmen, bzw. die Menschen, die das verkörpern. Mit “Margins” (Ränder, marginalisiert) sind die Verhaltensweisen usw. gemeint, die dabei an den Rand gedrängt werden und häufig gänzlich unbemerkt, unausgesprochen sind.
Die Grenzen sind dabei nicht statisch, es kommt auf den Kontext an und die meisten Menschen sind in einem Aspekt Mainstream und in einem anderen Aspekt marginalisiert. (Bsp.: Marginalisiert als Nicht-Muttersprachler der vorherrschenden Sprache, aber Mainstream aufgrund vieler anderer Aspekte wie Bildung, akademisches Denken, überlegte, ruhige Ausdrucksweise, …). Des weiteren können die akzeptierten Mainstream/Margin-Verhaltensweisen u.s.w. gruppenspezifisch sein (Bsp.: Gender Awareness und entsprechend angepasste Sprache in queeren Gruppen und in der Mehrheitsgesellschaft).
Häufig ist der wahrgenommene, erlebte Mainstream eigentlich eine zahlenmäßige Minderheit, die dominiert und von denjenigen “am Rand” als “Mehrheit” wahrgenommen wird, weil die an den Rand gedrängten Verhaltensweisen und Identitäten eben nicht ausgesprochen werden und sich anpassen müssen – wenn sie nicht riskieren wollen, aus der Gruppe zu fallen. Im dümmsten Fall werden sogar Verhaltensweisen, die eigentlich keine*r so richtig will, als „Mainstream“ wahrgenommen, dem sich alle unterordnen. Die Menschen im Mainstream, bzw. die die Mainstream-Verhaltensweisen am stärksten verkörpern, sind sich in der Regel nicht darüber bewusst, dass sie Mainstream sind.
Beide, Mainstreams und Margins, sind nicht leicht zu identifizieren, solange Mensch Teil davon ist. Typischerweise hat der “Mainstream” einer Gruppe aber das Gefühl, “alle” zu sein und spricht häufig von “Wir”, während der “Rand” meist vereinzelt ist und versucht, sich dem Mainstream anzupassen, anstatt sich mit anderen Marginalisierten zu verbünden.
Mainstream-und-Margin-Dynamiken herrschen in jeder Gruppe vor. Sie sollten nicht weggeredet werden, sondern brauchen eine ehrliche, selbstkritische Auseinandersetzung. Das ist nicht leicht, denn wider besserer Vorsätze und anderer Werte, ist es ein typisches Mainstream-Verhalten, Veränderungen unbewusst zu widerstehen und sie zu vermeiden – weil es sich, wiederum meistens unbewusst, toll anfühlt, “Mainstream” zu sein, und die Angst groß ist, an den “Rand” zu rutschen, quasi “Außenseiter” zu werden. Zum Mainstream-Verhalten gehört meistens auch, sich seiner selbst sicher zu sein und selbstbewusst die eigene Meinung zu vertreten.
Gesellschaftliche Herrschaftsmechanismen (Rassismus, Gender, Klassen usw.)
Einige der genannten Beispiele sind deutlicher Ausdruck von Klassenunterschieden – Menschen, die nicht der Mittel- und Oberschicht angehören, sind häufig vereinzelt und marginalisiert oder kommen gar nicht erst in viele Gruppen, weil diese so sehr vom Mittelschichts-Mainstream mit seinem Verhalten, Auftreten, Sprechweise u.a. bestimmt werden. Dabei sind die einzelnen Verhaltensweisen oft schwer zu identifizieren und lassen sich natürlich nicht schwarz/weiß kategorisieren – nur in der Summe geben sie manchen Menschen das Gefühl, dazu zu gehören, und anderen nicht.
Wer fehlt in linken Gruppen?
Wenn wir uns eine beliebige linke Gruppe anschauen, können wir analysieren, welche gesellschaftlichen Unterdrückungsmechanismen (wie Klasse, Herkunft, Hautfarbe, Gender, sexuelle Orientierung) vielleicht auch noch eine Rolle dabei spielen, dass bestimmte Identitäten, Verhaltensweisen usw. in einer Gruppe gänzlich fehlen. Dazu kommt Marginalisierung aufgrund von vielem, worüber wir nicht reden – z.B. Drogenabhängigkeiten, Gewalterfahrungen (beidseitig), sogenannte „psychische Krankheiten“… Es gibt auch Ausschluss-Mechanismen, die nicht den gesamtgesellschaftlichen entsprechen – dazu gehören linke Kleidungsstile, Verhaltens-Normen, Szene-Sprache, usw.
Natürlich kann es viele externe Gründe geben, warum bestimmte Menschen nicht dabei sind (z.B. sind viele gesellschaftlich benachteiligte Gruppen in viel größeren ökonomischen Nöten und haben weniger Zeit, usw.). Trotzdem wäre es doch angebracht darauf zu achten, wer fehlt, und wieviel unser Mainstreamverhalten dazu beiträgt. Im nächsten Schritt könnten wir dann überlegen, was wir tun können, damit unsere Gruppen und Bewegungen vielfältiger werden und wachsen können.
Ansätze für die Praxis: Konkrete Erfahrungen aus Wales
Als Moderation die Privilegien-Brille aufsetzen:
Welche Person hat welche Privilegien?
Kann diese Person diese auch wirklich für sich und gegen die Gruppe nutzen? Oder auch nicht auf Grund ihrer aktuellen (z.B. psychischen, emotionalen) Verfasstheit?
Wenn ja: Wie nutzt sie diese? Wie können wir als Moderation intervenieren?
Hegemoniale Verhaltensweisen sind oft unsichtbar. Wir sollten sie als Moderation markieren.
Nicht den ersten Stimmen, die sich zu Wort melden, zu viel Gewicht zu verleihen, sondern auch auf die Stillen, sich am Rand einer Gruppe befindenden Menschen zuhören. Von außen zu kommen ermöglicht Moderator_innen Dynamiken in Gruppen wahrzunehmen, die unangenehm und teilweise den Menschen in einer Gruppe nicht bewusst sind. Deshalb kann es sinnvoll sein, bestimmte Themen zu bearbeiten und Methoden auszuwählen, auch wenn sie einigen Gruppenmitgliedern unangenehm sind – und auf Ablehnung stoßen.
Die Mainstream-und-Margin-Theorie legt nahe, dass wir als Moderator_innen in bestimmten Situationen den Mainstream übergehen müssen, um den Stimmen, Bedürfnissen und Ideen der „Marginalisierten“ Raum zu geben. Auch wenn das für den Mainstream unangenehm sein kann – so ist die Ablehnung oft ein Zeichen für die Verteidigungshaltung des Mainstreams. Das heißt: Raum geben, Raum nehmen, Raum schaffen; je nach Gruppendynamik.
Wir brauchen sichere, aber nicht zwangsläufig angenehme Räume für alle. Denn: geht es überhaupt sichere Räume zu schaffen oder sind diese eine Illusion aus privilegierter Perspektive? Vielleicht gibt es für manche Menschen einfach keine sicheren Räume. Was heißt das?
Das heißt, wir sollten als Moderation Trigger1-Gefahren mitdenken, diese transparent machen und für Unterstützungsstrukturen sorgen (Emo-Support Gruppen / Awareness-Gruppen etc.) wenn wir diese Risiken sehen und auf sie eingehen wollen.
Es geht darum, Unterdrückungsverhältnisse für Privilegierte erfahrbar zu machen, damit sich der Kampf dagegen emotional und körperlich einschreibt. Das heißt für die Privilegierten:
Lernen, Verantwortung für ihre Privilegien zu übernehmen
Die eigenen Identitäten in Frage zu stellen
Sich nicht durch Schuldgefühle paralysieren lassen
Zu verstehen, dass Empathie noch lange nicht genug und dennoch enorm wichtig ist um den eigenen Bedürfnissen, denen der einzelnen Mitglieder und der Gruppe als Ganzes gerecht zu werden.
Zu merken, dass Privilegien-bewusstes Schweigen nix bringt, solange es kein ehrliches Interesse am Zuhören gibt. Denn schließlich führt das Bewusst-werden der eigenen Privilegien (z.B. weiß, Mann, Bildung) oft dazu, dass sich zurückgehalten wird, um anderen Stimmen Raum zu geben. Doch solange das „sich-zurückhalten“ ein Zwang ist und keine Einladung, bedeutet es Druck auf die weniger gehörten Stimmen und unangenehme Zwangspausen in Gesprächen und Treffen. Stattdessen gilt es, empathisches Zuhören und ehrliches Interesse an der Meinung und den Gefühlen des Gegenübers zu üben.
Beobachten, Unterstützen und Intervenieren lernen
Angebote an Marginalisierte machen und nachfragen, statt paternalistisch zu tun was mensch für richtig hält.
Ausprobieren, versuchen und das Risiko eingehen, Fehler zu machen.
Auf Scheitern und Kritik gefasst sein. Dafür Offenheit zeigen. Lernen.
Wir sollten „die Margin“ für all das nicht zum Lernobjekt machen d.h. wir müssen lernen in Solidarität mit, anstatt für die marginalisierten Menschen zu handeln. Das heißt auch sicherzustellen, dass die Margin nicht benutzt wird, um den Lernprozess für den Mainstream voranzubringen.
Statt dessen braucht es Ermächtigungs-/ Selbstbefähigungsräume für Menschen mit ähnlicher Unterdrückungserfahrung. Die Moderation kann die Trennung der Gruppe entlang dieser gefühlten Privilegien / Unterdrückungserfahrung veranlassen und damit Räume schaffen, in denen die Betroffenen ihre Bedürfnisse und Wünsche definieren können. Diese können dann vor der Gruppe ausgesprochen werden- denn das kann nicht die Moderation, sondern nur die Betroffenen.
Ebenso kann die Reflektion von Privilegien auch in Gruppen mit ähnlicher Privilegien-Erfahrung passieren. Hier …
… kann viel ausprobiert und sich gegenseitig kritisiert werden.
… kann von den Betroffenen niemand verletzt werden; ihnen kann kein Raum streitig gemacht werden.
… wird den Betroffenen kein Experiment aufgezwungen, dessen Konsequenzen sie nicht spüren wollen.
Hier ist es die Aufgabe der Moderation für Selbstreflektion und Selbstkritik zu sorgen damit diese Räume nicht zur Verbündung unter Privilegierten führen. Gegebenenfalls muss dann abgebrochen und die Problematik benannt werden.
Und zuletzt: Wenn sich der Mainstream nicht (mehr) wohl fühlt, könnten wir auf dem richtigen Weg sein…
Ideen zur Moderation / Begleitung von Gruppenprozessen
Wie kann ich in der Rolle der Moderation meine Macht nutzen, um eine gleichberechtigtere Kommunikation zu fördern?Aus unserer Sicht gibt es dafür kein Rezept, vieles ist eine subjektive Einschätzung, welche Intervention an welcher Stelle gut ist. Zu der Einschätzung hilft das Kennen des Kontexts, Feedback und Support von anderen, Erfahrung mit Gruppenprozessen und in der oft schnellen Dynamik des Gruppengeschehens auch ein Stück Vertrauen auf die eigene Intuition und Gespür. Dabei kann mensch ruhig auch mal was riskieren – wenn es nicht klappt oder blöd ist, kann mensch ja wiederum etwas daraus lernen. Wichtig ist, mit den Betroffenen zu checken (vorher oder hinterher), dass die Intervention mit ihnen und nicht für sie stattfindet, und sich der Gefahr der Bevormundung bewusst zu sein. Trotzdem sollte das eine_n nicht davon abhalten, das Risiko einzugehen gegen den Mainstream zu agieren, auch wenn das zunächst zu Widerwillen und Ablehnung führt. Diese und andere Erfahrungen haben wir während unserer Woche in Wales gesammelt:
Oft macht es Sinn, als Moderation den Beat der Gruppe (z.B. Mainstreams und Margins) rauszukitzeln und nicht gleich inhaltlich einzusteigen.
Es ist wichtig auf dem Schirm zu haben, dass der Einfluss, den einzelne Mitglieder in einer Gruppe haben, eng verknüpft ist mit Klasse, Herkunft, Gender etc. und Bildung, Engagement in der Gruppe, Erfahrung etc.. Als Moderator_innen in Bewegungen für radikalen sozialen Wandel müssen wir uns selbst über Mainstream, Rang- und Machtverhalten bewusst werden – und auch diesen Lernprozess in Gruppen befördern – denn nur mit einem steten Auseinandersetzen, Offenlegen und einer Transformation der verdeckten Dynamiken in Gruppen können wir diskriminierendes und ausschließendes Verhalten minimieren.
Auf dieser Grundlage sind Menschen, je nach Privilegien, Hintergrund und Interesse, unterschiedlich stark emotional in die Gruppenprozesse verwickelt (z.B. Gender). Dies gilt es mitzudenken.
Unser Vorgehen als Moderation sollten wir transparent machen. Wir sollten ehrlich zur Gruppe sein, auch unsere Unsicherheit zeigen und Dinge an die Gruppe zurück geben können.
Die Moderation sollte versuchen, Dinge auf den Tisch zu bringen – sie sollte eine ehrliche, direkte Kommunikation, die Dinge ausspricht, und Ehrlichkeit fördern.
Als Grundlage der Arbeit mit Gruppen gilt es die Fragen zu klären: Welche Rolle wünscht sich dir Gruppe von mir? Verstehe ich mich auch in dieser Rolle? Will ich diese Rolle annehmen?
Wenn wir Vielfalt in unseren Gruppen wollen, wird es auch immer verschiedene Kommunikations- und Organisierungsformen geben. Das heißt …
wir müssen eine Vielfalt in unseren Kommunikations- und Organisierungsformen schaffen die den Bedürfnissen aller Teilnehmenden gerecht wird (was auch heißen kann: wechselnde Methoden, um mal den einen und mal anderen Bedürfnissen zu entsprechen)
Der Mainstream-Rahmen ist oft: Rational, still sitzend, eloquent, zuhörend (oder wenigstens zuhören performend), vor großer Gruppe sprechend, akademisch, abstrakt usw.
Es macht immer Sinn Gruppen daran zu erinnern in der Ich-Sprechform zu reden, Generalisierungen zu vermeiden und das spezifische Verhalten einer Person zu kritisieren; nicht die Person selbst, und dabei diegesellschaftliche Zurichtung [das versteh ich nicht, was ist mit „Zurichtung“ gemeint?] des Individuums zu beachten.
Es gilt immer wieder zu reflektieren: für wen sind unsere Treffen zugänglich?(Methodisch und von den Machtverhältnissen her).
Moderator_innen in sozialen Bewegungen und Graswurzelgruppen müssen lernen ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen und gleichzeitig Platz für die Gefühle der Teilnehmenden und der Gruppe zu haben. Emotionalität in Treffen kann sowohl ermächtigend als auch unterdrückend wirken. Manchmal beides gleichzeitig.
Um Vertrauen und Offenheit in Gruppen zu schaffen kann es hilfreich sein, dass wir uns verletzlich zeigen, d.h. uns öffnen und auch Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse teilen, die uns tief berühren. Als Moderator_innen können wir das bewusst in Gruppen befördern, bzw. den Raum dafür schaffen.
Gruppengröße kann bewusst eingesetzt werden. Wo geht es darum das alle etwas miterleben (Großgruppe)? Wo geht es darum, dass die maximale Anzahl an Menschen partizipieren kann?
