Mittwoch, 27. Juni 2012

Drogenkrieg: Mexiko kopiert Kolumbiens Kriegstaktik

Präsident Calderóns Kampf gegen die Drogenkartelle ist gescheitert. Ein Polizeichef aus Kolumbien soll Abhilfe schaffen. von Matthias Knecht, Mexiko-Stadt Auch der letzte Versuch, die Mexikaner vom Erfolg des Drogenkriegs zu überzeugen, misslang erbärmlich. Triumphierend verkündete die Armee letzte Woche die Festnahme eines dicken Fisches und präsentierte den angeblichen Sohn von Joaquín Guzmán, Mexikos mächtigstem Drogenboss, vor laufenden TV-Kameras. Die USA gratulierten Präsident Felipe Calderón euphorisch zu einem "weiteren Sieg gegen die Kartelle". Nur Stunden später kam das zerknirschte Eingeständnis: leider eine Verwechslung. Der vermeintlich dicke Fisch war ein gewöhnlicher Autohändler. Vor sechs Jahren war der scheidende Präsident Calderón mit dem Versprechen angetreten, die Drogenkartelle mithilfe der Armee zu zerschlagen. Doch stattdessen zerschlug er ein Wespennest - die Zahl der Kartelle hat sich verdoppelt, und ihr Konkurrenzkampf ist brutaler denn je. Mehr als 50.000 Todesopfer haben ihre Gewaltexzesse und die Einsätze der Sicherheitskräfte seit 2006 gefordert. Auch deshalb steht Calderóns konservative Partei der Nationalen Aktion bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag vor einer historischen Niederlage. Haushoher Favorit ist Enrique Peña Nieto, dessen PRI-Partei Mexiko 70 Jahre lang bis ins Jahr 2000 regiert hat. Sie hielt die Drogengewalt in Grenzen, indem sie mit den Kartellen kungelte. In Washington fürchtet man deshalb schon das Ende des Drogenkriegs, den Mexiko in enger Zusammenarbeit mit den USA führt. Doch Peña Nieto signalisierte jüngst Entwarnung: Als Sicherheitsberater nominierte er den früheren kolumbianischen Polizeichef Óscar Naranjo, der in den USA höchstes Vertrauen genießt. Er gilt als Vater der erfolgreichen Zerschlagung der Kartelle von Medellín und Cali - in seiner Heimat wird er als Nationalheld gefeiert. Es ist nicht das erste Mal, dass Mexiko auf der Suche nach Lösungen nach Bogotá schaut, wo im Kampf gegen die Kartelle erhebliche Fortschritte erzielt wurden. Tatsächlich ist auch Calderóns Strategie in weiten Teilen eine Kopie des kolumbianischen Modells. Er habe aber die "falschen Lehren" daraus gezogen, sagt Vanda Felbab-Brown, Expertin für organisierte Kriminalität der Brookings Institution in Washington. Wie Kolumbien in den 90er-Jahren ziele Mexiko heute auf die führenden Köpfe der Verbrecherbanden. Bei Pablo Escobar, dem Chef des Medellín-Kartells, der 1993 erschossen wurde, habe das noch funktioniert. Durch seinen Tod sei seine Organisation entscheidend geschwächt worden. Doch genau daraus hätten Mexikos Kartelle gelernt und sich dezentral in voneinander unabhängigen Einheiten organisiert. Der Tod eines Drogenbosses bewirke daher inzwischen das Gegenteil von Ruhe: blutige Nachfolgekämpfe. Mehr Erfolg verspreche es da, sagt Felbab-Brown, auf den Mittelbau der Kartelle zu zielen und möglichst Hunderte von Drogenhändlern auf einen Schlag zu verhaften. Doch Mexiko verfüge nicht über die dafür notwendigen Kapazitäten. Auch Kriminalitätsforscher Edgardo Buscaglia ist überzeugt, dass Mexiko von Kolumbien lernen könne - vor allem bei der "wirtschaftlichen Bekämpfung" des organisierten Verbrechens. So würden in Kolumbien jedes Jahr im Durchschnitt kriminell erworbene Vermögen im Volumen von 1,6 Mrd. US-Dollar eingezogen, im deutlich größeren Mexiko seien es nur 200 Mio. Dollar. Zum Vergleich: Die Organisation Global Financial Integrity von der Universität Columbia schätzt die jährlichen Einnahmen der mexikanischen Kartelle auf über 36 Mrd. Dollar. "Niemand greift das realwirtschaftliche Rückgrat der mexikanischen Drogenökonomie an", klagt Buscaglia. Zwar leidet auch Kolumbien nach wie vor unter hohen Mordraten, Kriminalität und Menschenrechtsverletzungen. Doch die Stimmung im Land ist deutlich besser als in Mexiko, wo laut Umfragen 80 Prozent der Bevölkerung überzeugt sind, dass der Drogenkrieg nicht zu gewinnen ist. "In Kolumbien ist der Optimismus groß, dass man nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs die Sicherheit in den Griff bekommt", sagt Expertin Felbab-Brown. Der frühere Präsident Álvaro Uribe, der ähnlich wie sein mexikanischer Amtskollege das Militär in den Kampf gegen die Mafia schickte, wurde dafür mit höchsten Popularitätsraten belohnt. Sein Nachfolger Juan Manuel Santos führt die Strategie mit breiter Zustimmung fort. Wenn Peña Nieto am Sonntag wie erwartet die Wahl in Mexiko gewinnt, wird er das kolumbianische Modell wohl noch einmal genau studieren. Sein neuer Sicherheitsberater hält jetzt schon ein paar Ratschläge für ihn bereit: Die Polizeistrukturen müssten vereinheitlicht werden, sagte Ex-Polizeichef Naranjo der Financial Times. Es gebe ein Wirrwarr aus Zuständigkeiten auf Landes-, Bundes- und kommunaler Ebene - 2000 verschiedene Polizeieinheiten, die selten miteinander kooperierten. Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg sei die öffentliche Meinung: "Man muss der Bevölkerung das Vertrauen geben, dass Wandel möglich ist", sagt Naranjo. "Dann wird es auch Wandel geben." Neue Strategie gesucht Amtsinhaber Präsident Felipe Calderón hat 2006 das Militär aus den Kasernen geholt, weil der Polizeiapparat von den Drogenkartellen unterwandert war. Mittlerweile gilt jedoch auch die Armee als korrumpiert. Die einzige Ausnahme bilden hier die Marineinfanteristen, die eng mit den USA zusammenarbeiten. Herausforderer Im Wahlkampf haben alle Kandidaten einen großen Bogen um das allgegenwärtige Thema Drogenkriminalität gemacht. Denn schnelle Erfolge kann niemand versprechen. Alle Parteien stellen eine Abkehr vom Drogenkrieg in Aussicht. Statt Kartellbosse zu töten, soll die Polizei Sicherheit herstellen. URL: http://www.ftd.de/it-medien/medien-internet/:drogenkrieg-mexiko-kopiert-kolumbiens-kriegstaktik/70054879.html

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