Freitag, 28. September 2012
Der Anti-Islam-Film
Politkriminelle auf beiden Seiten
Von Toni Keppeler
Quelle; WOZ Nr. 38/2012 vom 20.09.2012
Monotheistische sogenannte Offenbarungsreligionen wie – in historischer Reihenfolge – das Judentum, das Christentum und der Islam sind in ihrem Kern intolerant. Sie wollen glauben machen, dass ihnen die Wahrheit, der letzte Grund aller Wesen und Dinge, von ihrem Gott selbst oder durch einen Mittler geoffenbart worden sei. Folglich hätten sie recht – und alle anderen unrecht.
Solche Religionen dienen Millionen von Menschen als fester Orientierungsrahmen; als tief in ihrem Inneren wurzelnde Gewissheit, aufgrund derer sie zu wissen glauben, wer sie sind. Religionen helfen dabei, mit sich selbst und mit der Welt zurechtzukommen.
Diese Welt kam für traditionsbewusste MuslimInnen in den vergangenen Jahren ziemlich durcheinander. Der sogenannte Arabische Frühling hat diese Unordnung im Sichergeglaubten noch potenziert. Jeder Angriff auf den letzten sicheren Anker muss deshalb wütende, wenn nicht blindwütige Reaktionen provozieren. Das rechtfertigt nicht die Angriffe der vergangenen Tage auf US- und andere westliche Botschaften und Einrichtungen in der islamischen Welt. Aber es mag helfen, sie zu begreifen.
Eine Differenzierung aber darf dabei nicht übergangen werden: Es ist eines, wegen eines miesen Filmchens in blinde Wut zu geraten, in dem mit Mohammed der Offenbarer selbst als debiler und gewalttätiger Lüstling verspottet wird. Etwas anderes ist es, ein solches Machwerk zu produzieren und zum opportunen Zeitpunkt zu verbreiten. Und dies geschah in den USA.
Der giftige Cocktail war perfekt: Angeblich wurde das als Trailer eines viel längeren Streifens angekündigte Filmchen von einem US-israelischen Doppelbürger mit der Hilfe eines koptischen Christen produziert und von einer Gruppe reicher Juden finanziert – eine Ballung von Klischeereizfiguren, mit der die islamische Welt leicht in Wallung versetzt werden kann.
Inzwischen weiss man, dass all dies nur Legende ist und in Wahrheit ein als Scheckbetrüger bekannter ultrarechter Tankwart hinter dem schlecht gemachten Propagandaclip steckt. Zunächst schien ihn das einzige Schicksal zu ereilen, das dumpfer Rechts-Agitprop verdient: Er lag wochenlang nahezu unbeachtet auf den Servern der Internetplattform YouTube. Bis ihn der in den USA prominente evangelikale Hassprediger Terry Jones aus Gainsville, Florida, an die grosse Öffentlichkeit zerrte.
Der Mann hat Erfahrung mit dem Aufhetzen von MuslimInnen. In den Jahren 2010 und 2011 hat er es zunächst mit der Drohung und dann der tatsächlichen Verbrennung einer Korankopie in seiner Kirche durchexerziert – mit dem gewünschten Erfolg.
Jetzt, da der Endspurt im US-Wahlkampf um die Präsidentschaft beginnt, kam ihm der Mohammed-Streifen gerade recht. Die Bilder vom Sturm zorniger Muslimmassen auf US-Botschaften, gar der Tod des US-Botschafters in Benghasi, erinnern fatal an Teheran 1979, als aufgewiegelte Schiiten die Vertretung Washingtons besetzten und über ein Jahr lang als Geiselnehmer blieben. Den Demokraten Jimmy Carter hat das die Wiederwahl gekostet, es kam der Kalte Krieger Ronald Reagan. Warum also nicht heute mit einem ähnlichen Szenario den Demokraten Barack Obama abschiessen, einen Mann, der nicht nur kein Weisser ist, sondern zudem evangelikale Albträume wie die gleichgeschlechtliche Ehe für etwas ganz Normales hält? Männer wie Terry Jones sind keine vom Absolutheitsanspruch ihrer Religion verblendeten Gläubigen. Es sind infame Politkriminelle, die über Leichen gehen.
Es gibt solche aufwieglerischen Politkriminelle auf beiden Seiten. Der Mohammed-Film wurde ins Arabische übersetzt und von Propagandasendern in Ausschnitten ausgestrahlt. In Benghasi nutzte eine verbohrte Miliz den Volkszorn und ermordete in seinem Windschatten den Botschafter und drei weitere US-Amerikaner.
Die muslimischen Zündler sind nicht besser als diejenigen auf der anderen Seite. In diesem Fall aber waren sie nur deren Trittbrettfahrer.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen