Freitag, 15. Juni 2012
Zweierlei Arten von „Haiti-Hilfe“
„Rote-Fahne“-Interview mit einem Genossen der „Neuen Kommunistischen Partei (ML)“ aus Haiti
Vor zwei Jahren hat eine verheerende Naturkatastrophe Haiti heimgesucht. Die Zahl der Toten wird auf bis zu eine halbe Million Menschen geschätzt. In vielen Ländern der Welt wurden mit großem Medienaufwand Hilfsaktionen gestartet und Millionen Spendengelder gesammelt. Was ist daraus geworden?
Drei Monate nach dem Erdbeben hat die UNO die Organisation SCIRCH gegründet. Das geschah unter dem Druck der USA. Ebenfalls unter dem Druck der USA wurde Bill Clinton damals zum Vorsitzenden dieser Organisation. Frankreich hat aber Kouchner bevorzugt. Diese Organisation hatte die Aufgabe, die ganzen Spenden zusammenzuholen, die eingenommen wurden. Bei der ersten Sitzung war von 3,5 Milliarden Dollar Spendengeldern die Rede. Ausgehend von dieser Organisation wird jetzt versucht, über Nicht-Regierungsorganisationen Projekte mit diesen Spendengeldern zu ermöglichen. Das heißt: Es wird nicht wirklich der Aufbau im Land betrieben, sondern es werden Projekte von Nicht-Regierungsorganisationen verwirklicht. Die legen einen Plan vor und dann wird das finanziert. In dieser Organisation vertreten sind Clinton als UNO-Vertreter, der Premierminister von Haiti und die Nicht-Regierungsorganisationen.
Gleich nach der Gründung dieser Organisation gab es in Haiti eine kleine politische Krise. Denn damit diese Gelder fließen können, musste diese Organisation eine rechtliche Grundlage haben. Das Problem bestand darin, dass zwei Drittel des Parlaments nicht mehr vorhanden waren, sodass gar keine Wahlen durchgeführt werden konnten. So hat der Präsident einfach sein Mandat und das der noch übrig gebliebenen Parlamentsmitglieder verlängert. Dann hat er als neuer/alter Präsident diese Organisation legitimiert. Ein ziemlich großer Anteil in der Bevölkerung war damit gar nicht einverstanden. Sie haben erklärt, dass diese Verlängerung der Präsidentschaft, des Parlaments und damit auch die Legitimierung dieser Organisation so nicht stehen gelassen werden kann.
Ein Jahr später wurden Neuwahlen zu einem neuen Präsidenten durchgeführt. Nach den Wahlen kam es zu einer Wahlkrise, weil das Wahlergebnis nicht anerkannt wurde. Die Vereinigten Staaten setzten Michel Joseph Martelly, bekannt als „Sweet Micky“ (Komponist und Sänger) als Wahlsieger durch. Man kann nicht sagen, dass er gewonnen hat, er wurde einfach ernannt. In den über zwei Jahren seit dem Erdbeben bis heute ist so gut wie nichts unternommen worden, was den Massen zu Gute kommt. Sie leben immer noch in Zelten. Es sind überwiegend Nicht-Regierungsorganisationen, die sich um die Leute kümmern. Der Skandal, der jetzt aufgedeckt wurde, war, dass diese NGO unkontrolliert das Geld in ihre Projekte fließen ließen. Da war nichts strukturiert.
Es gab dann auch Proteste, weil nicht einmal ein Drittel der Versprechen, die von der UNO-Organisation gemacht wurden, eingehalten wurden. Mittlerweile lässt sich sagen, dass immer mehr NGO wie die Pilze aus dem Boden sprießen. Die Leute leben nach wie vor in Zeltlagern, kurz nach dem Beben war von 800.000 Menschen in Port-au-Prince die Rede, aber viele sind in Folge aufs Land gezogen, weil es nicht mehr anders ging. Durch diese Dauerlebensweise in Zelten ist die Kriminalität stark angewachsen.
Es gibt schon Projekte, aber deren Zweck ist unklar. Zum Beispiel gab es über eine französische Gesellschaft ein Projekt im Süden. Dort sollten Häuser gebaut werden, um die Leute zu animieren, dorthin zu ziehen. Das sind allerdings keine richtigen soliden Häuser, sondern das sind eher Hütten, die eher einen Werbeeffekt haben, um zu zeigen, man hat was getan. Es ist ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Es gibt auch Projekte von NGO, zum Beispiel Nahrungsmittelausgaben und Impfaktionen bzw. Bildungskampagnen. Davon profitieren aber Leute, die gar nicht in Not sind. Die NGO sehen das Elend der Leute, aber viele wollen nichts ändern, weil auf Grundlage der Not für sie weiteres Geld fließt. Ein Jahr nach dem Erdbeben hat UNICEF auf dem Plakat, den Broschüren und Flyern einer Kampagne ein Foto herausgegeben, das angeblich ein Kind auf Haiti zeigt, das dort gerettet wurde. Aber man konnte auf jeden Fall nachvollziehen, dass das eine gestellte Fotomontage war.
Welche Bedeutung hat für euch die ICOR?
Wir arbeiten in der Illegalität. Wir sind eine sehr junge Partei, die im Jahr 2000 gegründet wurde. Wir sind seit zwei Jahren Mitglied der ICOR. Für uns ist im Moment ein Zusammenschluss zu gemeinsamen Aktivitäten und zum Erfahrungsaustausch hilfreich. Wenn man von „Erfahrungen“ spricht heißt das, dass man von der gemeinsamen Praxis spricht. Es gibt ja eine bestimmte Dialektik zwischen Theorie und Praxis. Was die Theorie betrifft, gibt es unterschiedliche Standpunkte. Hier muss es ein bestimmtes Wechselverhältnis der verschiedenen Methoden in der Praxis der einzelnen Organisationen geben, um gemeinsam dieses Niveau zu erhöhen. Ich denke, es gibt eine ganze Anzahl von anderen Organisationen wie der unseren, die gar nicht die Infrastruktur haben. Die haben keinen Treffpunkt kein Büro bzw., feste Treffen oder noch nicht einmal eine Zeitung. Die kämpfen aber mit Zähnen und Klauen gegen den Imperialismus. Und ich denke, es ist wichtig, dass man diese Bewegungen auch mitnimmt auf dem Weg der Internationalisierung der Kämpfe. Weil es ja auch so ist, dass in diesen neokolonial abhängigen Ländern der Kampf der Arbeiterklasse mit dem Kampf gegen die Besatzer und die Unterdrücker direkt verbunden ist. Ich denke, es wichtig, dass solche Organisationen auch in der ICOR vertreten sind. 2008 hat eine kanadische marxistische Partei uns gefragt, ob sie uns finanziell unterstützen können. Wir haben ihnen gesagt, dass wir unmittelbar keine finanzielle Unterstützung brauchen, sondern wir wollen, dass sie – mit uns zusammen – diesen Imperialismus, und das was er bei uns anrichtet, anprangern.
Die Solidarität und der Zusammenschluss im Kampf für die Vorbereitung der internationalen Revolution sind das Allerwichtigste?
Das ist genau das richtige, weil die anderen Leute vor Ort das oft gar nicht im internationalen Maßstab bekannt machen können. Wenn es eine internationale Organisation wie die ICOR gibt, hat man die Möglichkeit, das viel breiter bekannt zu machen. Und das ist auch die Voraussetzung, dass man überhaupt über die Vorbereitung der internationalen Revolution sprechen kann.
Vielen Dank für das Interview.
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