Freitag, 28. September 2012
Schritt zur Militärjustiz
Quelle: junge Welt Frank Brendle 28.09.12
Bundesregierung will eigenen Gerichtsstand für Soldaten. Aufklärung von Straftaten in Einsatzgebieten wäre nicht mehr rechtsstaatlichDas Vorhaben der Bundesregierung, Straftaten deutscher Soldaten im Auslandseinsatz von einem eigenen Gerichtsstand untersuchen zu lassen, geht am eigentlichen Problem vorbei – darin waren sich am Mittwoch sämtliche Experten bei einer Anhörung im Rechtsausschuß des Bundestages einig.
Massaker durch die Bundeswehr bei Kunduz am 4. September 2009
CDU/CSU und FDP wollen, daß die Staatsanwaltschaft im bayerischen Kempten alle Ermittlungen gegen Soldaten führt, denen Straftaten in den Einsatzgebieten vorgeworfen werden. Zur Begründung heißt es, eine angemessene Untersuchung erfordere »Kenntnis der militärischen Abläufe und Strukturen sowie der rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen« der Einsätze. In Kempten werden bereits jetzt sämtliche in Bayern anhängigen Fälle gegen Soldaten untersucht.
Die Zahlen deuten nicht darauf hin, daß ein neues Gesetz nötig ist: Zwischen 2004 und 2009 wurden gegen Soldaten im Ausland gerade einmal 167 Strafverfahren geführt. Seitdem der Afghanistan-Einsatz auch offiziell als Krieg gilt, werden Straftaten mit »Einsatzbezug«, sprich: Kriegsverbrechen, ohnehin zentral von der Bundesanwaltschaft untersucht. Für Fälle einfacher Kriminalität wiederum ist ein vertieftes Wissen über militärische Strukturen nicht erforderlich. Dennoch sei eine Spezialqualifikation von Staatsanwälten wie auch Richtern nötig, weil militärische Sachverhalte die Justiz bislang unvorbereitet träfen, argumentierte Bundesanwalt Thomas Beck. Schließlich könne jede Aktion unversehens zum Kriegseinsatz werden, »das lehrt uns Afghanistan«. Worin das Spezialwissen bestehen soll, wurde aber nicht geklärt. Genannt wurden waffentechnische, aber auch völkerrechtliche Grundlagenkenntnisse. Ein Staatsanwalt aus Kempten berichtete, man habe dort zwei Dateien allein mit komplizierten militärischen Abkürzungen angelegt. »Abkürzungen sind doch kein Sonderwissen«, widersprach da Susanne Müller von der Neuen Richtervereinigung. »Es ist normal, daß man sich als Richter in Spezialwissen einarbeitet.« Gäbe es nur einen einzigen Gerichtsstand, drohe Einseitigkeit in der Urteilsfindung: Zum einen fehle der »Rechtsdiskurs« zwischen verschiedenen Gerichten, wie er im föderalen Rechtssystem der BRD angelegt sei. In Kempten sei zum anderen auch die Kontrolle durch Öffentlichkeit und Medien geringer. Und wenn eine Handvoll Juristen in Kempten ständig mit der Bundeswehrhierarchie zu tun hätten und in militärische Sachverhalte »eingewiesen« würde, müsse befürchtet werden, daß Richter und Staatsanwälte ihre Kenntnisse »unter dem Blickwinkel der Bundeswehr« gewännen. Allenfalls könnten die Bundesländer beschließen, schwierige Fälle an einigen wenigen Gerichten zu konzentrieren, aber keinesfalls an nur einem einzigen bundesweit. Das verschiedentlich von Bundeswehr-Seite angeführte Argument, angebliche Zuständigkeitskonflikte in der Justiz hätten zu Verzögerungen bei Ermittlungen geführt, konnte kein Sachverständiger in der Anhörung bestätigen.
Als größtes Problem für objektive Nachforschungen in den Einsatzgebieten beschrieben die Experten, daß die zivile Justiz nicht selbst am Tatort aufklären könne, sondern fast vollständig auf die Erhebungen der Bundeswehr angewiesen sei. »Es liegt auf der Hand, daß dies nicht dem Bild einer unabhängig ermittelnden Justiz entspricht«, so Bundesanwalt Beck. Feldjäger dürften zudem weder Blutproben noch verdeckte Überwachungen gegen Verdächtige durchführen. Ihre Vernehmungspraxis genüge nicht den Anforderungen der Strafprozeßordnung, zivile Staatsanwälte müßten aber warten, bis Beschuldigte und Zeugen aus dem Ausland zurückkehrten.
An diesen Problemen rührt der Gesetzentwurf nicht. Der Publizist Rolf Surmann stellte deswegen die Frage, ob die Regierungsfraktionen lediglich eine »Übergangslösung« vorlegten, die langfristig darauf ziele, eine »militärische Sonderjustiz« wie in vergangenen Zeiten zu etablieren. Oberstleutnant Ulrich Kirsch ließ die Katze explizit aus dem Sack: Er wolle definitiv eine »zentrale Wehrstrafjustiz«.
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