Es geht nicht um Moderation und Aktivismus als jeweils getrennte Sphären, in denen wir unser Verhalten für eine begrenzte Zeit reglementieren, um dann außerhalb dessen wieder frei zu drehen. Es geht vielmehr um die Transformation des alltäglichen Lebens miteinander; um einen breiten politisch-kulturellen Wandel des Tagtäglichen – jenseits von moderierten Räumen in denen die meisten von uns de facto wenig Zeit verbringen.
Es ist wichtig Intuition zu entwickeln – mit dem Bewusstsein, dass wir sozialer Konditionierung ausgesetzt sind, die diese Intuition beeinflusst – z.B. habe ich als weißer Mann mit Bildungshintergrund fast immer das „Gefühl“ in einer Gruppe was sagen zu müssen, bzw. zu dürfen.
Gerade in linken Zusammenhängen in Deutschland wird Moderation oft als reine „Redeleitung“ (z.B. Redner_innenliste) missverstanden, anstatt als Gruppenprozessbegleitung.
Die Machtposition der Moderator_innen ist solange gut, wie sie im von der Gruppe selbstzu bestimmenden Interesse der Gruppe genutzt wird. In diesem Zusammenhang ist auch eine Co-Moderation, oder sogar ein Moderationsteam gut, um der Ausnutzung der Machtposition vorzubeugen.
Menschen die eine „leitende“ Rollen in einer Gruppe einnehmen, gibt es fast immer. Die Frage ist also nicht ob, sondern wie: Wir können uns diese „Leitung“ (im Englischen „Leadership“) bewusst machen und uns dafür oder dagegen entscheiden, sie rotieren lassen und allen Beteiligten, die wollen, diese Position ermöglichen!
Nun…
Auch wenn wir all das ausprobieren, sind Konflikte, Scheitern und Risiken, wie immer im Zusammenleben von Menschen, unvermeidbar. Der Mainstream würde diese oft gerne verhindern, weil sie ihn aus seiner Komfortzone drängen. Und gerade deshalb können Konflikte nützlich sein. Die Frage ist also vielmehr wie wir mit Konflikten, Scheitern und Risiken umgehen. Es geht um eine neue Konflikt- und Lernkultur, die anerkennt, dass es noch sehr lange (unbewussten?) Machtmissbrauch geben wird und wir damit emanzipatorisch umgehen müssen.
In diesem Sinne überlassen wir euch einige offene Fragen:
Wie kommen wir zu einer authentischen Kommunikation und zu gleichberechtigtem Austausch unter Menschen, die verschiedene Kommunikationsstile und Auftretensweisen haben?
Wie kann ich meine Privilegien/ meine Rolle in Gruppen so nutzen, dass es Marginalisierten hilft, weniger marginalisiert zu werden – und dabei solidarisch zusammenzuarbeiten statt zu bevormunden?
Welche Verhaltensweisen, die ausschließend wirken, müsste ich fallen lassen, um eine gleichberechtigte Kommunikation und mehr Vielfalt zu ermöglichen?
Was können wir gemeinsam dafür tun, um die Unterschiede aufgrund von Privilegien und „Mainstream“-Verhaltensweisen abzubauen?
Was können strukturelle Maßnahmen wie Quoten, quotierte Redner_innen-Listen beitragen?
Wie schaffen wir es, in politischen Gruppen Platz für Gefühle und ehrliche Kommunikation zu lassen?
Wäre es nachhaltiger, Konflikte lieber zutage zu fördern, um sie vielleicht lösen zu können, statt sie zu verstecken?
1Trigger heißt Auslöser und beschreibt ein Ereignis das für eine Person retraumatisierend wirkt.
_______________________________________________
Mailingliste von Hoppetosse - Netzwerk für kreativen Widerstand. Alle Infos und Formular für Aus-/Eintragen sowie Archiv: www.projektwerkstatt.de/hoppetosse.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen