Freitag, 22. Juni 2012

Mexico: Drei Kandidaten und ein leerer Stuhl

Mexiko: Studentenbewegung »#YoSoy132« holte Präsidentschaftsanwärter zusammen Andreas Knobloch Ein Stuhl auf dem Podium blieb frei und markierte so die Abwesenheit des voraussichtlich zukünftigen Präsidenten Mexikos. Während sich die drei übrigen Kandidaten, die sich am 1. Juli um das höchste Staatsamt bewerben, bei einer Podiumsdiskussion den Vertretern der studentischen Protestbewegung »#YoSoy132« stellten, war der in allen Umfragen führende Enrique Peña Nieto (Institutionelle Revolutionäre Partei, PRI) der Debatte ferngeblieben. In einem Schreiben an die Studierenden erklärte er, die Protestbewegung hätte gegen ihn Stellung bezogen, Unparteilichkeit und Neutralität seien deshalb nicht gegeben. Tatsächlich waren die studentischen Proteste vor einem Monat durch einen mißglückten Auftritt Peña Nietos in der Iberoamerikanischen Universität ausgelöst worden. Dessen Verteidigung des eskalierten Polizeieinsatzes 2006 in Atenco mit mehreren Todesopfern sowie die nachfolgende verzerrte Medienberichterstattung über die Reaktionen der Studenten darauf, löste die spontane Kampagne aus, die Schwung in den bis dahin lahmen Wahlkampf brachte. »#YoSoy132« richtet sich nicht nur gegen eine Rückkehr der PRI an die Macht, sondern fordert in erster Linie eine Demokratisierung der Medien, ohne sich dabei auf die Seite einer Partei zu stellen. Peña Nieto entschied sich trotzdem für die Schmollecke. Derweil beantworteten Josefina Vázquez Mota (PAN), Andrés Manuel López Obrador (PRD) und Gabriel Quadri de la Torre (PANAL) anderthalb Stunden lang im Auditorium »Digna Ochoa« der Menschenrechtskommission von Mexiko-Stadt (CDHDF) Fragen zu den Themen wie Sicherheit, Bildung, Gesundheit, Kunst, Kultur oder Nachhaltigkeit. Die Fragen waren zuvor von Bürgern per E-Mail eingesandt worden. Während die bisherigen Debatten der Spitzenkandidaten von den großen Fernsehkanälen Televisa und TV Azteca organisiert und ausgestrahlt worden waren, verweigerten diese diesmal eine Übertragung. Verfolgt werden konnte die Debatte deshalb nur im Radio und im Internet. Laut den für die Übertragung Verantwortlichen klickten sich im Laufe der Veranstaltung mindestens 112000 Nutzer allein über das Videoportal YouTube ein. Auch das staatliche Rundfunkinstitut IMER, der Universitätssender Radio Ibero und verschiedene Internetportale, darunter das des internationalen Fernsehsenders TeleSur übertrugen die Diskussion. Die Medien in Mexiko waren dem Umfeld angemessen eines der zentralen Themen. López Obrador, der von der parlamentarischen Linken unterstützt wird, versprach, niemanden enteignen zu wollen. Seine Kontrahentin Vázquez von der konservativen PAN veranlaßte dies zu der Spitze, man wisse bei »AMLO« nie, wen man gerade vor sich habe: den radikalen Kandidaten, der »die Institutionen verkennt«, oder den »liebevollen«, der versöhnlich für eine »Republik der Liebe« eintrete. Sie selbst erklärte, das Kommunikations- und Transportministerium neu ausrichten zu wollen. Quadri, der für die liberale Partei Neue Allianz ins Rennen geht und von der Deutschen Mexiko-Zeitung zuletzt als »erfrischend spritzig weil chancenlos« beschrieben wurde, sprach sich dafür aus, das Recht auf Internetzugang in die Verfassung aufzunehmen. Sowohl Vázquez als auch Quadri würden eine Teilprivatisierung des Erdölkonzerns Pemex akzeptieren, der links orientierte López Obrador dagegen schloß dies aus. »Das Öl gehört dem Volk«, unterstrich er. Neue Vorschläge oder Lösungsansätze brachte die Debatte nicht hervor, die Politiker wiederholten größtenteils schon andernorts verkündete Phrasen. Trotzdem zeigte sie, daß eine solche Diskussionsrunde vorbei an den traditionellen Medien organisiert werden kann. Auf der anschließenden Pressekonferenz und in so manchem Zeitungskommentar fiel sogar das Wort »historisch«. Ohne vorher abgesprochene Fragen, ohne exorbitante Kosten, ohne die dominierenden Fernsehsender, dafür mit direkter Beteiligung der Bürger – viel mehr als die Statements der eingeladenen Politiker ist dies die Botschaft, die von diesem Abend bleibt. Oder wie ein Sprecher der Bewegung formulierte: »Zum ersten Mal war das kein Monolog.« URL: http://www.jungewelt.de/2012/06-22/024.php

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