Freitag, 21. September 2012
Protestwelle in islamischen Ländern
Wem nützt es?
Von Werner Pirker
jungeWelt vom 18.09.2012 (auf Kommunisten-online am 20. September 2012) – Ein islamfeindlicher Schmähfilm hat die von den Herstellern beabsichtigten Wutanfälle in der islamischen Welt ausgelöst. So primitiv und amateurhaft das »Kunstwerk«, so gelungen erscheint die politische Inszenierung, Muslime – wie gehabt – als religiöse Fanatiker vorzuführen und sie so selbst den Beweis ihrer kulturellen Unterlegenheit erbringen zu lassen. Dennoch stellt sich die Frage, wer ein Interesse daran haben kann, ausgerechnet in der gegenwärtigen Situation, den »Kampf der Kulturen« aufs neue anzuheizen. Den Kampf der Kulturen, von dem sich der Westen angesichts der Veränderungen in der arabischen Welt bereits verabschiedet zu haben schien.
Nachdem der Sturz der proimperialistischen Diktatoren in Tunesien und Ägypten noch für gewisse Irritationen gesorgt hat, ist es den USA und ihren Verbündeten gelungen, die Kontrolle über die Region zurückzugewinnen – indem sie in Libyen und Syrien als Förderer und nicht als Liquidatoren des Aufruhrs auftraten und so die arabische Revolution ihres antiimperialistischen Wesensgehalts enteigneten. Dieses Kunststück konnte der Wertegemeinschaft nur im Bündnis mit dem gerade noch als größte Menschheitsbedrohung dämonisierten politischen Islam gelingen. Während den Moslembrüdern in Tunesien und Ägypten die Aufgabe zugedacht ist, den Aufruhr innerhalb des bestehenden Ordnungsrahmens zu kanalisieren, wurden in Libyen und Syrien radikale Islamisten als Stoßtruppen für einen Regimewechsel in Stellung gebracht.
Die nun den »Zusammenstoß der Zivilisationen« erneut inszeniert haben, sind offenkundig keine Freunde der neuen amerikanisch-islamistischen Freundschaft. Die Hintermänner des Films können in Teilen des amerikanischen, in Opposition zur Obama-Administration stehenden Establishments vermutet werden, wobei vor allem die US-»Neocons« zu nennen wären. Zumal diese mit den Rechtszionisten ein Herz und eine Seele sind. Israel, das seine Kriegspolitik nur in Symbiose mit dem US-Imperialismus durchzustehen vermag, dürfte über die neue Nahost-Konstellation, wie sie sich aus dem Bündnis zwischen den NATO-Staaten und der arabisch-sunnitischen Reaktion ergibt, kaum glücklich sein. Denn eine solche Allianz schmälert erheblich den strategischen Wert des zionistischen Staates für die US-Hegemonialpolitik.
Der Skandalfilm könnte aber auch das Gegenteil seiner angestrebten Wirkung erzielen. Er könnte die antiamerikanische Wende des »arabischen Frühlings« bewirkt haben. Nicht von ungefähr hat auch die konsequent antiimperialistische und keineswegs dem religiösen Wahn verfallene libanesische Hisbollah zu Demonstrationen gegen das Machwerk aufgerufen. Dabei geht es nicht so sehr um die Wiederherstellung der Ehre des Propheten als um den Protest gegen die westliche Kriegspolitik. Die seltsame Absenz des Antiimperialismus auf der arabischen Aufstandsagenda könnte damit ein Ende haben.
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