Freitag, 15. Juni 2012

Stalin als Theoretiker des Marxismus-Leninismus

Ulrich Huar: Einleitung In der einschlägigen Geschichtsliteratur ist wohl nichts mehr umstritten als die Theorie der Leninschen Partei neuen Typus, die fälschlich Stalin zugeschrieben wird.1) Dem bedeutenden Anteil Stalins an der Entwicklung und Stärkung der KPR (B) /KPdSU, als der ersten Partei neuen Typus in der Weltgeschichte, ist die vorliegende Arbeit gewidmet. Marxistisch-leninistische Parteien werden in der bürgerlichen, revisionistischen und trotzkistischen Literatur als „stalinistisch“ gebrandmarkt, als die Inkarnation alles Bösen. Dies steht von Anfang an fest und bedarf keinerlei weiterer Beweise. Selbst ein auf seinem Gebiet der Rechtstheorie und Rechtsgeschichte so hervorragender Wissenschaftler wie Uwe-Jens Heuer sah in der Entwicklung der SED Ende der 50er Jahre eine Hinwendung „zur stalinistischen Partei neuen Typus.“2) Er sei nach 1945 Marxist geworden, aber, es „war ein von Stalin überformter Marxismus.“ Er räumt dabei ein, daß diese Überformung „in bestimmter politischer Hinsicht wirksam“ gewesen sei.3) An anderer Stelle meint er, Stalin habe im Gegensatz des „späten Lenins“ die „Entwicklungswidersprüche im Volk, zwischen Arbeiterklasse und ihrem eigenen Staat, Fragen der Entfaltung des Individuums nicht reflektiert.“4) Heuer wandte sich mehrfach gegen die Charakterisierung des Sozialismus als Stalinismus, wohl weil er darin eine Diffamierung des Sozialismus sah. Die Bezeichnung Stalinismus sei „letztendlich ein Vermächtnis Stalins. Er hat bekanntlich nicht nur den Leninismus, sondern auch den Trotzkismus, den Luxemburgismus erfunden.“5) Man mag über die Verwendung von Personennamen zur Bezeichnung von Theorien, politischen Konzeptionen oder Strategien streiten, Stalin brauchte weder den „Leninismus“ noch „Trotzkismus“ noch „Luxemburgismus“ zu erfinden. Diese Theorien existierten und wurden von konkreten politischen Personen und Gruppierungen gebraucht. Wer den Begriff „Leninismus“, später „Marxismus-Leninismus“ als „erster“ geprägt hat, ist bis heute noch nicht eindeutig zu beantworten, nebenbei auch nicht so wichtig. Wer hat den Begriff „Marxismus“ geprägt? Marx bestimmt nicht. Der Begriff „Leninismus“ haben auch Trotzki, Bucharin, Sinowjew, Kamenew u.a. verwendet, nicht nur Stalin. Heuer kann seine Behauptung auch durch nichts belegen. Nach dem Bucharin-Biograph, Adolf G. Löwy, habe sich Bucharin in einer Gedenkrede nach Lenins Tod vor der Akademie gegen den „Mythos vom Marxismus-Leninismus“ ausgesprochen. Bucharin habe nicht vom Marxismus-Leninismus, sondern vom Marxismus Lenins gesprochen.6) Nach Robert Steigerwald - im Gegensatz zu Löwy - habe Bucharin 1923 die Formulierung Marxismus-Leninismus eingeführt.7) Inwiefern die Bezeichnung „Stalinismus“ ein „Vermächtnis Stalins“ sein soll, ist schon gar nicht nachvollziehbar. Der Terminus „Stalinismus“ wurde meines Wissens erst nach der berüchtigten Geheimrede Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU (14. - 25. Februar 1956) als antikommunistischer Kampfbegriff geprägt und als Totschlagskeule unterschiedslos gegen alle Kommunisten, selbst gegen völlig harmlose kleinbürgerliche Reformisten geschwungen. Jedwede Kritik an der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, jede Infragestellung des Kapitalismus als System, wird programmatisch als „Stalinismus“ diffamiert. Es ist schon verwunderlich, daß Heuer als ein durchaus gewissenhafter Wissenschaftler, trotz seiner Erfahrungen als Mitglied des Bundestages mit dem „Rechtssystem“ der BRD, der mehrfach auf die Anwendung der historischen Analyse von Sachverhalten orientiert, so unkritisch die Lügen Chruschtschows und Gorbatschows über Stalin übernimmt. So habe die Rede Gorbatschows anläßlich des 70. Jahrestages der Oktoberrevolution „und die dort erfolgte Abrechnung mit Stalin“ ihm „die Flanke“ gestützt für seine „Auseinandersetzung mit Stalins Theorie.“8) Desgleichen erstaunlich ist die „Wertung“ Stalins von Eberhard Czichon und Heinz Marohn in ihrem ansonsten gut recherchierten Buch „Das Geschenk“. Leider sind sie ihrer richtigen These, wonach auch „die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte“ kritisch hinterfragt werden soll, bezüglich Stalins nicht gerecht geworden. Auch sie lehnen den Terminus „Stalinismus“ begründet ab. „Allerdings halten wir jeden Versuch, Stalins Politik und seine Verbrechen wie auch immer zu rechtfertigen oder auch nur zu verharmlosen und seine Ideologie als Lenins Erbe zu interpretieren, wissenschaftlich und politisch ebenso für unverantwortlich wie wir jede Anstrengung als unhistorisch zurückweisen, die Ursachen für die eingetretenen Deformationen beim Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft auf Lenin zurückführen zu wollen. Historisch hat sich erwiesen, daß Stalins Politik zu einer verhängnisvollen Deformation beim sozialistischen Aufbau führte.“9) Beweise für die „Verbrechen“ Stalins, für die „verhängnisvollen Deformationen“ der sozialistischen Gesellschaft sind nicht mehr erforderlich, sondern „historisch“ erwiesen! Und wehe dem, der dennoch wagt, die von der bürgerlichen antikommunistischen Publizistik, von Chruschtschow, Gorbatschow, Trotzkisten, Anarchisten und Revisionisten behaupteten „Verbrechen“ Stalins in Frage zu stellen, Stalins Schriften als bedeutenden Bestandteil der marxistisch-leninistischen Theorie zu würdigen. Mit diesen durch nichts bewiesenen Behauptungen haben Czichon und Marohn ihrerseits ein „Geschenk“ an die antikommunistische Historiographie gemacht, sind ihrer Verantwortung als marxistische Historiker nicht gerecht geworden. Die Liste von durchaus seriösen Wissenschaftlern, die glauben, den Kolporteuren antikommunistischer Lügen über Stalin noch immer Referenz erweisen zu müssen, ließe sich fortsetzen. Letztendlich kommt dabei heraus, wie auch schon behauptet wurde, daß die unbestreitbaren Erfolge der Sowjetunion „ohne“ - „trotz“ - „gegen“ Stalin erzielt wurden. So behauptete Ilja Ehrenburg allen Ernstes, daß die „viele(n) Heldentaten und Siege des Sowjetvolkes... wohl nicht ‘dank Stalins’, sondern ‘trotz Stalin’“ vollbracht wurden.10) Darstellungen, die der Flut antistalinscher Verleumdungen entgegenstehen, sind zur Zeit noch in der Minderheit. Aber Quantität ist bekanntlich kein Kriterium für historische Wahrheit. An erster Stelle sind hier die zahlreichen Schriften des Faschismusforschers Kurt Gossweiler zu nennen, von denen hier nur auf zwei verwiesen sei: „Wider den Revisionismus“ und die „Taubenfuß-Chronik“. Mit wissenschaftlicher Akribie sind hier die Behauptungen Chruschtschows, Gorbatschows und der Trotzkisten über Stalin als Lügen explizit widerlegt. Gossweiler gebührt das Verdienst, zu den ersten Kommunisten zu gehören, die die für die kommunistische Weltbewegung katastrophalen Auswirkungen des Anti-Stalinismus erkannt und den Kampf gegen diese verbrecherische Politik und Ideologie aufgenommen zu haben. „Der Anti-Stalinismus ist heute tatsächlich das größte Hindernis für den Zusammenschluß der Kommunisten, wie er gestern der Hauptfaktor der Zerstörung der kommunistischen Parteien und der sozialistischen Staaten war.“11) Eine historisch ausgewogene Einschätzung der Politik Stalins gab die Publizistin Sahra Wagenknecht in einem Artikel für die „Weißenseer Blätter“: Nicht zu leugnen ist, daß Stalins Politik - in ihrer Ausrichtung, ihren Zielen und wohl auch in ihrer Herangehensweise - als prinzipientreue Fortführung der Leninschen gelten kann. (Der „stalinistische“ Staatsaufbau existierte in seinen Grundzügen ohnehin bereits vor Stalins Machtantritt.) Welche Handlungsspielräume die Situation im damaligen Rußland bot, muß angesichts der konkret historischen Bedingungen untersucht werden. Eine solche Analyse wird vermutlich zu dem Schluß gelangen, daß weder in Bucharins Lösungsansatz noch in dem Trotzkis (um nur zwei prägnante Beispiele zu nennen) eine realisierbare Alternative zur Stalinschen Linie vorlag. Und was immer man - berechtigt oder unberechtigt - gegen die Stalin-Zeit vorbringen mag, ihre Ergebnisse waren jedenfalls nicht Niedergang und Verwesung, sondern die Entwicklung eines um Jahrhunderte zurückgebliebenen Landes in eine moderne Großmacht während eines weltgeschichtlich einzigartigen Zeitraums; damit die Überwindung von Elend, Hunger, Analphabetismus, halbfeudalen Abhängigkeiten und schärfster kapitalistischer Ausbeutung; schließlich der Sieg über Hitlers Heere, die Zerschlagung des deutschen und europäischen Faschismus sowie die Ausweitung sozialistischer Gesellschaftsverhältnisse über den halben europäischen Kontinent.12) Der parteilose Theologieprofessor Hanfried Müller, Herausgeber der „Weißenseer Blätter“, wies aus seiner Sicht mit Besorgnis auf die Auswirkungen des XX. Parteitages der KPdSU hin: Zu den Bedingungen, unter denen sich das Kräfteverhältnis zwischen Sozialismus und Imperialismus sowohl international zwischen den Staaten als auch je innenpolitisch zu Ungunsten des revolutionären Prozesses verschob, gehörten grundlegend die Fehlentscheidungen der KPdSU im Umkreis des XX. Parteitages. Sie erschütterten zutiefst das revolutionäre Selbstbewußtsein der ganzen kommunistischen Weltbewegung und damit zugleich das Zutrauen breiter antiimperialistischer Kräfte. Bis dahin überzeugte Kommunisten wurden zu Renegaten, und treue Bundesgenossen wandten sich voller Entsetzen ab. Danach fanden das sozialistische Lager und viele kommunistische Parteien in Europa nie wieder zu der Geschlossenheit und Prinzipien- Klarheit und -Festigkeit zurück, deren sie zur Selbstbehauptung und zu weiterem Wachstum in jeder Beziehung bedurft hätten.13) Bei dem umfangreichen Material erscheint es mir zweckmäßig, Stalins Beiträge zur Parteitheorie in zwei große Abschnitte zu untergliedern. Erstens, zur marxistisch-leninistischen Parteitheorie im allgemeinen, zweitens, der Kampf Stalins gegen die parteifeindliche Opposition in der KPdSU (B) von 1925 bis Ende der 30er Jahre. Im ersten Abschnitt werden die innerparteilichen Kämpfe nur soweit tangiert, wie zum Verständnis erforderlich. Den Kampf Stalins gegen feindliche Gruppierungen innerhalb der Partei in einem gesonderten Abschnitt darzustellen, erscheint mir dadurch gerechtfertigt, daß gerade dieser Kampf im Mittelpunkt bürgerlicher, revisionistischer, antistalinscher Publizistik steht. Es ist dabei unvermeidlich, daß das historisch-chronologische Prinzip dem theoretisch-logischen untergeordnet werden mußte. Diesen Nachteil mußte ich in Kauf nehmen. Grundfragen der marxistisch-leninistischen Parteitheorie Vorbemerkungen Um es vorweg zu nehmen: Das Verdienst der Ausarbeitung der Theorie der Partei neuen Typus gebührt Lenin. Alle Vorwürfe an die Adresse der „stalinistischen“ Partei sind an Lenin zu richten, was bürgerliche Autoren im Unterschied zu den Revisionisten und Trotzkisten auch tun. Die Revisionisten schlagen auf die „stalinistische“ Parteikonzeption ein und berufen sich dabei auf Lenin, so Chruschtschow, Gorbatschow und ihre Epigonen. Den Revisionisten geht es angeblich um die „Wiederherstellung“ der „Leninschen Normen“ des Parteilebens. Anders können sie Kommunisten nicht täuschen, sie nicht ideologisch entwaffnen und in das kapitalistische Gesellschaftssystem integrieren. Die PDS-Größen haben dabei Erstaunliches geleistet und ihre Partei folgerichtig in den politischen Bankrott geführt. Das gleiche trifft auf die Reformisten in den einst starken kommunistischen Parteien in Italien und Frankreich zu, die sie zur Bedeutungslosigkeit heruntergebracht haben. „Gut gewühlt, alter Maulwurf!“ Bezüglich der Parteifrage ist auf die Kontinuität von Marx - Lenin - Stalin hinzuweisen. Ein Vergleich der Statuten des Bundes der Kommunisten (1847), der Statuten der Internationalen Arbeiterassoziation (1864) mit den Statuten der KPR (B) weisen diese Kontinuität eindeutig nach.14) Die Grundideen, die in den genannten Dokumenten enthalten sind, bilden allgemeingültige Axiome einer Kommunistischen Partei: Proletarischer Charakter der Partei, Proletarischer Internationalismus, Führung der Arbeiterklasse durch die Partei/ihre Rolle als Avantgarde, Verbindung der Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus mit der spontanen Arbeiterbewegung; Errichtung der Diktatur des Proletariats als politischer Voraussetzung zur Aufhebung des Privateigentums an Produktions- und Zirkulationsmitteln, Aufhebung der Klassenteilung der Gesellschaft, demokratischer Zentralismus als Organisationsprinzip, Errichtung der sozialistischen und kommunistischen Gesellschaft. Sowohl die Statuten des Bundes wie die der KPdSU verlangten von ihren Mitgliedern „entsprechende Lebensweise und Wirksamkeit“, „revolutionäre Energie und Eifer der Propaganda“, „Bekennung des Kommunismus“ und „Unterwerfung unter die Beschlüsse“ der Partei. Auch die Statuten des Bundes der Kommunisten sahen bei Verletzung der Bedingungen der Mitgliedschaft den Ausschluß sowie auch den Schutz der Partei vor Diversanten vor. Die Kreisbehörden hatten über Verbrechen gegen den Bund zu richten und für die Vollstreckung der Urteile zu sorgen; verdächtige Subjekte seien zu überwachen und unschädlich zu machen.15) Neben der Kontinuität von der Marxschen zur Leninschen Parteiauffassung gibt es in letzterer allerdings auch Neues. Mit dem Übergang des Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Monopolkapitalismus und Imperialismus, dem hohen Grad der Konzentration von Produktion und Kapital, dem hohen Organisationsgrad der imperialistischen Herrschaftsapparate und der Kriegsgefahr nahm die Organisationsfrage bei Lenin einen höheren Stellenwert ein als im 19. Jahrhundert. Mit dem Imperialismus begann die Epoche der Kriege und proletarischen Revolutionen, des „Erwachens Asiens“, die einen Epochenwandel einleiteten. Insofern war die Partei neuen Typus eine Höherentwicklung zur Marxschen Partei des 19. Jahrhunderts. Mit der Herausbildung von Großbetrieben mit mehr als 1.000 Arbeitern und Angestellten reichte auch das Territorialprinzip der Organisation nicht mehr aus. Es kam zusätzlich zur Bildung von Betriebsparteiorganisationen, die eine engere Verbindung zwischen Partei und Arbeitern/Angestellten direkt am Arbeitsplatz ermöglichten. Das Fraktionsverbot (X. Parteitag der KPR/B) März 1921 innerhalb der Partei erwies sich zum Schutz der Partei, zur Wahrung ihres Charakters nach der Eroberung der politischen Macht in Rußland als notwendig, stellt jedoch kein allgemeingültiges Axiom der Parteitheorie dar. Der Begriff „Partei neuen Typus“ ist in den Schriften Lenins bis 1915 nicht zu finden. Meines Wissens erscheint er erstmalig in seinem Artikel „Was weiter? (Über die Aufgaben der Arbeiterparteien gegenüber Opportunismus und Sozialchauvinismus)“ vom Januar 1915: „Der Typus der sozialistischen Parteien der Epoche der II. Internationale war die Partei, die in ihrer Mitte einen Opportunismus duldete, der sich in den Jahrzehnten der ‘friedlichen’ Periode immer mehr ausbreitete, aber im Verborgenen blühte, der sich den revolutionären Arbeitern anpaßte, von ihnen ihre marxistische Terminologie übernahm und jeder klaren, prinzipiellen Abgrenzung aus dem Weg ging. Dieser Typus hat sich überlebt.“16) Bezüglich der europäischen Parteien meinte Lenin 1922, daß die „Umgestaltung des alten Typus der parlamentarischen, in Wirklichkeit reformistischen und nur leicht revolutionär übertünchten europäischen Partei zu einem neuen Typus der Partei, zu einer wirklichen revolutionären, wirklich kommunistischen Partei eine außerordentlich schwierige Sache sei.“17. Seit dieser Zeit wird die Leninsche Partei als „Partei neuen Typus“ bezeichnet. Der englische Historiker Eric Hobsbawm schreibt: „Die Macht der revolutionären Bewegungen beruhte auf der kommunistischen Organisationsform nach Lenins ‘neuen Parteitypus’, einer gewaltigen Innovation für die Gesellschaftskonstruktion des 20. Jahrhunderts, vergleichbar nur mit der Begründung der christlichen Klosterkultur und anderer Orden des Mittelalters. Selbst kleine Organisationen konnten dadurch unverhältnismäßig starke Wirkungskraft entfalten, denn mehr noch als militärische Disziplin und Zusammenhalt gelang es der ‘Partei’, von ihren Mitgliedern ein außerordentliches Maß an Hingabe und Selbstaufopferung und die vollständige Konzentration auf die unbedingte Ausführung aller Parteibeschlüsse einzufordern. Sogar gegnerische Beobachter waren davon tief beeindruckt.“18) Die „Partei neuen Typus“ ist ihrem Wesen nach die alte Partei von Marx und Engels unter den Bedingungen des Imperialismus, der proletarischen Revolutionen und des Aufbaus des Sozialismus. Sie wurde geschaffen im Kampf gegen Revisionismus, Trotzkismus, Anarchismus und anderen Abweichungen vom Marxismus. An der Ausarbeitung und Politik der Partei neuen Typus durch Lenin hatte Stalin mit eigenständigen Beiträgen einen Anteil. 1.1. Parteifragen vor der Oktoberrevolution 1.1.1. Verbindung der sozialistischen Ideologie mit der spontanen Arbeiterbewegung Erste Äußerungen Stalins zur Parteitheorie finden sich in dem Artikel „Die Sozialdemokratische Partei Rußlands und ihre nächsten Aufgaben“ in der Zeitung „Brdsola“ („Der Kampf“) Nr. 2/3, November/Dezember 1901. Dieser Artikel trägt keine Unterschrift, was unter den Bedingungen der Illegalität ganz normal war. Isaak Deutscher meint, daß dieser Artikel „wahrscheinlich“ von mehreren Autoren geschrieben worden sei, daß Stalin aber „wahrscheinlich“ „maßgeblich mitgearbeitet“ habe.19) Deutscher erklärt aber nicht, wie er zu dieser Annahme gelangt. Auf diese Weise kann man die Autorenschaft vieler Artikel - nicht nur von Stalin - in Frage stellen, die unter illegalen Bedingungen geschrieben wurden und deren Verfasser allen Grund hatten, ihre Artikel nicht oder nur mit einem Pseudonym zu unterzeichnen. Einleitend erfolgt eine historisch-kritische Würdigung der westeuropäischen utopischen Sozialisten, R. Owen, Louis Blanc, Fourier. Da Stalin als Georgier neben seiner Muttersprache nur eine Fremdsprache, Russisch, beherrschte, konnte er Kenntnisse über die westeuropäischen Utopisten nur über Übersetzungen erhalten haben. Deutscher muß einräumen, daß Stalin, wenn auch aus „zweiter Hand“, die Entwicklung der westeuropäischen, besonders der deutschen, Sozialdemokratie „sehr genau“ verfolgte.20) Die Hauptaufgabe der russischen Sozialdemokratie sah Stalin in völliger Übereinstimmung mit Lenin darin, „das Klassenbewußtsein der Arbeiter zu entwickeln... den getrennten und zersplitterten Kampf einzelner Arbeitergruppen gegen die einzelnen Unternehmer zu vereinigen, ihn zu einem gemeinsamen Klassenkampf zu verschmelzen... .“21) Es ist hier der Gedanke von der Verbindung der sozialistischen Ideologie mit der spontanen Arbeiterbewegung, den Lenin zur gleichen Zeit in der „Iskra“ und ein Jahr später in seiner Schrift „Was tun?“ ausführlich begründete, enthalten. In diesem Kontext kritisierte Stalin die „sogenannten Bernsteinianer“, für die die Bewegung alles, das Endresultat nichts sei. So wandte sich Stalin gegen die „Groschenpolitik“ der russischen Revisionisten, wie sie in einem Artikel in der Petersburger Zeitung „Rabotschaja Myssl“ zum Ausdruck kam, wonach „Unser politisches Programm... im ‘Zehnstundentag’ und der ‘Wiedereinführung der durch das Gesetz vom 2. Juni (1897 UH) abgeschafften Feiertage’“ bestünde.22) Stalin orientierte die Partei auf den Übergang von der Propaganda in Zirkeln und ökonomischen Streiks zum politischen Kampf, zur politischen Agitation. Die zaristische Selbstherrschaft unterdrücke nicht nur die Arbeiter, sondern auch die Bauern, die nichtrussischen Nationen und Nationalitäten und die Angehörigen anderer Glaubensbekenntnisse, die mögliche Bündnispartner in einer demokratischen Revolution seien können. Er kritisierte die Taktik der Bourgeoisie, den Kampf gegen den Zarismus auf dem Rücken der Arbeiter auszutragen, um dann selbst die politische Macht zu übernehmen. Die Bourgeoisie aller Länder und Nationen verstünde es sehr wohl, „mit fremden Fingern die Glut aus dem Ofen kratzen zu lassen... .“ Sie räume „mit Vergnügen der Arbeiterklasse und überhaupt dem einfachen Volk das Recht ein, den Rücken hinzuhalten, wo die Peitschen der Kosaken sausen oder die Kugeln der Soldaten pfeifen, auf den Barrikaden zu kämpfen... .“ Sie „sympathisiere“ mit diesem Kampf und „empöre“ sich über die „Grausamkeiten“ des Feindes. Aber erst wenn die „Ohnmacht des Feindes“ klar erkennbar sei, ginge sie selbst zu revolutionären Maßnahmen über.23) An anderer Stelle ging Stalin auf das Verhältnis der Arbeiter zur Bourgeoisie ein. Die Bourgeoisie räume den Arbeitern lediglich die „Rolle einer Hilfskraft“ ein. Die Arbeiterbewegung solle sich auf den ökonomischen Kampf beschränken, den politischen Kampf jedoch der „Intelligenz“ überlassen. Wie die Geschichte lehre, sollten die Arbeiter nur „für die Bourgeoisie die Kastanien aus dem Feuer“ holen. Die Bourgeoisie lebe in „ständiger Furcht vor dem ‘roten Gespenst des Kommunismus’“ und bemühe sich „in allen Revolutionen die Sache dort enden zu lassen, wo sie eigentlich erst beginnt.“24) Damit war bereits 1901 die Frage nach dem Hegemon in der bürgerlich-demokratischen Revolution unter den neuen Bedingungen des Imperialismus beantwortet. Stalin orientierte auf die „führende Rolle“ der Arbeiterklasse in der bürgerlich-demokratischen Revolution, und damit die Arbeiterklasse diese führende Rolle übernehmen könne, bedürfe es der selbständigen politischen Partei.“25) Ein Teil der Studenten kämpfe mit Entschlossenheit für seine Forderungen. Man dürfe aber nicht vergessen, daß auch dieser Teil aus den Söhnen der unterdrückten Bürger besteht. Solange die Studentenschaft noch nicht im praktischen Leben aufgegangen, noch keine bestimmte gesellschaftliche Stellung eingenommen habe, neige sie idealen Bestrebungen zu, riefe sie „zum Kampf für die Freiheit“ auf. Die Studenten traten in dieser Zeit (vor 100 Jahren in Rußland UH) in der demokratischen Bewegung „fast als Leiter, als Vortrupp“ auf, um die sich „der unzufriedene Teil der verschiedenen Gesellschaftsklassen“ gruppierte. Die Regierung zog streikende Studenten als Rekruten ein. Die Studenten gingen zu Straßendemonstrationen über. Aus den politischen Demonstrationen - nicht nur derjenigen der Studenten - gewann Stalin die Einsicht, daß sie nicht niedergeschlagen werden können. Das gemeinsame Banner, unter denen die Demonstrationen verliefen und die die Teilnehmer aus verschiedenen Klassen vereinigte, war der Sturz der Selbstherrschaft. Selbst wenn die Straßendemonstrationen auch keine direkten Resultate zeigten, die Regierung so manches Mal als Sieger hervorginge, so seien dies „Pyrrhussiege“. „Noch einige solcher Siege - und die Niederlage des Absolutismus ist sicher.“ Die Staatsgewalt sei genauso überzeugt, wie wir, daß die Straßenagitation das Todesurteil für sie sei, „daß nur noch zwei bis drei Jahre zu vergehen brauchen, bis sich das Gespenst der Volksrevolution vor ihr erhebt.“26) Eine bemerkenswerte Prognose des 22jährigen Stalins. Vier Jahre später erhoben sich die werktätigen Massen Rußlands zur demokratischen Revolution. Deutscher meint zu dieser Arbeit des Zweiundzwanzigjährigen, daß sie „kein literarisches Meisterwerk“ sei, verglichen mit den Arbeiten Lenins und Plechanows, aber für kaukasische Verhältnisse sei sie eine Leistung. Der Aufsatz in „Brdsola“ gehöre „zum Besten, was Stalin innerhalb eines halben Jahrhunderts geschrieben“ habe.27) Aus den beiden „Briefen aus Kutais“ vom Oktober 1904 gehen die enge Verbindung und der Gedankenaustausch zwischen Lenin und Stalin bezüglich von Grundfragen der Parteitheorie deutlich hervor. Es ging um das Verhältnis von Spontaneität und Bewußtsein. Die Theorie des Sozialismus kann nicht spontan aus der Bewegung der Massen entstehen. Sie wird „‘ganz unabhängig von der Entwicklung der spontanen Bewegung’ ausgearbeitet, sogar trotz dieser Bewegung, und danach erst in diese Bewegung von außen hineingetragen, wobei sie die Bewegung entsprechend ihrem Inhalt korrigiert, d.h. entsprechend den objektiven Anforderungen des Klassenkampfes des Proletariats.“ Das Proletariat muß „zum Bewußtsein der wahren Klasseninteressen“, zur „Erkenntnis des sozialistischen Ideals“ geführt werden.28) Der Hintergrund dieser Briefe aus Kutais war die Auseinandersetzung Lenins mit Kautsky, Rosa Luxemburg, Plechanow, Axelrod und Wera Sassulitsch bezüglich des Problems „Führer und Massen“, bewußte Führung der Massen durch die Partei, oder „Spontaneitätstheorie“, nach der die Führer den spontanen Kämpfen der Massen folgen.29) 1.1.2. Zur Organisationsfrage Von Bedeutung für die Ausarbeitung der Leninschen Parteitheorie war die Arbeit von Stalin „Die Klasse der Proletarier und die Partei der Proletarier (Zu Punkt 1 des Parteistatuts)“ vom 1. Januar 1905. Auf dem II. Parteitag der SDAPR (17. Juli bis 10. August 1903 in Brüssel und London) kam es zu einer scharfen Kontroverse zwischen den marxistischen Kräften und den Opportunisten in der Partei. Der Streit entzündete sich um eine entscheidende Organisationsfrage der Partei, der Frage nach der Mitgliedschaft in der Partei, um die Formulierung des $ 1 des Parteistatuts. Auf diesem Parteitag bildeten sich die beiden Strömungen heraus, Bolschewiki und Menschewiki, die Leninisten und Opportunisten, die sich unversöhnlich gegenüberstanden. Auf der Prager Parteikonferenz 1912 führte dieser Kampf zur Trennung der Bolschewiki von den Menschwewiki. „Die Meinungsverschiedenheiten“, schrieb Lenin, „die diese beiden Flügel gegenwärtig voneinander trennen, laufen hauptsächlich nicht auf programmatische und nicht auf taktische, sondern nur auf organisatorische Fragen hinaus.“ Lenin bezeichnete das „System der Anschauungen“ der um Martow gruppierten Genossen als „Opportunismus in organisatorischen Fragen.“30) Stalin war auf dem Parteitag nicht anwesend und konnte sich erst mit diesem Artikel zu Wort melden. Die Protokolle des II. Parteitages muß er gekannt haben, sonst hätte er sich in seinem Artikel nicht so ausführlich mit den Auffassungen Martows auseinandersetzen können. Ob er Lenins Schrift „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück“, veröffentlicht im Mai 1904, kannte, muß ich offen lassen. Er hat Lenin nur einmal angeführt, während er sich mit Martow sehr ausführlich auseinandergesetzt hat. Die Argumentation Stalins gegen Martow unterscheidet sich auch von der Lenins. Sie ist in einigen Aspekten noch schärfer. Stalin faßte die Partei der Proletarier als eine „Kampfgruppe von Führern“ auf. Erstens muß sie nach ihrer Mitgliederzahl viel kleiner sein als die Klasse der Proletarier, sie muß zweitens nach ihrem Klassenbewußtsein und ihrer Erfahrung nach höher stehen als die Klasse der Proletarier, sie muß drittens eine geschlossene Organisation darstellen. Stalin betonte die Partei als eine „geschlossene zentralisierte Organisation“, damit sie das kämpfende Proletariat nach einem einheitlichen Plan führen kann.31) Unter diesem Aspekt „geschlossene, zentralisierte Organisation“ stellte Stalin die Frage nach der Mitgliedschaft, dem § 1 des Parteistatuts. Die Einheit von programmatischen, taktischen und organisatorischen Ansichten ist der Boden der Partei. Nur auf der Einheit dieser drei Ansichten können sich die Parteimitglieder zu einer zentralisierten Partei zusammenschließen. „Zerfällt die Einheit der Ansicht, so zerfällt auch die Partei.“ Folglich kann nur Parteimitglied sein, der das Parteiprogramm, die Taktik, das Organisationsprinzip „restlos akzeptiert.“32) Gegen Schwätzer gewandt, die in einer Kampfpartei nichts zu suchen haben, müsse ein Parteimitglied darangehen, die genannten Ansichten auch zu verwirklichen, sie in die Tat umzusetzen. Die Partei sei eine Organisation von Führern, keine Anhäufung von Einzelgängern.33) Von den Parteimitgliedern sei zu fordern, daß die „persönlichen Interessen mit den Interessen der Partei verschmelzen.“ Die Partei sei „eine Festung“, deren Tore sich nur Erprobten öffnen.34) Ausführlich wandte er sich gegen Martow, dessen Formulierung des § 1 die Partei jedem Sympathisierenden öffnen würde, von dem nicht verlangt werde, in einer Parteiorganisation und unter deren Kontrolle mitzuarbeiten, also nicht der Parteidisziplin unterworfen wäre. In Übereinstimmung mit Lenin argumentierte Stalin, daß Professoren und Studenten, denen die Unterordnung unter die Parteidisziplin schwer falle, „die sich nicht entschließen können, ihre Wünsche den Wünschen der Partei unterzuordnen“, nicht in die Partei aufgenommen werden können. Martow, dem es gerade um die Aufnahme von diesen Intellektuellen ginge, ohne von ihnen die Unterordnung unter die Parteidisziplin zu fordern - da sie sonst der Partei fernbleiben würden - öffnete damit die Türen dem Opportunismus, „zu einer Zeit, wo Tausende von Feinden das Klassenbewußtsein des Proletariats bedrängen.“35) Aus dem in diesem Halbsatz genannten Sachverhalt ergibt sich offenbar die Schärfe der Stalinschen Argumentation. Stalin erlebte die Unterdrückung durch die Selbstherrschaft am eigenen Leibe. Er war häufig in der Verbannung, in Gefängnissen oder auf der Flucht. Er mußte unter den Bedingungen der Illegalität arbeiten, ständig auf der Hut sein. Unter diesen Bedingungen konnte die Partei tatsächlich nur existieren, kämpfen und das Proletariat führen, wenn sie zentralistisch organisiert wurde und eine eiserne Disziplin herrschte. Für intellektuelle „Sympathisanten“, die die Disziplin nur vor den anderen, den den „niederen Klassen“ angehörenden Parteimitgliedern verlangten, selbst aber „über den Dingen“ standen, war in einer revolutionären Kampfpartei unter den genannten Bedingungen kein Platz. Stalin war sich darüber im klaren, daß es einem Menschen schwer falle, sich mit diesen Bedingungen einverstanden zu erklären, „ist es doch kein Spaß, seine Wünsche den Wünschen der Partei unterzuordnen.“36) Stalin ging in seinen Forderungen offenbar über die von Lenin in seiner Schrift „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück“ formulierten noch hinaus. Lag die Ursache dafür darin, daß Stalin den Kampf in der Illegalität unter den w.o. genannten Bedingungen führte, während Lenin in der Emigration - sicher auch kein Vergnügen - deren Druck nicht unmittelbar ausgesetzt war? Stalin wies selbst darauf hin, daß er sich in seinen Formulierungen von Lenin unterschied: „In Martows Formulierung ist, wie wir wissen, nur von der Annahme des Programms die Rede, von der Taktik und der Organisation aber kein Wort, während für die Einheit der Partei die Einheit der organisatorischen und taktischen Ansichten in demselben Maße notwendig ist wie sie Einheit ihrer programmatischen Ansichten. Man wird uns sagen, auch in der Formulierung des Genossen Lenin werde hiervon nicht ge­sprochen. Richtig! Aber in der Formulierung des Genossen Lenin ist es ja auch nicht notwendig, darüber zu sprechen! Ist es nicht von selbst klar, daß derjenige, der in einer der Parteiorganisationen arbeitet, also auch gemeinsam mit der Partei kämpft und sich der Parteidisziplin fügt, keiner anderen Taktik und keinen anderen Organisationsprinzipien fol­gen kann als der Taktik der Partei und den Organisationsprinzipien der Partei? Was aber werdet ihr von einem „Parteimitglied“ sagen, das das Parteiprogramm akzeptiert hat, jedoch keiner Parteiorganisation angehört? Welche Garantie ist gegeben, daß dieses „Mitglied“ die Taktik und die organisatorischen Ansichten der Partei vertreten wird, und keine anderen?! Das ist es, was uns Martows Formulierung nicht er­klären kann! Martows Formulierung muß die Folge haben, daß uns eine seltsame „Partei“ in den Händen bleibt, deren „Mitglieder“ das gleiche Programm haben (das ist noch eine Frage!), während ihre taktischen. und organisatorischen Ansichten verschieden sind! Eine ideale Vielfäl­tigkeit. Wodurch wird sich dann unsere Partei von einem Bankett unterscheiden?“37) Die Frage der Parteidisziplin beschäftigte Lenin und Stalin noch in weiteren Schriften. 1.1.3. Über das „Hereintragen“ des sozialistischen Bewußtseins in die Arbeiter­klasse Ein Jahr später, April/Mai 1905 setzte sich Stalin erneut mit Parteifragen in seiner Broschüre „Kurze Darlegung der Meinungsverschiedenheiten in der Partei“ auseinander.38) In Übereinstimmung mit Lenin ging Stalin davon aus, daß nur zwei Ideologien in unserer Zeit existieren, die bürgerliche und die sozialistische. Die bürgerliche Ideologie sei viel älter, verbreiteter, habe tiefere Wurzeln im Leben geschlagen als die sozialistische. Das gesellschaftliche Leben sei von der bürgerlichen Ideologie „durchtränkt.“ Es sei viel leichter, die bürgerliche Ideologie zu verbreiten als die sozialistische.39) Diese Feststellung galt nicht nur für das Rußland im Jahre 1905. Das Verhältnis in der Durchsetzung der sozialistischen Ideologie gegenüber der bürgerlichen ist abhängig von ganz konkreten Bedingungen. Nach der Zerstörung des europäischen Sozialismus ist es in Europa und in den USA sehr schwierig, im Kampf gegen die übermächtig erscheinenden bürgerlichen Medien die sozialistische Ideologie wenigstens in Grundzügen noch zu behaupten. Auch in unserer Zeit ist die Gesellschaft von der bürgerlichen Ideologie, man kann sagen, „von Kopf bis Zeh“, durchtränkt. Insofern ist die Auseinandersetzung zwischen Bolschewiki und Menschewiki in Rußland vor hundert Jahren noch immer aktuell. Die bürgerlichen Ideologen würden „nicht schlummern“, sie verkleiden sich auf ihre Art als Sozialisten und versuchen unermüdlich, die Arbeiterklasse der bürgerlichen Ideologie zu unterwerfen.40) Die Rolle, die damals die Menschewiki in der russischen und internationalen Arbeiterbewegung spielten, haben heute die „Reformer“ in der PDS und in vormals starken europäischen kommunistischen Parteien übernommen. Die Arbeiterklasse fühle sich spontan zum Sozialismus hingezogen, aber die bürgerliche Ideologie dränge sich trotzdem spontan dem Arbeiter auf. Darum müsse die Partei die Arbeiterbewegung mit dem Sozialismus vereinigen. Die Arbeiterklasse würde sich natürlich „irgendeinmal, nach langen Irrungen und Qualen“ durch die spontane Bewegung auch „ohne Hilfe der Sozialdemokratie durchsetzen, bei den Toren der sozialen Revolution anlangen.“41) Der wissenschaftliche Sozialismus sei ohne Arbeiterbewegung nichts, aber die Arbeiterbewegung sei ohne wissenschaftlichen Sozialismus ein Schiff ohne Kompaß, „das auch so am andern Ufer landen wird...“ jedoch mit dem Kompaß ginge es schneller.42) Diese Aussagen, wonach die spontane Bewegung auch zum Sozialismus führen würde, ist heute, nach hundert Jahren, nicht mehr aufrechtzuerhalten. Eine ähnliche Aussage habe ich in späteren Arbeiten von Lenin und Stalin auch nicht mehr gefunden. Der Schwerpunkt der Argumentation lag bei Lenin („Was tun?“) und Stalin auf der Begründung der Notwendigkeit des Hineintragens der sozialistischen Ideologie in die Arbeiterklasse, der Verbindung von sozialistischer Theorie mit der spontanen Arbeiterbewegung, da sich die Arbeiter spontan nicht den wissenschaftlichen Sozialismus aneignen können. Die Theorie wird von Intellektuellen ausgearbeitet, von Wissenschaftlern, die über die nötige Ausbildung, über das Wissen ihrer Zeit verfügen. Die Theorie entsteht außerhalb der Arbeiterbewegung und muß in diese hineingetragen werden. Damit wandte sich Stalin wieder der Frage nach den Gelehrten, den Intellektuellen zu. Die Intellektuellen entstammten zum überwiegenden Teil dem Bürgertum. „Der größte Teil der Gelehrten“, meinte Stalin, betrachte die Arbeiterbewegung als „eine Rebellion Widerspenstiger“, „die man mit der Peitsche zur Vernunft bringen sollte.“ Andere meinten, es sei „Pflicht der Reichen“, „den Armen irgendwelche Brosamen zuzuteilen, betrachteten die Arbeiterbewegung als eine „Bewegung von Bettlern, deren Ziel es sei, Almosen zu erhalten.“ Unter „tausend solcher Gelehrten wird sich vielleicht nur einer finden, der an die Arbeiterbewegung wissenschaftlich herangeht.“43) Stalin zitierte aus einem Artikel Kautskys, der in Lenins „Was tun?“ abgedruckt war, wonach das „moderne sozialistische Bewußtsein“ nur „auf Grund tiefer wissenschaftlicher Einsicht“ entstehen kann. „Träger der Wissenschaft ist aber nicht das Proletariat, sondern die bürgerliche Intelligenz.“ In „einzelnen Mitgliedern“ dieser Schicht sei der moderne Sozialismus entstanden und durch sie erst „geistig hervorragenden Proletariern“ vermittelt worden, „die ihn dann in den Klassenkampf des Proletariats hineintragen. Das sozialistische Bewußtsein sei also etwas von außen in den Klassenkampf des Proletariats Hineingetragenes“, es sei nicht „urwüchsig“ in ihm entstanden.44) Desgleichen berief sich Stalin auf eine andere Aussage von Kautsky (zitiert bei Lenin: „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück“, UH) bezüglich der Parteidisziplin. Der Proletarier sei nichts als isoliertes Individuum. Seine Kraft, Erwartungen und Hoffnungen schöpfe er aus der Organisation. Daraus folge, daß der Proletarier „sein Pflicht auf jeden Posten, auf den er gestellt wird, in freiwilliger Disziplin“ erfülle. Der Literat dagegen füge sich nur mit großer Mühe der Parteidisziplin, nur aus Nötigung und nicht aus gutem Willen. „Die Notwendigkeit der Disziplin erkennt er nur für die Masse, nicht für auserlesenen Geister an.“ Er selbst rechnet sich natürlich zu den letzteren.45) Bezüglich der Rolle der Intellektuellen in der Arbeiterbewegung zeigt sich auch hier Kontinuität von Marx/Engels zu Lenin und Stalin, auch über Kautsky, solange letzterer noch Marxist war. In dem bekannten „Zirkularbrief“ von Marx und Engels an Bebel, Liebknecht, Bracke und andere vom 17./18. September 1879 unterbreiteten sie Kriterien für die Aufnahme von Intellektuellen aus dem Bürgertum in die Partei: „1. müssen diese Leute, um der proletarischen Bewegung zu nutzen, auch wirkliche Bildungselemente mitbringen.“ 2. dürfen sie „keine Reste von bürgerlichen, kleinbürgerlichen etc. Vorurteilen mitbringen, sondern sich die proletarische Anschauungsweise unumwunden aneignen.“ Solche Intellektuellen, die in bürgerlichen und kleinbürgerlichen Vorstellungen befangen sind, sind „in einer Arbeiterpartei... ein fälschendes Element. Sind Gründe da, sie vorderhand darin zu dulden, so besteht die Verpflichtung, sie nur zu dulden, ihnen keinen Einfluß auf Parteileitungen zu gestatten, sich bewußt zu bleiben, daß der Bruch mit ihnen nur eine Frage der Zeit ist.“ In einem kleinbürgerlichen Land wie Deutschland hätten sie das Recht, sich als „sozialdemokratische Kleinbürgerpartei“ zu konstituieren, mit denen man ja verhandeln und je nach Umständen Kartell schließen könne.46) Es ist interessant, daß schon in dieser Zeit ein Vertreter der kaukasischen Menschewiki behauptete, daß der „Leninismus dem Marxismus von Grund aus widerspricht.“47) Diese Behauptung ist also nicht neu, inzwischen schon hundert Jahre alt. Ist der Begriff „Leninismus“ vielleicht von einem Menschewiki erstmalig geprägt worden? Deutscher meint zu diesem Artikel Stalins, es gäbe „...kein Zweifel darüber, daß Stalin ein unerbittlicher Leninist war.“48) Dem ist zuzustimmen. Es gab demnach auch bei Deutscher keinen Bruch zwischen Leninscher und Stalinscher Parteitheorie. Die Fragen Zentralismus - Mitgliedschaft in der Partei - Verbindung von wissenschaftlichem Sozialismus mit der spontanen Arbeiterbewegung - sozialistische und bürgerliche Ideologie wurden in mehreren Artikeln sowohl von Lenin als auch von Stalin wiederholt behandelt, wobei auch neue Aspekte hinzugefügt wurden. So in Stalins Artikel „Antwort an den ‘Sozialdemokrat’“ vom 15. August 190549), den Lenin in einem Artikel vom 24. Oktober 1905 kurz reflektierte, wobei er die „ausgezeichnete Fragestellung über das berühmte ‘Hineintragen des Bewutßtseins’“ hervorhob.50) Es geht hierbei weniger um die Anerkennung des Artikels von Stalin durch Lenin, als um den Nachweis der Zusammenarbeit Lenins mit Stalin bei geographisch räumlicher Trennung und unter den Bedingungen der Illegalität für Stalin in dieser Zeit, um den Nachweis der Übereinstimmung, der Kontinuität von Lenin zu Stalin. Auch in diesem Artikel berief sich Stalin auf Kautsky und Lenin in der Auseinandersetzung mit den Menschewiki. Stalin ging von „zwei großen Klassen“ aus, zwischen denen „ein Kampf auf Leben und Tod“ geführt werde. Die Lebensbedingungen der Bourgeoisie zwinge diese, die kapitalistischen Zustände zu festigen. Die Lebensbedingungen des Proletariats wiederum zwinge es, diese kapitalistischen Zustände aus der Welt zu schaffen. Entsprechend dieser beiden Klassen werde ein zweifaches Bewußtsein herausgearbeitet, das bürgerliche und sozialistische. Wenn es keinen Kapitalismus und keinen Klassenkampf gäbe, würde es auch kein sozialistisches Bewußtsein geben. Wenn auch der wissenschaftliche Sozialismus von einigen wenigen sozialdemokratischen Intellektuellen ausgearbeitet und über die Partei das sozialistische Bewußtsein in die Arbeiterbewegung hineingetragen werde, dürfe man nicht daraus schließen, daß „es nur Intellektuelle in der sozialdemokratischen Partei“ gäbe. In der Partei gäbe es mehr fortgeschrittene Arbeiter als Intellektuelle. Mit der Entstehung des Proletariats, meint Kautsky, entstünden zugleich auch sozialistische Tendenzen, kämen sozialistische Bestrebungen auf. Diese sozialistischen Bestrebungen entstünden von selbst, aber diese Bestrebungen, diese sozialistischen Tendenzen dürfen nicht mit sozialistischem Bewußtsein verwechselt werden. Letzteres müsse, auch nach Kautsky, von außen in die Arbeiterklasse hineingetragen werden.51) Diese von Kautsky, Lenin und Stalin mehrfach ausführlich begründete Notwendigkeit des Hineintragens des sozialistischen Bewußtseins durch die Partei in die spontane Arbeiterbewegung wird bis in die Gegenwart auch von Kommunisten angefochten. So meint der Sprecher der Bundeskoordination der Kommunistischen Plattform in der PDS, Friedrich Rabe: „Revolutionäres Bewußtsein entsteht in der Arbeiterklasse im Prozeß der Auseinandersetzung mit den täglichen Widersprüchen. Die These von der Möglichkeit, Bewußtsein in die Arbeiterklasse hineintragen zu können, trägt zutiefst idealistischen Charakter. Sie vermittelt die Illusion, den Zeitpunkt gesellschaftlicher Veränderungen selbst bestimmen zu können. Eine große historische Leistung ist es bereits, wenn es gelingt den Zeitpunkt zu erkennen, in dem sich qualitative gesellschaftliche Veränderungen anbahnen, um Einfluß auf ihre Entwicklungsrichtung zu nehmen.“ Die Begründung des „idealistischen Charakters“ der These vom „Hineintragen“ bleibt Genosse Rabe schuldig. Niemand hat behauptet, durch das „Hineintragen“ den Zeitpunkt gesellschaftlicher Veränderungen bestimmen zu können. Wenn er diese Illusion hat, ist dies seine Sache. Jedenfalls hat die Politik des Hineintragens maßgeblich zur Bildung marxistisch-leninistischer Parteien im internationalen Maßstab beigetragen, und diese Parteien waren solange erfolgreich, bis sie von Revisionisten von innen zerstört werden konnten. Offenbar will aber auch Genosse Rabe „Einfluß“ auf „Entwicklungsrichtungen“ nehmen. Wie denn? Nicht „von außen“? Stalin ging in seinem Artikel weiter auf die Ursachen der Spaltung der Partei in Bolschewiki und Menschewiki ein. Niemand habe die Menschewiki daran gehindert, „einen Kampf der Ideen und Prinzipien zu führen. Haben ihnen etwa die Bolschewiki nicht gesagt: Schafft ein besonderes Organ und verteidigt eure Ansichten, die Partei kann euch ein solches Organ zur Verfügung stellen...?“52) Die Menschewiki wären damit nicht einverstanden‚ sie zögen den Kampf „um Sitze“, d.h. in den damaligen Vertretungskörperschaften, der Dumas, vor. Stalin sah die Ursachen der Spaltung in der politischen Charakterlosigkeit der menschewistischen Führer, die er auch begründete: Nimmt man solche Züge zusammen, wie politische Charakterlosigkeit, Kampf um der Sitze willen, Unstandhaftigkeit, Prinzipienlosigkeit und andere derartige Eigenschaften, so erhalten wir eine gewisse all­gemeine Eigenschaft - intelligenzlerische Wankelmütigkeit, an der vorallem Intellektuelle leiden. Es ist klar, daß intelligenzlerische Wankel­mütigkeit der Boden (die Basis) ist, auf der der „Kampf um der Sitze willen“, „Prinzipienlosigkeit“ und dergleichen mehr entsteht. Die Unstatthaftigkeit der Intellektuellen aber ist bedingt durch ihre gesell­schaftliche Lage. So erklären wir die Parteispaltung.53) Damit war die Parteispaltung sowohl aus objektiven Ursachen, der „gesellschaftlichen Lage“ der Intellektuellen, als auch aus der sich daraus ergehenden „intelligenzlerischen Wankelmütigkeit“, aus psychologischen Ursachen erklärt, in Übereinstimmung mit Kautsky und Lenin. 1.1.4. Anarchismus oder Sozialismus In dieser gleichnamigen Artikelserie, geschrieben Juli 1906 bis April l90754), unterschied Stalin im Sozialismus drei Hauptströmungen: Reformismus, Anarchis­mus und Marxismus. Da seine Arbeit auf die Auseinandersetzung mit dem Anarchismus gerichtet war, der zu dieser Zeit im Kaukasus unter einem Teil des Kleinbürgertums, aber auch unter Arbeitern, verbreitet war, begnügte er sich gegenüber dem Reformismus mit der Bemerkung, daß dieser „von Tag zu Tag immer mehr alle sozialistischen Kennzeichen“ verlöre.55) Stalin wandte sich gegen die Auffassung, daß Marxismus und Anarchismus ein und dieselben Prinzipien hätten, es zwischen ihnen lediglich taktische Meinungsverschiedenheiten gäbe. Dies sei ein großer Irrtum. „Wir sind der Auffassung, daß die Anarchisten richtige Feinde des Marxismus sind.“55a) Mit dieser anscheinend sehr apodiktischen Charakterisierung des Anarchismus befand sich Stalin auch hier in völliger Übereinstimmung mit Marx und Engels. Mit dem Anarchismus - im 19. Jahrhundert mit Proudhon und vor allem mit Bakunin - hatten sich Marx und Engels mehrfach auseinanderzusetzen. Ihre Artikel gegen den Anarchismus Bakunins aus den Jahren 1872 - 1874 umfassen allein im Band 18 der Werksausgabe (MEW) über 300 Seiten, über ein Drittel des gesamten Bandes.55b) Bakunin und seine Anhänger waren keineswegs erfolglos in ihrer Arbeit, die Internationale Arbeiter-Assoziation (IAA) von innen zu zersetzen. Ihre Tätigkeit hatte wesentlich zu der Entscheidung von Marx und Engels beigetragen, die IAA aufzulösen. Die Rolle, die Bakunin in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts gespielt hat, hatten Anfang des 20. Jahrhunderts in Rußland Kropotkin und seine Anhänger, Stalin nennt unter anderen W. Tscherkesischwili, P. Ramus, Baton, übernommen. Auch im Anarchismus gibt es Kontinuität von Proudhon bis in die Gegenwart, im internationalen Maßstab. Der „Hauptfeind“ der Anarchisten ist nicht das Kapital, sondern der Staat, das „Hauptübel“, das abgeschafft werden muß. Vom Klassencharakter des Staates wird abstrahiert. Darum keine politischen Parteien, keine politische Bewegung, keine politischen Führer, keine Autorität, die nur in einer Diktatur enden können. Wo die Anarchisten die Oberhand gewinnen, die „Führung“ übernehmen, führt dies zur Niederlage jeder revolutionären Bewegung, wie im Sommer 1873 in Spanien. Die Bakunisten hatten dabei die gutorganisierte und zahlreiche spanische Internationale faktisch in ihre Auflösung geführt, ihre Reorganisation auf Jahre hinaus unmöglich gemacht. Sie haben, so Engels, „ein unübertreffliches Muster davon geliefert, wie man eine Revolution nicht machen muß.“55c) Die russischen Anarchisten warfen der SDAPR vor, daß sie ihre Diktatur über das Proletariat errichten, die alte Sklaverei fortsetzen wolle, daß sie nicht revolutionär sei. Es ist interessant, daß diese unsinnigen Thesen der Anarchisten bis in die Gegenwart im Arsenal antikommunistischer Diffamierung der sozialistischen Staaten enthalten sind - nur wenn die Anarchisten Bomben gegen ihre eigenen Staatsgebäude werfen, geht das Geheule los, wobei dann die Verbrechen der Anarchisten gern den Kommunisten unterstellt werden. Es grenzt schon an ein Wunder, daß der verbrecherische Anschlag auf das World-Trade-Center am 11. September 2001 nicht auf die „infernalischen“ Kräfte der Kommunisten zurückgeführt wird. So ist der Anarchismus auf dem bürgerlichen Politikmarkt wenigstens noch zu verwerten. In den ersten beiden Teilen seiner Artikelserie setzte sich Stalin mit dem Anarchismus auf philosophischem Gebiet auseinander, wobei er Grundzüge der dialektischen Methode und der materialistischen Theorie in allgemein verständlicher Sprache darlegte. Stalin war kein Philosoph. Aber er kannte die einschlägigen Werke von Marx und Engels. Er verfügte über die didaktische Fähigkeit, selbst komplizierte Probleme der marxistischen Philosophie in einfachen Worten darzulegen, daß sie von wenig gebildeten Arbeitern, soweit sie überhaupt lesen konnten, verstanden wurden. Bei einer solchen Darstellungsweise konnte Stalin auf drastische Vereinfachungen nicht verzichten, die ihm bis heute von Intellektuellen verschiedener Couleur den Vorwurf der „Primitivität“ einbrachte. Es gab bei Stalin zeitweilig auch anfechtbare Auffassungen zur Philosophie. Aus einem Brief Stalins an M.G. Zchakaja geht hervor, daß er den von Lenin kritisierten Epiriokritizismus (1908)56) in seiner Gefährlichkeit unterschätzt hatte. Stalin meinte, daß es Aufgabe der Bolschewiki sei, die Philosophie von Marx und Engels „im Geiste von J. Dietzgen weiterzuentwickeln und sich dabei gleichzeitig die guten Seiten des ‘Machismus’ anzueignen.“57) Da mir der genannte Brief nicht vorlag, muß ich offen lassen, wann der Brief geschrieben wurde und welche Seiten des „Machismus“ von Stalin als „gut“ verstanden wurden. Man kann Stalin als einen didaktisch guten und verständlichen Interpreten des dialektischen und historischen Materialismus bezeichnen, was auch auf seine Darstellung der marxistischen Philosophie in der „Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) Kurzer Lehrgang“ zutrifft.58) Auf 34 Seiten einen Abriß des dialektischen und historischen Materialismus verständlich auszuarbeiten, zeugt von didaktischem und pädagogischen Geschick. Für die Parteitheorie ist der dritte Teil, „Der proletarische Sozialismus“59) von Bedeutung. Stalin verwendete durchgängig den Begriff „Sozialismus“. Aus dem Kontext wird ersichtlich daß er unter Sozialismus die höhere Phase der kommunistischen Gesellschaft verstand. Die Verwendung der Begriffe „Sozialismus“ und „Kommunismus“ wurden auch von Marx und Engels synonym verwendet. Sie bezeichneten ihr „Manifest“ als das der „Kommunistischen Partei“, weil in dieser Zeit (1847) unter Sozialismus einmal die Auffassungen der französischen utopischen Sozialisten, diverser kleinbürgerlicher Bewegungen, sowie die der „mannigfaltigsten sozialen Quacksalber“ verstanden wurden, „...die mit allerhand Flickwerk, ohne jede Gefahr für Kapital und Profit, die gesellschaftlichen Mißstände aller Art zu beseitigen versprachen...“‚ unter Kommunismus die revolutionären proletarischen Bewegungen und des utopischen Arbeiterkommunismus.60) In der bekannten „Kritik des Gothaer Programms“ spricht Marx von zwei Phasen der kommunistischen Gesellschaft, einer „ersten“ und einer „höheren“, von „Umwandlungen des Staatswesens“ in einer kommunistischen Gesellschaft.61) Engels spricht im „Anti-Dühring“ vom „wissenschaftlichen Sozialismus.“62) In „Staat und Revolution“, geschrieben August bis September 1917, spricht Lenin ebenfalls von „erster“ und „höherer“ Phase des Kommunismus, wobei er für „erste Phase“ in Klammern hinzufügt: („Sozialismus“ im landläufigen Gebrauch des Wortes) oder (die gewöhnlich Sozialismus genannt wird).63) In der gleichen Schrift spricht Lenin vom „wissenschaftlichen Unterschied zwischen Sozialismus und Kommunismus.“ „Was gewöhnlich als Sozialismus bezeichnet wird, nannte Marx die ‘erste’ oder ‘niedere’ Phase der kommunistischen Gesellschaft. Insofern die Produktionsmittel Gemeineigentum werden, ist das Wort ‘Kommunismus’ auch hier anwendbar, wenn man nicht vergißt, daß es kein vollkommener Kommunismus ist.“64) In „Die große Initiative“ (Juni 1919) heißt es bei Lenin: „In Parenthese sei bemerkt: Der wissenschaftliche Unterschied zwischen Sozialismus und Kommunismus besteht lediglich darin, daß das erste Wort die erste Stufe der aus dem Kapitalismus erwachsenden neuen Gesellschaft, das zweite Wort die höhere, weitere Stufe dieser Gesellschaft bezeichnet.)65) Wann, wer, zuerst diese Begriffsbestimmungen vorgenommen hat, ist wohl kaum noch zu ermitteln. Diese Hinweise sind aber wichtig, weil immer wieder unter Berufung auf Zitate von Lenin oder Stalin behauptet wird, daß schon im Sozialismus die Ware-Geld-Beziehungen aufgehoben werden und der Staat verschwinden, absterben muß, wobei übersehen wird, daß die beiden Begriffe zumindest bis 1919 auch als Synonyme verwendet wurden.“ So mutet es auch heute seltsam an, wenn in linken Publikationen von „Sozialisten“ und „Kommunisten“ gesprochen, zur Aktionseinheit von „Sozialisten“ und „Kommunisten“ aufgerufen wird, man „Sozialisten“ und „Kommunisten“ zusammenführen will. Was sind denn nun „Sozialisten“, was „Kommunisten“? Wollen die ersteren nur die niedere Phase der - ja was? - kommunistischen Gesellschaft errichten? oder sollen wir wieder unterscheiden: „Sozialisten“ = „Quacksalber“, „Kommunisten“ = „Revolutionäre“? Oder werden „Soziallisten“ und „Kommunisten“ als Synonyme verwendet? Dann braucht man sie nicht „zusammenzuführen.“ Nicht exakte Begriffsbestimmungen führen zu Beliebigkeiten in der Theorie und Politik, dann bleibt jedem überlassen, was er unter Sozialisten, Kommunisten versteht, kann sich jedes Blättchen als „sozialistisch“ bezeichnen. „Laßt alle Blumen blühen!“ Stalin erklärte den proletarischen Sozialismus als eine „direkte Schlußfolgerung aus dem dialektischen Materialismus“66) vom Anwachsen des städtischen und ländlichen Proletariats, dessen Klasseninteresse die Abschaffung des kapitalistischen und die Einführung des sozialistischen Eigentums erfordert. In der sozialistischen Gesellschaft wird es Klassen, Warenproduktion, Kauf und Verkauf nicht mehr geben, somit auch keine Käufer und Verkäufer der Arbeitskraft, keine Unternehmer und Lohnarbeiter. Mit der Lohnarbeit wird auch jedes Privateigentum an den Produktionsmitteln aufgehoben. Hauptziel der zukünftigen Produktion wird nicht der Profit der Kapitalisten, sondern die unmittelbare Befriedigung der Bedürfnisse der Gesellschaft sein. Es wird keinen Platz geben für zersplitterte Produktion, Konkurrenz, Krisen und Arbeitslosigkeit Wo es keine Klassen gibt, bedarf eines keines Staates, keiner politischen Gewalt mehr. Es folgen diesbezügliche Zitate von Marx und Engels, in denen die höhere Phase der kommunistischen Gesellschaft charakterisiert wird als einer „Assoziation ... welche die Klassen und ihren Gegensatz ausschließt“, in welcher es „keine eigentliche politische Gewalt mehr geben...“ wird (Marx 1846) in der die ganze Staatsmaschinerie „ins Museum der Altertümer, neben das Spinnrad und die bronzene Axt“ gesetzt wird. (Engels, 1884)67) „Selbstredend“ wird es in der „höheren“ Phase eine „Leitung der gemeinsamen Angelegenheiten neben den örtlichen Büros“ geben, ein „statistisches Zentralbüro“...„das Angaben über die Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft sammeln und dann die verschiedene Arbeit unter die Schaffenden entsprechend verteilen wird.“ Auch Konferenzen und Kongresse würde es geben, deren Beschlüsse für die in der Minderheit gebliebenen Genossen bis zum nächsten Kongreß bindend sein werden.68) 1906/07 gab es noch keinerlei praktische Erfahrungen über den Aufbau des Sozialismus, weder in einer Übergangsperiode noch in der „niederen“ Phase, schon gar nicht über die „höhere“ Phase. So schließt denn Stalin diesen Abschnitt mit den bekannten Sätzen aus der „Kritik des Gothaer Programms“: „In einer höheren Phase der kommunistischen (d.h. sozialistischen) Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch die Produktionskräfte gewachsen sind, ...erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.“69) Die sozialistische Gesellschaft setze auch ein sozialistisches Bewußtsein der Menschen voraus. Die Entwicklung der modernen Produktivkräfte werde behindert durch das kapitalistische Eigentum. Es sei klar, wenn es dieses nicht mehr geben würde, würden sich die Produktivkräfte verzehnfachen. Die Gefühle und Anschauungen der Menschen seien auch nicht unveränderlich, sie seien im Urkommunismus, als der Mensch noch kein Privateigentum kannte, andere, als in der Zeit: wo es Privateigentum gab. Unter sozialistischen Verhältnissen würde „das Fühlen und Denken der Menschen von sozialistischen Bestrebungen durchdrungen“ sein.70) Der proletarische Sozialismus von Marx sei kein „schöner Traum“, kein „Phantasiegebilde“. Als wissenschaftlichen Beweis für die Verwirklichung des proletarischen Sozialismus führt Stalin an, daß „mit einer Veränderung der Form der Produktion sich früher oder später auch die Form des Eigentums unvermeidlich ändert.“71) In der bisherigen Geschichte war es so gewesen. Der Produktionsprozeß, die Arbeit, hätten bereits gesellschaftlichen Charakter, „eine sozialistische Prägung“ angenommen. Der gesellschaftliche Charakter der Produktion widerspreche dem privaten Charakter der Aneignung, woraus folgt, daß „die moderne kollektive Arbeit unvermeidlich zum kollektiven Eigentum führen muß,... .“72) Nun sind hier die Marx‘schen Gedanken in einem gewissen schematischen Automatismus des Geschichtsprozesses zusammengefaßt, wie ihn Marx so nicht geäußert hat. Aus der Sicht Anfang des 20. Jahrhunderts für die Arbeiter unterschiedlicher Nationalität und zum Teil sehr niedrigen Bildungsniveau geschrieben, eine verständliche Darstellungsweise. Solche bedenklichen Vereinfachungen in der Darstellung des Marxismus haben Stalin auch immer wieder den Vorwurf der „Dogmatisierung“ des Marxismus von seinen Kritikern eingebracht. Unter dem heutigen Bildungsstand linker Parteien, der heutigen Arbeiterklasse, ist eine solche Kritik sehr einfach, zugleich aber auch unhistorisch, da sie die damaligen konkreten Wirkungsbedingungen in Rußland außer acht läßt. Ein abstraktes Herangehen vom heutigen theoretischen Erkenntnisstand an hundert Jahre zurückliegende historische Ereignisse, Theoriebildung und -vermittlung führt zwangsläufig zu Fehlurteilen. Stalin deutet dann auch neben der „Unvermeidlichkeit“ des Sozialismus in einem anderen Zusammenhang auf die Alternative hin, „...daß entweder alles gesellschaftliche Leben zusammenbrechen muß, oder daß das Proletariat... zum Herrn der modernen Produktion, zu ihrem... sozialistischen Eigentümer werden muß.“73) Stalin berief sich für seine Ausführungen auf Engels im „Anti-Dühring“ wonach „...eine Umwälzung der Produktions- und Verteilungsweise stattfinden muß, die alle Klassenunterschiede beseitigt, falls nicht die ganze moderne Gesellschaft untergehen soll... .“ Darin begründe sich die „Siegesgewißheit des modernen Sozialismus“.74) Das sozialistische Ideal sei nicht das Ideal aller Klassen. Nur das Proletariat sei unmittelbar am Sozialismus interessiert. Für die Verwirklichung den Sozialismus bedarf es des Klassenbewußtseins, des Zusammenschlusses des Proletariats und der Fähigkeit, seine eigene Sache zu führen. Der Weg zum Sozialismus führe über den Klassenkampf, der mannigfaltige Formen aufweise, Streik, Boykott, Sabotage, Kundgebungen, Demonstrationen, Teilnahme an Vertretungskörperschaften. Alle diese Kampfformen seien vorbereitende Mittel, aber keine dieser Formen, auch der Generalstreik, für sich allein genommen, können den Kapitalismus aus der Welt schaffen. Das entscheidende Mittel sei die sozialistische Revolution. Dies dürfe nicht als ein plötzlicher, kurz dauernder Schlag verstanden werden, sondern sei ein „lang andauernder Kampf der proletarischen Massen.“ Die Erringung der politischen Herrschaft durch das Proletariat sei die „erste Stufe“ der Revolution. Mit der „Sozialistischen Diktatur des Proletariats“ muß die sozialistische Revolution beginnen.75) Die sozialistische Revolution und die Errichtung der Diktatur des Proletariats erfordere die Organisiertheit des Proletariats; Gewerkschaften und Arbeitergenossenschaften als notwendige Organisationen der Proletarier können allein nicht den organisatorischen Bedürfnissen des kämpfenden Proletariats genügen. Der Zweck dieser Massenorganisationen ist die Verbesserung der Lage der Arbeiter im Kapitalismus. Aber sie können nicht. den Kapitalismus beseitigen. Dazu bedarf es einer Organisation‚ „die die klassenbewußten Elemente der Arbeiter aller Berufe um sich schart, das Proletariat in eine ihrer selbst bewußte Klasse verwandelt und auch die Zertrümmerung der kapitalistischen Zustände, die Vorbereitung der sozialistischen Revolution zum Hauptziel setzt.“76) Diese Partei muß Klassenpartei, eine revolutionäre Partei, eine internationale Partei sein. Die Befreiung der Arbeiter sei keine nationale, sondern eine soziale Frage, wobei Stalin auf das zaristische Rußland als einem Nationalitätenstaat verweist, in dem die soziale Befreiung für den georgischen und russischen Arbeiter, wie für die Proletarier der anderen Nationen von gleicher Bedeutung sei.77) Daß Stalin den internationalistischen Charakter der Partei aus den Bedingungen des Nationalitätenstaates erklärt, ist bezüglich des Adressaten verständlich trägt jedoch allgemeingültigen Charakter. Desgleichen ist der Hinweis Stalins auf die Notwendigkeit des Zentralismus in den Organisationen des Proletariats, nicht nur der Partei, sondern auch der Gewerkschaften und Genossenschaften, im Gegensatz zur föderalistischen Zersplitterung nicht nur eine Besonderheit des Nationalitätenstaates, wobei der Zwischensatz „soweit dies möglich ist“, beachtet werden muß. Die Frage des Zentralismus als einem allgemeinen Organisationsprinzip der proletarischen Partei ist je nach den konkreten Bedingungen zu beantworten. Eine schematische Anwendung eines allgemeinen Prinzips kann Schaden anrichten. Es sei klar, daß alle Organisationen des Proletariats auf „einer demokratischen Grundlage aufbauen müssen, soweit natürlich irgendwelche politischen und andere Bedingungen dies nicht verhindern.“78) Auch diese wichtige Bemerkung galt nicht nur für das zaristische Völkergefängnis, in dem jede demokratische Bewegung brutal unterdrückt wurde. Die seit hundert Jahren immer wieder von wohlmeinenden Intellektuellen aufgestellte Forderung nach „Demokratisierung“ in ihrer abstrakten Form, unabhängig von den konkret-historischen Bedingungen, dem Grad der Unterdrückung, dem Klassenkräfteverhältnis, dem politischen und theoretischen Niveau der Arbeiter, auch der Partei der Arbeiterklasse selbst, hat in der Konsequenz, wie die geschichtlichen Erfahrungen beweisen, immer nur der Konterrevolution den Weg geebnet. Sollen die Gewerkschaften und Genossenschaften unter Führung der Partei stehen oder parteilos sein? „Die Entscheidung dieser Frage hängt davon ab, wo und unter welchen Bedingungen das Proletariat zu kämpfen hat.“79) Also auch in dieser Frage gibt es keinen Schematismus. Natürlich müsse die Partei freundschaftliche Beziehungen zu diesen Organisationen herstellen. Je besser diese Beziehungen entwickelt seien, je besser würden diese sich entwickeln. Ansonsten könnten die Gewerkschaften verflachen, die Interessen der Gesamtklasse zugunsten reiner Berufsinteressen verletzen und dem Proletariat großen Schaden zufügen. Darum sei es notwendig, „in allen Fällen den ideologisch-politischen Einfluß der Partei auf die Gewerkschaften und Genossenschaften sicherzustellen.80) In den letzten Abschnitten setzt sich Stalin mit Argumenten der Anarchisten auseinander, wie diese sich zum proletarischen Sozialismus verhalten. So behauptete W. Tscherkesischwili, als der „unvergleichliche Führer“ der Anarchisten, das „Kommunistische Manifest“ von Marx und Engels sei von Anfang bis Ende aus dem „Manifest“ Victor Considérants „gestohlen“ worden. Das „Manifest“ von Marx und Engels sei eine „sehr mittelmäßige Paraphrasierung... des Manifests von Considérant.“81) Solche unbewiesenen Behauptungen und Unterstellungen waren und sind in der antikommunistischen Publizistik aller Couleur gang und gäbe, waren und sind gefährlich. Wer von den Arbeiter und Bauern Rußlands, besonders des Kaukasus mit 40 Nationalitäten, hatte, Considérants Schriften zur Hand, um die Aussage von Tscherkesischwili überprüfen zu können? (Wer von den heutigen Werktätigen hat die Schriften Cosidérants auf seinen Bücherregalen stehen, ja kennen ihn überhaupt?) Es ist seit den ersten Schriften von Marx und Engels eine gängige Methode: Ich behaupte irgend einen Unsinn, unterstelle diesen Unsinn Marx, widerlege diesen Unsinn und habe damit Marx widerlegt, „endgültig!“, „wissenschaftlich!“ Für Marx können auch Engels, Lenin, Stalin, Mao und andere kommunistische Theoretiker eingesetzt werden, ganz nach Belieben. Auch Stalin hatte, dem Kontext zu folgen, die Schriften Considérants nicht zur Hand. Stalin stützte sich in seiner Erwiderung gegen Tscherkesischwili auf Paul Louis: Geschichte des Sozialismus in Frankreich und auf Karl Kautsky: Das Kommunistische Manifest - ein Plagiat?82) Gestützt auf diese beiden Schriften konnte Stalin Considérant richtig als Utopisten charakterisieren, der die Rettung Frankreichs in einer Versöhnung der Klassen sah, ein Gegner des Kommunismus war. Daraus ergab sich die Unvereinbarkeit des „Demokratischen Manifests“ von Considérant mit dem „Manifest“ von Marx und Engels.83) Kropotkin behauptete, daß die Anarchisten für den „freien Kommunismus“ seien, während die Sozialdemokratie „Staatskapitalismus“ und „Kollektivismus“ wollten. Stalin zitierte ausführlich aus den einschlägigen Schriften der Anarchisten84) und faßte deren Auffassungen zusammen: Nach Ansicht der Sozialdemokraten wäre die sozialistische Gesellschaft (gemeint ist die „höhere“ Stufe der kommunistischen Gesellschaft, UH) unmöglich ohne Regierung, die als „Hauptunternehmer“ die Arbeiter einstellt. Sie würde „Minister ... Gendarmen, Spione haben. Die Teilung in „schwarze“ und „weiße“ Arbeit werde nicht aufgehoben, das Prinzip „Jedem nach seinen Bedürfnissen“ verworfen, dafür ein anderes Prinzip anerkannt, „Jedem nach seinen Verdiensten.“85) Man glaube nicht, daß solcher Blödsinn keine Wirkungen habe. Allein schon die Wortbildungen „Gendarmen“ - „Spione“ rufen Abwehr hervor, denn allzu bekannt sind die zaristischen Gendarmen und Spitzel. Stalin widerlegte diese unsinnigen Unterstellungen mit bekannten Zitaten von Marx und Engels aus verschiedenen Werken von 1846 bis 1871, von denen ich hier nur auf das „Manifest der Kommunistischen Partei“ und die „Kritik des Gothaer Programms“ verweise.86) Nach Auffassung der Anarchisten habe die Sozialdemokratie keinen revolutionären Charakter, hätte keine Volksverbundenheit, und soweit sie für eine Diktatur eintrete, so sei es keine Diktatur des Proletariats, sondern ihre eigene Diktatur über das Proletariat.87) Stalin zitierte ausführlich Kropotkin und aus Publikationen georgischer Anarchisten, die sich gegen die Idee der Diktatur aussprachen, die nichts andere sei „als ein übles Produkt des Regierungsfetischismus, der ... stets bestrebt war, die Sklaverei zu verewigen.“88) Auch hier verwies Stalin in seiner Polemik auf die einschlägigen Werke von Marx und Engels, besonders auf deren Auswertung der Pariser Kommune (1871) sowie auf Lissagaray: „Geschichte der Pariser Kommune“ und Arthur Arnould: „Volkstümliche Geschichte der Pariser Kommune.“89) Erfahrungen über die politische Machtausübung der Arbeiterklasse lagen zu dieser Zeit auch noch nicht vor. Die Auseinandersetzung Stalins mit den Anarchisten konnte daher nur theoretisch erfolgen, wobei er sich vor allem auf Marx, Engels und Kautsky stützte, wodurch seine Argumentation unvermeidlich den Charakter einer Zitatensammlung annahm. Aber wer wußte denn mehr über diese Problematik in dieser Zeit als Marx, Engels, Kautsky, Lissagaray und Arnould, und nur auf deren Verallgemeinerung ihrer Erfahrungen mit dem Anarchismus des 19. Jahrhunderts in Gestalt der Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus konnte sich Stalin stützen, wobei die Kontinuität von Bakunin zu Kropotkin unübersehbar ist, letzterer insofern gefährlicher war, als in Rußland und in Asien eine Periode demokratischer und proletarischer Revolutionen heranreifte, die mit der Revolution 1905 in Rußland eröffnet wurde. Die Artikel Stalins zeigen zugleich, daß er trotz seiner Tätigkeit unter den Bedingungen der Illegalität ausgezeichnete Kenntnisse über die einschlägige Literatur hatte. 1.1.5. Einheit oder Spaltung der Partei In der Zeit von 1907 bis 1917 befand sich Stalin fast das gesamte Jahrzehnt im Gefängnis, in der Verbannung oder auf der Flucht.90) Daraus erklärt sich, daß es aus dieser Zeit nur wenige Schriften von Stalin gibt. Neben dieser quantitativen Seite hatten die konkreten Lebensbedingungen, unter denen Stalin schreiben mußte, auch qualitative Auswirkungen. Es geht dabei nicht um „Stilfragen“, an denen Deutscher und andere Schöngeister ständig herumnörgeln, sondern um inhaltliche Fragen. In seinen Forderungen an die Partei war Stalin in einigen Fällen schärfer als Lenin. In seinem durch Verhaftung nicht vollendeten Artikel „Der Londoner Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Rußlands (Aufzeichnungen eines Delegierten)“, geschrieben im zweiten Halbjahr 190791), ging es um zwei Fragen der Parteitheorie, die Frage nach der Einheit der Partei und zur Frage „führende Rolle“ der Partei oder Partei als „Avantgarde“? Der Parteitag habe zu einem weiteren Zusammenschluß, zur Festigung der Partei beigetragen. Die Partei würde „von nun an eine streng konsequente Klassenpolitik des sozialistischen Proletariats durchführen.“ Die faktische Vereinigung der fortgeschrittenen Arbeiter ganz Rußlands zu einer einheitlichen, gesamtrussischen Partei unter dem Banner des revolutionären Sozialdemokratismus wäre der Sinn des Londoner Parteitages gewesen.92) Die wichtigsten Meinungsverschiedenheiten in der Partei gingen um das Verhältnis zu den bürgerlichen Parteien. Nach Ansicht der Menschewiki müsse die Arbeiterklasse den Kampf gegen den Zarismus unter Führung der liberalen Bourgeoisie führen, die SDAPR müsse daher Abkommen mit den bürgerlichen Parteien abschließen, dürfe diese nicht durch revolutionäre Losungen erschrecken. Die Bolschewiki vertraten dagegen die entgegengesetzte Auffassung. Die liberale Bourgeoisie hatte sich in der demokratischen Revolution als antirevolutionär erwiesen. Die Führung im Kampf gegen den Zarismus muß das Proletariat selbst übernehmen. Das Proletariat wiederum kämpft unter der Führung der in der SDAPR organisierten fortgeschrittensten Arbeiter. Die „Einheit“ auf dem V. Parteitag erwies sich jedoch als trügerisch. Es waren keine taktischen Meinungsverschiedenheiten sondern hinter diesen verbargen sich Klassenfragen. Die „Einheit“ kam letztendlich dadurch zustande, daß eine Resolution der Bolschewiki nicht durchkam, in der die Fehler des Zentralkomitees festgestellt wurden, aus Erwägungen, „nur ja keine Spaltung herbeizuführen.“ Dies habe, so Stalin, „stark auf die Genossen“ eingewirkt. Die Resolution der Menschewiki, in der dem Zentralkomitee das Vertrauen ausgesprochen wurde, fand ebenfalls keine Mehrheit.93) Stalin hatte die klassenmäßigen Ursachen der gegensätzlichen Taktiken klar erkannt: „Offensichtlich ist die Taktik der Bolschewiki die Taktik der Proletarier der Großindustrie, die Taktik derjenigen Gebiete, wo die Klassengegensätze besonders klar sind und der Klassenkampf besonders scharf ist. Der Bolschewismus - das ist die Taktik der echten Proletarier. Anderseits ist es nicht weniger offensichtlich, daß die Taktik der Menschewiki vorwiegend eine Taktik der im Handwerk beschäftigten Arbeiter und der bäuerlichen Halbproletarier ist, eine Taktik derjenigen Gebiete, wo die Klassengegensätze nicht ganz klar sind und der Klassenkampf verschleiert ist. Der Menschewismus - das ist die Taktik der halbbürgerlichen Elemente des Proletariats.“94) Stalin faßte zwei Reden, die Rosa Luxemburg auf dem Parteitag gehalten hatte, zusammen, in denen sie die Führer des Menschewismus, Plechanow und Axelrod, als Opportunisten bezeichnete. Auch die Bolschewiki würden „manchmal danebenhauen, manchmal sonderbar und allzu felsenfest sind, aber ich verstehe und rechtfertige sie durchaus: angesichts der zerfließenden, gallertartigen Masse des menschewistischen Opportunismus muß man felsenfest sein... .“95) Stalin hat aus den Reden Rosa Luxemburgs allerdings einseitig nur das zusammengefaßt, was den Standpunkt der Bolschewiki stützte, vor allem die Kritik am Liberalismus. Die kritischen Bemerkungen gegen die „sogenannten Bolschewiki“ hat er nicht reflektiert, die auch nicht stichhaltig waren. Nach Rosa Luxemburgs Auffassung könne die Partei einen bewaffneten Aufstand nicht vorbereiten. Diese, ihre Hinwendung zur Spontaneität ist sachlich falsch. Möglicherweise wollte sich Stalin hier nicht mit Rosa Luxemburg auseinandersetzen. Richtig an der Reflexion ihrer Reden bleibt, daß sie „trotz einzelner Vorbehalte“ sich mit den Bolschewiki solidarisch erklärte. Gegenüber den dogmatischen Abweichungen der Menschewiki vom Marxismus erklärte sie: „In welch geschäftiges Gegacker eines Huhnes, das auf dem Misthaufen des bürgerlichen Parlamentarismus nach Perlen scharrt, habt ihr diese Lehre verwandelt, die den mächtigen Flügelschlag der Adlerschwingen des Proletariats darstellt.“ Wichtig, weil auch heute noch unter Kommunisten umstritten, soll das Proletariat (die Kommunistische Partei) Führer oder Avantgarde der Revolution sein? Stalin zitierte zu dieser Frage den Genossen Alexinski, mit dessen Auffassung er übereinstimmte: Es gehe hier „um zwei entgegengesetzte Auffassungen, die sich in diesem Punkt geltend machten, denn ‘Avantgarde’ und ‘Führer’ seien zwei völlig verschiedene Begriffe. Avantgarde (Vortrupp) sein heißt sich in den vordersten Reihen schlagen, die am stärksten unter Feuer liegenden Stellungen einnehmen, sein Blut vergießen, dabei aber von anderen, im gegebenen Falle von den bürgerlichen Demokraten geführt werden: die Avantgarde leitet niemals den Gesamtkampf, sondern wird stets selbst geleitet. Und umgekehrt: Führer sein heißt, sich nicht nur in den vordersten Reihen schlagen, sondern auch den Gesamtkampf leiten, ihn auf sein eigenes Ziel ausrichten. Wir Bolschewiki. wollen nicht, daß das Proletariat von den bürgerlichen Demokraten geführt werde, wir wollen, daß das Proletariat selbst die Führung des ganzen Kampfes des Volkes habe und ihn auf die demokratische Republik ausrichte.“96) In drei Arbeiten, verfaßt zwischen August 1909 bis Dezember 1910 befaßte sich Stalin mit dem Verhältnis zwischen den Parteiorganen im Ausland und der Organisierung des Kampfes in Rußland.97) Die Partei mache eine Krise durch. Ihre Ursachen seien die „Losgerissenheit der Partei von den breiten Massen“ und die „Losgerissenheit ihrer Organisationen voneinander.“98) Diese „Losgerissenheit“ führte Stalin darauf zurück, daß die Parteiorgane im Ausland der russischen Wirklichkeit „fernstehen.“ Im Ausland erschienen der „Proletari“, redigiert von Lenin, der „Golos“, ein menschewistisches Blatt und der „Sozialdemokrat“, Zentralorgan der SDAPR, deren Redaktion sich aus Vertretern der Bolschewiki, Menschewiki und der polnischen Sozialdemokraten zusammensetzte. Diese Zeitungen mußten illegal über die Grenzen nach Rußland eingeführt und verteilt werden. Die Zeitungen konnten praktisch nicht in die Kämpfe eingreifen, da sie oftmals erst Wochen nach den Kämpfen eintrafen. Somit könne von einer Führung der proletarischen Klassenkämpfe in Rußland vom Ausland her nur sehr bedingt gesprochen werden. Das alte Organisationsprinzip, die alten Methoden der Parteiarbeit, „...angesichts der ‘Führung’ vom Ausland her, sei eine bloße ‘Übertragung von Funktionen’“, „die die Partei nicht mit den Massen verbinden und sie nicht zu einem einheitlichen Ganzen zusammenschweißen kann.“99) Stalin ging es dabei um die Verbindung des Kampfes der Arbeiter für ihre täglichen Interessen mit den grundlegenden Interessen der Klasse der Proletarier, der allgemein-politischen Arbeit mit dem alltäglichen Kampf der Arbeiter. Die Organisation nach dem Territorialprinzip sollte durch das Produktionsprinzip ergänzt werden. So sollten „die Fabrik- und Werkkomitees der verschiedenen Produktionszweige je nach Produktion in verschiedene Unterbezirke gruppiert werden, um diese Unterbezirke territorial zu Bezirken zu vereinigen... .“100) Abgesehen von der konkreten Form der Organisationsprinzipien lassen sich in diesen „Fabrik- und Werkkomitees“ Keimformen der späteren „Betriebsparteiorganisationen“ erkennen. Die „erfahrensten und einflußreichsten fortgeschrittenen Arbeiter“ in den örtlichen Organisationen sollten die „Angelegenheiten der Partei“ in ihre Hände nehmen. Es sei kein Unglück, wenn Arbeiter in wichtigen Positionen „in der ersten Zeit stolpern“, die Bebels fallen nicht vom Himmel. Arbeiter mit Kenntnissen seien nur wenig vorhanden. Aber mit Hilfe von erfahrenen und aktiven Intellektuellen müsse man in Zirkeln, Besprechungen „Theorie und Praxis des Marxismus“ mit ihnen „systematisch“ durchnehmen, um aus den Arbeitern Parteiführer, „Bebels“, zu gewinnen. Stalin faßte zusammen: „1. verstärkte Agitation auf dem Boden der täglichen Bedürfnisse, die mit den Bedürfnissen der gesamten Klasse des Proletariats verbunden werden, 2. Organisierung und Festigung der Fabrik- und Werkkomitees als der wichtigsten Zentren der Partei in den Bezirken, 3. ‘Übergabe’ der wichtigsten Parteifunktionen an die fortgeschrittenen Arbeiter, 4. Organisierung von ‘Besprechungen’ mit den fortgeschrittenen Arbeitern - das sind die Wege, mit deren Hilfe es unsere Organisationen verstehen werden, breite Massen um sich zusamenzuschließen.“101) Die genannten Aufgaben konnten durch Auslandsorgane nicht bewältigt werden. Gesamtparteikonferenzen und im Ausland erscheinende Zeitungen seien „sehr wichtig“, doch können sie allein die Krise nicht überwinden. Es sei eine gesamtrussische Zeitung erforderlich, die im Zentrum der Parteiarbeit steht und in Rußland erscheint, die Parteiarbeit leitet, sie vereinigt und lenkt. Eine „gut organisierte gesamtrussische Zeitung in den Händen des Zentralkomitees wäre das wirksamste Werkzeug für den wirklichen Zusammenschluß der Partei... .“ Nur auf diesem Wege würde das Zentralkomitee „aus einem fiktiven Zentrum zu einem wirklichen Zentrum der Gesamtpartei werden.“102) Wenige Monate später präzisierte Stalin die genannten Vorschläge: 1. Verlegung des (leitenden) Zentrums für die praktische Arbeit nach Rußland; 2. Organisierung einer gesamtrussischen Zeitung, die in Rußland erscheint und von dem erwähnten Zentrum redigiert wird; 3. Organisierung örtlicher Presseorgane in den wichtigsten Zentren der Arbeiterbewegung (Ural, Donezbecken, Petersburg, Moskau, Baku usw.).103) „Die Hauptsache ist die Organisierung der Arbeit in Rußland.“ Meinungsverschiedenheiten werden nicht in Debatten, „sondern hauptsächlich im Laufe der Arbeit, ...der Anwendung der Prinzipien gelöst... .“104) Diese letzten Bemerkungen schrieb Stalin aus der Verbannung. Er bemerkte wohl nicht zu Unrecht, daß viele Emigranten den Kontakt zu den Kämpfen im zaristischen Rußland verloren hatten. Revolutionen würden schließlich nicht aus den Bibliotheken von Genf, London oder Paris hervorgehen, sondern aus den Elendsvierteln von Moskau, Kasan, Baku und anderen Zentren der Arbeiterbewegung. Von großer Bedeutung war die VI. Allrussische Parteikonferenz in Prag (5. bis 17. Januar 1912), da es nun auch zur organisatorischen Trennung von Bolschewiki und Menschewiki kam. Damit setzten sich die Bolschewiki in der SDAPR durch, die den Parteinamen behielten, mit dem Zusatz „Bolschewiki“ in Parenthese. Die Prager Parteikonferenz verdeutlichte in der Praxis, daß in einer revolutionären Arbeiterpartei nicht zwei Klassenlinien, bürgerliche und sozialistische Ideologie, auf Dauer koexistieren können. Früher oder später kommt es auch zum organisatorischen Bruch. Gelingt es den marxistischen Kräften, die Revisionisten und andere Opportunisten aus der Partei zu drängen, kann eine solche marxistische Partei die Arbeiterklasse in ihren Kämpfen bis zur erfolgreichen Revolution führen. Umgekehrt, gelingt es den revisionistischen Kräften, die Marxisten in der Partei zu isolieren oder aus der Partei zu drängen, so wird aus der ehemaligen Kampfpartei eine kleinbürgerlich-parlamentarische Partei und sie wird in das bürgerliche politische System integriert. Damit werden bis in die Gegenwart immer wieder Marxisten-Leninisten mit der Frage des Verhaltens in einer von Reformisten und anderen kleinbürgerlichen Elementen beherrschten Partei konfrontiert. In der Partei verbleiben, um den Kampf innerhalb der Partei führen zu können, oder die Partei verlassen und eine neue marxistisch-leninistische Kampfpartei gründen? Diese Frage läßt sich nicht abstrakt beantworten. Sie muß jedesmal unter den konkreten Bedingungen, unter Berücksichtigung des Kräfteverhältnisses innerhalb der Partei, von den Marxisten-Leninisten beantwortet werden. Den Bolschewiki gelang es 1912, die Menschewiki zu verdrängen, mit dem Ergebnis der siegreichen Oktoberrevolution, die „Linken“ in der deutschen Sozialdemokratie um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht haben sich erst mit Ausbruch der Novemberrevolution von den Revisionisten getrennt. Ohne die konterrevolutionäre Politik der rechten sozialdemokratischen Führer, die die Arbeiter ideologisch und politisch entwaffnet haben, hätte die Konterrevolution nicht siegen können. Das Festhalten an der „Einheit“ aus falsch verstandener „Parteidisziplin“, Furcht vor der „Spaltung“, sich dem „Vorwurf“ der Spaltung auszusetzen, führte die deutschen Marxisten in die Niederlage, bezahlten Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Hunderte Arbeiter mit ihrem Leben. In seinem Flugblatt vom März l912 begrüßte Stalin die Beschlüsse der Prager Parteikonferenz als das „Ende der Krise unserer Partei“, als deren „Wiedergeburt“.105) Die Konferenz würde den Zusammenschluß der örtlichen Parteiorganisationen mit dem Zentralkomitee fördern, die Zersplitterung der örtlichen Organisationen überwinden helfen. Er wiederholte die schon vorher erhobene Notwendigkeit der Schaffung eines einflußreichen Zentralkomitees, „das durch lebendige Wurzeln mit den örtlichen Organisationen verbunden ist, die letzteren systematisch informiert und miteinander verbindet, ein Zentralkomitee, das unermüdlich in alle Angelegenheiten der gesamtproletarischen Aktionen eingreift, ein Zentralkomitee, das zwecks umfassender politischer Agitation über eine in Rußland erscheinende illegale Zeitung verfügt - nach dieser Seite müssen sich die Erneuerung und der Zusammenschluß der Partei entwickeln.“106) Die Betonung lag auch hier wieder auf „eine in Rußland erscheinende Zeitung“. Wenn Deutscher meint, daß nach der Prager Konferenz von 1912 die kaukasische Gruppe der Bolschewiki in Baku zum „Eckpfeiler der bolschewistischen Organisation“ geworden war107), so kann man ihm auch hier zustimmen. Diese kaukasische Gruppe wurde nun einmal von Stalin geführt, womit dessen Einfluß auf die Parteientwicklung in Rußland in dieser Zeit explizit ausgewiesen wird. In seinem Artikel „Parteilose Sonderlinge“ vom 15. April 1912 setzt sich Stalin mit dem „parteilosen Progressismus“ auseinander, der zu dieser Zeit unter russischen Intellektuellen in „Mode“ gekommen war.108) Die Parteilosigkeit abstrahiere von den gegensätzlichen Interessen der Klassen, der Bourgeois und Proletarier, der Gutsbesitzer und Bauern, verkleistere die Gegensätzlichkeit der Klasseninteressen. Jede Klasse habe ihre Partei, mit besonderem Programm mit besonderer Physiognomie. Die Parteien leiten den Kampf. Ohne Parteien gäbe es keinen Kampf, sondern Chaos, die Vermengung der Interessen. „Verkleisterung der Klassengegensätze, Verschweigen des Klassenkampfes, Fehlen einer Physiognomie, Bekämpfung des Programmprinzips, Streben nach Chaos und Vermengung der Interessen - das ist die Parteilosigkeit.109) Die Parteilosigkeit strebte die „Vereinigung des Unvereinbaren, die Realisierung des Unrealisierbaren“ an. Bourgeois und Proletariat miteinander verbinden, eine Brücke zwischen Gutsbesitzer und Bauern schlagen, danach strebe die Parteilosigkeit. Diese Position werde von der Zeitschrift „Saprossy Shism“ Nr. 6 (Anforderungen des Lebens, erschien 1909 bis 1912 in Petersburg) vertreten. Die Autoren dieser Zeitschrift wollten dem „Block der Rechten“, der zur „Bekämpfung der gesamten progressiven Opposition“ gebildet worden war, einen „Block der Linken“ entgegenstellen, der „alle progressiven Gesellschaftselemente“ umfassen sollte. Diese „progressiven Elemente“ wären nach Auffassung der „Partei der friedlichen Erneuerer“ die „progressive“ Bourgeoisie, liberalisierende Gutsbesitzer, die nach dem Gutsherrenland dürstenden Bauern und die gegen die Bourgeoisie kämpfenden Proletarier, deren Vereinigung die „Saprossy Shism“ anstrebe.110) „Erneuerer“, „pluralistische Parteien“, „Zusammenführer“ von heterogenen Klassenkräften gab es also schon 1912. Diese Ausführungen Stalins dürfen nicht verwechselt werden mit der Bündnispolitik der Partei. Bündnisse, Koalitionen mit Parteien anderer Klassen zur Erreichung bestimmter Ziele, für die ein gemeinsames Interesse vorliegt (auch bei Interessengegensätzen auf anderen Gebieten), sind etwas anderes und hier nicht von Stalin gemeint. 1.2. Die Parteifrage nach der Oktoberrevolution 1.2. l. Die Partei vor und nach der Eroberung der Macht In einem Prawda-Artikel vom 23. April 1920 „Lenin als Organisator und Führer der KPR“111) ging Stalin auf einen Vorwurf von Genossen ein, nicht nur der Menschewiki, wonach Lenin eine übermäßige Neigung zur Polemik und Spaltung gehabt haben soll. Dies habe es „seinerzeit“ gegeben, aber die Partei hätte ihre innere Schwäche und Verschwommenheit nicht überwinden, ihre eigene Kraft und Festigkeit nicht erlangen können, wenn sie nicht die nichtproletarischen, opportunistischen Kräfte aus ihren Reihen verjagt hätte. Unter der Herrschaft der Bourgeoisie könne die proletarische Partei nur in dem Maße wachsen und erstarken, wie sie den Kampf gegen die opportunistischen, antirevolutionären und parteifeindlichen Elemente in ihrer Mitte und in der Arbeiterklasse führe. Stalin berief sich auf Lassalle, der meinte, daß sich eine Partei stärkt, in dem sie sich reinigt.112) Nicht jede Einheit sei ein Zeichen der Stärke. So sei die „Einheit“ zwischen Scheidemann und Noske einerseits und Liebknecht und Luxemburg andererseits unecht und fiktiv. „Wer weiß, ob es für das deutsche Proletariat nicht besser gewesen wäre, wenn sich die revolutionären Elemente der deutschen Partei rechtzeitig von deren antirevolutionären Elementen getrennt hätten.“113) Einheit oder Spaltung, wie schon w.o. gesagt, läßt sich nicht ein für allemal abstrakt beantworten. Verallgemeinern kann man nur eines: ohne eine revolutionäre, proletarische, internationalistische Partei wird die Arbeiterklasse ihre historische Aufgabe nicht erfüllen können. Mögen die jeweiligen Klassenkräfteverhältnisse für die Bildung einer solchen Partei auch noch so ungünstig sein, so kommt die Arbeiterklasse um diese Partei nicht herum, wenn sie das kapitalistische System überwinden will Auf die Unterschiede in der Parteipolitik vor und nach der Eroberung der Macht wies Stalin in einem Artikel für die Prawda vom 28. August 1921 hin.114) Er verallgemeinerte die Erfahrungen, die die KPR (B) in ihrem Kampf seit Ende 1900 gesammelt hatte. Zunächst ginge es um die Formierung, die Gründung der Partei, dem folge die Gewinnung der breiten Massen der Arbeiter und Bauern, schließlich die Eroberung und Behauptung der Macht. Vor der Machteroberung „bildete die Partei einen Hebel zur Zerstörung des Alten, zum Sturz des Kapitals in Rußland....“ Nach der Eroberung der Macht sei „aus einer Partei des Umsturzes innerhalb Rußlands“ eine „Partei des Aufbaus“, eine „Partei der Schaffung neuer Wirtschaftsformen geworden.“115) Es ging also um das Verhältnis von destruktiver und konstruktiver Funktion in der Parteipolitik, wobei Stalin diese Begriffe nicht verwendet, sondern sie umschreibt als „Partei des Umsturzes“ und „Partei des friedlichen Aufbaus“. In der Praxis lassen sich die destruktive und konstruktive Funktion so nicht gegenüberstellen. Auch im Kampf um die Macht gibt es eine konstruktive Seite in der Politik der Partei. Dazu gehört zunächst einmal die Gründung und Entwicklung der Partei selbst, die Ausarbeitung und Entwicklung der Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus, der proletarischer Moral und Solidarität u.a.. Ohne diese konstruktive Seite kann die Partei ihre destruktive Funktion, den Sturz der politischen Macht der Bourgeoisie, die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, nicht durchführen. Im Kampf um die Vorbereitung und in der Durchführung der Revolution dominiert die destruktive Funktion, in der Zerstörung des Alten, weil anders der Aufbau des Neuen nicht erfolgen kann. Umgekehrt, nach Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse überwiegt beim Aufbau des Sozialismus die konstruktive Funktion, die „neue Politik“, wie Lenin sie bezeichnete, aber die destruktive Funktion kann noch nicht verschwinden, um konterrevolutionäre Restaurationsversuche von innen und außen niederzuschlagen. Das Alte ist auch nach der Machteroberung noch lange Zeit wirksam und muß in dieser oder jener Form überwunden werden. Marx sprach von den „Muttermalen“ der alten kapitalistischen Gesellschaft, die in einer Übergangsperiode noch vorhanden wären - wie lange es noch solche Muttermale gibt, kann nicht vorausgesagt werden. In den europäischen sozialistischen Staaten waren sie bis zu ihrem Ende noch nicht überwunden, an die die Konterrevolution geschickt anzuknüpfen wußte. Der Begriff „destruktive Funktion“ darf nicht in einem mechanistischen Sinne interpretiert werden. 1.2.2. Über die Bolschewisierung der Parteien der Kommunistischen Internationale Zu den bis in die Gegenwart unter Linken, von bürgerlichen und sozialdemokratischen Publizisten ganz zu schweigen, heftig umstrittenen Parteifragen gehört: die „Bolschewisierung“ der Parteien der Kommunistischen Internationale (KI), darunter der KPD. In einer in der Prawda vom 3. Februar 1925 veröffentlichten Unterredung mit dem Genossen Herzog116) legte Stalin in zwölf Punkten dar, was unter „Bolschewisierung“ zu verstehen war. Auch hier sind die konkret-historischen Bedingungen von 1925, der Periode der „relativen Stabilisierung des Kapitalismus“ und, speziell, das Klassenkräfteverhältnis in Deutschland zu berücksichtigen, unter denen die zwölf Punkte zu beurteilen sind. Es geht nicht, um dies erneut zu betonen, etwa um eine mechanische Übertragung, „Anwendung“ dieser Punkte auf veränderte Bedingungen im 21. Jahrhundert, auf Kommunistische Parteien, deren Kampfbedingungen in Asien, in Nahen Osten, in Lateinamerika und Afrika sowie in den Hochburgen des Kapitalismus völlig verschieden sind - und sich ständig verändern. Ausgangspunkt für Stalins Thesen war die Notwendigkeit, die Sozialdemokratie in Deutschland zu entlarven und zu zerschlagen, sie zu einer verschwindenden Minderheit in der Arbeiterklasse herabzudrücken.117) Nach der Rolle, die die konterrevolutionäre Führung der SPD, die Ebert, Scheidemann, Noske in der Novemberrevolution und in der revolutionären Nachkriegskrise gespielt haben, deren Verrat an der Revolution, an der Arbeiterklasse dokumentarisch bewiesen ist, ist diese Forderung Stalins verständlich. In dem späteren, am 18. September 1925 auf ihrem Heidelberger Parteitag beschlossenen Programm orientierte die SPD-Führung auf einen friedlichen, parlamentarischen Weg zum Sozialismus, was illusorisch war. Daran änderte auch nichts, daß sie noch Forderungen aus dem Erfurter Programm (Oktober 1891) übernommen hatte.118) Die Arbeiter können nur siegen, meinte Stalin, wenn sie von einem Willen beseelt sind, von einer Partei geführt werden, die das Vertrauen der Mehrheit der Arbeiterklasse besitzt. „Wenn es innerhalb der Arbeiterklasse zwei miteinander konkurrierende gleich starke Parteien gibt, dann ist selbst bei günstigen äußeren Bedingungen ein dauerhafter Sieg unmöglich.“119) Stalin wandte sich energisch gegen sektiererische Auffassungen einiger Genossen, die meinten, „die Partei festigen und sie bolschewisieren bedeute, alle Andersdenkenden aus der Partei hinauszujagen. Das ist natürlich falsch.“120) Die Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratie müsse vor allem auf dem Gebiet der „konkreten Bedürfnisse“ der Arbeiterklasse geführt werden, der „alltäglichen Praxis“, Löhne, Arbeitszeit, Wohnverhältnisse, Versicherungen, Steuern, Arbeitslosigkeit, Preiserhöhungen bei Lebensmitteln, etc., wobei diese Fragen mit den grundlegenden Fragen der internationalen und der inneren Lage Deutschlands verknüpft werden müssen. Die gesamte Arbeit der Partei müsse unter dem Aspekt der Revolution, der Eroberung der Macht durch das Proletariat geleistet werden. Die grundlegenden Voraussetzungen für die Bolschewisierung der „kommunistischen Parteien“121) seien: 1. Es ist notwendig, daß die Partei sich nicht als Anhängsel der parlamentarischen Wahlapparats betrachtet, wie es im Grunde genommen die Sozialdemokratie tut, und auch nicht als Gratisbeilage zu den Ge­werkschaften, wovon zuweilen gewisse anarcho-syndikalistische Elemente faseln, sondern als die höchste Form der Klassenvereinigung des Prole­tariats, die berufen ist, alle übrigen Formen der proletarischen Organi­sationen, von den Gewerkschaften bis zur Parlamentsfraktion, zu führen. 2. Es ist notwendig, daß die Partei, besonders ihre führenden Ele­mente, sich der revolutionären Theorie des Marxismus, die mit der revo­lutionären Praxis untrennbar verbunden ist, voll bemächtigen. 3. Es ist notwendig, daß die Partei die Losungen und Direktiven nicht auf Grund eingelernter Formeln und geschichtlicher Parallelen, sondern als Ergebnis einer sorgfältigen Analyse der konkreten Bedingungen der revolutionären Bewegung im Lande und im internationalen Maßstab ausarbeitet, wobei die Erfahrungen der Revolutionen aller Länder unbedingt mit in Rechnung gestellt werden müssen. 4. Es ist notwendig, daß die Partei die Richtigkeit dieser Losungen und Direktiven im Feuer des revolutionären Kampfes der Massen überprüft. 5. Es ist notwendig, daß die gesamte Arbeit der Partei, besonders wenn in ihr die sozialdemokratischen Traditionen noch nicht überwunden sind‚ auf neue, revolutionäre Art umgestellt wird, darauf berechnet, daß jeder Schritt der Partei, jede ihre Aktion naturgemäß zur Revolutionie­rung der Massen, zur Vorbereitung und Erziehung der breiten Massen der Arbeiterklasse im Geiste der Revolution führt. 6. Es ist notwendig, daß die Partei es in ihrer Arbeit versteht, die höchste Prinzipienfestigkeit (nicht zu verwechseln mit Sektierertum) mit einem Maximum an Verbundenheit und Kontakt mit den Massen (nicht zu verwechseln mit Nachtrabpolitik) zu verbinden, da es ohne diese Be­dingung für die Partei unmöglich ist, nicht nur die Massen zu lehren, sondern auch von ihnen zu lernen, nicht nur die Massen zu führen und sie auf das Niveau der Partei emporzuheben, sondern auch auf die Stimme der Massen zu lauschen und ihre brennendsten Nöte zu erkennen. 7. Es ist notwendig, daß die Partei es versteht, in ihrer Arbeit eine unversöhnliche revolutionäre Einstellung (nicht zu verwechseln mit revo­lutionärem Abenteurertum) mit einem Maximum an Elastizität und Manövrierfähigkeit (nicht zu verwechseln mit Anpassungspolitik) zu verbinden, da es ohne diese Bedingung für die Partei unmöglich ist, alle Formen des Kampfes und der Organisation zu meistern, die Tagesinteressen des Proletariats mit den grundlegenden Interessen der proletarischen Revolution zu verbinden und in ihrer Arbeit den legalen Kampf mit dem illegalen Kampf zu verknüpfen. 8. Es ist notwendig, daß die Partei ihre Fehler nicht verhüllt, daß sie die Kritik nicht fürchtet, daß sie es versteht, ihre Kader an Hand ihrer eigenen Fehler zu verbessern und zu erziehen. 9. Es ist notwendig, daß die Partei es versteht, in die grundlegende führende Gruppe die besten Elemente der fortschrittlichen Kämpfer auf­zunehmen, die genügend Hingabe besitzen, um wahrhafte Vertreter der Bestrebungen des revolutionären Proletariats zu sein und die genügend Erfahrung haben, um wirkliche Führer der proletarischen Revolution zu werden, die fähig sind, die Taktik und die Strategie des Leninismus an­zuwenden. 10. Es ist notwendig, daß die Partei die soziale Zusammensetzung ihrer Organisationen systematisch verbessert und sich von zersetzenden opportunistischen Elementen reinigt, wobei sie die Erreichung einer ma­ximalen Einheitlichkeit als Ziel vor Augen haben muß. 11. Es ist notwendig, daß die Partei eine eiserne proletarische Diszi­plin entwickelt, die auf der Grundlage der ideologischen Einheit, der Klarheit der Ziele der Bewegung, der Einheit des praktischen Handelns und des bewußten Verhaltens der breiten Parteimassen zu den Aufgaben der Partei erwächst. 12. Es ist notwendig, daß die Partei die Durchführung ihrer eigenen Beschlüsse und Direktiven systematisch überprüft, da ohne diese Bedin­gung die Gefahr besteht, daß sie sich in leere Versprechungen verwandeln, die nur geeignet wären, das Vertrauen der breiten proletarischen Massen zur Partei zu untergraben. Ohne diese und ähnliche Bedingungen ist die Bolschewisierung ein leerer Schall.122) 1.2.3. Partei und Religion Ist es Parteimitgliedern erlaubt, religiöse Überzeugungen zu haben, wenn diese nicht im Widerspruch zur Loyalität gegenüber der Partei stünden? Auf diese Frage eines Mitgliedes der ersten amerikanischen Arbeiterdelegation in der Sowjetunion antwortete Stalin, daß es „formal gesprochen“ keine Bedingungen für die Aufnahme in die Partei gäbe, die vom Kandidaten „unbedingten Atheismus“, forderten. Dies bedeute jedoch nicht, daß die Partei der Religion neutral gegenüberstehe. Die Partei entfalte antireligiöse Propaganda und werde dies auch in Zukunft tun. Nach dem Gesetz habe jeder Bürger das Recht, sich zu jeder beliebigen Religion zu bekennen, dies sei eine Sache des Gewissens. Die Kirche sei vom Staat getrennt. Aber mit der Verkündung der Freiheit des Glaubensbekenntnisses habe auch jeder Bürger das Recht, durch Überzeugung, durch Propaganda und Agitation gegen diese oder jene und gegen die Religion überhaupt zu kämpfen. Die Partei könne sich der Religion gegenüber nicht neutral verhalten. Die Partei sei für die Wissenschaft, die Religion stehe im Gegensatz zu ihr, Prozesse, wie in Amerika, wo unlängst Darwinisten verurteilt wurden, seien in der Sowjetunion unmöglich.123) Die antireligiöse Propaganda diene als ein Mittel zur Untergrabung des Einflusses der reaktionären Geistlichkeit, die die Ausbeuterklassen unterstützt. Stalin betonte, daß sie die reaktionäre Geistlichkeit „niedergeworfen“ hätten, schlimm sei nur, daß sie noch nicht völlig liquidiert sei. Es gäbe Fälle, in denen Parteimitglieder die antireligiöse Propaganda behinderten. Es sei sehr gut, solche Parteimitglieder auszuschließen.124) Nach den Erfahrungen mit der Geistlichkeit im zaristischen Rußland, während der Revolution und des Bürgerkrieges ist die Stellung Stalins gegenüber der Geistlichkeit verständlich. Sie sollte nicht verallgemeinert werden im Sinne eines Bestandteiles der marxistisch-leninistischen Parteitheorie. Stalins Beurteilung trifft zweifellos auf die Mehrheit der Geistlichkeit unterschiedlicher Religionen zu, wie die geschichtlichen Erfahrungen von mehr als hundert Jahren Klassenkämpfe beweisen. In Rußland waren es die Popen, in Mittelasien die islamischen Mullahs. Hier sei nur an die Basmatschenaufstände in Mittelasien erinnert. Auch die SED in der DDR hat ihre Erfahrungen mit den offiziellen Kirchenleitungen gemacht. Vielleicht hätte sie besser auf Stalin hören sollen.125) Aber es gab und gibt Geistliche unterschiedlicher Religionen und Konfessionen, die an der Seite der Arbeiterklasse gekämpft haben und kämpfen. Hier sei nur an den antifaschistischen Widerstand erinnert. Für Mittelasien hatte die KPR (B) besondere Aufnahmebedingungen, die es mohammedanischen Proletariern ermöglichten, Mitglied der Partei zu werden. Die Stalinsche Formulierung „reaktionäre Geistlichkeit“ ist also nicht verallgemeinerungsfähig. Eine dogmatische Akzeptanz einer situationsbezogenen Einschätzung in Ländern mit starker katholischer oder islamischen Bevölkerung Lateinamerika oder der Nahe Osten (es gibt etwa eine Milliarde Muslime auf der Welt) würde zur Zerstörung kommunistischer Parteien führen. Andererseits sind starke reaktionäre Strömungen unter der Geistlichkeit sowohl im Islam als auch in christlichen Kirchen unübersehbar, die jede demokratische Regung mit allen Mitteln zu unterdrücken suchen. Die Beziehungen zwischen einer marxistisch-leninistischen Partei mit Kirchen bzw. islamischen Organisationen sind ein äußerst sensibles Feld. Für deren Gestaltung gibt es keine allgemeinverbindlichen Rezepte. Stalin hat die Politik der KPdSU (B) gegenüber der russisch-orhtodoxen und islamischen Geistlichkeit auch nirgendwo zur Nachahmung empfohlen. In den zwölf Punkten der Bolschewisierung der Parteien der KI sind auch keine diesbezüglichen Forderungen enthalten. 1.2.4. Die Partei im System der Diktatur des Proletariats Erstmalig in der Weltgeschichte war die marxistisch-leninistische Partei mit dem Verhältnis, den Beziehungen zum Staat der Diktatur des Proletariats konfrontiert. An praktischen Erfahrungen gab es nur die Pariser Kommune, Der Rat der Kommune setzte sich jedoch aus zwei „Parteien“ zusammen, den Blanquisten und Proudhonisten, sowie einigen wenigen Marxisten. Eine marxistische Partei gab es noch nicht in der Pariser Kommune. In mehreren Arbeiten, Berichten, Reden in der Zeit von 1923 bis 1930 setzte sich Stalin mit dieser Problematik auseinander und verallgemeinerte die Erfahrungen aus den Beziehungen zwischen Partei und Staat in der Sowjetunion. Im „Organisatorischen Bericht des ZK“ auf dem XII. Parteitag der KPR (B) (17. - 25. April 1923) unterzog er den sowjetischen Staatsapparat einer strengen, aber sachlichen Kritik. „Der Staatsapparat ist der grundlegende, die Massen erfassende Apparat, der die an der Macht befindlichen Arbeiterklasse, vertreten durch ihre Partei, mit der Bauernschaft verbindet und der Arbeiterklasse ... die Möglichkeit gibt, die Bauernschaft zu führen.“126) Aber, der Typus vom Staatsapparat als Sowjetstaat sei zwar richtig, aber seine Bestandteile sind noch „fremde, bürokratische, halbzaristisch-bürgerliche Elemente. Der Staatsapparat soll, im „Dienste der Volksmassen“ stehen, aber „manche Leute dieses Staatsapparates“ wollen „ihn zu einer Futterkrippe“ machen.127) Der Staatsapparat müsse vereinfacht werden, „Diebe und Gauner“ aus ihm vertrieben werden, sonst würde der Apparat zum Selbstzweck verkommen. Unter Bezug auf Lenin meinte Stalin, es ginge nicht nur um die Stärkung der führenden Rolle der Partei, sondern im Lande solle „kein einziger, noch so hoch stehender Würdenträger“ bleiben, von dem der einfache Mann sagen könnte: „Dem ist nicht beizukommen.“ Es ginge, nach Lenin, eben darum, „nicht nur den Staatsapparat, sondern auch die Partei von den Würdenträgertraditionen und -gepflogenheiten zu reinigen, die unsere Partei kompromittieren.“128) Im weiteren unterschied Stalin zwischen der Partei als Organisation und der Partei als Apparat. Bezüglich der Organisation sei auf die soziale Zusammensetzung zu achten. Die Partei sei eine Partei der Arbeiterklasse. Darum sei das Augenmerk auf das Wachstum der proletarischen Elemente in der Partei. zu richten, der Zustrom nichtproletarischer Element einzuschränken. Stalin begründete dies aus den Verhältnissen der NÖP. Zweifellos sei die Partei „dem verderblichen Einfluß der NÖP-Elemente ausgesetzt“. Darum sei ein Maximum an Homogenität in der Partei, ein „entschiedenes“ Überwiegen der Arbeiter innerhalb der Partei auf Kosten der Nichtarbeiter zu erreichen.129) Die Erfahrungen haben gezeigt, nicht nur in der Sowjetunion, daß nach Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse vor allem Intellektuelle in die Partei eintreten. Daraus ergaben sich Gefahren bezüglich des Parteiapparats auf die Stalin weitsichtig hinwies. Sie können zur Zerstörung der Partei führen. Das ZK der KPR (B) umfaßte zur Zeit des XII. Parteitages 27 Mitglieder. Es trat einmal alle zwei Monate zusammen. Innerhalb des ZK habe sich ein Kern von zehn bis fünfzehn Genossen gebildet, „die sich in Sachen der Führung der politischen und wirtschaftlichen Arbeit ... dermaßen eingefuchst haben, daß sie Gefahr laufen, sich in eine Art Hohepriester der Führung zu verwandeln.“ Dies sei vielleicht ganz gut, habe aber auch „eine sehr gefährliche Seite: Diese Genossen, die große Erfahrungen in der Frage der Leitung gesammelt haben, können von Dünkel angesteckt werden, sich abkapseln und sich der Arbeit unter den Massen entfremden.130) Wenn Stalin hier noch sehr vorsichtig von einer Möglichkeit der Entfremdung sprach, die Gefahren der Verselbständigung der Führung hatte er erkannt. Die Verselbständigung der Führung, des Apparates, gegenüber den Mitgliedern der Partei - und den Volksmassen - ist ein objektiver, unvermeidlicher Prozeß. Die Genossen der Führungsgruppe der Partei, ob Politbüro, Sekretariat, Abteilungen des Parteiapparates, kommen in der Regel ständig zusammen, erhalten Informationen, sind untereinander verbunden. Die Mitglieder der Partei sind über das gesamte Territorium des Staates verstreut (in der Sowjetunion 22 Millionen km2; in der VR China 10 Millionen km2), kommen in ihren lokalen Parteiorganisationen, Wohn- oder Betriebspateiorganisationen, in der Regel einmal im Monat, nach der Arbeit, zusammen. Einmal erhalten sie nicht alle Informationen, über die die Führungsgruppe verfügt, zum anderen erhalten sie die Informationen später, wobei die Führung nur das an Informationen weitergibt, was sie für nötig hält. Es kann berechtigte Gründe geben, Informationen zurückzuhalten. Darüber entscheiden die Genossen des Kerns der Führungsgruppe. Das politisch-ideologische und theoretische Niveau der Genossen der Führungsgruppe ist in der Regel höher als bei der Mehrheit der Parteimitglieder. Daraus folgt unvermeidlich eine gewisse Verselbständigung des Apparates gegenüber der Organisation. Soweit diese Verselbständigung sich in Grenzen hält, sogar notwendig ist, um schnelle Entscheidungen in kritischen Situationen fällen zu können, wird sie von der Mehrheit der Parteimitglieder auch akzeptiert, richtet sie keinen Schaden an. Ohne einer psychologisierenden Geschichtsschreibung das Wort zu reden, spielen in der Frage der Verselbständigung der Charakter der Funktionäre eine nicht zu unterschätzende Rolle. Erfolge in der Führungstätigkeit - Stalin sagt: in neun von zehn Fällen richtige Entscheidungen treffen, was sehr gut wäre - können einzelnen Genossen in den Kopf steigen, die sich dann als „Hohepriester“ der Partei, als Inkarnation des Marxismus-Leninismus fühlen und entsprechend auftreten, Widerspruch, Kritik ganz und gar nicht vertragen und - möglichst noch mit administrativen Mitteln - unterdrücken. Diese Gefahren hatten Lenin und Stalin erkannt. Sie bestanden in allen herrschenden Kommunistischen Parteien und werden auch in Zukunft nicht zu vermeiden sein. Zu glauben, daß in einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaft, vor allem in der Übergangsperiode, nur „Ritter ohne Furcht und Tadel“ die Macht ausüben werden, daß es keinen Karrieristen, Großmäulern, gelingen wird, in den Parteiapparat aufzusteigen - die dann als erste im Falle einer Niederlage die Parteibücher in die Mülltonnen werfen und als nun mehr geläuterte Protagonisten der Herrlichkeiten der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie und freien Marktwirtschaft alle niederbrüllen, die ihnen zu widersprechen wagen - gehört in das Reich der Illusionen. Im übrigen sind diese Erscheinungen der Verselbständigung der Apparate in der kapitalistischen Gesellschaft noch viel schärfer und ekelhafter ausgeprägt als in den sozialistischen Ländern. Solange es Klassen und einen Staat geben wird, wird man solche Erscheinungen wohl einschränken, aber nicht völlig ausschließen können. Stalin verwies auf das Generationsproblem in der Führungstätigkeit. Die führenden Genossen im ZK werden alt, müssen abgelöst werden. Der Gesundheitszustand Lenins war bedenklich, auch die übrigen führenden Genossen, des „Grundkerns des ZK“, seien verbraucht. Aber es gäbe noch keine Ablösung. Parteiführer heranzubilden sei sehr schwer, man benötigt dafür fünf bis zehn Jahre, oder sogar noch mehr. Es sei viel leichter, mit Hilfe der Kavallerie des Genossen Budjonny dieses oder jenes Land zu erobern, als zwei oder drei Führer von unten herauf auszubilden. Einen Ausweg sah Stalin darin, neue, jüngere Genossen in das ZK zu wählen, um diese „die ganze Schwere der Leitung spüren zu lassen.“ Das ZK sollte „mindestens bis auf 40 Mann“ erweitert werden.131) Die Frage des Führungsnachwuchses ist von allgemeiner Bedeutung. Sie spielte in der gerade gebildeten Sowjetunion auf Grund der vom Zarismus hinterlassenen Kulturlosigkeit der Massen eine entscheidende Rolle. Die Führungsschicht der Partei war zahlenmäßig sehr dünn. Das trifft auch auf die Mehrheit der heutigen Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zu. Darum gehört der Mord an revolutionär-demokratischen Führungspersönlichkeiten in diesen Ländern zur Strategie imperialistischer Großmächte. Hier sei nur an die Ermordung von Patrice Lumumba und an die allerdings mißglückten Mordanschläge auf Fidel Castro erinnert. Ist der Führungskern in einem solchen Lande liquidiert, dauert es in der Regel zwanzig bis dreißig Jahre, bis eine neue Führung herangebildet ist. Eine andere Methode ist die der Diffamierung von Führungspersönlichkeiten als „Verbrecher“, um sie auf diesem Wege auszuschalten. Vor dem Problem des Führungsnachwuchses stehen heute auch kommunistische Parteien in imperialistischen Ländern, woraus ersichtlich, daß die Nachwuchsfrage nicht ausschließlich auf ökonomisch rückständige Länder zu reduzieren ist. Sie ist vielschichtig. Im Rechenschaftsbericht auf dem XIV. Parteitag der KPdSU (B) (18. bis 31. Dezember 1925) ging Stalin erneut auf das Verhältnis Partei - Staat ein: Die Partei sei die führende Kraft in der Diktatur des Proletariats. Ohne Führung durch die Partei wäre die Diktatur des Proletariats unter den Bedingungen der kapitalistischen Umkreisung unmöglich. Daraus erkläre sich, daß die Bourgeois aller Länder „mit heller Wut“ von unserer Partei sprächen.132) Dies bedeute jedoch keine Identität von Partei und Staat. „Die Partei ist die führende Kraft in unserem Staat. Es wäre jedoch dumm, aus diesem Grunde zu behaupten, ... das Politbüro sei das höchste Organ im Staate.“133) Dies sei Konfusion, die nur Wasser auf die Mühle unserer Feinde leite. „Das Politbüro ist das höchste Organ nicht des Staates, sondern der Partei, die Partei aber ist die höchste führende Kraft des Staates. Das ZK und das Politbüro sind Organe der Partei.“ Er wolle „die Staatsbehörden nicht mit der Partei identifizieren ... sondern nur sagen, daß in allen grundlegenden Fragen unserer Innen- und Außenpolitik der Partei die führende Rolle gehörte.134) Stalin unterscheidet hier zwischen dem System der Diktatur des Proletariats als politischem System des Sozialismus und dem Staatsapparat, der Regierung, der Ministerien. Der Staatsapparat ist nicht die Partei. Die führende Rolle der Partei bezieht sich auf das gesamte System der Diktatur des Proletariats. Die Führungsrolle der Partei bezüglich des Staatsapparates vollzieht sich über die dort tätigen Genossen sowie durch die politisch-ideologische Führung der Partei im System der Diktatur des Proletariats, in dem der Staatsapparat ja keine exzeptionelle Stellung einnimmt. Führung, auch des Staatsapparates durch die Partei bedeute eben keine Identität von Partei und Staat. Die zeitweilig historisch bedingte „Personalunion“ von Partei- und Staatsfunktionen mag später zu dieser falschen Identifizierung von Staat und Partei beigetragen haben, was von bürgerlichen Medien bis in die Gegenwart ausgenutzt wird und auch in Sozialismusvorstellungen von Kommunisten „kritisch überwunden“ und für die Zukunft ausgeschlossen werden soll. Wenn die Führungsschicht zahlenmäßig sehr begrenzt ist, wird eine „Personalunion“ kaum zu vermeiden sein. In seiner Arbeit „Zu den Fragen des Leninismus“ (Januar/Februar 1926) ging Stalin ausführlich auf die Beziehungen zwischen Partei und Staat im System der Diktatur des Proletariats ein, wobei er aus den einschlägigen Schriften von Lenin zur Staatstheorie lange Zitate anführte.135) In dieser Arbeit wird ein weiteres Mal die Kontinuität von Lenin zu Stalin deutlich. Ausgangspunkt bei Stalin ist die Kritik der These, wonach man die radikale Umgestaltung der alten bürgerlichen Verhältnisse ohne gewaltsame Revolution, ohne Diktatur des Proletariats bewerkstelligen könne. „Zu glauben, daß man eine solche Revolution friedlich, im Rahmen der bürgerlichen Demokratie, die der Herrschaft der Bourgeoisie angepaßt ist, durchführen kann, bedeutet, entweder den Verstand verloren und die normalen menschlichen Begriffe eingebüßt zu haben oder sich grob und offen von der proletarischen Revolution loszusagen.“136) Mit Verweis auf Lenin polemisiert Stalin gegen kleinbürgerliche Demokratieauffassungen, daß die Partei unter den Bedingungen kapitalistischer Machtverhältnisse erst die Mehrheit der Bevölkerung gewinnen müsse, bevor sie die Macht ergreifen dürfe. Nach Lenin müsse das revolutionäre Proletariat erst die Bourgeoisie stürzen, den bürgerlichen Staatsapparat zerschlagen, dann würde das Proletariat die Sympathien und die Unterstützung der Mehrheit der werktätigen nichtproletarischen Massen für sich gewinnen. In Übereinstimmung mit Lenin könne die Klasse der Proletarier nicht die Macht mit anderen Klassen teilen. Dies sei im Begriff der Diktatur des Proletariats enthalten.137) Diese Aussage ist von allgemeiner Bedeutung für die marxistisch-leninistische Staatstheorie. Macht ist nicht teilbar! Die Bourgeoisie denkt auch nicht im Traum daran, ihre Macht, die Macht ihrer Klasse mit einer anderen Klasse, der Klasse der Lohnarbeiter, zu teilen. Ihre Ideologen verstehen es allerdings meisterhaft, die Macht der Bourgeoisie unter demokratischer Phraseologie zu verhüllen. Der auch politisch reflektierte Konkurrenzkampf unter den Bourgeois ändert daran nicht das geringste. Sowie die Klasseninteressen der Bourgeoisie als Ganzes, das Privateigentum an den Produktionsmitteln auch nur im geringsten bedroht erscheint, hält sie gegen das Proletariat zusammen. Das ist der „antikommunistische Grundkonsens“ der verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie und ihrer politischen Parteien - bei allem politischen Krakeel und Finanzskandalen untereinander. Die Nichtteilbarkeit der Macht schließt Bündnisse mit anderen Klassen und Schichten nicht aus. „Diese Macht, die Macht einer Klasse, kann nur durch eine besondere Form des Bündnisses zwischen der Klasse der Proletarier und den werktätigen Massen der kleinbürgerlichen Klassen, vor allem der werktätigen Massen der Bauernschaft, errichtet und bis zu Ende verwirklicht werden.“138) Bündnisse sind also keine Machtteilung! Innerhalb des Bündnisses übt die Partei der Arbeiterklasse die führende Rolle aus. Sie ist nicht teilbar. „Diese besondere Form des Bündnisses besteht darin, daß der Führer des Staates, der Führer im System der Diktatur des Proletariats eine Partei ist, die Partei. des Proletariats, ... die die Führung mit anderen Parteien nicht teilt und nicht teilen kann.“139) Dieser Hinweis ist wichtig für Länder, in denen der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus in Form eines Mehrparteiensystems vollzogen wird. Es war kein Zufall, wenn 1989 die Konterrevolution in der DDR aus Artikel 1 der Verfassung den Führungsanspruch der marxistisch-leninistischen Partei, der SED, aufhob. Von diesem Führungsanspruch abzusehen, die Führung der Arbeiterklasse durch die Partei durch eine „Avantgarde“-Rolle zu ersetzen oder zu umschreiben, kann die Arbeiterklasse in einer Entscheidungssituation desorientieren. Die Führung der Arbeiterklasse durch die marxistisch-leninistische Partei ist auch unter heutigen und zukünftigen Bedingungen unverzichtbar, auch wenn zur Zeit in den EU-Ländern und in den USA keine revolutionäre Situation besteht, die kommunistischen Parteien in diesen Ländern nach der Niederlage vorläufig keine einflußreiche politische Kraft darstellen, die Führung der Arbeiterklasse von der Bourgeoisie über ihr Parteiensystem und über reformistische Gewerkschaftsführer ausgeübt wird. Aus taktischen Erwägungen den Führungsanspruch theoretisch aufzugeben, weil zur Zeit nicht durchsetzbar, führt in der Konsequenz zum Opportunismus. In einem weiteren Abschnitt wandte sich Stalin der Rolle der Partei und Arbeiterklasse im System der Diktatur des Proletariats zu. Sie übt ihre Führungsrolle, ihre „lenkende Kraft“ über die Massenorganisationen aus, Gewerkschaften, Jugendverband, Genossenschaften. Es sei Aufgabe der Partei, „die Arbeit aller Massenorganisationen des Proletariats ohne Ausnahme zusammenzufassen und deren Tätigkeit auf ein Ziel,, auf das Ziel der Befreiung des Proletariats zu lenken.“140) Mehrfach verwandte Stalin bezüglich der Massenorganisationen Begriffe wie „Transmission“, „Hebel“ im System der Diktatur des Proletariats, über die die Partei ihre führende Rolle verwirklicht. Diese Massenorganisationen zu leiten, das wäre im allgemeinen das Bild des „Mechanismus“ der Diktatur, das Bild des „Systems der Diktatur des Proletariats.“141) Nach einem Zitat Lenins hätte die Partei in den Massenorganisationen im „großen und ganzen“ „einen formal nichtkommunistischen, elastischen und verhältnismäßig umfassenden, überaus mächtigen proletarischen Apparat, durch den die Partei mit der Klasse und der Masse eng verbunden ist und durch den unter Führung der Partei die Diktatur der Klasse verwirklicht wird.“142) Die Partei verwirklicht die Diktatur des Proletariats, aber nicht unmittelbar, sondern über die Massenorganisationen. „Ohne diese ‘Transmissionen‘ wäre eine einigermaßen feste Diktatur unmöglich.“143) „...keine einzige wichtige politische oder organisatorische Frage“ unserer Massenorganisationen wird „ohne leitende Weisungen der Partei“ entschieden...“144) Dieser Sachverhalt hatte schon immer selbst unter Genossen zu eklatanten Fehlinterpretationen geführt: Die Diktatur des Proletariats sei die Diktatur der Partei! Diese unhaltbare These wird nach wie vor von allen antikormmunistischen Ideologen und allen möglichen Schöngeistern verbreitet. Unhaltbar ist diese These darum, weil die Partei, selbst wenn sie das wollte, nicht allein die Diktatur ausüben kann. Nebenbei bemerkt, trifft dies auch für Diktaturen der Ausbeuterklassen zu. Die faschistische Diktatur war eben nicht nur die Diktatur der NSDAP, einiger faschistischer Führer oder gar Hitlers allein, wie in bürgerlichen Publikationen gern behauptet wird, um die Spitzen des Monopol- und Bankkapitals, die Hitler mit der Ausübung der Macht beauftragt hatten und dessen Diktatur tatkräftig unterstützten - solange sie ihnen nützlich war - aus der Kritik herauszuhalten. Ohne besonders reaktionäre Teile des Monopolkapitals gab und gibt es keine faschistische Diktatur, wobei sich die betreffende reaktionäre Partei ebenfalls mit Massenorganisationen umgibt bzw. vorhandene in ihrem Interesse umfunktioniert, „umwandelt“, z.B Gewerkschaften in „Deutsche Arbeitsfront“! Auch offene, unverhüllte, terroristische Diktaturen der Bourgeoisie bedürfen der „Transmissionen“, über die sie ihre Macht realisieren. Was die bürgerlichen Ideologen stört, ist nicht die Diktatur, sondern die Diktatur des Proletariats, das heißt, der proletarische Klassencharakter der Diktatur. Die bürgerlich-parlamentarische Demokratie ist ihrem Wesen nach auch nichts anderes als eine verhüllte Machtausübung der Bourgeoisie, sogar die sicherste Form ihrer Diktatur, d.h. ihrer Klassenherrschaft, „dadurch, daß sie die Gewalt abwechselnd aus ihrer einen Hand fallen läßt, um sie mit ihrer andern aufzufangen.“ 144a) Es würde den Rahmen vorliegender Arbeit sprengen, die Diktaturen/Diktatoren in Südkorea, Südvietnam, auf den Philippinen, in Indonesien, Chile, Südafrika und anderen Staaten nur halbwegs aufzuzählen, deren blutige Regimes von den jeweiligen Administrationen der USA gefördert und unterstützt, von ihren Ideologen als Vorkämpfer der „freien Welt“, für „Demokratie und Menschenrechte“ verklärt wurden. Die Mudjaheddins, die Taliban gehörten ja auch einmal zu diesen „Freiheitskämpfern“, bis sie ihre von den USA gelieferten Waffen gegen ihre einstigen Auftraggeber wandten. „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan - der Mohr kann gehen!“ Doch diese Mohren gingen eben nicht. Solange die Menschheit in Klassen gespalten ist, wird es Klassenherrschaften = Diktaturen geben. Erst in einer klassenlosen Gesellschaft wird es keine mehr geben, eben auch keinen Staat mehr. Aber dies ist keine Gegenwartsaufgabe. Die Frage der Diktatur läßt sich nicht abstrakt beantworten, außerhalb der Klassenfrage. Der Klassenaspekt ist entscheidend für die Bestimmung des Charakters einer Diktatur. Die von bürgerlichen Ideologen verkündete „Totalitarismusdoktrin“ ist theoretisch und historisch unhaltbar. Stalin wies eine solche Identifizierung der Diktatur des Proletariats gleich „Diktatur der Partei“ auch entschieden zurück. Die Massenorganisationen haben spezifische Aufgaben, die Gewerkschaften andere als der Jugendverband oder Frauenorganisationen. Wenn es auch „leitende Weisungen“ von der Partei für alle wichtigen Beschlüsse der Massenorganisationen gibt, die Durchführung, die Umsetzung der Beschlüsse führen die Massenorganisationen selbst durch. Die Partei müsse bei all ihren Weisungen stets mit dem Willen, dem Zustand, dem Bewußtseinsgrad der von ihr Geführten rechnen. „Wer ... die führende Rolle der Partei mit der Diktatur des Proletariats identifiziert, der ersetzt den Willen und die Handlungen der Klasse durch die Weisung der Partei. Partei und Klasse sind nicht deckungsgleich, die Partei kann die Klasse nicht ersetzen. Die Partei bleibt „bei all ihrer wichtigen, führenden Rolle“ ein Teil der Klasse.“145) Der Begriff Diktatur ist ein staatstheoretischer Begriff. Die Diktatur des Proletariats schließt den Begriff der Gewalt ein, denn ohne Gewalt gibt es keine Diktatur. Eine Identifizierung von Diktatur des Proletariats mit Diktatur der Partei würde bedeuten, daß die Partei nicht nur „Führer und Lehrer“ der Arbeiterklasse sei, sondern auch eine Art Diktator, der ihr gegenüber Gewalt anwendet. Dies sei völlig absurd. Die proletarische Partei kann keine Gewalt gegen die eigene Klasse anwenden.146) Es geht bei dieser Frage um die Wechselbeziehungen zwischen Partei und Klasse, zwischen Parteimitgliedern und Nichtmitgliedern innerhalb der Arbeiterklasse. Stalin faßt die Auffassungen Lenins zu dieser Problematik zusammen: l. Die Autorität der Partei beruhe auf dem Vertrauen der Arbeiterklasse zur Partei. 2. Dieses Vertrauen wird nicht auf einmal und schon gar nicht durch Gewaltanwendung, sondern nur durch langwierige, ständige Überzeugungsarbeit durch die Partei erworben. 3. Ohne dieses Vertrauen der Arbeiterklasse gibt es keine wirkliche Führung durch die Partei. 4. Ohne Führung der Partei, beruhend auf dem Vertrauen der Arbeiterklasse, gibt es keine einigermaßen feste Diktatur des Proletariats.147) Führen heißt, die Massen von der Richtigkeit der Politik der Partei überzeugen, solche Losungen aufzustellen und durchzuführen, die die Massen an die Positionen der Partei heranführen und ihnen erleichtert, an Hand ihrer eigenen Erfahrungen die Richtigkeit der Politik der Partei zu erkennen, die Massen auf das Bewußtseinsniveau der Partei zu heben und sich somit die Unterstützung der Massen, ihre Bereitschaft zum entscheidenden Kampfe zu sichern. Die Methode der Überzeugung ist die Hauptmethode der Führung der Arbeiterklasse durch die Partei.148) Die Massen zu führen ist gar keine so leichte Aufgabe. Einmal stehen sie in ihrer Mehrheit unter dem Einfluß der bürgerlichen Ideologie, die ihnen von Kindesbeinen an über Schule - Kirche - Parteien - Klubs - Organisationen, dem gesamten Kulturbetrieb, durch die Massenmedien vermittelt wird. Sie sind bis zu einem gewissen Grade durch die Gesamtheit der Lebensumstände im Kapitalismus gegen die kommunistische Ideologie immunisiert. Die Massen lernen bekanntlich auch nicht aus Büchern und Parteiprogrammen. Die Mehrheit der Volksmassen sind Empiriker und daran muß die Partei anknüpfen. Die Erfahrungen der Massen im Kapitalismus, die sie täglich machen, sind der Ausgangspunkt, an die die Agitation und Propaganda der Partei in möglichst einfachen, für die Massen verständlichen Worten und Begriffen anschließen muß. Eine Schwierigkeit für die Partei besteht darin, daß sie auf ein Minimum von Theorie und geschichtlicher Erfahrung nicht verzichten kann, d.h. theoretische Erkenntnisse in die Agitation einbeziehen, die Theorie mit den Erfahrungen der Massen verbinden, muß ohne die Theorie zu verballhornen oder gar zu verfälschen. Stalin gehörte zu den wenigen Führern der Kommunistischen Weltbewegung, die diese Kunst meisterhaft beherrschten, worüber immer wieder intellektuelle Schöngeister die Nase rümpfen, weil sie nicht begreifen können, daß die Volksmassen nicht aus Akademikern bestehen. Die Partei kann und muß auch nicht alle Arbeiter überzeugen, um Aktionen durchführen zu können. Sie muß sich allerdings vor „entscheidenden politischen Aktionen“ die „Unterstützung der Mehrheit der Arbeitermassen“, zumindest deren „wohlwollende Neutralität“ sichern. Wie aber soll sich die Partei gegenüber der Minderheit der Arbeiterklasse verhalten, die sich nicht freiwillig dem Willen der Mehrheit der Klasse unterwirft? In einem solchen Falle kann und muß die Partei, die das Vertrauen der Mehrheit auf ihrer Seite hat, die Minderheit „zur Unterwerfung unter den Willen der Mehrheit zwingen.“ „Das schließt aber die Anwendung von Zwang nicht aus, sondern setzt sie voraus, wenn dieser Zwang darauf gründet, daß die Partei das Vertrauen und die Unterstützung der Mehrheit der Arbeiterklasse genießt, wenn er gegen die Minderheit angewendet wird, nachdem man es vermocht hat, die Mehrheit zu überzeugen.“149) Läßt man die Formulierung „Vertrauen zur und Unterstützung der Partei durch die Mehrheit: der Arbeiterklasse“ weg, dann kommt die „Diktatur“ der Partei über die Arbeiterklasse, die „Diktatur der Führer“ heraus, eine bis heute übliche Verfälschung und Unterstellung Stalinscher Parteitheorie und Politik. Stalin verwies auf diesbezügliche Argumente Lenins aus dessen Schrift „Der ‘linke Radikalismus‘ - die Kinderkrankheit im Kommunismus.“150) Die damaligen Verfechter der These „Diktatur der Partei“ beriefen sich auf Lenin, der selbst von der „Diktatur“ der Partei gesprochen habe. Stalin schrieb, daß er in Lenins Werken nur fünf Fälle gefunden habe, in denen Lenin die Frage der „Diktatur der Partei“ „flüchtig berührt habe“.151) Diese Stellen werden von Stalin im Wortlaut angeführt 152) und kommentiert: a) Lenin hielt die Formel „Diktatur der Partei“ nicht für einwandfrei, und genau, weshalb er sie äußerst selten gebraucht und manchmal in Anführungszeichen gesetzt habe. b) In Polemik mit Gegnern sei Lenin „gezwungen“ gewesen, „von der Diktatur der Partei zu sprechen, gewöhnlich von der ‘Diktatur einer Partei‘, das heißt „daß unsere Partei allein an der Macht steht, sie die Macht nicht mit anderen Parteien teilt, daß unter der Diktatur der Partei gegenüber der Arbeiterklasse die Führung durch die Partei, ihre führende Rolle zu verstehen“ sei. c) Bezüglich der Rolle der Partei im System der Diktatur des Proletariats, wenn diese „wissenschaftlich zu definieren war“, habe Lenin „ausschließlich von der führenden Rolle der Partei in bezug auf die Arbeiterklasse“ gesprochen. Unter d) folgt ein Hinweis auf Lenin, die Formulierung „Diktatur der Partei“ nicht in die Resolution des II. Kongresses der KI aufzunehmen und unter e) die These, wonach die Begriffe „Diktatur der Partei“, „Diktatur der Führer“ mit dem Leninismus unvereinbar sind.153) Auf den ersten Blick könnte man meinen, daß es sich um Interpretierungsfragen oder einfachen Wortstreit handelt. Es ist immer wieder zu beobachten, daß aus Werken der Klassiker einzelne Abschnitte, Sätze zitiert werden, die unter einer ganz bestimmten konkret-historischen Situation geäußert und dann zu einem „Axiom“ erhoben werden. Nicht unbekannt sind die sogenannten „Zitatenschlachten“, Klassikerzitate als „Autoritätsbeweise“, um den eigenen Standpunkt unter Berufung auf die Klassiker in den Rang einer „Offenbarung“ zu erheben und damit jeden Widerspruch abzuschmettern. Wichtiger als die oben genannten Auslegungen der Lenin’schen Äußerungen scheint mir die Argumentation Stalins zu sein, nämlich der Hinweis auf die Gefahren, die solche Formulierungen „Diktatur der Partei“, folglich „Diktatur der Führer“, erzeugen. Die politischen Konsequenzen solcher Formulierungen für die parteilosen Massen hießen: „Wagt nicht zu widersprechen“, denn die Partei sei „allmächtig“, wir haben die Diktatur der Partei! Parteikader könnten „forscher ran“gehen, „fester“ zupacken, denn man brauche nicht auf die Stimme der parteilosen Masse zu hören und schließlich könnte dies bei Parteispitzen zu einer „gewissen Selbstzufriedenheit“ führen, sie „sogar überheblich“ werden lassen.154) Diese Gefahren bestanden, wobei sie sich nicht nur aus Fehlinterpretierungen, voluntaristischer Auslegung Lenin’scher Schriften ergaben. Überheblichkeit bei nur einigen wenigen Parteifunktionären gegenüber den Massen, Arroganz gegenüber einfachen Menschen, die Gewohnheit „anzuordnen“, zu „dekretieren“ anstatt zu überzeugen, genügen, um negative Erfahrungen bei parteilosen Werktätigen zu erzeugen, die den Boden für die Akzeptanz der These von der „Diktatur der Partei“, „der Führer“ gegenüber der Arbeiterklasse bereiten. „Ob nicht doch ein bißchen dran ist an dieser Behauptung?“ Gegen diese Gefahren ist auch in Zukunft keine Partei gefeit. Die Führer der Kommunistischen Partei sind nicht nur Lehrer der Arbeiterklasse. In einigen Fällen bedürfen auch die Führer der Erziehung durch die Klasse, die manchmal etwas rauh sein kann. 1.2.5. Innerparteiliche Demokratie In einem Artikel der Prawda vom 15. Dezember 1923 „Über die Diskussion“155) setzte sich Stalin mit der Opposition in der Partei über Fragen der innerparteilichen Demokratie auseinander. Es gab zwei Gruppierungen, einmal ein Teil der „linken“ Kommunisten (Preobrashenski, Stukow, Pjatakow u.a.) zum anderen die „demokratischen Zentralisten“ (Rafail, Sopronow u.a.), sowie Trotzki. Bemerkenswert sind Sprache und Ton, in der die Diskussion offensichtlich geführt wurde. Es fehlte nicht, so Stalin, an Kraftausdrücken und Geschimpfe über das ZK, an ungereimten Beschuldigungen. Gegen diese Art von Grobheiten ging Stalin öfter vor, obwohl er selbst, wie er mehrfach zugegeben hatte, auch grob gegenüber seinen Widersachern war. Diese Unsitte, Diskussion von strittigen Problemen mit saftigen Kraftausdrücken zu würzen, gab - und gibt? - es nicht nur in kommunistischen, sondern auch in bürgerlichen Parteien. Der Krakeel innerhalb und zwischen den Parteien scheint eine Art klassenindifferenter politischer „Gesetzmäßigkeit“ zu sein, nach dem Motto, wo Argumente fehlen, stellen sich Kraftausdrücke ein. Besonders in Wahlzeiten, oder bei der Aufdeckung von Skandalen aller Art, natürlich immer beim andern, können. sich Politiker so richtig ins Zeug legen, geht es dabei noch gegen kommunistische Parteien, kommt also der Klassenaspekt hinzu, gibt es für Schmähreden keine Grenzen mehr. Stalin wandte sich mehrfach gegen die „abstoßenden Formen“ die die Streitigkeiten annahmen, insbesondere dann, „wenn sie aus persönlichen Motiven“ entstehen.155a) Das Problem war die Einschränkung der innerparteilichen Demokratie. Preobrashenski meinte, daß es 1917 und 1918 keine Einschränkungen gegeben habe, daß die Einschränkungen, die auf dem X. und XI. Parteitag (März 1921 und März 1922) beschlossen wurden, „das selbständige Denken der Partei“, die „Selbsttätigkeit der Parteiorganisationen“ beenge.156) Die genannten Parteitage standen noch unter Leitung Lenins, und es war Lenin, der das Verbot von Gruppierungen in der Partei vorgeschlagen hatte, das auf dem X. Parteitag beschlossen wurde. In den Jahren 1917/18 gab es einen offenen Kampf zwischen den Gruppierungen und Fraktionen der Partei, der die Partei in eine Krise geführt hatte, die mit der Frage ihres „Seins oder Nichtseins“ verbunden war. Stalin wies besonders auf den Kampf innerhalb der Partei in der Periode des Brester Friedens hin.157) Darin lagen die Ursachen des Fraktionsverbotes. Um dies noch einmal zu betonen: Das Fraktionsverbot war ein Beschluß des Zentralkomitees, der auf Initiative Lenins gefaßt wurde und kein „Willkürakt“ Stalins, dem immer wieder das Fraktionsverbot unterstellt wird. Aber auch nach dem Bürger- und Interventionskrieg, unter den Bedingungen der NÖP, trat Stalin für die Beibehaltung des Fraktionsverbots ein und wandte sich entschieden gegen Preobrashenski und andere Genossen, die es aufheben wollten. Mit der NÖP fand eine Belebung kleinbürgerlicher Tendenzen statt, die auch vor der Partei nicht halt machten. Die Wiederherstellung des „vergangenen Regimes des Fraktionskampfes“ würde „unvermeidlich zur Untergrabung der Einheit der Partei“ führen.158) Fragen der innerparteilichen Demokratie können nur unter Berücksichtigung der konkret-historischen Situation beantwortet werden. Ein Fraktionsverbot und andere Einschränkungen der innerparteilichen Demokratie bilden kein allgemeingültiges Axiom der Parteitheorie. Unter bestimmten Bedingungen sind sie unverzichtbar, unter anderen können sie Initiativen der Parteimitglieder hemmen. Einer der Verfechter der „Demokratisierung“ der Partei, Sapronow, forderte Neuwahlen, um die Gruppe der führenden Genossen, nicht zuletzt oder besonders Stalin, aus ihren Funktionen zu verdrängen. Ohne die Bedeutung von Neuwahlen unter dem Aspekt des Demokratismus zu leugnen, sah Stalin in ihnen keine „grundlegende Garantie“ für die Verbesserung des innerparteilichen Lebens. Stalin unterschied zwei Arten von Demokratismus: erstens den Demokratismus der Parteimassen, Initiativen zu entfalten, aktiv an der Parteiführung teilzunehmen und zweitens den „‘Demokratismus‘ unzufriedener Parteigrößen, die das Wesen des Demokratismus in der Ablösung der einen Personen durch andere sehen.“159) Stalin hatte die Beweggründe des „Demokratismus“ der Opposition richtig erkannt. Es ging nicht um innerparteiliche Demokratie, sondern um Befriedigung individueller Machtgelüste von politisch unzufriedenen Intellektuellen, und dahinter standen die NÖP-Bourgeoisie, die Reste der weißgardistischen Reaktion, unabhängig davon, ob die „demokratischen Oppositionellen“ in der Partei sich dessen bewußt waren oder nicht. Bis zum vorläufigen Ende des europäischen Sozialismus trat die „Opposition“ in den Kommunistischen Parteien stets unter dem Werbeslogan des Demokratismus auf, das sie als ihr Kampfbanner vorantrug und hinter dem sich die Konterrevolution formieren konnte. Die „Demokratisierung“ war und ist der Schlachtruf der internationalen Konterrevolution. Darauf wies in einem anderen Zusammenhang schon Engels in einem Brief an Bebel vom 11./l2. Dezember 1884 hin, wonach in einem revolutionären Moment „...die ganze reaktionäre Masse ... sich demokratisch“ gebärdet. „Jedenfalls ist unser einziger Gegner am Tag der Krise und am Tag nachher - die um die reine Demokratie sich gruppierende Gesamtreaktion, und das, glaube ich, darf nicht aus den Augen verloren werden.“160) In der NÖP-Periode 1923 als dem „Tag nachher“ war die innerparteiliche Opposition der Wortführer der russischen Gesamtreaktion. Stalin hatte die Gefahren erkannt, die von der Opposition ausgingen. Der Entwicklung der innerparteilichen. Demokratie standen noch andere Hindernisse im Wege. Da waren die „Überreste und Gepflogenheiten der Kriegsperiode in den Köpfen mancher ... Funktionäre“, die die Partei nicht als „selbsttätigen Organismus“ begriffen sondern als ein „System von Institutionen.“ Diese Überreste ließen sich nicht kurzfristig überwinden. Auf dem Parteiapparat lastete der Druck des „bürokratischen Staatsapparats.“ Der Staatsapparat hatte etwa eine Million Angestellte, der Parteiapparat nicht mehr als 20.000 bis 30.000 Funktionäre. Der Druck dieser schwerfälligen. Maschinerie ließ sich ebenfalls nicht in „kürzester Zeit“ überwinden. Schließlich erwies sich auch das aus der zaristischen Vergangenheit ererbte niedrige Kulturniveau in einer Reihe rückständiger Parteizellen als ein Hemmnis für die Entfaltung der innerparteilichen Demokratie.161) Besonders gefährlich waren die Angriffe Trotzkis auf das Zentralkomitee, besonders auf den engeren Führungskreis der Partei. Trotzki berief sich auf die Erfahrungen mit den Führern der II. Internationale, die zum Opportunismus entartet waren und extrapolierte diesen Sachverhalt auf den Führungskern der Bolschewiki. Diese „Argumentation“ war nicht ungeschickt. Der von Trotzki heraufbeschworenen „Entartung“ der „alten Garde“ stellte er die Jugend gegenüber. „Die Jugend“ sei „das sicherste Barometer der Partei“ und reagiere „am schärfsten auf den Parteibürokratismus.“162) Der Analogieschluß von den opportunistischen Führern der II. Internationale auf die führenden Genossen der Bolschewiki, (zu denen Trotzki als Mitglied des Politbüros und des ZK selbst gehörte! UH) den Apparat der Bolschewiki, ist historisch nicht haltbar, war nichts anderes als Demagogie. Desgleichen die Jungen den Alten gegenüberzustellen, sie voneinander zu trennen, war auf die Zerstörung der Partei gerichtet. Möglicherweise gebührt Trotzki das Verdienst, als erster den „Generationskonflikt“ als Ursache gesellschaftlicher Konflikte erfunden zu haben, um den Klassenkampf zu kaschieren. As ob man die historisch bedingten Ursachen für den Bürokratismus im Parteiapparat, den es ja gab und der von Lenin und Stalin bekämpft wurde, durch einen Generationswechsel beseitigen könnte. Trotzkis „Polemik“ war auf die Zerschlagung des Zentralkomitees, gezielt auf den Sturz Stalins als Generalsekretär gerichtet. Die bekannte ausgemachte Feindseligkeit in den Beziehungen zwischen Stalin und Trotzki, die noch aus dem Bürgerkrieg herrührte, haben dabei auch ihre Rolle gespielt. Die Sachfragen, um die es ging, lassen sich jedoch nicht auf diese psychologische Komponente reduzieren. Stalin bestritt keineswegs die Möglichkeit, daß die alten Bolschewiki entarten könnten, genausowenig wie wir „vor einem Erdbeben absolut gesichert sind.“ „Die Möglichkeit einer solchen Gefahr, die eventuell eintreten könnte, kann und muß zugegeben werden.“163) Aber Möglichkeiten sind keine Realitäten. Die Gefahr der Entartung der alten Bolschewiki war real nicht gegeben. Desgleichen war seltsam: Die „Alten“ könnten entarten, die „Jungen“ dagegen erobern „die revolutionären Formeln im Kampf.“164) Demnach können die Jungen nicht entarten? Die Frage der Entartung ist demnach keine politische, sondern eine Generationsfrage!? In seinem Referat auf der XIII. Konferenz der KPR(B) (16. bis 18. Januar 1924) verdeutlichte Stalin die Klassenbedingtheit der innerparteilichen Demokratie.165) Er ging von der Resolution über den Parteiaufbau aus, die in der gemeinsamen Sitzung des Politbüros des ZK und des Präsidiums der ZKK der KPR (B) am 5. Dezember 1923 angenommen worden war. Das Plenum des ZK (14. bis 15. Januar 1924) billigte diese Resolutionen, die laut Beschluß der XIII. Parteikonferenz unterbreitet wurde. Für das Verständnis der Diskussion zur innerparteilichen Demokratie ist die Kenntnis der Situation, in der sie stattfand, von Bedeutung. Die KPR (B) wurde von der Opposition in eine Existenzkrise gestürzt, von der das Schicksal der jungen Sowjetunion abhing, die vor einem Jahr, am 22. Dezember 1922, erst gebildet und noch lange nicht gefestigt war. Dieser Sachverhalt rechtfertigt die Dokumentation der Resolution des ZK und der ZKK der KPR (B) vom Oktober 1923 in vollem Wortlaut: Gemeinsame Plenartagung des ZK und der ZKK mit Vertretern von 10 Parteiorganisationen Moskau, 25. - 27. Oktober 1923 Die gemeinsame Plenartagung des ZK und ZKK beriet zusammen mit Vertretern von 10 Parteiorganisationen über die innerparteiliche Lage und brandmarkte das parteifeindliche, fraktionelle, ver­leumderische Auftreten Trotzkis vom 8. Oktober 1923, das das Signal zur Vereinigung aller oppositionellen Gruppierungen zum Kampfe gegen die Partei, gegen den Leninismus war. Das Plenum brandmarkte die von Trotzki zusammengeflickte Plattform, die sich „Erklärung der 46 Oppositionellen“ nannte. Im Kampfe gegen die leninistische Partei vereinigten sich alle oppositionellen Gruppierungen: die Trotzkisten, Dezisten, die Überreste der „linken Kommunisten“ und der „Arbeiter-Opposition“. In ihrer Erklärung prophezeiten sie eine schwere Wirtschaftskrise und den Untergang der Sowjetmacht und forderten, als einzig möglichen Ausweg aus der Lage, Freiheit für die Fraktionen und Gruppierungen, die vom X. Parteitag auf Vorschlag Lenins verboten worden waren. Resolution des Plenums über die Lage in der Partei Die gemeinsame Plenartagung billigt voll und ganz den vom Politbüro rechtzeitig festgelegten Kurs auf die innerparteiliche Demokratie sowie die vom Politbüro vorgeschlagene Verstärkung des Kampfes gegen jeden überflüssigen Aufwand und den zersetzenden Einfluß der NÖP auf einzelne Elemente der Partei. Die gemeinsame Plenartagung beauftragt das Politbüro, alles Notwendige zu unternehmen, um die Arbeit der vom Politbüro und vom Septemberplenum eingesetzten Kommissionen zu beschleunigen: der Kommission 1. zur Frage der „Schere“, 2. zur Frage des Arbeitslohns, 3. zur innerparteilichen Lage. Das Politbüro soll, nach Ausarbeitung der notwendigen. Maßnahmen zu diesen Punkten, beginnen, sie unverzüglich in die Tat umzusetzen und hierüber auf dem nächsten ZK-Plenum Bericht erstat­ten. Die gemeinsame Plenartagung des ZK und der ZKK mit Vertre­tern von 10 Parteiorganisationen sieht das Auftreten Trotzkis in dieser für die internationale Revolution und die Partei höchst verantwortungsvollen Zeit für einen schweren politischen Fehler an, insbesondere weil der gegen das Politbüro gerichtete Angriff Trotzkis objektiv den Charakter eines fraktionellen Auftretens an­genommen hat, das die Einheit der Partei zu gefährden droht und eine Parteikrise herbeiführt. Die gemeinsame Plenartagung stellt mit Bedauern fest, daß Trotzki zur Behandlung der von ihm aufgewor­fenen Fragen den Weg gewählt hat, an einzelne Mitglieder der Partei zu appellieren, anstatt den einzig zulässigen Weg zu gehen - diese Fragen zuvor in den Kollegien, deren Mitglied Trotzki ist, zur Diskussion zu stellen. Der von Trotzki gewählte Weg war das Signal zu einer fraktionellen Gruppenbildung (Erklärung der 46). Die gemeinsame Plenartagung des ZK und der ZKK und die Vertre­ter der 10 Parteiorganisationen verurteilen entschieden die Erklärung der 46 als einen Schritt fraktioneller Spaltungspolitik, die, wenn auch ohne Willen der Unterzeichner dieser Erklärung, einen solchen Charakter angenommen hat. Diese Erklärung droht dem gesamten Leben der Partei für die nächsten Monate den Stempel des inner­parteilichen Kampfes aufzudrücken und so die Partei in einer für das Schicksal der internationalen Revolution höchst verantwortungsschweren Zeit zu schwächen. (Angenommen mit 102 gegen 2 Stimmen, bei 10 Stimmenthaltungen). „Dreizehnte Konferenz der KPR(B). Bulletin“ 1924 166) Was aus dem Dokument nicht hervorgeht, ist die Ausdehnung der Tätigkeit Trotzkis auf die Rote Armee. Im Dezember 1923 entfachte der Leiter der Politischen Verwaltung der Roten Armee, W.A. Antonow-Owssejenko, in den Parteiorganisationen der Militärschulen und in Truppenteilen eine Kampagne gegen das ZK. Trotzki gab die Weisung heraus, eine Konferenz der kommunistischen Zellen der Militärhochschulen durchzuführen, um sie für den Kampf gegen das ZK zu mobilisieren. Antonow-Owssejenko gab ein Zirkular, Nr. 200, an die Armeeorganisationen der KPR (B) heraus, in denen ihnen die Weisung erteilt wurde, das System der parteipolitischen Organe der Roten Armee und ihre Funktionen von trotzkistischen Positionen aus umzubauen. Es liegt auf der Hand, daß bei Durchführung dieser trotzkistischen Konzeption die Rote Armee zersetzt und ihrer Kampfkraft beraubt worden wäre. Auch die Rote Armee war nicht gegen die Unterwanderung von Anhängern Trotzkis gefeit.167) Wie aus dem Dokument ersichtlich, wurde die Resolution nach einer Diskussion von der Mehrheit angenommen, die, wie Stalin bemerkte, „nicht nur bei der Mehrheit, sondern der gesamten Partei überhaupt so eine einmütige Billigung gefunden“ hat.168) Dies erneut festzustellen, ist deshalb wichtig, weil immer wieder Stalin unterstellt wird, daß er selbstherrlich, willkürlich die Parteifragen allein entschieden, daß es keine Diskussion gegeben habe. Auf Grund der gespannten Situation in der Partei, der inneren und äußeren Lage der Sowjetunion gelangte Stalin zu der Einschätzung, daß es eine „voll entfaltete, vollständige Demokratie ... offenbar nicht geben“ wird. Sie wird sich in den vom X., XI. und XII. Parteitag umrissenen Grenzen halten. Die „wichtigste Garantie“, daß in „unserer Partei die innerparteiliche Demokratie in Fleisch und Blut“ übergehe, sei „die Stärkung der Aktivität und der Bewußtheit der Parteimassen.“ Es gäbe einige Genossen und Organisationen, die „aus der Frage der Demokratie einen Fetisch machen, indem sie diese als etwas Absolutes, außerhalb von Zeit und Raum, betrachten.“ Es gäbe „Augenblicke, in denen es unmöglich und sinnlos“ sei, „sie zu verwirklichen.“169) Für die Verwirklichung einer umfassenden Demokratie müssen die inneren und äußeren Bedingungen gegeben sein: eine entwickelte Industrie, zahlenmäßiges und qualitatives Wachstum der Arbeiterklasse, dies gelte auch für die Partei. Der Frieden war noch nicht gesichert, die Bedrohung von außen durch einen imperialistischen Interventionskrieg bestand nach wie vor. „.. .wenn man uns überfällt und wir das Land mit der Waffe in der Hand verteidigen müssen, kann von Demokratie gar keine Rede sein,, denn wir werden sie einschränken müssen.“ Wahrscheinlich würden wir die Reihen der Partei „militarisieren,“ ... „die Frage der innerparteilichen Demokratie“ würde von selbst entfallen.170) Es gäbe noch andere Hindernisse für die Entfaltung der innerparteilichen Demokratie, Überreste des militärischen Denkens aus der Kriegsperiode bei einem Teil der Funktionäre, Druck des bürokratischen Staatsapparats auf den Parteiapparat, auf Parteifunktionäre, das niedrige Kulturniveau einer ganzen Reihe von Organisationen. Für die Wahl von Funktionären müssen die Parteimitglieder und deren Organisationen als Ganzes ein Mindestmaß an Bildung haben, wie auch die zu wählenden Funktionäre. Wenn aber dieses „Mindestmaß“ nicht vorhanden ist, müsse man von einer demokratischen Wahl absehen und zur Ernennung von Funktionären übergehen.171) In einer von Trotzki verfaßten Resolution wurden erneut die Fragen Apparat und Partei, Kader und Jugend, Fraktionen und Einheit der Partei gestellt. Unter der Losung des Kampfes gegen die „Apparatleute“ suchte Trotzki den Parteiapparat der Partei gegenüberzustellen. Es war aber so, daß die Gouvernements- und Kreiskomitees wie auch das ZK gewählt wurden. Diese Leitungsgremien waren der Partei unterstellt. Die Angriffe Trotzkis gegen den Parteiapparat stellten eine Gefahr dar, denn sie könnten unerfahrene Parteimitglieder irritieren. Die Partei ohne Apparat ist nicht denkbar. Nach Trotzki reagiere die „studierende Jugend“ besonders empfindlich auf den Bürokratismus und forderte, mehr „studierende Jugend“ in die Partei aufzunehmen. Stalin erinnerte an die Auseinandersetzungen Lenins mit Martow bezüglich der Aufnahme von Intellektuellen in die Partei. Die Partei ist eine Arbeiterpartei, folglich müsse vor allem der proletarische Teil der Partei wachsen. Lenin meinte, daß in unserem Komitees „auf je zwei Intellektuelle acht Arbeiter“ kommen sollten.172) Schließlich forderte Trotzki. die „Freiheit der Gruppierungen“, die Aufhebung des Fraktionsverbotes. Nach Trotzki wären Gruppierungen eine Reaktion auf das „bürokratische Regime des Zentralkomitees“. Würde es dies nicht geben, dann gäbe es auch keine Gruppierungen. Aber dies, so Stalin, sei keine marxistische Fragestellung. Gruppierungen entstünden und werden entstehen, weil es verschiedene Wirtschaftsformen im Land gäbe, von Keimformen des Sozialismus bis zu mittelalterlichen Wirtschaftsformen. Mit der NÖP gäbe es Kapitalismus, ein Wiederaufleben des Privatkapitals und ein Wiederaufleben der entsprechenden Ideen, die auch in die Partei eindringen. In der Partei gibt es Arbeiter, Bauern und Intellektuelle. Darin lägen die Ursachen für die Schaffung von Gruppierungen, „die wir manchmal durch chirurgische Maßnahmen entfernen müssen und manchmal durch ideologische Beeinflussung auf dem Wege der Diskussion zum Verschwinden bringen müssen.173) Trotzki wolle die Partei in eine „Föderation von Gruppen“ umwandeln, und dies unter den Bedingungen der kapitalistischen Umkreisung, die nicht nur „eine einheitliche, nicht nur eine fest zusammengeschlossene, sondern eine wirklich stählernde Partei“ erfordere, die „dem Ansturm der Feinde des Proletariats“ standhalten und die Arbeiter in den „entscheidenden Kampf“ führen kann. Darum können keine Gruppierungen und Fraktionen in der Partei geduldet werden.174) Interessant und aktuell ist die Kritik Stalins an der Methode der Opposition, die es sich zur Regel gemacht habe, „Genossen Lenin als den genialsten aller genialen Männer zu preisen... .“ „Man will mit einem Wortschwall von der Genialität des Genossen Lenin die Abkehr von Lenin verbergen.“175) Dies habe Preobrashenski allerdings nicht daran gehindert, in der Frage des Brester Friedens dem „genialsten aller genialen“ Männer nicht zu folgen, und Sapronow erlaubte sich, auf einem der Parteitage Lenin einen „Ignoranten“ und „Oligarchen“ zu nennen.176) Diese Methode gehört auch heute noch in das ideologische Arsenal von Opportunisten in kommunistischen und anderen linken Parteien, um unter Berufung auf Lenin Ideen des bürgerlichen Parlamentarismus in ihre Programmatik einzuschmuggeln und den antikommunistischen Ideologen Referenz zu erweisen. Unter Berufung auf Lenin wird die Schaffung einer einheitlichen, starken Kommunistischen Partei in Deutschland heute noch blockiert. Auf dem XIII. Parteitag der KPR (13) (23. bis 31. Mai 1924) fand der Kampf zwischen Zentralkomitee und Trotzki seine Fortsetzung.177) Neben der Wiederholung der w.o. skizzierten Argumente gab es auch einige neue Akzente. Nach Trotzki „mache die Partei keine Fehler. Dies sei nach Meinung Stalins unmöglich“. Die Partei mache „nicht selten“ Fehler. Es käme darauf an, Fehler herauszufinden, ihre Wurzeln bloßzulegen, um aus der Analyse der Fehler sie in Zukunft vermeiden zu können. Anders gäbe es keine Parteientwicklung.178) Preobrashenski kritisierte die „Parteireinigung“, die ein „Instrument“ der Mehrheit gegen die Opposition sei. Stalin wies diese Behauptung zurück. Periodische Reinigungen der Partei von „unzuverlässigen Elementen“ seien erforderlich, weil sich anders die Partei nicht festigen könne. Es gab Fehler bei der Parteireinigung, aber habe es „bei einem großen Werk“ jemals „keine einzelnen Fehler“ gegeben? So gab es Entrüstungen von hochbezahlten Parteimitgliedern - mit Monatsgehalt von 1.000 bis 2.000 Rubel - die sich darüber „entrüsteten“, daß sie von „irgendeinem Chauffeur... gereinigt“ werden sollten. Solche Parteimitglieder müßten erzogen oder umerzogen werden, mitunter durch Ausschluß aus der Partei. Es sei notwendig, „von Zeit zu Zeit die Reihen der Partei mit einem Besen von Unrat zu säubern.“179) Nun hört sich diese Äußerung sehr grob an. Aber das war damals der Umgangston in der KPR (B), keine Besonderheit Stalins. Die „Parteireinigungen“ in der KPR (B) sind auch später oft entstellt reflektiert worden. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß nach der Revolution allerhand Karrieristen, kleinbürgerliche Intellektuelle, selbst Gauner und Diebe, in die Partei kamen und dort Unheil anrichteten. Es gab die auch in anderen Parteien bekannten sogenannten „Karteileichen“, die wohl in der Partei waren, aber nicht am Parteileben teilnahmen, keine Beiträge zahlten und in den Grundorganisationen nicht einmal bekannt waren. Solche „Parteireinigungen“ waren für die KPR (B) bzw. KPdSU (B) eine Notwendigkeit, um ihren Charakter als revolutionäre Kampfpartei zu erhalten. Fehler, die Stalin auch einräumte, waren dabei unvermeidlich, denn auch die mit der Überprüfung der Mitglieder beauftragten Genossen waren in manchen Fällen überfordert, so daß in einer Reihe von Fällen unberechtigte Ausschlüsse wieder rückgängig gemacht werden mußten. „Parteireinigungen“ hat es in der SED in dieser Form nicht gegeben. Periodische Überprüfung der Mitglieder, schon aus statistischen Gründen, meist verbunden mit der Ausgabe neuer Parteidokumente, waren auch hier notwendig. Mangelnde Parteidisziplin, Verletzungen der Beitragspflicht sind in kommunistischen Parteien bis heute nicht unbekannt. Die Oppositionellen entfalteten eine „hemmungslose Agitation für Demokratie in der Partei“. Sie würden unwillkürlich, ohne es zu wollen, zu einer „Art Sprachrohr der neuen Bourgeoisie“ werden, die auf die Demokratie in unserer Partei pfeife, aber im Lande gern eine Demokratie haben möchte. Diese Opposition in der Partei begünstigte die Agitation der neuen Bourgeoisie, die auf die Schwächung der Diktatur des Proletariats, auf die „Erweiterung“ der Sowjetverfassung, auf die Wiederherstellung der politischen Rechte der Ausbeuter abziele. „Nicht umsonst sympathisieren die Menschewiki und Sozialrevolutionäre“ mit der Opposition.180) Demokratiefragen, ob innerhalb oder außerhalb der Partei, erwiesen sich immer wieder als Klassenfragen. Auf dem XV. Parteitag der KPdSU (B) (2. bis 19. Dezember 1927) äußerte sich Stalin zu weiteren Aspekten der innerparteilichen Demokratie. Im Abschnitt III, „Die Partei und die Opposition“181) stellte Stalin die Frage, welche Demokratie die Partei brauche, eine Demokratie der „Freiheit für ein paar vor der Revolution losgelöste Intellektuelle, ohne Ende zu schwätzen, ein eigenes Presseorgan zu besitzen ...“ oder eine Demokratie der „Freiheit für die Parteimassen, über Fragen unseres Aufbaus zu entscheiden, den Aufschwung der Aktivität der Parteimassen, ihre Heranziehung zur Führung der Partei, die Entwicklung ihres Gefühls, Herr in der Partei zu sein. ...“ Die erstere brauchen wir nicht, die zweite haben wir.182) Die Kollegialität in der Führung habe zugenommen. Sowohl quantitativ als auch qualitativ sei die Führung gewachsen. Das ZK und die ZKK als leitendes Zentrum umfassen 200 bis 250 Genossen, die regelmäßig zusammentreten. Die Entscheidung wichtiger Fragen ginge mehr und mehr von einer engen führenden Gruppe in ein breiteres Zentrum über. Neben den alten Kadern gesellen sich zunehmend neue emporsteigende Kader, die hauptsächlich aus Arbeitern bestehen. Gab es früher Hunderte bis Tausende Parteikader, so jetzt Zehntausende. Von den untersten Organisationen in der gesamten Union bis „ganz hinauf ... zählen unsere Parteikader, deren gewaltige Mehrheit aus Arbeitern besteht, jetzt nicht weniger als l00.000 Funktionäre.“ Zugleich wachsen die ideologisch-organisatorischen Erfahrungen, gäbe es ein Wachstum der kommunistischen Kultur des Kaderbestandes.183) Es gab jedoch auch noch „ernste Mängel“. Es zeigten sich Erscheinungen der Vetternwirtschaft, des Spießertums in der Partei. Die Entwicklung vollziehe sich nicht in einem reibungslosen, allgemeinen Aufschwung. Noch gäbe es Klassen und Widersprüche im Lande. Unser Vormarsch erfolge im Kampf, durch Entwicklung der Widersprüche und deren Überwindung.184) „Niemals, solange es Klassen gibt, wird sich ein Zustand herbeiführen lassen, wo man wird sagen können: Nun, Gott sei Dank, jetzt ist alles gut. Niemals wird das bei uns der Fall sein, Genossen.“185) Es gäbe noch immer Erscheinungen der Überheblichkeit. „Zwei, drei große Erfolge, und schon dünkt man sich ein Goliath.“186) Statt zu überzeugen, werde noch immer administriert. Man müsse der Gefahr entgegenwirken, daß sich die Parteiorganisationen in „öde Kanzleiinstitutionen“ verwandeln. Ein Teil unserer Funktionäre, der gegen den Bürokratismus kämpft, werde mitunter selbst vom Bürokratismus infiziert. Solange der Staat besteht, würde dieser Prozeß in höherem oder geringerem Grade fortdauern.187) Eine Anzahl von Genossen würden zu einem ruhigen Leben, ohne Perspektivbewußtsein streben, „daß ringsum eine festliche und feierliche Stimmung herrsche, daß jeden Tag bei uns feierliche Sitzungen stattfinden, daß nur ja überall Beifall geklatscht und womöglich jeder von uns der Reihe nach als Ehrenmitglied in alle möglichen Präsidien gewählt werde.“188) Letztendlich schimmeln solche Genossen an, blieben im „Schlamm des Spießertums“ stecken, verwandeln sich letztendlich in echte Spießer. Dies wäre „der Weg wirklicher Entartung.“189) Gab es solche Erscheinungen nicht auch in der SED in den 80er Jahren? 1.2.6. Kritik und Selbstkritik „Die Selbstkritik hat viel für sich. // Gesetzt den Fall, ich tadle mich; // So hab‘ ich erstens den Gewinn, // Daß ich so hübsch bescheiden bin; // Zum zweiten denken sich die Leut, // Der Mann ist lauter Redlichkeit; // Auch schnapp‘ ich drittens diesen Bissen // Vorweg den andern Kritiküssen; // Und viertens hoff‘ ich außerdem // Auf Widerspruch, der mir genehm. // So kommt es denn zuletzt heraus, // Daß ich ein ganz famoses Haus.“ Mir ist nicht bekannt, ob Stalin Wilhelm Busch gekannt hat. Aber dieser hübsche Vers verdeutlicht in poetischer Form, wogegen Stalin gekämpft hat, der in mangelnder, echter Selbstkritik eine „äußerst ernste Gefahr“ sah. So seien Genossen, die in den Dörfern arbeiteten von sogenannten „behördlichen Erwägungen“ erfüllt, daß man nach oben „alles ‘im besten Licht’ zeigen müsse, daß bei uns alles aufs beste bestellt sei, daß man die Eiterbeulen verdecken müsse, daß Kritik nicht notwendig sei, da sie die örtlichen Machtorgane, die örtlichen Funktionäre diskreditiere...“.190) In einer Rede vom 19. Januar 1925 wies Stalin erneut auf die Gefahren hin, die entstehen, wenn man Angst vor Kritik habe, Mängel, die es gäbe, aufzudecken, um sie zu beseitigen. „Entweder wir, die ganze Partei, erlauben den parteilosen Bauern und Arbeitern, uns zu kritisieren, oder sie werden uns durch Aufstände kritisieren... . Entweder wir hören auf, nach Beamtenmanier alles in bester Ordnung zu finden, fürchten keine Kritik und lassen uns von den parteilosen Arbeitern und Bauern kritisieren, die doch die Auswirkungen unserer Fehler an ihrem eigenen Leibe spüren, oder wir tun das nicht, ... und dann folgt die Kritik in Form von Aufständen.“191) In einem Brief an Genossen ME - RT vom 28. Februar 1925 berührte Stalin Fragen der Kritik bezüglich der Parteien der Komintern. Es gäbe keine Partei, die frei von einzelnen Fehlern wäre. Man solle im Exekutivkomitee der KI nicht die Augen davor schließen, sich einer Parade „des völligen Einverständnisses“, des „Wohlergehens“ erfreuen und „in allem einander zustimmen.“ Solche Parteien würden „niemals revolutionäre Parteien werden... .“ Stalin kritisierte auch die Politik „des Hinausjagens aller andersdenkenden Genossen.“ Dies würde ein „Regime des Einschüchterns, ein Regime des Furchteinflößens“ erzeugen, das den Geist der Selbstkritik und der Initiative tötet.“ Es sei „nicht gut, wenn man die Führer der Partei fürchtet, sie aber nicht achtet.“ Die russischen Bolschewiki hätten eine „intensive prinzipielle Aufklärungskampagne gegen den Trotzkismus geführt und dadurch Hunderttausender neuer (noch unerfahrener UH) Parteimitglieder und Parteilose im Geiste des Bolschewismus erzogen. Repressalien allein genügen nicht. Der Ausschluß aus der Partei sei das letzte Mittel, und dem müsse eine prinzipielle Aufklärungskampagne vorausgehen.192) Den gleichen Gedanken wiederholte Stalin in einer Rede auf einem erweiterten Plenum des Exekutivkomitees der Komintern (EKKI) am 27. März 1925. Der Kampf gegen rechte Abweichungen in der tschechoslowakischen Kommunistischen Partei bedeute nicht, „daß alle Rechte unbedingt und restlos ausgeschlossen werden müssen. Der Ausschluß ist nicht das entscheidende Mittel im Kampf gegen die Rechten.“ Das Wesentlichste sei, die rechten Gruppierungen im Verlauf eines prinzipiellen Kampfes ideologisch und moralisch zu zerschlagen, wobei die Parteimassen in diesen Kampf einbezogen werden müssen.193) Kritik ist hier als Waffe im Kampf gegen Abweichungen und zugleich als Mittel der politisch-ideologischen Erziehung der Parteimassen charakterisiert. In einem Referat vor dem Aktiv der Moskauer Parteiorganisation vom 9. Mai 1925 bezeichnete Stalin die Selbstkritik als ein „Zeichen der Stärke.“ Nur eine starke Partei könne sich eine „schonungslose Kritik an ihren eigenen Mängeln“ leisten. Eine Partei, „die das Tageslicht und die Kritik scheut“, ist „eine Clique von Betrügern, die zum Untergang verurteilt sind“.194) Drei Jahre später, am 13. April 1928, widmete Stalin in einem Referat vor dem gleichen Aktiv einen ganzen Abschnitt allein der Selbstkritik.195) Die Selbstkritik gehöre zum Wesen des Regimes der Diktatur des Proletariats. In einem Lande, in dem die Diktatur des Proletariats von einer Partei geleitet werde, die die Macht nicht mit anderen Parteien teile und auch nicht teilen könne, müssen „wir selber unsere Fehler aufdecken und korrigieren“, da „es sonst niemand gibt, der sie aufdecken und korrigieren“ könne. Selbstkritik müsse eine der „gewichtigsten Kräfte“ sein, die unsere Entwicklung vorantreibe.196) Die Stärke des Bolschewismus bestehe gerade darin, seine Fehler einzugestehen. Mögen alle ehrlichen Arbeiter und werktätigen Elemente die Mängel in unserer Arbeit, in unserem Aufbau aufdecken und Wege zur Beseitigung unserer Mängel aufzeigen. Stalin wies auf Probleme im Verhältnis von Massen und Führern hin. Einerseits habe sich eine Gruppe von Führern herausgebildet, deren Autorität ständig steige. Ohne eine solche autoritative Gruppe von Führern ist die Leitung eines großen Landes undenkbar. Andererseits erfolgt der Aufstieg der Massen der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen sehr langsam, „sie beginnen, von unten zu den Führern auf zuschauen, sind vom Glanz geblendet und fürchten sich oftmals, ihre Führer zu kritisieren“,197) Darin bestünde die Gefahr der Loslösung der Führer von den Massen. Stalin führt diesen Prozeß zunächst auf objektive Ursachen zurück, den politisch-ideologischen Entwicklungsrückständen der Massen gegenüber den Führern. Dies könne dazu führen, daß die Führer überheblich werden und sich für unfehlbar halten. Dadurch drohe der Partei der Untergang. Darum sei es erforderlich, „in Form von Selbstkritik und Kritik an unseren Mängeln die breite öffentliche Meinung der Arbeiterklasse als lebendige und wachsame moralische Kontrolle zu organisieren, für deren Stimme die Führer, die große Autorität genießen, ein aufmerksames Ohr haben müssen.“198) Ohne an dieser Stelle eine Abhandlung über die Entstehung einer „öffentlichen Meinung“ zu verfassen, ist auf die Kompliziertheit dieses Prozesses hinzuweisen. Die „öffentliche Meinung“ ist Produkt von Informationen. Wie weiter oben erwähnt, übten die Trotzkisten und andere Oppositionelle bedeutenden Einfluß auf Teile der Arbeiterklasse, auf nicht wenige Parteiorganisationen, selbst in der Roten Armee, aus. Die „öffentliche Meinung“, wenn vorwiegend von den Trotzkisten geprägt, kann dann sogar sehr gefährlich für die revolutionäre Partei werden. Stalin wies dann auch zu recht auf die Bedeutung der Presse hin, so auf das Blatt der Arbeiter- und Bauerninspektion „Listok Rabotsche - Krestjanskoi Inspekzii“, das in bestimmten Zeitabständen in der „Prawda“ erschien, und auf die „Komsomolskaja Prawda“, Organ des Leninschen Kommunistischen Jugendverbandes der Sowjetunion. Die Kritik von Arbeitern und anderen Werktätigen sei nicht immer hundertprozentig richtig, sei unvollkommen. Die Arbeiter seien nicht immer in der Lage, „ihre Gedanken richtig zu formulieren.“ Es folgt der nicht unbekannte Satz, „...daß man auch eine Kritik, die nur 5 - 10 Prozent Wahrheit enthält, begrüßen, sie aufmerksam anhören und ihren gesunden Kern berücksichtigen muß.199) Es ginge jedoch nicht um jedwede Kritik. „Die Kritik eines Konterrevolutionärs ist ebenfalls Kritik.“ Sie bezwecke die Diffamierung der Sowjetmacht.200) Eine solche Kritik sei nicht gemeint, sondern es gehe um Kritik, die von Sowjetmenschen ausgehe zur Verbesserung der Organe der Sowjetmacht. Dies war sicher richtig, aber in der Praxis nicht immer zu unterscheiden. Einmal ist die Konterrevolution durchaus in der Lage, ihre „Kritik“ als „Verbesserung“ der Sowjetordnung zu verkaufen, wie die geschichtlichen Erfahrungen seit 1928 beweisen. Eine offene „Kritik“, auf die Diffamierung der Sowjetmacht gerichtet, würde schnell erkannt und zerschlagen werden. Zum anderen können Funktionäre berechtigte Kritik an ihrer Arbeit als „Diffamierung“ der Sowjetmacht abschmettern und damit jedwede Kritik unterdrücken. Auch dies wird durch geschichtliche Erfahrungen bestätigt. Diese Widersprüchlichkeit zwischen der Notwendigkeit der Kritik und dem Mißbrauch der Kritik ist unvermeidbar. Es kommt hinzu, daß in prekären Klassenkampfsituationen Kritik und Selbstkritik eingeschränkt werden müssen, denn selbst berechtigte Kritik kann von der Konterrevolution ausgenutzt, in ihr Gegenteil umgewandelt werden. Kritik und Selbstkritik erweisen sich somit als ein diffiziles politisches Problem. Darauf verwies Stalin in einem Prawda-Artikel vom 26. Juni 1928 unter dem Titel „Gegen die Vulgarisierung der Losung der Selbstkritik.“201) Es gäbe eine Art „Selbstkritik“, die auf die Zerstörung des Parteigeistes auf die Diskreditierung der Sowjetmacht gerichtet sei. Dazu gehöre das Geschwätz von der „Entartung“. Damit meinte Stalin die Opposition in der Partei.202) Es gab auch Formen der Vulgarisierung der Kritik. So würde sachliche Kritik an Mängeln durch „Reklamegeschrei gegen Auswüchse im persönlichen Leben“ ersetzt, Kritik um der Kritik willen, als „Sport“ betrieben, als „Sensationsmacherei“.203) Diese Art von „Kritik“ scheint eine unausrottbare üble Erscheinung in allen linken Parteien bis in die Gegenwart zu sein. Situationsbedingt nannte Stalin noch die Umwandlung der Selbstkritik in „eine Hetze gegen unsere Wirtschaftler“, deren Diffamierung. Auch Wirtschaftler seien nicht hundertprozentig gegen Fehler gefeit. Es gäbe überhaupt keine Menschen, die hundertprozentig gegen Fehler gefeit seien. Für die Heranbildung von Wirtschaftskadern seien „Jahre und nochmals Jahre erforderlich“. Die Hauptsache sei: „Ersetzt die Massenkritik von unten nicht durch ‘kritisches’ Wortgeprassel von oben... .“204) Im politischen Rechenschaftsbericht des ZK an den XVI. Parteitag (26. Juni bis 13. Juli 1930) faßte Stalin die Ergebnisse der „Selbstkritikkampagne“, eröffnet am 3. Juni 1928, zusammen. Die Schachty-Affäre, eine groß angelegte Sabotageaktion einer konterrevolutionären Organisation ehemaliger Grubenbesitzer und bürgerlicher Spezialisten (die „Schachtinzy“) im Donezgebiet (Drosselung der Kohlenförderung, Beschädigung von Maschinen und Lüftungsanlagen, die zu Einstürzen, Explosionen und Bränden in Gruben, Fabriken und Kraftwerken führten), war der Anlaß für diese Kampagne.205) Mangelnde Wachsamkeit, Mängel in der Führungstätigkeit der Parteifunktionäre, deren politische Blindheit und Überheblichkeit hatten diese Sabotagetätigkeit lange Zeit übersehen lassen. Die Schachty-Affäre habe gezeigt, „daß es der Partei stellenweise an revolutionärem Spürsinn fehlte.“206) Mängel der Arbeit in den örtlichen Parteiorganisationen im Kampf gegen das Kulakentum waren ein weiterer Anlaß für die „Selbstkritikampagne“. Alle Kräfte in Partei und Arbeiterklasse waren zur Entfaltung der Selbstkritik „von oben bis unten und von unten bis oben, ohne Ansehen der Person“ aufgerufen. Aufgabe der Selbstkritik sei, die Mängel in der Arbeit rücksichtslos aufzudecken. Zugleich grenzte Stalin die Selbstkritik von der trotzkistischen „Kritik“ ab, die auf die Diskreditierung der Sowjetmacht gerichtet war.207) Erfahrungsgemäß ist die Kritik von oben nach unten, die Selbstkritik unten, ohne Schwierigkeiten zu haben, aber umgekehrt, von unten nach oben erweist sich die Kritik etwas schwieriger. Die Genossen in den oberen Leitungsetagen haben nicht wenige Möglichkeiten, unbequeme Kritiker zum Schweigen zu bringen. Die Methoden reichen von Versetzungen, möglicherweise mit „Beförderung“, Suche nach Fehlern, Mängeln des kritisierenden Genossen, und da es bekanntlich keinen Menschen „ohne Fehl und Tadel“ gibt, läßt sich rasch etwas finden, aufbauschen, oder sogar erfinden und unterstellen bis zur Behauptung, der Kritiker wolle alte, bewährte Genossen „abschießen“, sei gar ein Schädling! „Moderne“ Formen wie das „Mobbing“, um kritische Genossen aus der Partei zu drängen, gab es zu Stalins Zeiten noch nicht. Die in der Partei organisierten Genossen sind nicht isoliert von der Gesellschaft mit ihren Klassen und Schichten. Auch in Zukunft wird es solche häßlichen Gewohnheiten wie Unterdrückung der Kritik geben, die eingeschränkt, aber nicht aufgehoben werden können. Das Parteileben vollzieht sich in Widersprüchen, Kämpfen, Auseinandersetzungen, in denen auch die üblen Tricks der Klassengesellschaft Anwendung finden. Stalin hatte über diesen Sachverhalt keine Illusionen. Kritik und Selbstkritik waren und sind im Kampf gegen diese Übel zweifellos ein wirksames Mittel, allmächtig sind sie nicht. 1.2.7. Quantität und Qualität Besonders nach Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse muß die Partei aufpassen bezüglich der Aufnahme von neuen Mitgliedern. In einer Mitgliederversammlung der Tifliser Organisation der KP Georgiens am 6. Juli 1921 rief Stalin die Genossen zur Vorsicht auf. Seit die KPR (B) Regierungspartei sei, würden mitunter „ganze Gruppen“ unzuverlässiger, karrieristischer Elemente der Partei beitreten oder beizutreten trachten, die „den Geist der Zersetzung und des Konservatismus“ in die Partei hineintragen. Die „Kraft und das Gewicht einer Partei, besonders der kommunistischen Partei“, hänge „nicht so sehr von der Menge ihrer Mitglieder als vielmehr von ihrer Qualität, von ihrer Standhaftigkeit und der Treue für die Sache des Proletariats“ ab. Die KPR (B) zählte zu dieser Zeit 700.000 Mitglieder. Wenn die Partei wolle, so könne sie die Mitgliederzahl auf sieben Millionen bringen, aber 700.000 standhafte Kommunisten sind eine „ernster zu nehmende Kraft... als 7 Millionen Mitläufer, die niemand braucht und die zu nichts nutze sind“. Die KPR (B) habe niemals nach einer großen Mitgliederzahl gejagt, ihr ging es vor allem um die Verbesserung der qualitativen Zusammensetzung der Partei. Die deutsche Sozialdemokratie war Ende des 19. Jahrhunderts die größte der Welt, die sich während des imperialistischen Krieges (Erster Weltkrieg, UH) als „Spielzeug in den Händen des Imperialismus“ erwies, nach dem Krieg in den Abgrund stürzte, weil sie jahrelang ihre Organisationen durch Aufnahme von allerhand „kleinbürgerlichem Gesindel“ den „lebendigen Geist in ihr tötete.“208) Mit dem „Sturz in den Abgrund“ ist hier die Zerstörung der Sozialdemokratie als revolutionärer Klassenpartei zu verstehen. Im Konzert kapitalistischer Machtausübung spielte sie als kleinbürgerliche Reformpartei in der Arbeiterbewegung bis 1933 noch eine Rolle, wenn auch eine sehr schäbige. In Auswertung des XIII. Parteitages vom 17. Juni 1924 warnte Stalin davor, das „Lenin-Aufgebot“ - anläßlich des Todes von Lenin kam es zu zahlreichen Neuaufnahmen in die Partei - zu übertreiben. Es habe 250.000 Neuaufnahmen aus der Arbeiterklasse gegeben. Es gäbe Stimmen, die Zahl der Mitglieder auf eine Million, sogar auf zwei Millionen zu bringen. „Die größten Parteien können zugrunde gehen, wenn sie sich übernehmen, zu vieles erfassen und sich dann unfähig erweisen, das Erfaßte festzuhalten, zu verdauen. In der Partei gab es vor dem Lenin-Aufgebot etwa 60 Prozent politisch ungeschulter Genossen, danach werden es etwa 80 Prozent sein. Man solle sich auf die 800.000 Mitglieder beschränken, die qualitative Zusammenarbeit der Partei verbessern, das Lenin-Aufgebot in den Grundlagen des Leninismus unterweisen, die Mitglieder zu bewußten Leninisten erziehen.209) Eine weitere Warnung vor unkontrolliertem zahlenmäßigen Wachstum der Partei erfolgte in einer Unterredung mit Teilnehmern einer Beratung der Agitprop-Abteilungen am 14. Oktober 1925. Ein zahlenmäßiges Wachstum sei natürlich gut, aber ein zu schnelles Wachstum führe „zu einer gewissen Senkung des Bewußtseinsniveaus der Parteimitglieder, zu einer gewissen Qualitätsverschlechterung der Partei.“ Man solle dem unregulierten Zustrom zur Partei Einhalt gebieten und neue Mitglieder „nur nach sorgfältiger Auswahl in die Partei“ aufnehmen. Des weiteren müsse eine „intensive politische Schulung unter den neuen Mitgliedern“ organisiert werden.210) Offenbar gab es immer wieder den Drang, die Partei zahlenmäßig zu erweitern. So mußte Stalin auf dem XIV. Parteitag der KPdSU (B) (18. bis 31. Dezember 1925) die unvernünftige Forderung einiger Genossen zurückweisen, „in ein oder zwei Jahren 90 Prozent der gesamten Arbeiterklasse ... in der Partei“ zu organisieren.211) Bei Neuaufnahmen sollten vor allem der Kern der Arbeiterklasse, die Arbeiter der Großindustrie, berücksichtigt werden. Auch wenn die Partei eine Arbeiterpartei ist, müßte „ein gewisser Prozentsatz der besten Vertreter der Bauernschaft in die Partei aufgenommen werden. Dies erfordere das Bündnis der Arbeiterklasse mit der werktätigen Bauernschaft.212) Für die Sowjetunion, in der die Mehrheit der Bevölkerung 1925 noch immer aus Bauern bestand, war diese Forderung für den Erhalt und die Stabilität der Diktatur des Proletariats von besonderer Bedeutung. Im Rechenschaftsbericht an den XVIII. Parteitag der KPdSU (B) (10. bis 21. März 1939) wies Stalin auf einige weitere Aspekte in der marxistisch-leninistischen Erziehung der Parteimitglieder und Parteifunktionäre hin. Als Axiom müsse gelten: „Je höher das politische Niveau und je bewußter die marxistisch-leninistische Einstellung der Funktionäre des betreffenden Zweiges der Staats- und Parteiarbeit, um so höher steht die Arbeit und umgekehrt....“213) Im weiteren orientierte Stalin auf die Verbindung von Fachwissenschaft mit der marxistisch-leninistischen Wissenschaft im Studium. Ein Leninist könne nicht nur ein Spezialist auf einem wissenschaftlichen Gebiet sein, er dürfe sich nicht abkapseln vom politischen Leben des Landes, sondern müsse ein aktiver Teilnehmer an der politischen Leitung des Landes sein. Dies bedeute natürlich „für die Spezialisten unter den Bolschewiki eine zusätzliche Arbeit.“214) Hohen Stellenwert maß Stalin der Parteipropaganda und der Erziehung der Kader bei. Dabei hob er den Wert des „Kurzen Lehrgangs der Geschichte der KPdSU (B)“, erschienen im September 1938, für die marxistisch-leninistische Bildung und Erziehung der Parteikader und -mitglieder hervor. Nun gibt es ein regelrechtes Trommelfeuer bürgerlicher Ideologen, Revisionisten, Trotzkisten, Reformisten gegen den „Kurzen Lehrgang...“ als Ausgeburt Stalinschen Dogmatismus und „Verfälschung“ der Geschichte der KPdSU (B). Selbst ansonsten ernstzunehmende Wissenschaftler und führende Funktionäre in kommunistischen Parteien beteiligen sich an der Schmähung dieses Buches - ohne viel zu prüfen‚ ohne zu analysieren. Verfaßt wurde der „Kurze Lehrgang...“ unter Redaktion einer Kommission des Zentralkomitees der KPdSU (B), natürlich auch von Stalin als Generalsekretär der Partei. Vergleicht man den „Kurzen Lehrgang...“ mit einschlägigen Schriften, Reden von Stalin, ist einiges daraus im „Kurzen Lehrgang...“ enthalten, aber Stalin hat ihn nicht allein ausgearbeitet. Ein inhaltlicher Vergleich des „Kurzen Lehrgangs...“ mit späteren, nach der berüchtigten Chruschtschow-Rede auf dem XX. Parteitag der KPdSU, vom ZK der KPdSU autorisierten Ausgaben der „Geschichte der KPdSU“, vor allem der sechsbändigen „Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion“, herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus, ergibt im Wesentlichen Übereinstimmung der Aussagen. Von einer „Verfälschung“ der Geschichte der KPdSU im „Kurzen Lehrgang...“ kann also nicht die Rede sein, während die Lügen eines Chruschtschows und des späteren Gorbatschows dokumentarisch nachgewiesen sind. In einem „Kurzen Lehrgang...“, unter den Bedingungen der 30er Jahre und einer geringen Anzahl marxistisch-leninistischer Historiker konnte nicht mehr geleistet werden. Es kann nicht verwundern, daß Trotzkisten, Anarchisten, Bucharin-Anhänger gegen dieses Buch Sturm liefen und laufen. Inhaltlich widerlegen konnten sie den Inhalt nicht. Mit dem „Kurzen Lehrgang...“ wurden Hunderttausende - Millionen? - junger Kommunisten in der internationalen Kommunistischen Bewegung auf allen Kontinenten an das Studium des Marxismus-Leninismus herangeführt, erhielten sie erste Kenntnisse über den Leninismus in Theorie und Geschichte. Hundertausende Parteifunktionäre begannen ihren kommunistischen Werdegang mit dem Studium des „Kurzen Lehrgangs...“ Vielleicht war es gerade die starke propagandistische und politische Wirksamkeit dieses Buches, daß es so heftig von den Gegnern des Leninismus attackiert wurde und wird. Nicht selten mußte ich in Auseinandersetzung mit Kritikern des „Kurzen Lehrgangs...“ erleben, daß sie ihn überhaupt nicht kannten, ihn nie gelesen haben, was sie jedoch nicht daran hinderte, ihn „aufs schärfste zu verurteilen!!!!“ als „Abkehr vom Leninismus“ - den sie genausowenig kannten, nach der Devise des Mephisto: „Bezeugt nur, ohne viel zu wissen.“ Aus heutiger Sicht ist der „Kurze Lehrgang...“ als ein historisch bedeutsames Werk in seiner Zeit, mit bedeutenden progressiven und starken politischen Wirkungen, als ein Baustein des Leninismus einzuschätzen, ohne etwa den Leninismus auf dieses eine Werk reduzieren zu wollen. Nach mehr als einem halben Jahrhundert gibt es in der Weiterentwicklung der marxistisch-leninistischen Theorie und Geschichtswissenschaft über den „Kurzen Lehrgang...“ hinausweisende bedeutende Erkenntnisfortschritte, wodurch der Wert des „Kurzen Lehrgangs...“ als historischem Zeitdokument jedoch nicht gemindert wird. Der XVIII. Parteitag orientierte auf die Gründung einer Hochschule für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU (B)215) zur Ausbildung theoretisch qualifizierter Parteikader in dreijährigen Lehrgängen. Für mittlere Kader waren zweijährige „Lenin-Schulen“ organisiert worden. Des weiteren wurden in einer Reihe von Zentren des Landes Jahreskurse für die Fortbildung von Propagandisten und Mitarbeiter der Presse geschaffen. Das Land sollte von einem dichten Netz von Bildungsstätten der Partei überzogen werden, in denen die marxistisch-leninistische Theorie in Lehrgängen und Veranstaltungen gelehrt wurde. Über die Lehrtätigkeit der Partei wurde das theoretische und politische Niveau nicht nur der Funktionäre, sondern auch der Masse der Parteimitglieder und parteilosen Werktätigen wesentlich erhöht. 1.2.8. Über die Grundlagen des Leninismus. Vorlesungen an der Swerdlow-Universität (April bis Mai 1924)216) Da die Einschätzung der „Grundlagen“ von Isaak Deutscher bis in die Gegenwart von allen möglichen „geläuterten“ ehemaligen Kommunisten als eine Art Offenbarung wiedergekäut wird, soll sie auch dem Leser nicht vorenthalten werden. „Er (Stalin UH) erklärte dort den Leninismus so, wie er ihn verstand. Was er zu diesem Thema zu sagen hatte, war so wenig originell und so flach, daß es sich kaum lohnt, eine Zusammenfassung seiner Darlegungen hier wiederzugeben. Was neu bei ihm war, das war die Form. Er erklärte die Lehre Lenins, die im wesentlichen soziologisch und experimentell war, als eine Folge strenger Regeln, als eine Patentstrategie und als eine taktische Verhaltensvorschrift für die Erlösung der Menschheit. All das war mit der Genauigkeit eines Buchhalters registriert und numeriert. Er kodifizierte und formalisierte den Leninismus in einem Stile unechter Vereinfachung und Durchsichtigkeit, der viele Menschen anzieht, denen eine gründliche soziologische Schulung fehlt. Jeden Satz, den er formulierte, belegte er mit einem Zitat aus Lenins Werken, das zuweilen ganz belanglos, zuweilen aus dem Zusammenhang gerissen war, genauso, wie ein mittelalterlicher Scholastiker seine Spekulationen mit Sätzen aus der Heiligen Schrift belegt hätte. Zugegeben, auch Lenin hatte zuweilen seine Darstellung mit fast zu vielen Marxzitaten gespickt. Aber Stalin brachte diese Manieriertheit zu solch absurder Vollkommenheit, daß er das bekannte Wort des Archimedes so hätte abwandeln können: ‘Gebt mir einen Satz von Lenin, und ich werde die Erde aus den Angeln heben.“217) Sein Verdammungsurteil weiß aber Deutscher auch nicht mit einem einzigen Satz aus den „Grundlagen“ zu belegen. Über einen Satz hätte Deutscher eigentlich selber stolpern müssen: über Menschen, „denen eine gründliche soziologische Schulung fehlt.“ Gerade solche Menschen waren die Hörer der Swerdlow- Universität. Arbeiter und Bauern, die aus dem Bürger- und Interventionskrieg kamen, junge Genossen, die gerade lesen und schreiben gelernt hatten, die die Reproduktionstheorie von Marx mit Sicherheit nicht kannten. Ihnen eine „gründliche soziologische Schulung“ zu vermitteln, war gerade das Anliegen Stalins. Wenn er Vereinfachungen vornahm - Vereinfachungen sind nie ganz ungefährlich - den Stoff nach „strengen Regeln“ gliederte und mit der „Genauigkeit eines Buchhalters“ numerierte, so spricht dies für das didaktische und pädagogische Geschick Stalins. Wenn Stalin ausführlich Lenin zitierte, so ergab sich dies aus dem Thema, nämlich Grundlagen des Leninismus! Man mag darüber streiten ob jedes Zitat notwendig war, aber wenn vom Leninismus die Rede ist, dürften Zitate aus Lenins Werken unvermeidlich sein. Deutscher hat versäumt, wenigstens eine „unechte“ Vereinfachung zu nennen, und wenn Deutscher in den „Grundlagen“ eine „taktische Verhaltensvorschrift für die Erlösung der Menschheit“ sieht, so ist dies seine Sache, bei Stalin ist ein solcher Unsinn nicht zu finden. In der Überschrift zu den Vorlesungen heißt es „Grundlagen des Leninismus“ also eine Einschränkung, die Stalin vornahm, der ausdrücklich bemerkte, daß seine „Vorlesungen keine erschöpfende Darlegung des Leninismus sein können. Sie können im besten Fall nur ein gedrängter Konspekt der Grundlagen des Leninismus sein.“218) Aus heutiger Sicht könnte man die „Grundlagen“ als eine Art Lehrbrief, eine Anleitung zum Studium der Werke Lenins bezeichnen, und als eine solche Anleitung können sie auch heute noch jungen Kommunisten nützlich sein, als eine Einführung in das Studium des Leninismus, wobei der Leninismus als Theorie und Methode auf die Analyse der heutigen Bedingungen des Klassenkampfes angewandt werden muß. Stalin beginnt mit der Frage, was Leninismus sei und setzt sich mit zwei begrenzten, einseitigen Auffassungen auseinander. 1. Der Leninismus sei die Anwendung des Marxismus auf die „eigenartigen“ Verhältnisse in Rußland. Dies wäre ein Teil der Wahrheit, aber der Leninismus lasse sich nicht ausschließlich auf „nationale“ Erscheinungen reduzieren. Der Leninismus ist in der „ganzen internationalen Entwicklung“ verwurzelt. 2. Der Leninismus sei die „Wiederbelebung der revolutionären Elemente des Marxismus der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts“ im Unterschied vom Marxismus der nachfolgenden Jahre, in denen er angeblich „gemäßigt, nichtrevolutionär“ geworden sei. Von der unsinnigen Teilung des Marxismus in einen „revolutionären“ und einen „gemäßigten“ abgesehen, sei auch in dieser These ein Teil der Wahrheit enthalten. Lenin hat den revolutionären Inhalt des Marxismus im Kampf gegen die Opportunisten in der II. Internationale wiederbelebt. Das ist richtig. Aber auch dies wäre nur eine halbe Wahrheit. Lenin hat den Marxismus unter den neuen Bedingungen des Kapitalismus und des Klassenkampfes weiterentwickelt. Daß beide von Stalin kritisierten Thesen noch heute von Revisionisten, von demokratisch „geläuterten“ Funktionären der PDS als „neueste“ Erkenntnisse verkauft werden, sei hier nur am Rande erwähnt. Es folgt die bekannte Definition des Leninismus von Stalin: „Der Leninismus ist der Marxismus der Epoche des Imperialismus und der proletarischen Revolution. Genauer: Der Leninismus ist die Theorie und Taktik der proletarischen Revolution im allgemeinen, die Theorie und Taktik der Diktatur des Proletariats im besonderen.“219) Diese Definition unter den Bedingungen des Jahres 1924 war zweifellos richtig. Definitionen müssen kurz, präzise sein. Definitionen sind stets Abstraktionen. Diese Definition, um dies auch deutlich zu sagen, war weder ein „Dogma“ noch eine „unechte Vereinfachung.“ Erläuterungen, Interpretationen einer Definition sind der Ausführung überlassen. Natürlich könnte man einwenden, daß Definitionen eines historischen Sachverhalts erst am Ende der Analyse erfolgen. Aber dies wäre, wie Engels sich ausdrückte, kleinliche „Flohknackerei“. Stalin verwies auf den unterschiedlichen Charakter der Epoche im Wirken von Marx und Engels, im 19. Jahrhundert, vor der proletarischen Revolution, und Lenins in der Periode des entwickelten Imperialismus, der sich entfaltenden proletarischen Revolution, die bereits in einem Lande gesiegt hat, der Ära der proletarischen Demokratie der Sowjets. Deshalb sei der Leninismus die Weiterentwicklung des Marxismus.220) Der „überaus kämpferische“ und „überaus revolutionäre Charakter“ des Leninismus erkläre sich aus zwei Gründen: 1. Der Leninismus ging aus dem Schoß der proletarischen Revolution hervor. 2. Er erstarkte im Ringen mit dem Opportunismus der II. Internationale. Man dürfe nicht vergessen, zwischen Marx/Engels und Lenin lag „ein ganzer Zeitabschnitt der ungeteilten Herrschaft des Opportunismus der II. Internationale,... dessen rücksichtslose Bekämpfung eine wichtige Aufgabe des Leninismus sein mußte.“221) Es folgt die Darstellung der Leninschen Theorie in Einzelheiten, die hier nicht reflektiert werden müssen. Sie seien aber jungen Menschen, die sich unter heutigen Bedingungen mit dem Leninismus vertraut machen möchten, als Anleitung, nicht als Ersatz für das Studium der Schriften Lenins!, nachdrücklich empfohlen. Alte Genossen werden in der wiederholten Lektüre dieser Vorlesungen neue Akzente entdecken, die Stalin gesetzt hatte und die durchaus „originell“ waren. Auf einige „originelle“ Erkenntnisse sei verwiesen. 1. Die Erklärung, wie es zur faktischen Herrschaft des Opportunismus in der II. Internationale gekommen war. An der Spitze (der Theoretiker der II. Internationale, U.H.) standen „rechtgläubige“ Marxisten, die „Orthodoxen“, Kautsky und andere. Das war aber nur die formale Seite. In Wirklichkeit aber verlief die Hauptarbeit der II. Internationale auf dem Boden des Opportunismus. Die Opportunisten paßten sich der Bourgeoisie an und die „Orthodoxen“ paßten sich den Opportunisten an, im Interesse der „Wahrung der Einheit“ mit den Opportunisten, im Interesse des „Friedens in der Partei.“ Das Ergebnis war die Herrschaft der Opportunisten. Die „Kette zwischen der Politik der Bourgeoisie und der Politik der „Orthodoxen“ erwies sich als geschlossen.“222) 2. Die Macht des Proletariats in einem Lande errichten heißt noch nicht, den vollen Sieg des Sozialismus zu sichern. Das Proletariat eines Landes kann allein nicht den Sozialismus „endgültig“ verankern, das Land gegen die Intervention und folglich gegen eine Restauration völlig sichern. Es sei der Sieg der Revolution wenigstens in einigen Ländern notwendig.223) 3. Die Aufgaben der Diktatur des Proletariats ließen sich nicht in kurzer Zeit erfüllen, nicht in ein paar Jahren. Dies wäre „ein Ding der Unmöglichkeit.“ Der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus sei keine „schnell vorübergehende Periode“, mit einer Reihe „hochrevolutionärer“ Akte und Dekreten, sondern eine „ganze historische Epoche“.224) Diesen Hinweis auf die Langfristigkeit der Übergangsperiode hat Walter Ulbricht später in der These vom „Sozialismus als relativ selbständiger Gesellschaftsformation“ konkretisiert. Die Betonung der Langfristigkeit ist ein wesentlicher Aspekt bei Stalin, den er auch später in anderen Zusammenhängen wiederholt hat. 4. Der Begriff der Diktatur dürfe nicht mit dem Begriff der „Machteroberung“ vertauscht werden, wie von den Opportunisten erklärt. Die Diktatur sei kein einfacher Wechsel eines Kabinetts, die Bildung einer neuen Regierung. Die Diktatur des Proletariats ist eine revolutionäre Macht, die sich auf die Gewaltanwendung gegen die Bourgeoisie stützt. Der Staat ist eine Maschine in den Händen der herrschenden Klasse zur Unterdrückung des Widerstandes ihrer Klassengegner. Insofern unterscheide sich die Diktatur des Proletariats nicht von der Diktatur jeder anderen Klasse. Es gäbe aber einen wesentlichen Unterschied. In allen bisher existierenden Klassenstaaten war die Diktatur stets die Herrschaft einer ausbeutenden Minderheit, während die Diktatur des Proletariats die Diktatur der ausgebeuteten Mehrheit über die ausbeutende Minderheit ist. Stalin zitiert dann die Definition Lenins, wonach die Diktatur des Proletariats die durch kein Gesetz beschränkte und sich auf Gewalt stützende Herrschaft des Proletariats über die Bourgeoisie ist. Daraus folge, daß die Diktatur des Proletariats keine vollständige Demokratie sein könne, keine Demokratie für alle. „Das Gerede der Kautsky und Konsorten über allgemeine Gleichheit, über ‘reine‘ Demokratie usw. ist eine bürgerliche Verschleierung der unzweifelhaften Tatsache, daß eine Gleichheit zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutern unmöglich ist. Selbst „bei demokratischen Zuständen unter den Verhältnissen des Kapitalismus“ werden die Regierungen nicht vom Volk, „sondern von den Rotschild und Stinnes, den Rockefellern und Morgan“ eingesetzt.225) Die Diktatur des Proletariats könne nicht entstehen als Resultat der friedlichen Entwicklung der bürgerlichen Demokratie, sondern nur im Gefolge der Zertrümmerung der bürgerlichen Staatsmaschinerie, der bürgerlichen Armee, des bürgerlichen Beamtenapparates, der bürgerlichen Polizei, d.h. der Repressivapparate des bürgerlichen Staates. Der Hinweis auf die Marxsche These vom „Zerbrechen“ der Repressivorgane des bürgerlichen Staates sowie der Leninschen Definition der Diktatur des Proletariats war nun nicht „originell“, aber deren ausführliche Begründung war nicht nur 1924 von vordringlicher Aktualität. Wenn man für Rotschild, Stinnes ect. andere Namen einsetzt, dann stimmen die Aussagen Stalins auch heute noch. Daran ändern auch „Bündnisse für Arbeit“ nicht das geringste. 5. In der Sowjetmacht sind die gesetzgebende und vollziehende Gewalt in einer einheitlichen Staatsorganisation vereinigt. Die territorialen Wahlkreise sind durch Produktionseinheiten, durch Werke und Fabriken ersetzt. Die Arbeiter und werktätigen Massen sind unmittelbar mit dem staatlichen Verwaltungsapparat verknüpft und lernen das Land zu verwalten. Die Republik der Sowjets sei „jene gesuchte und endlich entdeckte politische Form, in deren Rahmen die ökonomische Befreiung des Proletariats, der vollständige Sieg des Sozialismus erreicht werden muß.“ Die Sowjetmacht sei die „Entwicklung und Vollendung“ der Pariser Kommune.226) Die Sowjetorganisation war 1924 noch nicht vollständig ausgearbeitet. Es gab auch noch keine volksdemokratischen Staaten. Aber die Grundlagen eines sozialistischen Staates, die waren gelegt und richtig von Stalin reflektiert. 6. Neu, „originell“ war zweifellos das w.o. schon genannte Lenin-Aufgebot. Stalin hob hervor, daß die 200.000 neuen Mitglieder „nicht so sehr von selber in die Partei kamen“, sondern „vielmehr von der ganzen übrigen parteilosen Masse entsandt wurden, die bei der Aufnahme der neuen Mitglieder aktiv mitwirkte und ohne deren Zustimmung keine neuen Mitglieder aufgenommen wurden.“227) Diese Art der Aufnahme neuer Mitglieder in die Partei wird heute noch von der Kommunistischen Partei Kubas angewendet. Mit Nachdruck ging Stalin auf den Kampf gegen den Opportunismus innerhalb der Partei ein. Die Quelle der Fraktionsmacherei seien die opportunistischen Elemente. Die Partei werde gestärkt wenn sie sich von opportunistischen Elementen säubere. „Die Theorie der Überwältigung der opportunistischen Elemente durch ideologischen Kampf innerhalb der Partei, die Theorie der ‘Überwindung‘ dieser Elemente im Rahmen ein und derselben Partei ist eine faule und gefährliche Theorie... .“228) Die „Grundlagen“ bilden eine Zusammenfassung der Leninschen Theorie. In dieser Arbeit wird ebenfalls die Kontinuität von Marx/Engels zu Lenin und Stalin deutlich. Einige Aspekte sind neu, auch bei Lenin noch nicht vorhanden, durchaus „originell“. In der theoretischen Schulung und marxistisch-leninistischen Erziehung der Parteikader spielten die „Grundlagen“ die gleiche Rolle wie der w.o. genannte „Kurze Lehrgang...“. Ganze Generationen junger Parteimitglieder wurden über die „Grundlagen“ an die Theorie des Leninismus herangeführt. Daran ändern auch die unsachlichen, durch nichts belegten Äußerungen von Deutscher nichts. Eine theoriegeschichtliche Darstellung der marxistisch-leninistischen Parteitheorie würde ohne die Einbeziehung der Schriften Stalins unvollständig bleiben. Stalin blieb nicht, wie er mehrfach geäußert hat, auf dem Marxismus „liegen“, sondern er „stand“ auf dem Marxismus, und wir können hinzufügen, auch auf dem Leninismus, den es in allen seinen Bestandteilen unter den sich ständig verändernden Bedingungen weiterzuentwickeln galt und gilt. Stalin hat seinen Anteil dazu geleistet. Wenn es nach seinem Tode zu Erscheinungen des Dogmatismus in der theoretischen Arbeit in kommunistischen Parteien kam, was auch nicht zu verabsolutieren ist - so ist das nicht Stalin anzulasten, der sich wiederholt sowohl gegen Dogmatismus als auch Revisionismus gewandt hat. Wie bei Marx, Engels und Lenin gab es auch bei Stalin Irrtümer in der theoretischen Arbeit, und wer will, mag sich daran ergötzen und daran erfreuen, „wie wir‘s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.“ Ulrich Huar, Berlin Anmerkungen (Quellennachweise) 1.) Zur Parteitheorie siehe Ulrich Huar: Zur politischen Organisation von Kommunisten in Geschichte und Gegenwart. Teil III. Die Partei neuen Typus. In: Weißenseer Blätter, Heft 4/2000 und Heft 1/2001. - Kommunistische Parteien in Geschichte und Zukunft. Aspekte der marxistisch-leninistischen Parteitheorie. In: Imperialismus und antiimperialistische Kämpfe im 21. Jahrhundert. Protokollband der gleichnamigen Konferenz von “RotFuchs” und “Offensiv” am 28./29. Oktober 2000 in Berlin. Hersg.: “Offensiv”, S. 203 - 230. 2.) Uwe-Jens Heuer: Im Streit. Ein Jurist in zwei deutschen Staaten. 1. Auflage 2002, Baden-Baden 2002, S. 30. 3.) Ebd. S. 43. 4.) Ebd. S. 150. 5.) Ebd. S. 172. 6.) A.G. Löwy: Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Leben und Werk Nokolai Bucharins. Wien 1990, S. 203. 7.) Robert Steigerwald: Probleme einer revolutionären Partei in nicht-revolution­ärer Zeit. Zum 100. Jahrestag von Lenins “Was tun?” In: Marxistische Blätter, Heft 1/02, S. 88. 8.) U.-J. Heuer, a.a.O., S. 156. 9.) Eberhard Czichon/Heinz Marohn: Das Geschenk. Die DDR im Perestrojka-Ausverkauf. PapyRossa-Verlag, Köln 1999, S. 9. 10.) Ilja Ehrenburg: Menschen. Jahre. Leben. Memoiren. Bd. III. 6. Buch, Berlin 1978, S. 534. 11.) Kurt Gossweiler: Wider den Revisionismus. München 1997, S. 234. 12.) Sahra Wagenknecht: Marxismus und Opportunismus. In: Weißenseer Blätter, Heft 4/1992, S. 13. 13.) Hanfried Müller: Einige Gedankensplitter zu den Gründungsjubiläen von BRD, DDR und dem “größeren Deutschland”. In: Weißenseer Blätter, Heft 4/1999, S. 30. 14.) Vgl. Statuten des Bundes der Kommunisten, MEW 4/596 - 601. K. Marx: Provisori­sche Statuten der Internationalen Arbeiterassoziation, MEW 16/14 - 16. W.I. Lenin: Erste Skizze eines Programmentwurfs der KPR (B), LW 29/83 - 108. 15.) Statuten des Bundes der Kommunisten. Art. 41 u. 42. Im MEW 4/600. 16.) LW 21/99. 17.) Lenin: Notizen eines Publizisten. In: LW 33/194. 18.) Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. München/Wien 1995, S. 103. 19.) Isaak Deutscher: Stalin. Eine politische Biographie. Berlin 1990, S. 65. 20.) Ebd. S. 67. 21.) SW 1/12. 22.) Ebd. S. 15. 23.) Ebd. S. 20. 24.) Ebd. S. 26. 25.) Ebd. S. 27. 26.) Ebd. S. 24. 27.) Deutscher, a.a.O., S. 73. 28.) SW 1/49 - 51. 29.) Siehe hierzu: Lenin: “Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück” (Mai 1904); LW 7/199 - 430; Unter dem gleichen Titel, “Eine Antwort N. Lenins an Rosa Luxemburg” 2. Septemberhälfte 1904, ebd. S. 480 - 501. Diese “Antwort...” wurde an Kautsky zur Veröffentlichung in der “Die Neue Zeit”, Organ der deutschen Sozialdemokratie, gesandt, doch Kautsky lehnte die Publikation ab. 30.) Vgl. LW 7/200. 31.) SW 1/56. 32.) Ebd. S. 57. 33.) Ebd. S. 58. 34.) Ebd. S. 59. 35.) Ebd. S. 63. 36.) Ebd. S. 62. 37.) Ebd. S. 63. 38.) SW 1/77 - 112. 39.) Ebd. S. 83 f. 40.) Ebd. S. 84. 41.) Ebd. S. 85. 42.) Ebd. S. 88 f. 43.) Ebd. S. 88. 44.) Ebd. S. 97. 45.) Ebd. S. 110 f. 46.) MEW 19/164 f. Der Zirkularbrief war als parteiinternes Schreiben abgefaßt und darum von Marx und Engels nicht veröffentlicht. Erstmalig wurde er in der Zeitschrift “Die Kommunistische Internationale” 1931 veröffentlicht. 47.) SW 1/94. 48.) Deutscher, a.a.O., S. 104. 49.) SW 1/138 - 149. 50.) LW 9/387. 51.) SW 1/142 f. 51a. „Unsere Zeit”, 11. Oktober 2002. Diskussionstribüne, S. III. 52.) SW 1/144. 53.) Ebd. S. 145. 54.) Ebd. S. 257 - 342. 55.) Ebd. S. 257 f. 55 a.) Ebd. S. 258 55a. Ebd. S. 258. 55b. Siehe K. Marx/F. Engels: Die angeblichen Spaltungen in der Internationale. 55b.) Vertrauliches Zirkular des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation. In: MEW 18/3 - 31.: K. Marx: Der politische Indifferentismus. Ebd. S. 299 - 304.; K. Marx/F. Engels: Ein Komplott gegen die Internationale Arbeiter-Assoziation. Ebd. 327 - 471.; F. Engels: Die Bakunisten an der Arbeit. Denkschrift über den Aufstand in Spanien im Sommer 1873. Ebd. S. 475 - 493.; K. Marx: Konspekt von Bakunins Buch “Staatlichkeit und Anarchie.” Ebd. S. 599 - 642. Ob Stalin diese Schriften gekannt hat, weiß ich nicht. In seiner Arbeit zitiert Stalin aus anderen Schriften von Marx und Engels, aber nicht aus den hier genannten. 55 c.) MEW 18/492 und 493 55c. MEW 18/492 - 493. 56.) Lenin: Materialismus und Empiriokritizismus. LW 14. 57.) Siehe Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion in sechs Bänden. (Im weiteren “GKPdSU/6” genannt) Bd. II, Moskau o.J. S. 308. 58.) Siehe Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) Kurzer Lehrgang. Berlin 1946. S. 126 - 160. (Im weiteren ”Kurzer Lehrgang” genannt.) 59.) SW 1/287 - 323. 60.) Engels: Vorrede (zur englischen Ausgabe von 1888) des “Kommunistischen Manifests.” in: MEW 4/580. Ausführlich über die Begriffe Sozialismus und Kommunismus siehe Joachim Höppner/Waltraud Seidel - Höppner: Von Babeuf bis Blanqui. Französischer Sozialismus und Kommunismus vor Marx. Bd. 1. Einführung. Leipzig 1975. S. 19 ff. 61.) MEW 19/21 und 28. 62.) MEW 20/265. 63.) LW 25/480 - 481. 64.) Ebd. S. 485. 65.) LW 29/409 f. 66.) SW 1/ 289. 67.) Ebd. S. 292., Vgl. K. Marx: Das Elend der Philosophie. Im MEW 4/182.; F. Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates. In: MEW 21/168. 68.) SW 1/293. 69.) Ebd. S. 293 f.; Bei Marx steht hinter “höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft” nicht in Parenthese (d.h. sozialistische) MEW 19/21. 70.) SW 1/294 f 71.) Ebd. S. 295. 72.) Ebd. S. 296. 73.) Ebd. S. 297. 74.) Ebd. S. 298.; Siehe MEW 20/146 f. 75.) SW 1/300 und 301. 76.) Ebd. S. 303. 77.) Ebd.. 78.) Ebd.. 79.) Ebd. S. 304. 80.) Ebd.. 81.) Ebd. S. 305.; Stalin weist in Parenthese darauf hin, daß die gesammelten Artikel von Tscherkesischwili, Ramus und Labriola in deutscher Sprache unter dem Titel “Die Urheberschaft des Kommunistischen Manifests” erschienen sind. Die Zitate bei Stalin dort auf S. 10. 82.) Ebd. S. 307 und 308. 83.) Ebd. S. 306.; Über Considérant siehe Joachim Höppner/Waltraud Seidel-Höppner: Von Babeuf bis Blanqui. a.a.O., Bd. 1, S. 180 - 189, Bd. II, S. 209 - 249. 84.) SW 1/309 - 311. 85.) Ebd. S. 311 f. 86.) Ebd. S. 312 - 314. 87.) Ebd. S. 314 und 317. 88.) Ebd. S. 318. 89.) Ebd. S. 320 und 322. 90.) Siehe Deutscher, a.a.O., S. 138. 91.) SW 2/42 - 70.; Der V. Parteitag fand vom 30. April bis 19. Mai 1907 statt. 92.) Ebd. S. 42 und 43. 93.) Ebd. S. 52. 94.) Ebd. S. 45. 95.) Ebd. S. 58.; Die beiden Reden sind enthalten in: Rosa Luxemburg, Ausgewählte Reden und Schriften. Bd. II, Berlin l95l, S. 274 - 307.; Die hier veröffentlichten Reden, das Protokoll des Parteitages und die Äußerungen Stalins sind offenbar nicht deckungsgleich. Stalin bemerkte zu deren Widergabe auch: “So ungefähr sprach Genossin Rosa Luxemburg”. 95a. Zitiert nach GKPdSU/6, Bd. II. Moskau, o.J. S. 255. 96.) SW 2/60. 97.) Die Parteikrise und unsere Aufgaben, August 1909. Resolutionen, beschlossen vom Bakuer Komitee am 22. Januar 1910.; Brief an das ZK der Partei aus der Solwytschegodsker Verbannung. 31. Dezember 1910. In: SW 2/132 - 142, 178 - 181, 189 - 192. 98.) SW 2/134. 99.) Ebd. S. 135. 100.) Ebd. S. 137. 101.) Ebd. S. 138. 102.) Ebd. S. 141. 103.) Ebd. S. 179 f. 104.) Ebd. S. 190. 105.) Ebd. S. 193. 106.) Ebd. S. 197. 107.) Deutscher, a.a.O., S. 154 - 155. 108.) SW 2/208 - 210. 109.) Ebd. S. 208.; Wie ersichtlich, handelt es sich nicht um “Parteilosigkeit” bezüglich der Mitgliedschaft in einer Partei, sondern um Parteiergreifen für die Interessen der einen oder anderen Klasse. 110.) Ebd. S. 209. 111.) SW 4/271 - 279. 112.) Ebd. S. 275. 113.) Ebd.. 114.) Die Partei vor und nach der Machtergreifung. SW 5/87 - 97. 115.) Ebd. S. 92. 116.) SW 7/29 - 35. 117.) Ebd. S. 30. 118.) Siehe Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in acht Bänden. Bd. 4, Berlin 1966, S. 84 f, 422 - 425. 119.) SW 7/30 f. 120.) Ebd. S. 31. 121.) Stalin verwendet den Plural. Es ist also nicht nur die KPD gemeint. 122.) SW 7/32 - 34. 123.) Stalin meint den sogenannten “Affenprozeß”, Juli 1925 im Staate Tennessee, in dem der Lehrer John Scopes angeklagt war, weil er die Darwinsche Evolutions­theorie gelehrt hatte. 124.) SW 10/115 f. 125.) Siehe Rosemarie Müller-Streisand: SED und Kirche: Aus der Geschichte lernen - aber was?. Im Weißenseer Blätter, Teil 1, Heft 4/1995, S. 2 - 15 und Teil II, Heft 5/1995, S. 3 - 20. 126.) SW 5/181. 127.) Ebd. S. 182. 128.) Ebd. S. 184. 129.) Ebd. S. 188 f. 130.) Ebd. S. 192. 131.) Ebd. S. 193. 132.) SW 7/298. 133.) Ebd.. 134.) Ebd. S. 298 f. 135.) SW 8/10 - 81. 136.) Ebd. S. 22. 137.) Ebd. S. 24. 138.) Ebd.. 139.) Ebd.. 140.) Ebd. S. 31. 141.) Ebd. S. 32. 142.) Ebd.. 143.) Ebd. S. 31. 144.) Ebd.. 144a. Marx: Aus dem Parlamente. (Die Anträge Roebucks und Bulwers) In: MEW 11/352. 145.) SW 8/36. 145 a.) Karl Marx: Aus den Parlamenten (die Anträge Roebucks und Bulwers); in: MEW 11/352. 146.) Ebd. S. 38. 147.) Ebd. S. 41 f.; Siehe LW 31/9. 148.) SW 46. 149.) Ebd. S. 47. 150.) Ebd. S. 49 und 51.; LW 31/24 - 31. 151.) SW 8/50. 152.) Ebd. S. 50 f. 153.) Ebd. S. 52 f. 154.) Ebd. S. 53. 155.) SW 5/325 - 339. 155 a.) Ebd. S.191 155a. Ebd. S. 191. 156.) Ebd. S. 331 f. 157.) Ebd. S. 332 f. 158.) Ebd. S. 331 f. 159.) Ebd. S. 335. 160.) MEW 36/253. 161.) SW 5/335. 162.) Ebd. S. 336. 163.) Ebd. S. 337. 164.) Ebd. S. 338. 165.) Ebd. SW 6/5 - 40. 166.) Die Kommunistische Partei der Sowjetunion in Resolutionen und Beschlüssen der Parteitage, Konferenzen und Plenen des ZK, Berlin 1957. Bd. IV, S. 245 - 246. (im weiteren „KPdSU in R/B” genannt). Siehe auch GKPdSU/6, Bd. IV. Mokau 1973, Erstes Buch, S. 330 - 344. 167.) GKPdSU/6, IV/l, a.a.O., S. 336. 168.) SW 6/6. 169.) Ebd. S. 7. 170.) Ebd. S. 8. 171.) Ebd. S. 9 f. 172.) Ebd. S. 8. 173.) Ebd. S. 20. 174.) Ebd. S. 20 f. 175.) Ebd. S. 30. 176.) Ebd. S. 31. 177.) Siehe Schlußwort, ebd. S. 197 - 209. 178.) Ebd. S. 203. 179.) Ebd. S. 204 f. 180.) Ebd. S. 207. 181.) SW 10/282 - 305. 182.) Ebd. S. 284. 183.) Ebd. S. 285. 184.) Ebd. S. 286 f. 185.) Ebd. S. 287. 186.) Ebd. S. 288. 187.) Ebd.. 188.) Ebd. S. 289. 189.) Ebd.; Zur Auseinandersetzung mit der Opposition siehe Teil 2. 190.) Über “Dymowka”.; SW 7/19. 191.) SW 7/27. 192.) Ebd. S. 38 f. 193.) Ebd. S. 57. 194.) Ebd. S. 105. 195.) SW 11/26 - 35. 196.) Ebd. S. 27. 197.) Ebd. S. 28. 198.) Ebd. S. 29. 199.) Ebd. S. 30. 200.) Ebd. S. 31. 201.) Ebd. S. 113 - 122. 202.) Ebd. S. 118. 203.) Ebd. S. 120 f. 204.) Ebd. S. 122. 205.) Siehe GKPdSU/6, Band IV/l. a.a.O., S. 600. 206.) SW 12/274. 207.) Ebd. 208.) SW 5/85. 209.) SW 6/228 f. 210.) SW 7/206 f. 211.) Ebd. S. 300. 212.) Ebd. S. 302. 213.) SW 14/219. 214.) Ebd. S. 220. 215.) Ebd. S. 222. 216.) SW 6/62 - 166. 217.) Deutscher, a.a.O., S. 353 f. 218.) SW 6/62. 219.) Ebd. S. 63. 220.) Ebd. S. 63 f. 221.) Ebd. S. 64. 222.) Ebd. S. 71. 223.) Ebd. S. 95. 224.) Ebd. S. 99. 225.) Ebd. S. 101 und 102. 226.) Ebd. S. 107 f. 227.) Ebd. S. 152. 228.) Ebd. S. 162 f. Der Kampf gegen die parteifeindliche Opposition 2. Zum Kampf Stalins gegen die parteifeindliche Opposition in der KPdSU (B) 2.1. Über Trotzki und Bucharin Man könnte die Frage stellen, ob dieser Kampf noch zur Parteitheorie gehört, denn er war eben nicht nur ein theoretischer Kampf, sondern in erster Linie ein politischer Kampf, der bis zu seinem Ende auf Leben und Tod geführt wurde. Aber der Beitrag Stalins zur marxistisch-leninistischen Parteitheorie wäre unvollständig, wenn man diesen Kampf ausklammern wollte. Dieser Kampf wurde und wird in der gesamten bürgerlichen, revisionistischen und trotzkistischen Literatur zur Diffamierung Stalins verfälscht und diese Verfälschung wurde auch von kommunistischen Wissenschaftlern ohne Analyse des tatsächlichen Sachverhaltes unkritisch übernommen. Was aber wäre, wenn die Opposition von Trotzkisten und/oder die Gruppierung um Bucharin sich im ZK hätten durchsetzen können, Stalin und die Mehrheit der Mitglieder des ZK liquidiert hätten? Diese Frage ist nicht nur spekulativ. Solche Bestrebungen hat es gegeben. In einem solchen Falle hätten sie nur vorweggenommen, was dann von einem Gorbatschow und seiner Gruppe rund 50 Jahre später vollbracht wurde - die Zerstörung der Sowjetunion. Die Hauptgefahr für die Existenz der Sowjetunion ging von Trotzki und seinen Anhängern innerhalb der Partei, der Sowjetunion und außerhalb des Landes aus. Die Richtigkeit der in den Ausführungen Stalins im Kampf gegen Trotzki und dessen “Theorien” finden ihre Bestätigung im Nachwort zu Trotzkis Autobiographie “Mein Leben”, das der amerikanischen Ausgabe von Grassert & Dulap, New York 1960, entnommen ist.1) In zusammengefaßter Form war nach diesen Nachwort Trotzki “der anerkannte Führer und Sprecher eines zur Diktatur Stalins in Gegensatz stehenden internationalen Kommunismus...”2). Von der Insel Prinkipo (bei Istanbul, UH) unterhielt er “aktiven Kontakt mit der kommunistischen Welt und sozialistischen Bewegungen...”3). ,in einer “ersten Artikelserie für die amerikanische Presse” legte er dar, “worum es der Opposition ging...”4), er ließ “keinen Zweifel daran, daß er seiner ursprünglichen kommunistischen Philosophie der permanenten Revolution treu blieb.”5), “... Unterstützung kam ihm allein von den antistalinistischen Marxisten.”6), Trotzki “... beschäftigte sich in seiner Rolle als Weltführer der antistalinistischen Opposition innerhalb der kommunistischen Bewegung.”7), Trotzki “... widmete sich auch mit Nachdruck der Bekämpfung einer neuen stalinistischen Taktik ...”8) (gemeint war der Nichtangriffsvertrag zwischen der Sowjetunion und dem faschistischen Deutschland 1939, der von allen antikommunistischen Publizisten entstellt wird. UH)9). Trotzki war “stark an den verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften interessiert, die in der ganzen Welt von Gruppen der Opposition herausgegeben wurden. Die bedeutendste davon war das in russischer Sprache erscheinende ‘Bulletin of the Opposition’, gegründet 1929 und zuerst herausgegeben in Berlin, dann in Paris und New York.”10). Trotzkis Hauptrolle “... war die eines unbeugsamen Kritikers Stalins und der Bürokratie, die Rußland regierte.”11). 1935 bezeichnete Trotzki den “Stalinismus” als “die eiternde Pestbeule der Arbeiterbewegung auf der ganzen Welt.... wir müssen ihn vernichten; ... das Proletariat sammeln unter der Fahne von Marx und Lenin.”12) Trotzki veranlaßte die Einsetzung einer “internationalen Untersuchungskommission...” aus “Persönlichkeiten, deren Integrität außer Zweifel” stehe, die untersuchen solle, ob die von Stalin behaupteten Verbrechen, die er begangen haben soll, der Wahrheit entsprächen. Die Kommission bestand aus dem “bekannten Philosophen und Erzieher” John Dewey als Vorsitzenden, John Chamberlain, E.A. Ross, Suzanne La Follete, Ben Stolberg, Wendelin Thomas, Otto Rühle, Carlo Tresca, Alfred Romer und Francisko Zamora.” Natürlich lautete das Urteil dieser Spitzenvertreter der bürgerlichen Intelligenz “Nicht schuldig”. Die vollständigen Aufzeichnungen dieser Kommission wurden bei Harper (New York) veröffentlicht.13) Die Liste ließe sich fortsetzen. Zunächst ist es doch erstaunlich, wie besorgt die kapitalistische Presse um das Wohlergehen der Sowjetunion, um den Kommunismus war! Trotzki war also die Inkarnation des Marxismus, des Leninismus, dem die Bourgeoisie geradezu huldigte! Stellt man hier richtig, daß in diesen Passagen für die “Diktatur Stalins” die Mehrheit des Zentralkomitees der KPdSU (B), die Mehrheit der Parteimitglieder, für “internationaler Kommunismus” bzw. “antistalinistische Marxisten”, “antistalinistische Opposition” die russische und internationale Konterrevolution zu verstehen ist, dann wird aus dem “Nachwort” zur Glorifizierung Trotzkis eine Bestätigung der Wahrheit in Stalins Kritik an Trotzki und seinen Epigonen. Desgleichen bestätigt die Aussage, das Proletariat unter “der Fahne von Marx und Lenin” zu sammeln, daß Trotzki der gefährlichste Ideologe des Antikommunismus in der russischen und internationalen Arbeiterbewegung war. Es wird auch hier deutlich, daß Trotzki seine Zersetzungsarbeit nur unter Berufung auf einen verfälschten Marxismus und Leninismus durchführen konnte, eine Methode, die von Chruschtschow, Gorbatschow bis zu den “modernen” Revisionisten” ihre Anwendung findet. Wollten die Revisionisten in der DDR nicht auch einen “besseren Sozialismus”, eine “bessere DDR”, die “Beseitigung des Dogmatismus”, die Hinwendung zum “wahren Marx”, ja selbst zum “wahren Lenin”, zum “späten Lenin”, ja, zu dem allerherrlichsten Sozialismus überhaupt? - Unter Berufung auf Marx, auf Rosa Luxemburg wurde die sozialistische DDR zertrümmert und in eine wirtschaftlich sozial und kulturell heruntergebrachte Landschaft der spätkapitalistischen BRD verwandelt, die Staatsbürger der DDR wurden zu “Bewohnern” eines “Beitrittsgebiets.” Der andere gefährliche Oppositionelle war Nikolai Bucharin, ein ständig zwischen „linken“ und „rechten“ Opportunisten schwankender, auf theoretischem Gebiet eklektizistisch argumentierender Wirrkopf, dessen “theoretischen Anschauungen ... nur mit sehr großen Bedenken zu den völlig marxistischen gerechnet werden” können.14) Um Bucharin sammelten sich vorwiegend unzufriedene Intellektuelle, hinter denen sich die NÖP - Bourgeoisie und weißgardistische Konterrevolutionäre formierten.15) Bucharin hat mit Kamenew gegen Stalin und die Mehrheit des ZK konspiriert und wollte an die Stelle Stalins Sinowjew setzen. Das ist dokumentarisch belegt, worauf noch zurückzukommen sein wird. Sinowjew und Kamenew bildeten und wechselten Gruppierungen, mal mit Stalin gegen Trotzki, mal umgekehrt. Die Oppositionellen bekämpften sich mit Vehemenz auch untereinander; was sie gemeinsam hatten, waren Fraktionsbildungen, um das Zentralkomitee zu zerschlagen. Daß dabei persönliche Feindschaften, Rivalitäten, Machtdenken eine nicht unerhebliche Rolle spielten, steht außer Frage. Eine letzte Bemerkung. Für die Repressalien in den 30er Jahren wird in der antikommunistischen Publizistik ausschließlich Stalin verantwortlich gemacht. “Auf Befehl Stalins...” Auch kommunistische Publizisten übernehmen unkritisch solche durch nichts bewiesene Behauptungen. Zunächst einmal hatte Stalin in den 30er Jahren keineswegs die Macht, allein “Erschießungen” zu befehlen. Seine Autorität war während dieser Jahre durchaus nicht unangefochten - wie gerade die innerparteilichen Auseinandersetzungen beweisen. Stalin konnte sich aber auf die Mehrheit des ZK und der Parteimitgliedschaft stützen. Die Oppositionellen entlarvten sich durch ihre Taten selbst als Feinde der Sowjetmacht und wurden von den Justizorganen nach den sowjetischen Gesetzen rechtskräftig verurteilt. Man kann die Frage nach der Qualität der sowjetischen Justiz in dieser Zeit stellen. Den alten zaristischen Justizapparat hatte die Sowjetmacht zerschlagen. Im Bericht über die Tätigkeit des Rates der Volkskommissare vom 11. (24.) Januar 1918 begründete Lenin diesen Schritt: „Denselben Weg, den die Sowjetmacht hinsichtlich der sozialistischen Armee ging, schlug sie auch hinsichtlich eines andern, noch feineren, noch komplizierteren Werkzeugs der herrschenden Klassen ein - des bürgerlichen Gerichts, das sich als Hüter der Ordnung auf­spielte, in Wirklichkeit aber ein blindes, raffiniertes Werkzeug zur schonungslosen Unterdrückung der Ausgebeuteten war, ein Werkzeug zur Verteidigung der Interessen des Geldsacks. Die Sowjetmacht han­delte, wie alle proletarischen Revolutionen es gelehrt haben: sie warf dieses Gericht sofort zum alten Eisen. Mag man darüber zetern, daß wir das alte Gericht, statt es zu reformieren, sofort zum alten Eisen geworfen haben. Wir haben auf diese Weise die Bahn frei gemacht für ein wirk­liches Volksgericht. ...”16) Es war also Lenin, unter dem der alte Justizapparat zerstört wurde, nicht Stalin! Der Aufbau einer neuen sozialistischen Justiz ließ sich nicht in zwanzig Jahren unter den Bedingungen des Bürger- und Interventionskrieges, innerer scharfer Klassenkämpfe der NÖP-Periode und Interventionsdrohung von außen vollenden. Es gab auch keinerlei theoretische Vorleistungen, keine praktischen Erfahrungen mit einer sozialistischen Justiz. Auch bei Marx und Engels gab es nicht mehr, als daß der alte Repressivapparat des Staates zerstört werden mußte. Auch mit der Errichtung einer sozialistischen Justiz beschritt die Sowjetmacht Neuland. Die sowjetische Justiz war eine revolutionäre, eine Klassenjustiz. Aber wie sollte sie funktionieren, und wo kamen die sozialistischen Juristen her? Die fielen nun mal nicht vom Himmel, sondern mußten ausgebildet werden. Die Richter und Staatsanwälte kamen vorwiegend aus der Arbeiterklasse und der armen Bauernschaft - mit dem vom Zarismus ererbten Kulturniveau! - die in der Roten Armee im Bürger- und Interventionskrieg gekämpft hatten, in kurzen Lehrgängen zu Juristen ausgebildet wurden. Einige wenige progressive Juristen aus der alten Zeit waren auch darunter. Man mag über diesen Sachverhalt “zetern”, wie Lenin sagte, aber keine Revolution kann die alte Justiz, die zu den Repressivorganen des alten Ausbeuterstaates gehörte und die Interessen der jeweils herrschenden Klasse schützten, übernehmen. Über den Klassencharakter der Justiz kann man sich in Montesquieus Werk “Vom Geist der Gesetze”, unterrichten lassen. Charles Louis de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu (1689-1755), als ein Repräsentant des französischen Hochadels, steht nun ganz und gar nicht im Verdacht, kommunistische Propaganda betrieben zu haben. Er forderte die Sicherung der Ämter der Exekutive für den Adel, die Entziehung des Adels der öffentlichen Gerichtsbarkeit durch Bildung von Sondergerichten des Oberhauses, denen es ansteht, “das Gesetz zugunsten des Gesetzes selbst zu mildern und weniger streng als das Gesetz zu entscheiden.”17) In der jungen, noch nicht ausgereiften sowjetischen Justiz waren unter den konkreten Bedingungen der 30er Jahre Fehlurteile möglich; auch Unschuldige konnten in die Mühlen der Justiz geraten. Über die sowjetische Justiz äußerte sich Richard Iwanowitsch Kosolapow in einem Interview mit Viktor Koschemjako, wobei er noch auf einen anderen Aspekt hinwies: “Warum haben sich neben der gerechten Strafe für Verbrechen gegen das Volk Prozesse auch gegen Unschuldige gerichtet? Teilweise ist das mit dem Bürokratismus und dem Wunsch, sich verdient zu machen, teilweise auch mit dem niedrigen Niveau an professioneller Ausbildung und Kultur der Mitarbeiter der Rechtsschutzorgane, der Sicherheits- und Justizorgane erklärbar. Die Hauptursache ist jedoch eine andere. Wir verfügen jetzt über umfassende Tatsachenmaterialien und über dokumentarische Beweise, um folgende Schlußfolgerung ziehen zu können: Viele unschuldige Menschen, insbesondere Kommunisten, litten darunter, daß fremde Elemente (Weißgardisten, Kriminelle, Trotzkisten usw.) in diese Organe eingedrungen waren, um ihre Dienststellung als Mittel des antisowjetischen Klassenkampfes zu nutzen. Zur Ehre der Partei muß gesagt werden, sie verstand es, sich damit auseinanderzusetzen. Der Beweis dafür ist der Beschluß des Plenums des ZK der KPdSU (B) vom Januar 1938 sowie der Beschluß des Rats der Volkskommissare der UdSSR vom 17. November 1938 ‘über Verhaftungen, staatsanwaltliche Aufsicht und Untersuchungsführung‘, der von Molotow und Stalin unterzeichnet ist. Aber die unschuldig zu Tode Gekommenen wurden dadurch natürlich nicht wieder zum Leben erweckt.”18) Um es deutlich zu sagen, die Verbrechen, die Stalin unterstellt werden, waren die Verbrechen von Trotzkisten und anderen Konterrevolutionären, die sich in die noch ungefestigten Apparate einschleichen konnten. Gerade der erwähnte Beschluß des Plenums des ZK vom Januar 1938, veröffentlicht in der Prawda Nr. 19 vom 19. Januar 1938, beweist, daß Stalin als Gene-ralsekretär des ZK der Partei, diese konterrevolutionären Verbrechen entschieden bekämpfte, er beweist aber auch zugleich, daß Stalin nicht die Machtstellung hatte, die ihm angedichtet wird. Hätte er sie gehabt, hätte er diese Verbrechen verhindert. Stalin war eben nicht allmächtig! 2.2. “Sozialismus in einem Land” Die Kernfrage der Auseinandersetzung zwischen Stalin und Trotzki war, ob es möglich sei, in einem rückständigen Land wie Rußland den Sozialismus aufzubauen, oder ob man die Revolution im Westen abwarten müsse, weil ohne die Revolution im Westen der Aufbau des Sozialismus in Rußland unmöglich sei. Nach Deutscher sei Stalins Lehre vom “Sozialismus in einem Lande” ein “hervorragendes Diskussionsthema”. Jetzt wurde Stalin “wirklich aus eigener Kraft der führende Theoretiker der Partei”. Die - nach Deutscher - “alten, marxistischen Gelehrten” konnten “nicht verhindern, daß die Lehre vom ‘Sozialismus in einem Lande’ der Glaube der Nation wurde”.19) Soweit kann man mit Deutscher noch übereinstimmen, wobei Stalin sich als Theoretiker bereits mit seinen Schriften zur nationalen Frage, zur Politischen Ökonomie und anderen ausgewiesen hatte. Deutschers Einschätzung Trotzkis als dem Vertreter der Theorie der “permanenten Revolution”, der sich in “vielen kritischen Augenblicken der Jahre 1905, 1917 und 1920 ... als der ernsthafteste Stratege der Revolution bewährt habe”20), kann ich allerdings nicht folgen. 2.2.1. Lenins Theorie vom Sozialismus in einem Lande Die Theorie vom “Sozialismus in einem Lande” ist von Lenin begründet worden. Stalin gebührt das Verdienst, nach dem Tode Lenins diese Theorie weiter ausgearbeitet und präzisiert zu haben, in ständiger Auseinandersetzung mit Trotzki und anderen Oppositionellen. Die theoretischen Arbeiten Stalins zu diesem Thema haben dann wohl dazu geführt, daß diese von Lenin zuerst begründete Theorie Stalin zugeschrieben wurde - vielleicht darum, um diese Theorie nachträglich noch als “falsch”, als “stalinistisch” abwerten zu können, was bei Lenin schwieriger ist, wenn man sich auf ihn gegen Stalin “berufen” will. Hinweise von Lenin über die Möglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Land, in mehreren Ländern, in Rußland als einem ökonomisch rückständigen Land sind zahlreich. Er hat sie unter verschiedenen Situationen und zu verschiedenen Zeiten geäußert. Da diese Äußerungen Lenins in unterschiedlichen Zusammenhängen geäußert wurden, sich folglich auch inhaltlich unterschieden, konnte sich sowohl Stalin auf sie berufen als auch Trotzki sie für seine Theorie der “permanenten Revolution” mißbrauchen. Es ist tatsächlich so, mit aus ihrem Kontext gerissenen und voluntaristisch verabsolutierten Zitaten aus Klassikerschriften kann man so ziemlich alles “beweisen.” Die wichtigsten Äußerungen Lenins zum Thema sollen darum hier unter Angabe des Datums kurz dokumentiert werden. Es gäbe “... die falsche Auffassung von der Unmöglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Lande...” - Die Ungleichmäßigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung ist “ein unbedingtes Gesetz des Kapitalismus.” Daraus folge, daß der “Sieg des Sozialismus zunächst in wenigen kapitalistischen oder sogar in einem einzeln genommenen Lande möglich ist”. (22. August 1915)21) Der Traum von der “vereinten Aktion der Proletarier aller Länder” sei gleichbedeutend mit der “Vertagung des Sozialismus auf den St. Nimmerleinstag.” Sozialismus sei möglich in einer “Minderheit von Ländern” des “fortgeschrittenen Kapitalismus.” (Oktober 1916)22) (Dazu gehörte Rußland nicht. UH) Auf Grund der ungleichmäßigen Entwicklung des Kapitalismus kann der Sozialismus “nicht gleichzeitig in allen Ländern siegen”. Zuerst nur “in einem oder einigen Ländern”. Andere werden “eine gewisse Zeit” bürgerlich oder vorbürgerlich bleiben. Die Bourgeoisie anderer Länder würde danach streben, “das siegreiche Proletariat der sozialistischen Staaten zu zerschmettern”. (September 1916)23) Es seien Kriege möglich zwischen dem Sozialismus, der in einem Lande den Sieg errungen hat, gegen andere, bürgerliche oder reaktionäre Länder. (Oktober 1916)24) Der “Übergang zum Sozialismus” sei in Rußland möglich, “nicht unmittelbar, mit einem Schlag” - aber mit “Übergangsmaßnahmen.” (März 1917 (April) 1917)25) Das Proletariat Rußlands könne sich nicht die sofortige Durchführung der sozialistischen Umgestaltung zum Ziel setzen. Aber “der größte Fehler” des Proletariats wäre, auf “praktisch bereits herangereifte(r) Schritte zum Sozialismus” zu “verzichten”. Der Krieg habe sie “in ungewöhnliche Verhältnisse” gestellt. Es folgt eine Polemik gegen die These Plechanows von der “Unmöglichkeit des Sozialismus” in Rußland. Die Kontrollmaßnahmen (über Produktion und Verteilung, UH) seien noch “kein Sozialismus” aber eine “Übergangsmaßnahme”, Rußland wird “mit einem Fuß im Sozialismus stehen”. Wir betrachten den Sozialismus nicht als Sprung, sondern als praktischen Ausweg aus der “entstandenen Zerrüttung”. (April 1917)26) Es gäbe den “weitverbreitete(n) Einwand” in der bürgerlichen, sozialrevolutionären und menschewistischen Presse: “Wir seien noch nicht reif für den Sozialismus, es sei verfrüht, den Sozialismus ‘einzuführen’, unsere Revolution sei eine bürgerliche - also müsse man Knecht der Bourgeoisie sein....” ... “Man muß entweder vorwärtsschreiten oder zurückgehen. Vorwärtsschreiten im Rußland des 20. Jahrhunderts, das die Republik und den Demokratismus auf revolutionärem Wege erobert hat, ist unmöglich, ohne zum Sozialismus zu schreiten, ohne Schritte zum Sozialismus zu machen. Schritte, die bedingt sind und bestimmt werden durch den Stand der Technik und Kultur...”. (10. - 14. September 1917)27) Wir haben uns niemals “unlösbare” Aufgaben gestellt... die “durchaus lösbaren Aufgaben unverzüglicher Schritte zum Sozialismus... können sofort gelöst werden durch die Diktatur des Proletariats und der armen Bauernschaft” - ein “dauerhafter Sieg ist jetzt mehr als je und mehr als irgendwo sonst dem Proletariat in Rußland sicher, wenn es die Macht ergreift“. (1. Oktober 1917)28) Das Zentralkomitee sei vom Sieg des Sozialismus sowohl in Rußland als auch in Europa überzeugt. (17. (4.) November 1917)29) “Fast alle Arbeiter und die gewaltige Mehrheit der Bauern” stehen auf der Seite der Sowjetmacht und der “von ihr begonnenen Revolution. Insofern ist der Erfolg der sozialistischen Revolution in Rußland gesichert.” ...Es wäre ein Fehler, “die Taktik der sozialistischen Regierung Rußlands darauf aufzubauen, ...ob die europäische und insbesondere die deutsche Revolution im nächsten halben Jahr (oder in einer ähnlichen kurzen Frist) ausbrechen wird oder nicht”... . In der Taktik müsse man davon ausgehen, wie man die sozialistische Revolution... “wenigstens in einem Lande so lange halten kann, bis andere Länder sich anschließen werden”.... “wenn man uns sagt, daß der Sieg des Sozialismus nur im Weltmaßstab möglich sei, so sehen wir darin lediglich einen Versuch... eine ganz unleugbare Wahrheit zu entstellen. Natürlich, der endgültige Sieg des Sozialismus in einem Lande ist unmöglich”. (Januar 1918)30) Man dürfe die “große Losung ‘Wir setzen auf den Sieg des Sozialismus in Europa’ nicht zu einer Phrase machen. Das ist eine Wahrheit, wenn man den langen und schwierigen Weg bis zum vollständigen Sieg des Sozialismus in Auge hat. Es ist eine unbestreitbare philosophisch-historische Wahrheit, wenn man die ganze ‘Ära der sozialistischen Revolution’ in ihrer Gesamtheit nimmt. Aber jede abstrakte Wahrheit wird zur Phrase, wenn man sie auf jede beliebige konkrete Situation anwendet”. Sie können “nicht die Bürgschaft ... übernehmen”, daß die europäische Revolution “in den nächsten paar Wochen ausbrechen und siegen werde...”. (25. Februar 1918)31) In Polemik gegen die These, man hätte “folglich” die Macht nicht ergreifen sollen: Der vollständige Sozialismus sei nur in Zusammenarbeit der Proletarier aller Länder möglich, “durch eine Reihe von Versuchen - von denen jeder, einzeln genommen, einseitig sein, an einer gewissen Nichtübereinstimmung leiden wird”. (5. Mai 1918)32) Im Weltmaßstab “völlig, endgültig zu siegen ist in Rußland allein nicht möglich... ”. Zumindest in allen fortgeschrittenen Länder, oder auch nur in einigen der größten fortgeschrittenen Länder müsse das Proletariat den Sieg errungen haben, bevor die Sache des Proletariats gesiegt hat. (März - April 1919)33) “Hat denn irgendein Bolschewik jemals geleugnet, daß die Revolution endgültig erst dann siegen kann, wenn sie alle oder mindestens einige der bedeutendsten fortgeschrittenen Länder erfaßt? Wir haben das stets gesagt.” (6. - 19. Mai 1919)34) “Selbstverständlich kann den endgültigen Sieg nur das Proletariat aller fortgeschrittenen Länder der Welt erringen...” die Russen beginnen das Werk, das vom englischen, französischen, deutschen Proletariat gefestigt wird, aber, “ohne die Hilfe der werktätigen Massen aller unterdrückten Kolonialvölker, und in erster Reihe der Völker des Ostens, nicht siegen werden.” Die Avantgarde allein kann den Übergang zum Kommunismus nicht vollziehen. (20. Dezember 1919)35) Unser Sieg ist nur dann von Dauer, wenn unsere Sache in der ganzen Welt siegt. “... wir hatten ja unser Werk ausschließlich in der Erwartung der Weltrevolution begonnen.” Nach drei Jahren könne man sagen, “daß wir gesiegt haben” ... dürfen aber “nicht vergessen, daß wir erst zur Hälfte gesiegt haben”, nicht vergessen, daß “unsere Sache eine internationale ist”..., “unser Sieg nur ein halber Sieg, vielleicht sogar noch weniger” ist. (6. November 1920)36) Wir haben erklärt, daß unser Sieg nicht gesichert sei, wenn es nicht zur Revolution im Westen kommt. Eine rasche und einfache Lösung sei nicht erfolgt. Aber das Wichtigste sei erreicht: Die “Behauptung der proletarischen Macht und der Sowjetrepublik, sogar im Falle einer Hinauszögerung der sozialistischen Weltrevolution”. (21. November 1920)37) Wir haben uns niemals die Aufgabe gestellt, “ganz allein, aus eigener Kraft, zu siegen”... “Die Weltrevolution ist noch nicht da, aber auch wir sind bisher nicht besiegt worden.” (26. November 1920)38) “10 - 20 Jahre richtige Beziehungen mit der Bauernschaft, und der Sieg ist im Weltmaßstab (sogar bei einer Verzögerung der proletarischen Revolutionen, die anwachsen) gesichert, sonst 20 - 40 Jahre Qualen weißgardistischen Terrors.” (März/April 1921)39) “Der Ausgang des Kampfes hängt in letzter Instanz davon ab, daß Rußland, Indien, China usw. die gigantische Mehrheit der Erdbevölkerung stellen. Gerade diese Mehrheit. der Bevölkerung wird denn auch in den letzten Jahren mit ungewöhnlicher Schnelligkeit in den Kampf um ihre Befreiung hineingerissen, so daß es in diesem Sinne nicht den geringsten Zweifel darüber geben kann, wie die endgültige Entscheidung des Kampfes im Weltmaßstab ausfallen wird. In diesem Sinne ist der endgültige Sieg des Sozialismus vollständig und unbedingt gesichert.” (2. März 1923)40) Aus dieser unvollständigen Reflektion Leninscher Äußerungen zur Frage “Sozialismus in einem Land” läßt sich folgern: Mit einem mir passenden Zitat kann ich “beweisen”, daß Lenin gegen Sozialismus in einem Land oder daß er dafür war. Hier geht es nur um die Feststellung, daß Lenin bereits das Problem Sozialismus in einem Land theoretisch reflektiert hat, und je nach veränderten Bedingungen unterschiedlich beantwortet hat. Nimmt man seine letzten Äußerungen, so lassen sich die Leninschen Erkenntnisse über “Sozialismus in einem Land” zusammenfassen: Der Sieg des Sozialismus in einem Land, auch im ökonomisch und kulturell rückständigen Rußland, ist möglich, selbst bei Verzögerung der Weltrevolution. Dieser Sieg ist jedoch noch nicht endgültig, noch nicht gesichert, bis nicht in einem oder wenigstens in einigen ökonomisch fortgeschrittenen Ländern die proletarische Revolution gesiegt hat. Lenin spricht mehrfach vom “vollständigen” Sieg des Sozialismus. Da in dieser Zeit die Begriffe “Sozialismus” und “Kommunismus” häufig synonym angewendet wurden, bleibt offen, ob Lenin mit “endgültigem” Sieg die höhere Phase der kommunistischen Gesellschaft oder nur die niedere Phase meint. Lenin bezieht in seine Theorie die “Völker des Ostens” mit ein, die im Gefolge der Oktoberrevolution eine Periode antikolonialer, demokratischer Revolutionen eröffnet hatten. Ab 1920/21 berücksichtigt Lenin in seinen Aussagen zunehmend eine Verzögerung der Revolution im Westen. Der ursprüngliche Gedanke, Rußland beginnt mit der proletarischen Weltrevolution, der Westen - namentlich Deutschland - folgt und übernimmt auf Grund seiner ökonomisch-technischen Überlegenheit die bestimmende Rolle, wird aufgegeben. Dafür wird die Rolle der “gigantischen Mehrheit der Erdbevölkerung”, Rußland, Indien, China im Kampf um die “endgültige Entscheidung des Kampfes” hervorgehoben. 2.2.2. Stalin gegen Trotzki Die Leninsche Theorie vom “Sozialismus in einem Land” war das Fundament, von dem Stalin in seinem Kampf gegen die parteifeindliche Opposition ausging und die er in diesem Kampf weiter entwickelte, vervollkommnete und präzisierte. Erste Äußerungen Stalins zu diesem Thema finden sich im Bericht über die politische Lage auf dem VI. Parteitag der SDAPR (B) (26. Juli bis 30. August 1917), unmittelbar nach den Juliereignissen.41) Die Möglichkeiten eines friedlichen Übergangs der Macht von der bürgerlichen provisorischen Regierung an die Sowjets war damit nicht mehr gegeben. Sollte die Revolution weitergeführt, die dringendsten Forderungen der Massen erfüllt werden: Frieden - Land für die Bauern - Brot für die Arbeiter in der Stadt, blieb nur noch der bewaffnete Aufstand und der Übergang zum Sozialismus. Damit war die Frage nach der Möglichkeit des Sieges der sozialistischen Revolution in Rußland auf die Tagesordnung gesetzt. Bereits auf der VII. Gesamtrussischen Konferenz der SDAPR (B) (Aprilkonferenz 1917) erklärten Kamenew, Rykow und andere, daß ein Sieg der sozialistischen Revolution in Rußland unmöglich sei. Dies wurde auch auf dem VI. Parteitag wiederholt. N.S. Angarski erklärte, daß die Orientierung auf einen Sieg der Revolution “keine Taktik des Marxismus, sondern eine Taktik der Verzweiflung” sei.42) Desgleichen traten Bucharin und Preobrashenski gegen die These Lenins von der Möglichkeit des Sieges der sozialistischen Revolution in einem Lande auf. Dagegen polemisierte Stalin in seinem Bericht. Unter normalen Bedingungen, bei der schwachen Entwicklung des Kapitalismus in Rußland, sei ein Sieg der sozialistischen Revolution in Rußland nicht möglich. Aber der Krieg, die Zerrüttung der Wirtschaft, der Erschütterung der kapitalistischen Organisation der Volkswirtschaft ermöglichen einen Sieg der sozialistischen Revolution. In Rußland bestünde im Unterschied zu Deutschland ein “hoher Grad der Organisiertheit der Arbeiter, im revolutionären Sinne, nicht nach Institutionen wie in Österreich”. Das Proletariat habe “so umfassende Organisationen wie die Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten” die es in keinem anderen Land gibt. Die Arbeiter Rußlands könnten “nicht auf ein aktives Eingreifen in das Wirtschaftsleben des Landes im Sinne sozialistischer Umgestaltungen verzichten, ohne politischen Selbstmord zu begehen. Es wäre unwürdige Pedanterie, wollte man verlangen, daß Rußland mit den sozialistischen Umgestaltungen ‘wartet’, bis Europa ‘anfängt’. Dasjenige Land ‘fängt an’, das mehr Möglichkeiten hat...”43) Mit diesen Ausführungen ging Stalin nicht über Lenin hinaus. Sie verdeutlichen aber die Übereinstimmung mit den Auffassungen Lenins. Im weiteren erfolgte die Auseinandersetzung mit Bucharin und anderen Zweiflern an der Möglichkeit eines Sieges der sozialistischen Revolution in Rußland. Bucharin habe die Frage “am schärfsten” gestellt, aber “sie nicht zu Ende geführt”. Bucharin behaupte, daß “der imperialistische Bourgeois ... einen Block mit dem Bauern gebildet” habe. Es gäbe aber verschiedene Bauern. Der Block sei mit “rechtsorientierten Bauern” gebildet worden, aber es gäbe auch “Bauern der unteren Schichten, linkseingestellte, die die ärmsten Schichten der Bauernschaft vertreten”. Bucharin habe nicht gesagt, gegen wen sich der Block richte. Es sei dies ein Block des alliierten und des russischen Kapitals, des Offizierskorps und der Oberschichten der Bauernschaft in Gestalt der Sozialrevolutionäre vom Schlage eines Tschernow. Dieser Block hat sich gegen die unteren Schichten der Bauernschaft, gegen die Arbeiter gebildet. Bucharins Analyse sei “grundfalsch”, nach der wir der “ersten Etappe einer Bauernrevolution” entgegengingen. Die Bauernrevolution müsse sich mit der Arbeiterrevolution treffen, “mit ihr zusammenfallen”. Nach Bucharin würde die zweite Etappe, nach der Bauernrevolution, die proletarische Revolution sein, von Westeuropa unterstützt, ohne Beteiligung der Bauern, die den Boden bekommen hätten und zufrieden gestellt seien. Aber gegen wen richte sich dann die Revolution? Bucharin bliebe mit seinem “kindischen Schema” die Antwort schuldig.44) War die Konzeption Bucharins wirklich nur ein “kindisches Schema” oder steckte mehr dahinter? Von der Sache her war die Konzeption Bucharins eine Absage an Lenins Schlußfolgerungen über die Möglichkeit des Sieges der sozialistischen Revolution in einem Land, in Rußland. Bucharin sah den Ausweg in der “proletarischen Weltrevolution”. Er meinte, daß die Revolution in Rußland den Imperialisten den “revolutionären Krieg” erklären müsse, um auf diese Weise “das Feuer der sozialistischen Weltrevolution zu entfachen”.45) Diese These Bucharins unterschied sich nicht von Trotzkis Theorie der “permanenten Revolution”. Preobrashenski erklärte, daß nur “beim Vorhandensein einer proletarischen Revolution im Westen” ein sozialistischer Weg in Rußland eingeschlagen werden könne.46) Stalin antwortete, daß die “Möglichkeit ... nicht ausgeschlossen” ist, “daß gerade Rußland das Land sein wird, das den Weg zum Sozialismus bahnt. ...Man muß die überlebte Vorstellung fallen lassen, daß nur Europa uns den Weg weisen könne. Es gibt einen dogmatischen Marxismus und einen schöpferischen Marxismus. Ich stehe auf dem Boden des letzteren.”47) Sieben Jahre später - in einem Prawda-Artikel vom 20. Dezember 1924, “Der Oktober und Trotzkis Theorie der ‘permanenten’ Revolution”48) - setzte sich Stalin mit dieser Theorie auseinander. Trotzki habe bereits 1905 die revolutionäre Kraft der Bauernschaft nicht erkannt, wie in seiner Losung: “Weg mit dem Zaren, her mit der Arbeiterregierung!” zum Ausdruck kam. Auch 1915 glaubte er, daß die Losung der Konfiskation des Bodens unter den Bedingungen des Imperialismus keine Rolle mehr spiele.49) Trotzki habe das Wesen der Leninschen Theorie der Diktatur des Proletariats als “Klassenbündnis des Proletariats mit der werktätigen Bauernschaft zum Sturz des Kapitalismus, zum endgültigen Sieg des Sozialismus, unter der Bedingung, daß die führende Kraft in diesem Bündnis das Proletariat” sei, nicht begriffen.50) Es folgt ein Zitat aus dem Vorwort von Trotzkis Buch “Das Jahr 1905”, das er 1922 geschrieben hatte: “Gerade in der Zeitspanne zwischen dem 9. Januar und dem Oktoberstreik 1905 haben sich bei dem Verfasser die Ansichten über den Charakter der re­volutionären Entwicklung Rußlands herausgebildet, die die Bezeichnung Theorie der ‘permanenten Revolution’ erhielten. Diese hochgelehrte Bezeichnung brachte den Gedanken zum Ausdruck, daß die russische Revolution wohl unmittelbar vor bürgerlichen Zielen steht, jedoch bei ihnen nicht wird stehenbleiben kön­nen. Die Revolution wird ihre nächsten bürgerlichen Aufgaben nicht anders lösen können als dadurch, daß sie das Proletariat an die Macht bringt. Dieses aber wird, nachdem es die Macht erobert hat, sich nicht auf den bürgerlichen Rahmen der Revolution beschränken können. Im Gegenteil, gerade zur Siche­rung ihres Sieges wird die proletarische Avantgarde schon in der ersten Zeit ihrer Herrschaft tiefstgehende Eingriffe nicht nur in das feudale, sondern auch in das bürgerliche Eigentum vornehmen müssen. Hierbei wird sie in feindliche Zusammenstöße nicht nur mit allen Gruppierungen der Bourgeoisie geraten, die sie im Anfang ihres revolutionären Kampfes unterstützt haben, sondern auch mit den breiten Massen der Bauernschaft, mit deren Beihilfe sie zur Macht gekommen ist. Die Widersprüche in der Stellung der Arbeiterregierung in einem rückständigen Lande mit einer erdrückenden Mehrheit bäuerlicher Bevölkerung werden nur im internationalen Maßstab, in der Arena der Welt­revolution des Proletariats ihre Lösung finden können.”51) Stalin konfrontierte diese Ausführungen Trotzkis mit Lenins Auffassungen zu dieser Frage. Lenin habe vom Bündnis des Proletariats mit der werktätigen Bauernschaft gesprochen, Trotzki von “feindlichen Zusammenstößen”. Nach Lenin schöpfe die Revolution ihre Kräfte vor allem unter den Arbeitern und Bauern selbst, bei Trotzki “nur” in der “Arena der Weltrevolution”. Die Theorie der “permanenten Revolution” bezeichnete Stalin als eine Abart des Menschewismus.52) Dies war insofern berechtigt, als die Menschewiki in Übereinstimmung mit der internationalen Sozialdemokratie einen Sieg des Sozialismus in einem Lande, speziell in einem rückständigen Land wie Rußland, bezweifelten. Stalin argumentierte im weiteren mit den in der Leninschen Imperialismustheorie dargestellten Widersprüchen des imperialistischen Weltsystems und hob hervor, daß der “Durchbruch” am “wahrscheinlichsten” in jenen Ländern vor sich gehen werde, wo die “Kette des Imperialismus” am schwächsten sei. “Infolgedessen ist der Sieg des Sozialismus in einem Lande, selbst wenn dieses Land kapitalistisch weniger entwickelt ist, bei Fortbestehen des Kapitalismus in den anderen Ländern, selbst wenn diese Länder kapitalistisch entwickelter sind, durchaus möglich und wahrscheinlich.”53) Dem gegenüber habe Trotzki in seiner Broschüre “Unsere Revolution” (1906) geschrieben: “Ohne direkte staatliche Unterstützung durch das europäische Proletariat wird die Arbeiterklasse Rußlands nicht imstande sein, die Macht zu behaupten und ihre zeitweilige Herrschaft in eine dauernde sozialistische Diktatur zu verwandeln. Daran darf man nicht einen Augenblick zweifeln.”54) Man könnte einwenden, daß es wenig sinnvoll ist, aus einer Schrift zu zitieren, die fast 20 Jahre zurückliegt. Der Verfasser könnte in diesen zwei Jahrzehnten auf Grund des Erkenntnisfortschritts zu anderen Auffassungen gelangt sein. Dies war bei Trotzki jedoch nicht der Fall. So zitierte Stalin noch weitere Passagen aus Trotzkis Schriften, die unter verschiedenen Aspekten stets auf das Gleiche hinausliefen, nämlich die Unmöglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Lande. So schrieb Trotzki in Jahre 1924, daß man ohne auf “die anderen zu warten”, den Kampf auf nationalem Boden beginnen könne, in der Überzeugung, damit den “anderen Ländern einen Anstoß” zu geben. Aber wenn das “nicht geschehen sollte, dann wäre es aussichtslos, zu glauben..., daß zum Beispiel ein revolutionäres Rußland einem konservativen Europa gegenüber sich behaupten ... könnte.”55) Bei Trotzki zeigt sich also Kontinuität in seiner Theorie der “permanenten Revolution”. Stalin wies auch hier unter Berufung auf Lenin darauf hin, daß zu einem vollständigen Sieg, zu einer vollständigen Garantie gegen eine Restauration des Kapitalismus “die gemeinsamen Anstrengungen der Proletarier mehrerer Länder notwendig” seien. “Es erübrigt sich zu sagen, daß wir Unterstützung brauchen.”56) Diese Unterstützung müsse aber nicht unbedingt die Revolution im Westen sein. Stalin wies auf solche Arten der Unterstützung hin wie die “Sympathie der europäischen Arbeiter für unsere Revolution”, deren “Bereitschaft, die Interventionspläne der Imperialisten zu durchkreuzen”, aber nicht nur der europäischen Arbeiter, sondern auch der “unterdrückten Völker des Ostens”.57) Stalin unterschied zwischen Sieg des Sozialismus in einem Land und einem vollständigen Sieg in einem Land, letzteres im Sinne einer Garantie gegen eine Restauration des Kapitalismus, gegen einen Interventionskrieg imperialistischer Mächte. Der vollständige Sieg sei erst nach dem Sieg der proletarischen Revolution wenigstens in einigen kapitalistischen Ländern gegeben. Damit befand er sich in Übereinstimmung mit Lenins Auffassungen aus den 20er Jahren. Trotzki behauptete im Nachwort zu einer Neuauflage seiner Broschüre “Das Friedensprogramm” (1922), daß nach fünf Jahren Sowjetmacht seine These, “daß die proletarische Revolution im nationalen Rahmen nicht zu Ende geführt werden kann”, ... “manchen Lesern” als “widerlegt erscheine(n)”. Dies sei jedoch unbegründet, denn “ein wirklicher Aufschwung der sozialistischen Wirtschaft in Rußland” sei “erst nach dem Siege des Proletariats in den wichtigsten Ländern Europas möglich... .”58) Demnach, meinte Stalin, bliebe der Revolution in Rußland nur die “Wahl”: “...entweder auf dem Halm zu verfaulen oder zu einem bürgerlichen Staat zu entarten.”59) Diese Grundgedanken wiederholte Stalin in einem Brief an Genossen D - OW vom 25. Januar 1925, wobei er sie näher bestimmte. “Sieg des Sozialismus” heiße, “die Gutsbesitzer und Kapitalisten zu verjagen, die Macht zu ergreifen, die Attacken des Imperialismus abzuschlagen und den Aufbau der sozialistischen Wirtschaft zu beginnen. All dies kann dem Proletariat in einem Lande durchaus gelingen, eine vollständige Garantie gegen eine Restauration kann jedoch nur das Ergebnis ‘gemeinsamer Anstrengungen der Proletarier mehrerer Länder’ sein.”60) Stalin sagte aber auch hier nicht, daß diese “Anstrengungen” unbedingt die “Revolution” sein müsse. Es wäre doch töricht, die Oktoberrevolution in Rußland zu beginnen, wenn sie sich nicht gegenüber einem konservativen Europa behaupten könne. Wenn Trotzkis Theorie richtig wäre, dann hätte Lenin unrecht gehabt, wenn er das Rußland der NÖP in ein sozialistisches Rußland verwandeln wollte. Wir hätten alles, “um die vollendete sozialistische Gesellschaft zu errichten.”61) Stalin wies auf die Gefährlichkeit der Theorie von der Leugnung des Sieges des Sozialismus in einem Lande hin. Wenn in den nächsten fünf bis zehn Jahren keine Revolution im Westen kommt, und wir uns als Sowjetrepublik behaupten, sollen wir solange in Passivität verharren, “Wasser ins Meer” tragen, anstatt die sozialistische Wirtschaft aufzubauen? Aber dieser Sieg bedeute natürlich kein “endgültiger”. Solange eine “kapitalistische Umkreisung besteht, die Gefahr einer militärischen Intervention ständig vorhanden” ist, kann von einem “endgültigen” Sieg keine Rede sein. Einige Genossen verharren noch in der alten sozialdemokratischen Theorie, nach der in Ländern, die kapitalistisch weniger entwickelt sind als England oder Amerika für die proletarische Revolution kein Boden gegeben sei.62) Die Auseinandersetzung mit den Thesen Trotzkis setzte Stalin in seinem Referat vor dem Aktiv der Moskauer Parteiorganisation am 9. Mai 1925 fort.63) Es gäbe zwei Gruppen von Gegensätzen, innere: die Gegensätze zwischen Proletariat und Bauernschaft als Privateigentümern bei gemeinsamen Interessen von Proletariern und der Bauernschaft, und äußere zwischen der Sowjetunion und den “allen übrigen Ländern, als den Ländern des Kapitalismus”. Die gemeinsamen Interessen zwischen Proletariat und Bauern ermöglichen das Bündnis zwischen beiden unter Führung des Proletariats, die gemeinsam die “vollendete sozialistische Gesellschaft errichten können und müssen”.64) Eben dies bestreite Trotzki, nach dem die Widersprüche zwischen Proletariat und der Bauernschaft, “der erdrückenden Mehrheit”, nur im internationalen Maßstab, durch die Weltrevolution gelöst werden können. Stalin belegte diese Auffassung Trotzkis mit mehreren Zitaten aus dessen Schriften.65) Trotzkis Fehler bestünde darin, daß er die Widersprüche zwischen Proletariat und Bauernschaft verabsolutiere, die gemeinsamen Interessen zwischen ihnen übersehe. Das Problem bestand in der Frage, welche Seite die bestimmende war, die Gegensätze oder die gemeinsamen Interessen? Es war klar, daß dieses objektive Widerspruchsverhältnis sich nicht im Selbstlauf auflösen würde. Die Lösung der Frage, welche Seite dominieren würde, war abhängig vom Klassenkampf, von den Kräfteverhältnissen zwischen den Klassen, von der Führungsfähigkeit der Bolschewiki. Bei fehlerhafter Politik konnten die Widersprüche zur Sprengung des Bündnisses zwischen Proletariat und Bauernschaft und damit zum Sturz der Diktatur des Proletariats führen, die auf diesem Bündnis beruhte. Insofern war die Konzeption Trotzkis existenzgefährdend für die Sowjetmacht. Stalin zitierte auch wieder ausführlich aus Lenins Schriften, um den Gegensatz der Auffassungen Trotzkis zum Leninismus zu dokumentieren.66) “Ich weiß”, sagt Lenin, “daß es natürlich Neunmalweise gibt, die sich für sehr gescheit halten und sich sogar Sozialisten nennen, die behaupten, man hätte die Macht nicht ergreifen dürfen, solange die Revolution nicht in allen Ländern ausgebrochen wäre. Diese Leute ahnen nicht, daß sie mit diesem Gerede der Revolution den Rücken kehren und auf die Seite der Bourgeoisie über­gehen. Zu warten, bis die werktätigen Klassen die Revolution im internatio­nalen Maßstab durchführen, hieße, daß alle in Erwartung zu erstarren hätten. Das ist Unsinn.”67) Die inneren Widersprüche können die Bolschewiki lösen, die äußeren Widersprüche, die Gefahr der Intervention durch die imperialistischen Mächte und damit die Gefahr der Restauration der kapitalistischen Ordnung können nicht allein durch die Anstrengungen eines Landes völlig gelöst werden. “Eine volle Garantie gegen die Intervention und folglich auch der endgültige Sieg des Sozialismus ist infolgedessen nur im internationalen Maßstab, ... nur als Ergebnis des Sieges der Proletarier einiger Länder möglich.” Dies wäre die “unerläßliche Vorbedingung für den endgültigen Sieg des Sozialismus“.68)“ In dem w.o. genannten Prawda-Artikel vom 20. Dezember 1924 fehlt der Hinweis auf den “Sieg des Proletariats in einigen Ländern”, auf eine “siegreiche Revolution in mehreren Ländern”, sondern Stalin wies nur auf die “Unterstützung” durch die Arbeiter in den europäischen Ländern hin, wobei Unterstützung in “vielfältigen Formen” nicht unbedingt die proletarische Revolution mit einschließt. In der Schrift “Zu den Fragen des Leninismus” (1926)69) nahm Stalin einige Präzisierungen zur Frage “Sozialismus in einem Land” gegenüber früheren Äußerungen vor, die in der Arbeit “Über die Grundlagen des Leninismus”70) vom Mai 1924 enthalten sind. 1924 hieß es, daß der Sieg des Proletariats in einzelnen Ländern nicht nur möglich, sondern auch notwendig sei, auf Grund des ungleichmäßigen, sprunghaften Charakters der Entwicklung der einzelnen kapitalistischen Länder unter den Verhältnissen des Imperialismus.71) Dieser Leitsatz sei “völlig richtig und bedarf keines Kommentars”. Aber es gab in der Schrift von 1924 noch eine zweite Formulierung. Darin hieß es, daß der Sturz der Macht der Bourgeoisie und die Errichtung der Macht des Proletariats in einem Lande noch nicht heißt, daß man die “Hauptaufgabe des Sozialismus”, die “Organisierung der sozialistischen Produktion” in einem Lande schon lösen könne. “Zum Sturz der Bourgeoisie genügen die Anstrengungen eines Landes ... zum endgültigen Siege des Sozialismus, zur Organisierung der sozialistischen Produktion, genügen nicht die Anstrengungen eines Landes ... dazu sind die Anstrengungen der Proletarier mehrerer fortgeschrittener Länder notwendig.”72) Diese zweite Formulierung von Mai 1924 war gegen die Behauptungen der Trotzkisten gerichtet, nach der sich die Diktatur des Proletariats in einem Land nicht gegen einem “konservativen Europa” behaupten könne, wenn der Sieg in den anderen Ländern ausbleibe. Soweit hatte diese Formulierung ihre Berechtigung. Nunmehr erweise sich diese zweite Formulierung als “ungenau” und deshalb “unrichtig”. Der Mangel dieser Formulierung bestehe darin, daß zwei verschiedene Fragen zu einer zusammengezogen wurden. Die Möglichkeit der Errichtung des Sozialismus in einem Lande mit der Frage, ob ein Land, in dem die Diktatur des Proletariats errichtet ist, gegen Intervention und Restauration völlig gesichert ist. Er habe in seiner Schrift “Die Oktoberrevolution und die Taktik der russischen Kommunisten” (Dezember 1924) diese Formulierung in zwei Fragen zerlegt: 1. die Frage nach der vollständigen Garantie gegen die Restauration der bürgerlichen Ordnung und die 2. die Frage nach der Möglichkeit der Errichtung der vollendeten sozialistischen Gesellschaft in einem Lande.73) Demzufolge ist nach Stalin zu unterscheiden die Errichtung der vollendeten sozialistischen Gesellschaft in einem Lande von dem endgültigen Sieg des Sozialismus, gleichbedeutend mit der Garantie vor Intervention und Restauration der kapitalistischen Ordnung. Die Errichtung der vollendeten sozialistischen Gesellschaft in einem Lande sei möglich, aus eigener Kraft, der endgültige Sieg, Garantie vor Intervention und Restauration sei nur international möglich, nach dem Sieg der proletarischen Revolution wenigstens in einigen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern. Dies war der Stand der Erkenntnisse Stalins vom Januar 1926. Von dieser Position aus kritisierte Stalin die Auffassungen Sinowjews, der unter “endgültigem Sieg des Sozialismus” die Aufhebung der Klassen, die Abschaffung der Diktatur des Proletariats verstand. Unter dem “endgültigen Sieg” verstand er nicht die Garantie gegen Intervention und Restauration. Sinowjew meinte, daß die These, wonach der Sowjetstaat, auch wenn er allein ist, den Sozialismus aufbauen kann, keine “leninistische Fragestellung” sei, sondern dies “nach nationaler Beschränktheit” rieche. Stalin bezeichnete die Auffassungen Sinowjews als eine “Kapitulation vor den kapitalistischen Elementen unserer Wirtschaft” (NÖP, UH), als Abkehr vom Leninismus74), sowie eines Verstoßes gegen Beschlüsse der Partei, wie sie in der Resolution der XIV. Parteikonferenz “Über die Aufgaben der Komintern und der KPR (B) im Zusammenhang mit dem erweiterten Plenum des EKKI” festgelegt wurden: “Das Bestehen zweier diametral entgegengesetzter gesellschaftlicher Sy­steme ruft die ständige Gefahr der kapitalistischen Blockade, anderer Formen des ökonomischen Druckes, der bewaffneten Intervention und der Restaura­tion hervor. Die einzige Garantie für den endgültigen Sieg des Sozialismus, das heißt die Garantie gegen die Restauration ist folglich die siegreiche so­zialistische Revolution in einer Reihe von Ländern...” “Der Leninismus lehrt, daß der endgültige Sieg des Sozialismus im Sinne der vollständigen Garantie gegen eine Restauration der bürgerlichen Verhältnisse nur im internationalen Maßstab möglich ist...” “Daraus folgt keineswegs, daß die Errichtung der vollendeten sozialistischen Gesellschaft in einem so rückständigen Lande wie Rußland ohne ‘staatliche Hilfe’ (Trotzki) der in technischer und ökonomischer Hinsicht entwickelteren Länder unmöglich sei”.75) Es könne sein, daß eine Resolution Fehler enthalte. Dann müsse man dies sagen. Aber darum ginge es bei Sinowjew nicht, der gemeinsam mit Kamenew im Politbüro den Standpunkt vertrete, daß die Sowjetunion auf Grund ihrer technischen und ökonomischen Rückständigkeit “nicht imstande wäre, mit den inneren Schwierigkeiten fertig zu werden, es sei denn, daß uns die internationale Revolution rette“.76) Nun war - und ist im 21. Jahrhundert - die Frage der technisch-ökonomischen Rückständigkeit eine Kardinalfrage des sozialistischen Aufbaus. Sie konnte in der Sowjetunion weitgehend noch bis in die 70er Jahre gelöst werden. Die Sowjetunion war in der Raumfahrt, in der Lasertechnik und auf anderen Gebieten die führende Industriemacht gewesen. Gegenwärtig und für eine mittelfristig überschaubare Periode sind die VR China, die KVDR, die sozialistischen Republiken Vietnam und Kuba mit ähnlichen Problemen auf einer qualitativ höheren Stufe konfrontiert. Der wissenschaftlich-technische Abstand dieser sozialistischen Gesellschaften von den USA dürfte noch größer sein als der der Sowjetunion von den kapitalistischen Mächten Ende der 20er Jahre. Analoge Diskussionen unter Kommunisten heute zu den Diskussionen Mitte der 20er Jahre in der Sowjetunion sind daher nicht verwunderlich. Die Kommunisten in der Sowjetunion haben das Problem gelöst, warum sollten die chinesischen Kommunisten es in zwei oder drei Jahrzehnten nicht auch lösen können? Wenn ihnen die Imperialisten in den USA soviel Zeit lassen! Allerdings ging es bei Sinowjew und Kamenew, deren Konzeption sich im Wesen von den Auffassungen Trotzkis nicht unterschied, nicht um Diskussionsfragen unter Kommunisten, sondern sie bildeten bereits in Leningrad eine Fraktion, die die Beschlüsse des ZK unterlief. Die Diskussion “Sozialismus in einem Land” war bis Ende 1925 im wesentlichen abgeschlossen, sie immer wieder neu zu entfachen, konnte die Einheit der Partei gefährden. Stalin bezeichnete die Gruppierung um Sinowjew/Kamenew zu recht als “neue Opposition.” In seinem Artikel “Über den Oppositionsblock in der KPdSU (B), Thesen” (26. Oktober 1926)77) wies Stalin die Übereinstimmung der Auffassungen von Sinowjew/Kamenew mit Trotzki nach. Stalin konfrontierte (wiederholend UH) die Leninsche Konzeption von “Sozialismus in einem Land” mit der trotzkistischen: “Obgleich der Trotzkismus im Oktober 1917 mit der Partei mitging, ging er und geht er auch weiter davon aus, daß unsere Revolution an und für sich, dem Wesen der Sache nach, keine sozialistische Revolution sei, daß die Oktoberrevolution nur Signal, Anstoß und Ausgangspunkt für die sozialistische Revolution im Westen sei, daß, wenn sich die Weltrevolution verzögert und die siegreiche sozialistische Revolution im Westen nicht in allernächster Zeit er­folgt, die proletarische Macht in Rußland zusammenbrechen oder (was ein und dasselbe ist) unter dem Druck unvermeidlicher Zusammenstöße zwischen Proletariat und Bauernschaft entarten müsse.“78) Es ist zu beachten, daß diese trotzkistische Position neun Jahre nach der Oktoberrevolution, in der sich die Sowjetrepubliken nicht nur gegenüber den imperialistischen Mächten und der inneren Konterrevolution behauptet und erste Schritte eines sozialistischen Aufbaus erfolgreich getan hatten, nunmehr auch von Sinowjew/Kamenew übernommen wurde. Die Aussagen Trotzkis und seiner Gesinnungsgenossen seien eine “sozialdemokratische Abweichung in unserer Partei in der grundlegenden Frage... des Charakters und der Perspektiven unserer Revolution”. Die “‘neue Opposition’ (Sinowjew, Kamenew), die früher gegen den Trotzkismus, gegen die sozialdemokratische Abweichung in unserer Partei gekämpft hat”, ist “auf die ideologischen Positionen des Trotzkismus übergegangen....”. Sie setze “sich jetzt mit dem gleichen Feuereifer für den Trotzkismus” ein, “mit dem sie früher gegen den Trotzkismus auftrat“.79) In seinem Referat “Über die sozialdemokratische Abweichung in unserer Partei” auf der XV. Unionskonferenz der KPdSU (B) (26. Oktober bis 3. November 1926) führte Stalin ausführlich die Auseinandersetzung mit Trotzki, Sinowjew, sowie mit Smilga und Radek fort, die er in den “Thesen” über den “Oppositionsblock” bereits angesprochen hatte. Stalin zitierte aus einem Brief Trotzkis an die Oppositionellen in Leningrad vom September 1926. Danach habe sich die “Leningrader Opposition ... energisch gegen die Theorie des Sozialismus in einem Lande, als gegen eine theoretische Rechtfertigung der nationalen Beschränktheit gewandt.”80) Smilga stellte in einer Rede in der Kommunistischen Akademie am 26. September 1926, gegen Bucharin polemisierend, die Frage, “ob die Wiederherstellungsperiode zur Überprüfung, zur Revision des zentralen Punktes des Marxismus und Leninismus berechtigen kann, der besagt, daß es in einem einzelnen, technisch rückständigen Lande unmöglich ist, den Sozialismus zu errichten“.81) Desgleichen trat Radek in sehr überheblicher Weise auf. Stalin verwies auf ein Referat Radeks in der Kommunistischen Akademie, in den er die Theorie der Errichtung des Sozialismus in der Sowjetunion als Theorie des Aufbaus des Sozialismus “in einem Kreis” oder sogar “in einer Straße” bezeichnete. Auf Einwände der Genossen, daß dies eine “Leninsche Idee” sei, habe er geantwortet: “Sie haben Lenin schlecht gelesen; wenn Wladimir Iljitsch lebte, würde er sagen, daß dies eine Schtschedrinsche Idee sei. In Schtschedrins ‘Pompadouren’ gibt es einen eigenartigen Pompadour, der den Liberalismus in einem Kreis aufbaut.”82) Stalin widerlegte diese unsinnigen Behauptungen ausführlich mit Zitaten aus Lenins Schriften über die Möglichkeit des Aufbaus des Sozialismus in einem Lande, die hier nicht wiederholt werden müssen, da am Anfang ausführlich dokumentiert. Aber auch die Berufung auf Marx bei Smilga stand auf schwachen Füßen. Wenn Marx und Engels in der “Deutschen Ideologie” (1845/46) davon ausgingen, daß für eine proletarische Revolution ein hoher ökonomischer Entwicklungsstand erforderlich sei, so gibt es auch andere, spätere Äußerungen von Marx und Engels. In seiner Schrift “Die Klassenkämpfe in Frankreich” (Januar - Oktober 1850) wertete Marx die Erfahrungen der europäischen Revolutionsperiode aus. Mitte des 19. Jahrhunderts war in England der Kapitalismus am höchsten entwickelt, gab es in England schon ein zahlenmäßig starkes Industrieproletariat. Mußte nicht also die Revolution in England, als dem ökonomisch und industriell am höchsten entwickelten Land, ausbrechen? Keineswegs. “In England findet stets der ursprüngliche Prozeß statt; es ist der Demiurg des bürgerlichen Kosmos. Auf dem Kontinent treten die verschiedenen Phasen des Zyklus, den die bürgerliche Gesellschaft immer von neuem durchläuft, in sekundärer und tertiärer Form ein. Erstens führte der Kontinent nach England unverhältnismäßig mehr aus als nach irgend­einem anderen Land. Diese Ausfuhr nach England hängt aber wieder ab von dem Stand Englands, besonders zum überseeischen Markt. Dann führt Eng­land nach den überseeischen Ländern unverhältnismäßig mehr aus als der ge­samte Kontinent, so daß die Quantität des kontinentalen Exports nach diesen Ländern immer abhängig ist von der jedesmaligen überseeischen Ausfuhr Englands. Wenn daher die Krisen zuerst auf dem Kontinent Revolutionen erze­ugen so ist doch der Grund derselben stets in England gelegt. In den Extremitäten des bürgerlichen Körpers muß­ es natürlich eher zu gewaltsamen Ausbrüchen kommen als in seinem Herzen, da hier die Möglichkeit der Aus­gleichung größer ist als dort. Andererseits ist der Grad, worin die kontinentalen Revolutionen auf England zurückwirken, zugleich der Thermometer, an dem es sich zeigt, inwieweit diese Revolutionen wirklich die bürgerlichen Lebensverhältnisse in Frage stellen oder wieweit sie nur ihre politischen Formationen treffen.”83) Die Analogie der Verhältnisse Mitte des 19. Jahrhunderts mit denen der Sowjetunion zum Westen in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts ist unübersehbar, wenn Analogien auch keine Identität bedeuten. Die bis heute noch unter kommunistischen Wissenschaftlern weit verbreitete Auffassung, daß eine neue sozialistische Revolution notwendig zuerst in den entwickelten kapitalistischen Ländern ausbrechen müsse, kann auch nicht durch einzelne Äußerungen von Marx und Engels belegt werden. In seinem Brief an die Redaktion der “Otetschestwannyje Sapiski” vom November 1877 antwortete Marx einem seiner Kritiker: “Er (der Kritiker, UH) muß durchaus meine historische Skizze von der Entstehung des Kapitalismus in Westeuropa in eine geschichtsphilosophische Theorie des allgemeinen Entwicklungsganges verwandeln, der allen Völkern schicksalshaft vorgeschrieben ist, was immer die geschichtlichen Umstände sein mögen, in denen sie sich befinden, um schließlich zu jener ökonomischen Formation zu gelangen, die mit dem größten Aufschwung der Produktivkräfte der Arbeit die allseitige Entwicklung des Menschen sichert.”84) Daran sollten wir uns halten. Wer kann schon voraussagen, welche Auswirkungen revolutionäre antiimperialistische Bewegungen in Asien, Afrika, Lateinamerika oder in Osteuropa auf die imperialistischen Metropolen haben können? Auswirkungen, die die Arbeiterklasse und andere Werktätige revolutionieren und einen gewaltigen Schub in Richtung eines echten Menschheitsfortschritts bewirken können? Es ist auch heute nicht gesagt, daß die nächste sozialistische Revolution in den kapitalistischen Zentren ausbrechen muß, sie kann auch wieder am “schwächsten Kettenglied” des imperialistischen Weltsystems ihnen Anfang nehmen. Was wünschenswert wäre, ist das eine, was wirklich geschieht, das andere. Im “Nachwort (1894) (zu ‘Soziales aus Rußland’)” ging Friedrich Engels mehrfach unter verschiedenen Aspekten auf das dialektisch-widersprüchliche Verhältnis in den Wechselwirkungen von der Revolution in Rußland und Westeuropa ein, wobei auch hier der Zeitpunkt - 1894 - zu berücksichtigen ist.85) Nach Engels würde “der Sturz des zaristischen Despotismus, die Revolution in Rußland... auch der Arbeiterbewegung des Westens einen neuen Anstoß und neue, bessere Kampfesbedingungen geben und damit den Sieg des modernen industriellen Proletariats beschleunigen, ... ohne den das heutige Rußland weder aus der Gemeinde (der Obschtschina, UH) noch aus dem Kapitalismus heraus zu einer sozialistischen Umgestaltung kommen kann.“86) Hierbei handelte es sich noch um die bürgerlich-demokratische Revolution in Rußland, wie sie 1905 - 11 Jahre nach Engels Prognose! - auch stattfand, die starke Einflüsse auf die Linken in der westeuropäischen, namentlich der deutschen, Arbeiterbewegung hatte. Obwohl Engels die russischen Bolschewiki, namentlich Lenin und Stalin, nicht kennen konnte, so sah er doch, daß es “in Rußland Leute genug” gibt, “die die westliche kapitalistische Gesellschaft mit all ihren unversöhnlichen Gegensätzen und Konflikten genau kennen und auch über den Ausweg mit sich im reinen sind, der aus dieser scheinbaren Sackgasse führt.”87) Wenn die russische Revolution den “Anstoß” für die Revolution im Westen geben sollte, diese Revolution im Westen aber niedergeschlagen wurde bzw. nicht stattfand - was dann? Eine Antwort darauf ist bei Marx und Engels nicht zu finden - aber bei Lenin und Stalin! In einem sehr weiten Sinne trifft auf die Mehrheit der Bolschewiki, auf Lenin und Stalin, ein Satz von Marx aus den “Klassenkämpfen in Frankreich” zu: “Eine Klasse, worin sich die revolutionären Interessen der Gesellschaft konzentrieren, sobald sie sich erhoben hat, findet unmittelbar in ihrer eigenen Lage den Inhalt und das Material ihrer revolutionären Tätigkeit: Feinde niederzuschlagen, durch das Bedürfnis des Kampfes gegebene Maßregeln zu ergreifen; die Konsequenzen ihrer eigenen Taten treiben sie weiter. Sie stellt keine theoretischen Untersuchungen über ihre eigene Aufgabe an.”88) Stalin wies erneut mit Nachdruck auf die ideologischen und praktisch-politischen Folgen hin, den Sieg des Sozialismus in Rußland in Frage zu stellen. Ohne “klare Perspektiven” können die Arbeitermassen “nicht bewußt” am Aufbau des Sozialismus teilnehmen, kann es “keinen Willen” dazu geben. Dies habe ein “Erstarken der kapitalistischen Elemente unserer Wirtschaft zur Folge”, würde “Verfallserscheinungen” und “defätistische Stimmungen” innerhalb der Arbeiterklasse erzeugen. “Wer die entscheidende Bedeutung der sozialistischen Perspektive unseres Aufbaus unterschätzt, der hilft den kapitalistischen Elementen unserer Wirtschaft, der züchtet Kapitulantentum.” Desweiteren habe die Aufgabe der sozialistischen Perspektive auch internationale Auswirkungen, muß das “in allen Ländern die Auslösung der internationalen Revolution aufhalten.”89) Die Tätigkeit des Oppositionsblocks unter der Führung Trotzkis war sehr gefährlich. In der Resolution der 13. Konferenz der KPR (B) (16. - 18. Januar 1924) hieß es: “Dieser ganze oppositionelle Block wurde von Trotzki angeführt und erlangte deshalb anfänglich eine gewisse Autorität.”90) Auf dem Plenum des ZK der KPR (B) (17. - 20. Januar 1925) wurde die Frage der weiteren Tätigkeit Trotzkis im ZK noch bis zum nächsten Parteitag zurückgestellt. Sollte Trotzki weiterhin versuchen, “Parteibeschlüsse zu verletzen oder nicht zu erfüllen”, würde das ZK, ohne den Parteitag abzuwarten, “Trotzkis weitere Zugehörigkeit zum Politbüro für unmöglich zu erklären und auf der vereinigten Sitzung des ZK und der ZKK die Frage seiner Entfernung von der Arbeit im ZK zu stellen.”91) Auf diese Resolution hinzuweisen, ist insofern wichtig, einmal um nachzuweisen, daß die “Meinungsverschiedenheiten” alles andere als ungefährlich für die Existenz der UdSSR waren, daß es sich eben nicht nur um “Diskussionsfragen” handelte, sondern um Existenzfragen, und zweitens, daß Stalin keineswegs “allmächtig” war, daß er nicht allein bestimmen, anordnen, “befehlen” konnte. Trotzki und Sinowjew waren Mitglieder des ZK und des Politbüros und übten starken Einfluß aus, vor allem auf beträchtliche Teile der Intelligenz. Stalin konnte sich auf die Mehrheit im ZK und Politbüro stützen, die wie er auf Leninschen Positionen stand. Wenn Deutscher in den Reden Stalins den “Schwung origineller Gedanken” vermißte, er mußte zugeben, daß er “das allgemeine Vertrauen” genoß.92) Vertrauen kann man nun aber weder anordnen noch “befehlen.” Mag sein, daß Trotzki ein “schwungvoller” Redner war und Stalin es an “Schwung” in seinen Reden fehlen ließ. Wie heißt es doch in Goethes “Faust” so schön?: “Es trägt Verstand und rechter Sinn, // mit wenig Kunst sich selber vor;... // Ja, eure Reden, die so blinkend sind, // In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt, // Sind unerquicklich wie der Nebelwind, // Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!” So ist das nun mal mit dem “Schwung” der Reden, und was die “originellen Gedanken” betrifft, auf der anderen Seite bescheinigt Deutscher Stalin, daß er mit seiner Theorie “Sozialismus in einem Lande” sich als “Theoretiker” ausgewiesen habe. Ja, was denn nun? Bleibt noch eine Frage: Warum haben die “schwungvollen” Redner im ZK und Politbüro nicht die Mehrheit, nicht das Vertrauen der Mehrheit der Mitglieder erringen können? Waren die zu dumm gewesen, um den theoretischen Höhenflügen eines Trotzki, Sinowjew, Kamenews folgen zu können? Stalin bestand im November 1926 noch nicht auf dem Ausschluß der Oppositionellen aus der Partei. “Wir sagen nur, daß sich beim Oppositionsblock eine sozialdemokratische Abweichung geltend macht, wir machen die Opposition darauf aufmerksam, daß es noch nicht zu spät ist, sich von dieser Abweichung loszusagen, und fordern den Oppositionsblock hierzu auf.”93) Das Oktoberplenum des ZK und der ZKK (25. - 27. Oktober 1923)94) über den Oppositionsblock hatte “nicht Repressalien im Auge, sondern die Notwendigkeit eines ideologischen Kampfes gegen die prinzipiellen Fehler der Opposition...”. Stalin forderte den Oppositionsblock auf, sich “von seinen prinzipiellen Fehlern” loszusagen, “damit die Partei und der Leninismus vor Angriffen und Revisionismusversuchen bewahrt bleiben“.95) In seinem Schlußwort zu seinem Referat “Über die sozialdemokratischen Abweichungen in unserer Partei” (3. November 1926) polemisierte Stalin erneut gegen Trotzki und Sinowjew, die behaupteten, daß das von Lenin formulierte Gesetz der Ungleichmäßigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung der kapitalistischen Länder “theoretisch falsch” sei. Trotzki und Sinowjew behaupteten, daß die Ungleichmäßigkeit des vormonopolistischen Kapitalismus größer gewesen sei als in der Periode des monopolistischen Kapitalismus.96) Trotzki, so Stalin, verwechsle die ökonomische Ungleichheit der kapitalistischen Länder der Vergangenheit mit der Ungleichmäßigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung in der Periode des Imperialismus, die unvergleichlich größer ist als früher und unvermeidlich zu einer Sprunghaftigkeit der Entwicklung führe.97) Die Argumentation Stalins war sachlich richtig. Das Gesetz der Ungleichmäßigkeit der ökonomischen Entwicklung im Kapitalismus der freien Konkurrenz hatte bereits Marx entdeckt. Was Lenin neu hinzufügte, war, daß diese Ungleichmäßigkeit in der ökonomischen und politischen Entwicklung im Imperialismus einen sprunghaften, explosiven, katastrophenartigen Charakter angenommen habe.98) Die Behauptung von Trotzki und Sinowjew, daß das genannte Gesetz von Lenin “theoretisch falsch” sei, war eindeutig ein Bruch mit der Leninschen Imperialismustheorie, womit sie “im Sumpf des Ultraimperialismus und des Kautskyanertums” gerieten. In zehn kurzen Sätzen skizzierte Stalin die Imperialismustheorie Lenins und hob für die Verschärfung der Ungleichmäßigkeit zwei Faktoren hervor: “erstens, daß die Aufteilung der Welt unter den imperialistischen Gruppen beendet ist, daß es auf der Welt keine ‘freien’ Gebiete mehr gibt und daß zur Herstellung eines ökonomischen ‘Gleichgewichts’ die Neuaufteilung des Aufgeteilten vermittels imperialistischer Kriege eine absolute Notwendigkeit ist; zweitens, daß die noch nie dagewesene kolossale Entwicklung der Technik im weitesten Sinne des Wortes es den einen imperialistischen Gruppen erleichtert, andere imperialistische Gruppen im Kampf um die Eroberung von Märkten, im Kampf um die Besitzergreifung von Roh­stoffquellen usw. zu überholen und ihnen den Rang abzulaufen.”99) Kamenew - immerhin Direktor des Lenin-Instituts der KPdSU (B) - griff die These von der Möglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Lande von einer anderen Seite an. Er behauptete, daß Lenins “grundlegender” Artikel (1915 !) über die Möglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Lande sich nicht auf Rußland beziehe, sondern auf andere kapitalistische Länder.100) Gemeint ist offenbar der Artikel Lenins “Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa” (23. August 1915), dessen diesbezügliche Aussage w.o. dokumentiert ist. (Siehe 2.2.1., Lenins Theorie vom Sozialismus in einem Lande.) Es ist richtig, daß Lenin Rußland nicht genannt hat, sondern von “wenigen kapitalistischen Ländern...” oder “einem einzeln genommenen Lande” sprach. Kamenew führte weiterhin einen Artikel Lenins “Einige Thesen” vom 13. Oktober 1915 an, mit der Behauptung, daß Lenin nur auf den Sieg der bürgerlich-demokratischen Revolution in Rußland orientiert habe. In den “Thesen” heißt es tatsächlich: “6. Es ist die Aufgabe des russischen Proletariats, die bürgerlich-demokratische Revolution in Rußland zu Ende zu führen, zu dem Zweck, die sozialistische Revolution in Europa zu entfachen.”101) Kamenew behauptete weiter, daß Lenin davon ausgegangen wäre, daß die Revolution in Rußland nicht in die sozialistische Revolution hinüberwachsen könne. Stalin konnte zu recht auf andere Arbeiten Lenins hinweisen, in denen Lenin auf den Übergang von der bürgerlich-demokratischen zur sozialistischen Revolution orientierte.102) Sollte Kamenew als Direktor des Lenin-Instituts die Arbeit Lenins “Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution” (Juni-Juli, 1905) nicht gekannt haben, in der Lenin an mehreren Stellen unmißverständlich auf den Übergang von der demokratischen zur sozialistischen Revolution in Rußland hingewiesen hatte? “Der Kampf gegen die Selbstherrschaft ist eine zeitweilige und vorübergehende Aufgabe der Sozialisten.” “Die revolutionär-demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft ist zweifellos nur eine vorübergehende, zeitweilige Aufgabe der Sozialisten...” “Allein das Proletariat ist fähig, konsequent bis zu Ende zu gehen, denn es geht weit über die demokratische Umwälzung hinaus.” “Das Proletariat muß die demokratische Umwälzung zu Ende führen, indem es die Masse der Bauernschaft an sich heranzieht, um den Wi-der­stand der Selbstherrschaft mit Gewalt zu brechen und die schwankende Haltung der Bourgeoisie zu paralysieren. Das Proletariat muß die sozialistische Umwälzung vollbringen, indem es die Masse der halbpro-letarischen Elemente der Bevölkerung an sich heranzieht, um den Wi-derstand der Bourgeoisie mit Gewalt zu brechen und die schwankende Haltung der Bauernschaft und der Kleinbourgeoisie zu paralysieren.”103) Desgleichen ignorierte Kamenew Arbeiten Lenins ab 1916, in denen er von der Möglichkeit des Sozialismus in Rußland sprach. (Siehe 2.2.1., Lenins Theorie vom Sozialismus in einem Lande) Die Grundidee der Leninschen Revolutionskonzeption für Rußland war gerade die Idee des Hinüberwachsens der bürgerlich-demokratischen Revolution in die sozialistische Revolution und damit auch der Möglichkeit des Sieges des Sozialismus in Rußland, als in “einem” Land. Gerade diesen Zusammenhang bestritt Kamenew, indem er die bürgerlich-demokratische von der sozialistischen Revolution mechanisistisch von einander trennte. Die Verfälschung des Leninismus bestand darin, daß er diese Trennung Lenin unterstellte. Kamenew muß die Schriften Lenins genausogut gekannt haben wie Stalin, so daß der Schluß naheliegt, daß Kamenew den Leninismus absichtlich verfälscht hat, was von Stalin nicht unbemerkt blieb. Diese Methode ist auch heute noch bei Revisionisten und Geschichtsfälschern aller Richtungen im Schwange: ein Zitat von Marx, Engels, Lenin - ein “grundlegendes”, natürlich, - wird der Politik bzw. den theoretischen Auffassungen Stalins gegenübergestellt und diese damit als “falsch”, “verfehlt” etc. “verurteilt”, beides abstrakt, außerhalb von Raum und Zeit, von den konkreten Bedingungen. Wer von den Werktätigen hat denn die Werke der Klassiker gleich zur Hand, um solche Behauptungen zu überprüfen? Außerdem gehört auch Zeit dazu. Diese Methode der Geschichts- und Theorieverfälschung ist daher immer noch wirksam und gefährlich. Stalin wies auf die “Taschenspielertricks” von den Oppositionellen ausführlich hin.104) Von methodologischer Bedeutung ist die Auseinandersetzung Stalins mit den Verfälschungen des Leninismus durch Trotzki. Stalin hielt dies offenbar für sehr wichtig, daß er dafür allein 16 Seiten in seinem “Schlußwort” verwandte.105) Trotzki behaupte, daß die Theorie der “permanenten Revolution” mit der Frage nach Charakter und Perspektiven unserer Revolution nichts zu tun habe. Dies sei ein “Kniff”, ein “Taschenspielertrick”, denn die Theorie der “permanenten Revolution” ist eine Theorie von den Triebkräften der Revolution.106) Trotzki behaupte, daß er dieser Theorie “schon längst keine ernste Bedeutung mehr beimesse”, was Stalin an Hand eines Briefes von Trotzki an Genossen Olminski vom Dezember 1921, in der Presse 1925 veröffentlicht widerlegen konnte.107) Aus diesem Brief ergab sich, daß Trotzki zugab, sich in der Organisationsfrage geirrt, aber bezüglich der “Einschätzung der Triebkräfte der Revolution”, also der Theorie der “permanenten Revolution” recht behalten habe. Trotzki behaupte, daß seine “Theorie” ab Februar 1917 mit den Positionen der Partei übereingestimmt habe. Lenin habe aber bis zu seinem Lebensende gegen die Theorie der “permanenten Revolution” gekämpft.108) Demnach hätten die Bolschewiki bis zum Februar 1917 keine Revolutionstheorie gehabt, von 1903 bis 1917 so ohne Perspektive und revolutionäre Theorie gelebt.109) Stalin zitierte aus Trotzkis “Anmerkungen” zu seinem 1922 geschriebenen Artikel “Unsere Meinungsverschiedenheiten”, in dem er behauptete, daß “die antirevolutionären Züge des Bolschewismus (!!! kein Druckfehler! UH) im Falle des revolutionären Sieges zu einer gewaltigen Gefahr ... werden“.110) Der offenbar von Trotzki “geläuterte” Lenin habe diese Gefahr dadurch vermieden, daß er die “Auswechslung seines ideologischen Rüstzeugs in dieser wichtigen Frage (der permanenten Revolution, UH) im Frühjahr 1917, d.h. vor der Eroberung der Macht...” vorgenommen habe.111) Stalin faßte die Auffassungen Trotzkis zu dieser Frage zusammen: “Also, es waren einmal Bolschewiki, die ‘beginnend’ mit dem Jahre 1903, die Partei schlecht und recht “zusammenschlossen”, die aber keine revolutionäre Theorie hatten, die, ‘beginnend’ mit dem Jahre 1903, durch viele Irrungen und Wirrungen gingen und sich irgendwie bis zum Jahre 1917 durchschlugen; dann aber, als sie Trotzki mit der Theorie der permanenten Revolution in der Hand erblickten, beschlossen sie, ihr ‘Rüstzeug auszuwechseln’, und büßten nach ‘Auswechslung des Rüst­zeugs’ die letzten Reste des Leninismus, der Leninschen Revolutions­theorie ein und erreichten damit eine ‘völlige Übereinstimmung’ der Theorie der permanenten Revolution mit der ‘Position’ unserer Partei. Es wäre dies eine interessante Mär, ...”112) Stalin zitierte dazu einen Artikel Lenins, aus dem hervorgeht, was er von der Theorie Trotzkis hielt: “Die Klassenverhältnisse in der bevorstehenden Revolution klarzustelIen, ist die Hauptaufgabe einer revolutionären Partei... Diese Aufgabe wird von Trotzki in ‘Nasche Slowo’ nicht richtig gelöst; er wiederholt seine ‘originelle’ Theorie aus dem Jahre 1905 und will sich keine Gedanken darüber machen, aus welchen Gründen das Leben volle zehn Jahre an dieser wunderbaren Theorie vorbeigegangen ist. Die originelle Theorie Trotzkis übernimmt von den Bolschewiki den Appell zum entschlossenen revolutionären Kampf des Proletariats und zur Erobe­rung der politischen Macht durch das Proletariat, von den Menschewiki aber die ‘Negierung’ der Rolle der Bauernschaft.” ...Dadurch “hilft Trotzki in Wirklichkeit den liberalen Arbeiterpolitikern in Rußland, die unter der ‘Ne­gierung’ der Rolle der Bauernschaft den mangelnden Willen verstehen, die Bauern zur Revolution aufzurütteln!”113) Demzufolge sah Lenin in der Theorie der “permanenten Revolution” eine halbmenschewistische Theorie. Auf der XIV. Parteikonferenz hieß es über die Theorie Trotzkis: “Ein Bestandteil der trotzkistischen Theorie der permanenten Revolution ist die Behauptung, daß ‘ein wirklicher Aufschwung der sozialistischen Wirt­schaft in Rußland erst nach dem Siege des Proletariats in den wichtigsten Län­dern Europas möglich sein wird’ (Trotzki 1922) - eine Behauptung, die das Proletariat der UdSSR in der jetzigen Periode zu fatalistischer Passivität verurteilt. Gegen derartige ‘Theorien’ schrieb Genosse Lenin: ‘Unendlich schablonenhaft ist ihr Argument, das sie im Verlauf der Entwicklung der west­europäischen Sozialdemokratie auswendig gelernt haben und das darin besteht, daß wir für den Sozialismus noch nicht reif seien, daß uns, wie sich die verschiedenen gelehrten Herren unter ihnen ausdrücken, die objektiven öko­nomischen Voraussetzungen für den Sozialismus fehlen.’” (Aufzeichnungen über Suchanow)114) Im weiteren systematisierte Stalin die “praktische Plattform” der Opposition in acht Punkten. Man könnte ihm vorwerfen, daß er sie wie ein “Buchhalter” numeriert, nur würde ein solcher methodischer “Vorwurf” am Sachverhalt auch nicht das geringste ändern. Der Nachweis über die praktisch-politische Tätigkeit des Oppositionsblocks ist aber darum wichtig, weil er ausweist, daß es hier eben nicht um die Diskussion strittiger theoretischer Probleme ging, sondern um sehr profane politische Ziele, nämlich um eine neue, nichtleninistische, eine trotzkistische Partei. Die Partei, so Stalin, werde das nicht dulden. Die Partei wird und kann nicht dulden, daß Sie jedesmal, wenn Sie in der Minderheit bleibend auf die Straße laufen, eine Krise in der Partei ankündigen und Unruhe in der Partei stiften. Da Sie schon keine Hoffnung mehr haben, die Mehrheit in der Partei zu gewinnen, lesen Sie allerlei unzufriedene Elemente auf, sammeln sie um sich, die Ihnen als Material für eine neue Partei dienen sollen. Sie verunglimpfen den führenden Apparat der Partei, durchbrechen die eiserne Disziplin in der Partei und sammeln alle und jegliche von der Partei verurteilten Strömungen unter der Flagge der Freiheit der Fraktionen. Sie vereinigen diese Strömungen um sich, um sie zu einer neuen Partei zu formieren. Sie nutzen die großen Schwierigkeiten, die auf dem Wege des Aufbaus des Sozialismus uns entgegenstehen aus, um unsere Lage zu verschlechtern und über die Partei herzufallen. Die Industrialisierung und die Errichtung des Sozialismus ist nur möglich, wenn sich die materielle und kulturelle Lage der Arbeiterklasse ständig verbessert. Die Partei tut alles dazu, was sie kann. Aber die Opposition läuft auf die Straße und erklärt demagogisch, daß der Arbeitslohn sofort um 30 - 40 Prozent erhöht werden muß, obwohl sie genau weiß, daß dies gegenwärtig nicht möglich ist und unter rückständigen Werktätigen Unzufriedenheit erzeugt, die sie schürt und organisiert, um sie gegen die Partei zu lenken. Die Opposition untergräbt das Bündnis der Arbeiterklasse mit den Bauern, indem sie propagiert, die Verkaufspreise zu erhöhen und den Steuerdruck auf die Bauernschaft zu verstärken. (Stalin gibt nicht an, ob Verkaufspreise für Industriewaren oder für landwirtschaftliche Produkte gemeint sind. Im ersteren Falle wären die Bauern betroffen, im anderen die Arbeiter in der Stadt. UH) Die Opposition stiftet ideologische Verwirrung in der Partei, übertreibt unsere Schwierigkeiten, um defaitistische Stimmungen zu erzeugen und die Idee der Unmöglichkeit der Errichtung des Sozialismus in unserem Lande zu propagieren, die Grundlagen des Leninismus zu untergraben. Die Opposition stört die Arbeit der Komintern, sucht ihre Sektionen zu zersetzen, die Führung der Komintern zu diskreditieren.115) Stalin zog aus dem praktischen Verhalten der Opposition die Konsequenzen: Er forderte die Opposition auf, ihre destruktive Arbeit einzustellen. “Entweder Sie erfüllen diese Bedingungen, die zugleich die Voraussetzungen für die völlige Einheit unserer Partei sind, oder Sie tun das nicht - und dann wird die Partei, die Sie gestern geschlagen hat, morgen vollends zu zerschlagen beginnen.“116) Dies war eine eindeutige Warnung. Sie signalisierte, daß diese “Diskussionen” nicht endlos geführt werden würden, daß die Partei die Zersetzungsarbeit der Opposition nicht mehr dulden wird. Den Ernst der innerparteilichen Situation verdeutlicht ein Brief Trotzkis an die Oppositionellen vom September 1926, den Stalin im “Schlußwort” zitierte: “Die vereinigte Opposition hat im April und im Juli gezeigt, und sie wird im Oktober zeigen, daß die Einheitlichkeit ihrer Anschauungen unter dem Ein­fluß der groben und unloyalen Hetze nur gefestigt wird, und die Partei wird begreifen, daß nur auf dem Boden der Anschauungen der vereinigten Oppo­sition ein Ausweg aus der gegenwärtigen schweren Krise möglich ist.”117) Die Auffassungen Trotzkis sowie der Opposition, ihre praktische Zersetzungsarbeit fand die Unterstützung der ehemaligen Sozialrevolutionäre, Menschewiki und bürgerlichen Nationalisten in der UdSSR. Desgleichen lobten die Führer der II. Internationale Trotzki und bezeichneten ihn als einen “Marxisten europäischer Prägung”. Innerhalb der Komintern fand Trotzki die Unterstützung rechter und “linker” Opportunisten wie auch von aus Kommunistischen Parteien ausgeschlossener Renegaten wie P. Levi, A. Rosmer, P. Monatte, A. Balabanoff, u.a.. Die von Trotzki ausgehenden Gefahren für die KPdSU und die Sowjetunion waren sehr ernst.118) War dieser politisch-ideologische und theoretische Kampf nun eine Art “Zweikampf” zwischen Stalin und Trotzki? Die Mehrheit des ZK verteidigte entschlossen Leninsche Positionen. Es gab mehrere Genossen im ZK, die in Artikeln gegen den Trotzkismus kämpften. Dazu gehörten A.A. Andrejew, A.S. Bubnow, F.E. Dzierzynski, M.W. Frunse, J.A. Jakowlew, J.M. Jaroslawski, M.I. Kalinin, S.M. Kirow, N.K. Krupskaja, W.W. Kuibyschew, O.W. Kuusinen, E.I. Kwiring, A.F. Mjasnikow, W.M. Molotow, I.P. Nossow, G.K. Ordshonikidse, G.I. Petrowski, N.A. Skrypnik, I.I. Skworzow-Stepanow, I.M. Vareikis.119) Mit den genannten Genossen erschöpft sich nicht die Mehrheit im ZK, die Stalin unterstützten. Vielen Genossen war es nicht gegeben, Artikel zu schreiben. Es ist immer nur eine Minderheit, die sich literarisch betätigen kann. Es war G.I. Petrowski, der forderte, Trotzki ein Ultimatum zu stellen.120) Stalin stand in diesem Kampf also nicht allein. Die prinzipienfeste Verteidigung des Leninismus im Kampf gegen den Trotzkismus und die Opposition führte zu einer Bereicherung der marxistisch-leninistischen Theorie. “Die Parteigeschichte als Wissenschaft erhob sich auf eine neue Stufe. Viele führende Persönlichkeiten der Partei, Schüler und Mitstreiter Lenins, nahmen an der Ausarbeitung einer wissenschaftlichen Geschichte der Partei und der Oktoberrevolution teil”.121) Dieser Kampf förderte die theoretische Bildung und politische Entwicklung der Parteien der Kommunistischen Internationale. Auf dem VII. Erweiterten Plenum des EKKI (22. November - 16. Dezember 1926) ging Stalin noch einmal auf die sozialdemokratische Abweichung in der KPdSU (B) (Referat am 7. Dezember 1926) ein.122) Allein der Umfang des Referates zeigt, welche Bedeutung er diesem ideologischen Kampf beimaß. In diesem Referat gab es unvermeidlich Wiederholungen von Aussagen, die er bereits auf der Unionskonferenz der KPdSU (B) vier Wochen vorher gemacht hatte, die w.o. dokumentiert sind und hier weggelassen werden können. Diese Wiederholungen waren insofern unvermeidlich, als der Hörerkreis ein anderer war, und nicht vorausgesetzt werden konnte, daß frühere Reden oder Artikel von Stalin schon bekannt waren. Aber es gab auch neue Aspekte, die darzustellen sind. Stalin ging davon aus, daß die Geschichte der KPdSU seit 1903 eine “Geschichte des Kampfes der Gegensätze innerhalb der Partei, der Überwindung dieser Gegensätze und des allmählichen Erstarkens unserer Partei” gewesen sei. Bei Fragen der “Tagespolitik”, Fragen “rein praktischen Charakters” seien “Übereinkommen ... mit Andersdenkenden” möglich. Aber bei “prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten” könne es “kein Übereinkommen”, keine “mittlere Linie” geben. Dies wäre eine “ideologische Entartung der Partei, die ‘Linie’ des ideologischen Todes der Partei“.123) Der Kampf zur Überwindung der innerparteilichen Meinungsverschiedenheiten sei “ein Entwicklungsgesetz für alle einigermaßen großen Parteien...”124) Dabei berief sich Stalin auf zwei Briefe von Engels an Bernstein vom 20. Oktober 1882 und vom 8. Oktober 1885. Aus dem Brief vom Oktober 1882 zitierte Stalin: “Es scheint, jede Arbeiterpartei eines großen Landes kann sich nur in innerem Kampf entwickeln, wie das in dialektischen Entwicklungsgesetzen über­haupt begründet ist. Die deutsche Partei wurde, was sie ist, im Kampf der Eisenacher und Lassalleaner, wo ja die Keilerei selbst eine Hauptrolle spielte. Einigung wurde erst möglich, als die von Lassalle absichtlich als Werkzeug gezüchtete Lumpenbande sich abgearbeitet hatte - und auch da geschah sie unserseits mit viel zu großer Übereilung. In Frankreich müssen die Leute, die zwar die bakunistische Theorie geopfert, aber die bakunistischen Kampfmittel fortführen und gleichzeitig den Klassencharakter der Bewegung ihren Sonderzwecken opfern wollen, sich auch erst abarbeiten, ehe wieder Einigung möglich. Unter solchen Umständen Einigung predigen wollen, wäre reine Tor­heit. Mit Moralpredigten richtet man nichts aus gegen Kinderkrankheiten, die unter heutigen Umständen nun einmal durchgemacht werden müssen.”125) Zur Theorie “Sozialismus in einem Land” fügte Stalin neue Aspekte hinzu. Es handele sich bei dieser Frage nicht um “Montenegro”, auch nicht einmal um “Bulgarien”, sondern um die UdSSR. Der Imperialismus habe in Rußland bestanden und sich entwickelt. Es habe ein “bestimmtes Minimum” an Großindustrie gegeben, ein “bestimmtes Minimum” an Proletariat. Es gäbe eine Partei, die das Proletariat führe. Ungeachtet der technischen Rückständigkeit kann das Proletariat die Bourgeoisie aus “eigener Kraft” überwinden, den Sozialismus aufbauen und ihn letzten Endes errichten. Dies bedeutet nicht, “...etwa auf Erden das ‘Himmelreich’ und allgemeines Wohlleben einzuführen ...”. Dies wäre eine “spießerhafte, kleinbürgerliche Vorstellung.” ... “letzten Endes...” können “derartige Produktions- und Distributions-bedingungen” geschaffen werden, “die direkt und unmittelbar zur Aufhebung der Klassen führen”. Dies wäre nach Stalin (Dezember 1926! UH) in einem Lande, in der UdSSR, möglich.126) Aber das Proletariat eines Landes könne aus eigener Kraft nicht die internationale Bourgeoisie bezwingen, was zum endgültigen Sieg des Sozialismus in einem Lande notwendig sei - oder wenigstens die Neutralisierung der internationalen Bourgeoisie.127) Die Interessen des Aufbaus des Sozialismus in der UdSSR verschmelzen sich mit den Interessen der revolutionären Bewegung aller Länder zu einem gemeinsamen Interesse, dem Sieg der sozialistischen Revolution in allen Ländern. Stalin stellte die, wie sich mehr als 60 Jahre später zeigen sollte, sehr wichtige Frage: “Was wäre die Folge, wenn es dem Kapital gelänge, die Republik der Sowjets zu zerschlagen? Eine Epoche der schwärzesten Reaktion würde über alle kapitalistischen und kolonialen Länder hereinbrechen, man würde die Arbeiterklasse und die unterdrückten Völker vollends knebeln, die Positionen des internationalen Kommunismus würden liquidiert.”128) Gorbatschow, seine Klientel in der UdSSR und in der Kommunistischen Weltbewegung haben auf ihre Art diese Voraussicht Stalins bestätigt. Sie rechtfertigt aber auch zugleich den konsequenten Kampf Stalins gegen Trotzki und den Oppositionsblock, wobei erneut darauf verwiesen werden muß, daß Stalin diesen Kampf nicht allein geführt hat und auch allein nicht hätte mit Erfolg führen können. Es war ein Kampf der Mehrheit im ZK, im Politbüro und der Mitgliedschaft, der “Basis”, wie wir heute sagen würden, wobei Stalin in diesem Kampf seiner verantwortungsvollen Funktion als Generalsekretär der Partei gerecht wurde, das Vertrauen der Partei besaß und somit im theoretischen und praktisch-politischen Kampf die entscheidende Rolle spielte. Auch auf dem Plenum des EKKI konnte sich Stalin auf die Mehrheit der Repräsentanten der Kommunistischen Parteien stützen, die die Tätigkeit des Oppositionsblocks verurteilten, so P. Sámard, B. Smeral, P. Togliatti, E. Thälmann, W. Kolarow, C. Zetkin, Sen Katayama, L. Longo u.a..129) Eine neue Fragestellung ergab sich aus der “sogenannten ‘teilweise(n)’ Stabilisierung des Kapitalismus”. Würde sie zur Verringerung oder gar zur Beseitigung der Möglichkeiten des Aufbaus des Sozialismus in der UdSSR führen? Der Aufbau des Sozialismus in der UdSSR unter den Bedingungen der NÖP und der relativen Stabilisierung des Kapitalismus habe zu Berechnungen aller Arten von Ziffern geführt, die alljährlich von den Organen der Partei und Sowjetmacht unter dem Aspekt des Anteils der sozialistischen Wirtschaftsformen auf dem Gebiet der Industrie, der Landwirtschaft und des Handels vorgenommen werden. Die Fragen des Aufbaus des Sozialismus in der UdSSR seien für die KPdSU (B), für das Proletariat und die Komintern zur “aktuellsten Frage” geworden. “Bauen wir, um den Boden für die bürgerliche Demokratie zu düngen oder um die sozialistische Gesellschaft zu errichten - das ist jetzt die Kernfrage unserer Aufbauarbeit.”130) Im Abschnitt über die “Opposition an der Arbeit” verwies Stalin auf neue Erscheinungen, nämlich das Bestreben der Opposition, eine “neue Partei”, eine “rein proletarische Partei” zu gründen. Einer der Anhänger der Opposition, Herr Ossowski, erklärte, daß die KPdSU (B) die Interessen der Kapitalisten vertrete. Auf dem Juliplenum des ZK habe die Opposition gegen den Ausschluß Ossowski aus der Partei gestimmt, womit die Opposition die “moralische Verantwortung” für Ossowskis Gründung einer “neuen Partei” übernommen habe. Diese Idee einer “rein proletarischen Partei” mache auch in Deutschland und Frankreich unter den Ultralinken Schule. So behauptete Korsch, daß die sozialistische Industrie in der UdSSR eine “rein kapitalistische Industrie”, die KPdSU (B) eine “kulakische” Partei, die Komintern eine “opportunistische” Organisation sei. Korsch vertrete die Auffassung, daß in der UdSSR eine “neue Revolution” gegen die bestehende Staatsmacht notwendig sei.131) In Frankreich bezeichnete Souvarine die Parteibürokratie, die führende Spitze der Partei, als “Hauptfeind der Revolution”. Die “Rettung” sei nur durch eine “Neue Revolution” gegen “die führende Spitze der Partei und der Sowjetmacht”, “vor allem gegen das Sekretariat des ZK der KPdSU (B)” möglich.132) Der innere Oppositionsblock wurde von Feinden der Sowjetmacht gelobt. Objektiv bildete der Oppositionsblock eine Einheit mit den in- und ausländischen Feinden der Sowjetmacht. Dafür führte Stalin mehrere Zitate aus sozialdemokratischen und bürgerlichen Presseorganen an: Paul Levi schrieb, daß “unsere Stellung bei der Opposition” sei. “Die Tatsache besteht, daß in Rußland wieder eine selbständige antikapitalistische, klassenkämpferische Arbeiterbewegung einsetzt.”133) (Leipziger Volkszeitung, 30. Juli 1926) Mit dieser “Arbeiterbewegung” war die Opposition gemeint. Ein Führer der “russischen Sozialdemokratie”, der Menschewiki Dan, setzte sich für eine Restauration des Kapitalismus in der UdSSR ein. “Die bolschewistische Opposition bereitet durch ihre Kritik an der bestehenden Ordnung, in der sie fast wörtlich die Kritik der Sozialdemokratie wiederholt, die Geister vor ... für die Aufnahme der positiven Plattform der Sozialdemokratie.” Und weiter: “Die Opposition zieht nicht nur unter den Arbeitermassen, sondern auch unter den kommunistischen Arbeitern Keime von Ideen und Stimmungen groß, die bei geschickter Pflege leicht sozialdemokratische Früchte tragen können.” (Sozialistitscheski Wjestnik, Nr. 17/18) Das Zentralorgan der konterrevolutionären bürgerlichen Partei Miljukows, “Poslednije Nowosti” schrieb über die Opposition: “Heute untergräbt die Opposition die Diktatur, in jeder neuen Veröffentlichung der Opposition werden immer ‘schrecklichere’ Worte gebraucht, die Opposition selbst macht eine Evolution durch in Richtung immer schärferer Attacken gegen das herrschende System, und das genügt zunächst, um sie dankbar zu begrüßen als Sprechrohr breiter Schichten der politisch unzufriedenen Bevölkerung.” (Poslednije Nowosti Nr. 1990) Und weiter: “Der schlimmste Feind für die Sowjetmacht ist jetzt derjenige, der sich unbemerkt heranschleicht, sie mit seinen Fühlern von allen Seiten erfaßt und sie liquidiert, bevor sie sich dessen bewußt wird. Gerade diese, in der immer noch andauernden Vorbereitungsperiode unvermeidliche und notwendige Rolle spielt die sowjetische Opposition.” (Poslednije Nowosti, Nr. 1983 vom 27. August d.J.)134) Stalin zog die Schlußfolgerung, daß sich objektiv die “Front der Opposition mit der Front der Gegner und Feinde der Diktatur des Proletariats verschmolzen habe.135) Trotzki stellte die Frage, ob eine klassenlose Gesellschaft, in der es keinen Staat mehr gäbe, eine Armee zur Verteidigung gegen äußere Feinde haben könne, d.h., ohne Staat gäbe es keine Armee. Trotzki band also die Existenz einer Armee an den Staat. Stalin antwortete, daß unter soziologischem Aspekt theoretisch ein solcher Zustand denkbar sei, daß eine klassenlose Gesellschaft, in der es keinen Staat mehr gäbe, eine sozialistische Miliz zur Verteidigung gegen äußere Feinde haben kann. Er fügte den Satz hinzu: “Ich halte es für wenig wahrscheinlich, daß es bei uns dazu kommen könnte...”136) Er glaube, daß es durch den Einfluß des Aufbaus des Sozialismus in der UdSSR auf das Proletariat in den kapitalistischen Ländern zu “revolutionären Explosionen” kommen werde, womit sich diese Frage erübrige. Weder Marx, Engels noch Lenin haben jemals eine solche Frage wie Trotzki gestellt. Sie ist spekulativ. Stalin hielt eine “sozialistische Miliz” in einer klassenlosen Gesellschaft, ohne Staat, 1926 für “denkbar”. Nun, denkbar ist vieles. Die von Trotzki gestellte Frage war auch nur demagogisch. Diese Frage war 1926 und ist auch heute praktisch gegenstandslos. Stalin wies auf das Programm der KPdSU (B) hin, wo es diesbezüglich heißt: “Die Rote Armee muß als Werkzeug der proletarischen Diktatur notwendigerweise einen offenen Klassencharakter tragen, das heißt sich ausschließlich aus dem Proletariat und den ihm nahestehenden halbproletarischen Schichten der Bauernschaft formieren. Erst mit der Aufhebung der Klassen wird sich eine solche Klassenarmee in eine sozialistische Miliz des ganzen Volkes verwandeln”.137) Stalin konfrontierte die Stellung Kamenews und Sinowjews zum Trotzkismus mit ihren früheren Aussagen über Trotzki. So schrieb Kamenew in seinem Beitrag “Partei und Trotzkismus” für den Sammelband “Für den Leninismus” im Jahre 1925: “Gen. Trotzki ist zu dem Kanal geworden, durch den die kleinbürgerlichen Elemente in unserer Partei wirken...” Er sei “zu einem Symbol alles dessen geworden, was gegen unsere Partei gerichtet ist...” Man müsse darüber aufklären, “daß man zwischen Trotzkismus und Leninismus wählen muß, daß man den einen nicht mit dem anderen vereinbaren kann,.. ”138) Sinowjew schrieb in “Bolschewismus und Trotzkismus” in dem gleichen Sammelband 1925: Das Auftreten Trotzkis sei “nichts anderes als ein bereits ziemlich offener Versuch der Revision oder sogar der direkten Liquidation der Grundlagen des Leninismus....” In einen Prawda-Artikel vom 5. Februar 1925 schrieb Sinowjew: “Wer behauptet, der Trotzkismus könne eine ‘legale Schattierung’ in der bolschewistischen Partei werden, der hört selbst auf, Bolschewik zu sein. Wer jetzt die Partei im Bunde mit Trotzki aufbauen will, in Zusammenarbeit mit demselben Trotzkismus, der offen gegen den Bolschewismus auftritt, der verläßt die Grundlagen des Leninismus.”139) Stalin stellte an Kamenew und Sinowjew auf dem Plenum die Frage, ob sie bereit seien, diese Worte jetzt zu wiederholen. Kamenew hatte in seiner Rede auf dem Plenum erklärt: “Wir stehen zu Trotzki, weil er die Grundgedanken Lenins nicht revidiert. ”140) Kamenaw und Sinowjew waren zum Trotzkismus übergegangen. Stalin faßte zusammen: Der Oppositionsblock sei ein Sammelbecken und Hort aller und jeglicher opportunistischer Elemente. Er habe die Fraktionsmacherei wieder aufgenommen, belebe die Theorie von der Freiheit der Fraktionen in der Partei, führe den Kampf gegen die Einheit der Partei, gegen ihre führenden Kader, für die Bildung einer neuen Partei. Der Oppositionsblock sei der Keim einer neuen Partei innerhalb der KPdSU (B), mit eigenem Zentralkomitee, eigenen parallelen lokalen Komitees, erhebe besondere Mitgliedsbeiträge für ihre Kasse. “Die Aufgabe besteht darin, diesen Block zu zerschlagen und ihn zu liquidieren.” Die Diktatur des Proletariats in einem Lande bei gleichzeitiger Herrschaft des Imperialismus in anderen Ländern kann unter solchen Bedingungen “keine einzige Minute existieren ohne die Einheit der Partei, ohne daß die Partei mit einer eisernen Disziplin gewappnet ist. Die Versuche, die Einheit der Partei zu untergraben,... eine neue Partei zu schaffen, müssen mit der Wurzel ausgerottet werden, wenn wir die Diktatur des Proletariats behaupten ...‚ den Sozialismus aufbauen wollen. Deshalb besteht die Aufgabe darin, den Oppositionsblock zu liquidieren und die Einheit unserer Partei zu festigen.”141) Auf dem Plenum wurde einstimmig beschlossen, Sinowjew als Vorsitzenden des EKKI abzusetzen und von seiner Arbeit in der Komintern zu entbinden.142) Deutscher bemerkte über Sinowjew und Kamenew: Sie “gaben später zu, daß sie die Kampagne (gegen die ‘permanente Revolution’, UH) gestartet hatten, um Trotzki mit alten Zitaten aus Lenins Schriften zu diskreditieren, in denen sich der Gründer der Partei gegen die ‘Permanente Revolution’ ausgesprochen hatte. Innerlich hatten sie jedoch keine Einwände gegen die Grundzüge von Trotzkis Lehre zu erheben, die längst zum alltäglichen Gedankengut der Partei gehörten. Ihre Angriffe gegen Trotzki waren deshalb unaufrichtig und unecht.”143) Zugleich bescheinigte Deutscher Stalin eine “einzigartigen Hellhörigkeit für alle diese psychologischen Unterströmungen in und um die Partei“.144) Lassen wir die zarte Umschreibung des Oppositionsblocks als “psychologische Unterströmungen” beiseite, so bestätigt Deutscher auf seine Art die Legitimität des Kampfes Stalins gegen die Opposition. Stalin erwies sich tatsächlich als “hellhörig” gegenüber den Gefahren, die von Trotzki und dem Oppositionsblock für die Existenz der UdSSR und für die Kommunistische Internationale ausgingen. 2.2.3. Der “neue” Trotzkismus Erstmalig differenzierte Stalin zwischen einem “alten” und “neuen” Trotzkismus in einer Rede auf dem Plenum der kommunistischen Fraktion des Zentralrats der Gewerkschaften der Sowjetunion am 19. November 1924.145) Der “alte” Trotzkismus habe drei Besonderheiten: Die Theorie der “permanenten Revolution”, Leugnung der armen Bauernschaft als einer revolutionären Kraft, während Lenin seinerseits die Idee der Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft vertrat. Der Leninismus weise nach Trotzki “antirevolutionäre Züge” auf. In einem Brief an Tscheidse von 1913 schrieb Trotzki: “Das gesamte Gebäude des Leninismus ist gegenwärtig auf Lüge und Fälschung aufgebaut und trägt den Giftkeim seiner eigenen Zersetzung in sich.146) Die Theorie von der Möglichkeit des “Nebeneinanderlebens von Revolutionären und Opportunisten, ihrer Gruppierungen und Grüppchen im Schoße einer gemeinsamen Partei.” Stalin verwies auf den “Augustblock Trotzkis”, in dem Anhänger Martows, Otsowisten und Liquidatoren mit Trotzki zusammenwirkten. Erzeugen von Mißtrauen gegenüber den Führern des Bolschewismus, der Versuch, sie zu diffamieren. Lenin wird als “berufsmäßiger Ausbeuter jeglicher Rückständigkeit in der russischen Arbeiterbewegung” charakterisiert.147) Diesen “alten” Ballast warf Trotzki während der Oktoberrevolution 1917 ab, anders wäre eine Zusammenarbeit mit ihm unmöglich gewesen und er wäre nicht in die Reihen der Bolschewiki gelangt. Der “neue” Trotzkismus ist nicht eine einfache Wiederholung des “alten” Trotzkismus, er sei “weicheren Geistes und gemäßigterer Form als der alte”. Trotzki ginge nicht mehr frontal gegen den Leninismus an, sondern wirke nunmehr unter der Flagge des Leninismus, der neu ausgelegt und verbessert würde. Dies zeige sich in der Frage der “permanenten Revolution”. Die Oktoberrevolution habe diese Theorie “voll und ganz bestätigt”, woraus folge, daß der Leninismus vor der Oktoberrevolution falsch gewesen wäre, der Leninismus danach richtig. Es war die schon w.o. genannte “Zweiteilung des Leninismus”, den “Vorkriegsleninismus”, den “alten”, “unbrauchbaren” Leninismus und den Nachkriegs-, Oktoberleninismus. Mit dieser Zweiteilung des Leninismus konnte Trotzki nunmehr unter Berufung auf Lenin den Kampf gegen den Leninismus führen.148) wollte der alte Trotzkisrnus das bolschewistische Parteiprinzip mit Hilfe der Theorie (Praxis) einer Einheit mit den Menschewiki untergraben. Der neue Trotzkismus erfand eine neue, “demokratische” Theorie, nämlich die Theorie der Gegenüberstellung der alten Kader und der jungen Parteimitglieder. Damit wurde die Parteigeschichte in zwei ungleiche Teile zerlegt, die Zeit “vor dem Oktober” und die Zeit “nach dem Oktober.” Die Geschichte vor dem Oktober sei eine Art “Vorgeschichte”, eine “nicht sehr wichtige Vorbereitungeperiode”, die Geschichte nach der Oktoberrevolution die richtige, “wirkliche”, “eigentliche” Geschichte der Partei. Mit diesem Schema der Aufspaltung der Einheit der Partei zwischen alten und jungen Kadern sollte die Partei zersetzt werden.149) war der alte Trotzkismus bemüht, Lenin mehr oder weniger offen zu diffamieren, während der neue Trotzkismus sein Werk unter “dem Schein der Lobpreisung, unter dem Schein der Verherrlichung Lenins” zu vollbringen sucht.150) Stalin führt kurz das Buch Trotzkis “Über Lenin” an, das Trotzki im April 1924 herausgegeben hatte. Darin stellte Trotzki Lenin so dar, als “würde Lenin so gut wie nichts anderes getan haben, als ‘bei jeder passenden Gelegenheit den Gedanken von der Unvermeidlichkeit des Terrors einzuhämmern’. Es entsteht der Eindruck, als ob Lenin der blutdürstigste aller blutdürstigen Bolschewiki gewesen wäre“.151) Im Gegensatz zu Lenins Methode, der keine Entscheidung traf, ohne vorher ein leitendes Kollegium mit einzubeziehen, stelle Trotzki Lenin als “eine Art chinesischen Mandarin” dar, der die wichtigsten Fragen in der Stille seines Arbeitszimmers aus Eingebung entscheidet.”152) Mit dieser Methode verwandelte Trotzki den Riesen Lenin in einen “zwergenhaften Blanquisten“.153) Auf dem XIV. Parteitag der KPdSU (B) vom 18. - 31. Dezember 1925 gab Stalin eine Art “Abriß” der bisherigen Geschichte der Auseinandersetzungen innerhalb der Partei.154) Diesen “Abriß” gab er in einem Schlußwort, das immerhin 34 Seiten umfaßte, woraus deutlich wird, wie ernst die Situation in der Partei gewesen sein muß. Stalin unterschied zwischen den ideologischen Meinungsverschiedenheiten und dem Bilden von Plattformen, Fraktionen. Von der Leningrader Parteiorganisation wurde Ende 1924 beantragt, Trotzki aus der Partei auszuschließen. Die Mehrheit des ZK lehnte dies ab. Wenig später forderte die Leningrader Parteiorganisation mit Kamenew den Ausschluß Trotzkis aus dem Politbüro. Das ZK lehnte auch dies ab und beschränkte sich darauf, Trotzki als Volkskommissar für das Kriegswesen abzusetzen. Stalin begründete diese Entscheidung damit, daß die Politik des Absägens große Gefahren in sich birgt, daß die Methode des Absägens, des Aderlasses - und sie forderten Blut - (gemeint waren Sinowjew und Kamenew, UH) gefährlich und ansteckend ist: „heute hat man den einen abgesägt, morgen kommt der andere, übermorgen ein dritter dran, und was bleibt dann in der Partei?”155) Diesen Gedanken wiederholte er noch einmal in Sorge um die Erhaltung der Einheit der Partei. Zwei Tage vor dem XIV. Parteitag hatten die Mitglieder des ZK “Kompromißbedingungen eines Abkommens” unterbreitet, die auf eine “mögliche Versöhnung” abzielten. Dieser Kompromißvorschlag beweist, daß die marxistisch-leninistische Mehrheit des ZK die Einheit der Partei mit Kamenew und Sinowjew aufrecht erhalten wollte. Nach meinem jetzigen Erkenntnisstand war es der letzte Versuch, die ideologischen Meinungs-verschiedenheiten noch innerhalb der Partei auszutragen, die ernsthafte Gefahr einer Spaltung der Partei noch zu verhindern. Darum wird der Kompromißvorschlag hier in vollem Wortlaut dokumentiert: “Die unterzeichneten Mitglieder des ZK glauben, daß eine Reihe führender Genossen der Leningrader Organisation die Vorbereitung zum Parteitag im Gegensatz zur Linie des ZK der Partei und gegen die Anhänger dieser Linie in Leningrad betrieben hat. Die unterzeichneten Mitglieder des ZK halten die Resolution der Moskauer Konferenz sowohl ihrem Wesen als auch ihrer Form nach für absolut richtig und glauben, daß das ZK verpflichtet ist, allen und jeglichen Tendenzen entgegenzutreten, die sich gegen die Parteilinie richten und die Partei desorganisieren. Allein im Interesse der Parteieinheit, im Interesse des Friedens innerhalb der Partei, der Abwendung der Gefahr, daß die Leningrader Organisation, eine der besten Organisationen der KPR, sich dem ZK der Partei entfremden könnte, halten die Unterzeichneten es für möglich - nachdem der Parteitag die präzise und klare politische Linie des ZK bestätigt -‚ auf eine Reihe von Zugeständnissen einzugehen. Dementsprechend machen wir folgende Vor­schläge: Bei Abfassung der Resolution zum Bericht des ZK soll die Resolution der Moskauer Konferenz unter Milderung einiger ihrer Formulierungen als Grundlage genommen werden. Die Veröffentlichung des Briefes der Leningrader Konferenz und der Antwort des Moskauer Komitees sowohl in den Zeitungen als auch in den Bulletins soll im Interesse der Einheit für unzweckmäßig erachtet werden. Die Mitglieder des Politbüros... sollen auf dem Parteitag nicht gegen­einander auftreten. In den Parteitagsreden soll abgerückt werden von Sarkis (Regelung der Zusammensetzung der Parteimitgliedschaft) und Safarow (Staatskapitalismus). Der Fehler bezüglich Komarows, Lobows und Moskwins soll auf organi­satorischem Wege korrigiert werden. Der Beschluß des ZK, einen Leningrader Genossen in das Sekretariat des ZK aufzunehmen, soll unmittelbar nach dem Parteitag verwirklicht werden. Zum Zwecke engerer Verbindung mit dem Zentralorgan soll ein Genosse aus Leningrad in das Redaktionskollegium des Zentralorgans aufgenommen werden. Angesichts der Schwäche des Redakteurs der ‘Leningradskaja Prawda’ (Gladnews), soll dieser im Einverständnis mit dem ZK durch einen stärkeren Genossen ersetzt werden. Kalinin, Stalin, Molotow, Dzierzynski u.a. 15. XII. 1925”156) Stalin fügte hinzu: “Wir sind gegen die Politik des Absägens. Das bedeutet nicht, daß es den Führern erlaubt sein wird, sich ungestraft aufzuspielen und der Partei auf der Nase herumzutanzen. Auf keinen Fall! Verbeugungen vor Führern wird es nicht geben. Die Partei will die Einheit und wird sie durchsetzen - mit Kamenew und Sinowjew, wenn sie es wollen, ohne sie, wenn sie es nicht wollen. (Zurufe; “Sehr richtig!” Beifall.) Was aber erfordert die Einheit? Die Einheit erfordert, daß die Minderheit sich der Mehrheit unterordnet. Ohne das gibt es keine und kann es keine Einheit der Partei geben.”157) Die Auseinandersetzungen mit Trotzki, Sinowjew und Kamenew gingen jedoch weiter.158) Unter anderem forderte die Opposition die Veröffentlichung ihrer “Theorie” in der Parteipresse. In einem Brief von Trotzki an Ordshonikidse vom 11. Juli 1927 definierte Trotzki den Begriff “Defaitismus” als eine Politik, die auf die Niederlage des “eigenen” Staates gerichtet sei, der sich in den Händen einer feindlichen Klasse befindet. Lassen wir hier diese eigenartige “Definition” beiseite. “Defaitismus” wird in Fremdwörterbüchern übereinstimmend als “Schwarzmalerei”, “Untergangsstimmung”, “Zusammenbruchspsychose und ihre Verbreitung”, “Miesmacherei” bezeichnet.159) Trotzki meinte, daß Clemenceau kein Defaitist sei, weil er in Opposition zu einer unfähigen Regierung während des Krieges (Erster Weltkrieg, UH) diese gestürzt habe, um den Krieg zu gewinnen. Aus dieser Clemenceau-Deutung gelangte Trotzki zu seinem bemerkenswerten Schluß: “Wenn also zum Beispiel jemand sagt, die politische Linie ungebildeter und gewissenloser Plagiatoren müsse eben im Interesse des Sieges des Arbeiterstaates, wie Kehricht hinweggefegt werden, so wird er deshalb noch keineswegs zum ‘Defaitisten’. Im Gegenteil, unter den gegebenen konkreten Bedingungen ist er gerade der wahre Wortführer der revolutionären Vaterlandsverteidigung: ideologischer Kehricht führt nicht zum Sieg.”160) Diesen Satz muß man wohl zweimal lesen! In Klartext hieß das nichts anderes, als daß Stalin und die Mehrheit des ZK der KPdSU (B) “ungebildete, gewissenlose Plagiatoren” seien, “Kehricht”, der “hinweggefegt” werden müsse, natürlich von ihm, von Trotzki, der unter den “gegebenen konkreten Bedingungen” der “wahre Wortführer der revolutionären Vaterlandsverteidigung” sei. Stalin kommentierte, daß sich also Trotzki, „wenn der Feind bis auf eine Entfernung von 80 Kilometern an den Kreml herangekommen ist, nicht damit befassen wird, die UdSSR zu verteidigen, sondern die jetzige Mehrheit der Partei zu stürzen. Und das nennt er Verteidigung.”161) Die Konzeption vertrat Trotzki im Sommer 1927 unter der akuten Interventionsdrohung imperialistischer Staaten und verlangte, daß diese “Theorie” in der Parteipresse veröffentlicht werden sollte! Für Anarchisten und Monarchisten würde es keine “Pressefreiheit” geben, bemerkte Stalin. Die Oppositionellen “wollen der bürgerlichen Presse’freiheit’ ein Hintertürchen öffnen”, ... wodurch sie “die antisowjetischen Elemente beleben, deren Druck auf die Diktatur des Proletariats verstärken und der ‘bürgerlichen’ Demokratie den Weg bahnen. An eine Tür klopfen sie, eine andere aber öffnen sie.”162) Unter Stalins Führung gab es allerdings kein “Glasnost”. Dies blieb einem Gorbatschow vorbehalten, mit den bekannten, von der internationalen Bourgeoisie bejubelten Ergebnissen. Stalin stellte angesichts der Tätigkeit der Opposition die Frage des Ausschlusses Trotzkis und Sinowjews aus dem ZK der KPdSU (B). Es sei ein “letzter Versuch”, “der Opposition zu helfen aus der Sackgasse herauszukommen.” Allerdings habe die Opposition drei Bedingungen zu erfüllen: 1. Die “absurde Losung hinsichtlich des Clemenceauschen Experiments” aufzugeben angesichts der drohenden Kriegsgefahr, 2. “offen und unumwunden die antileninistische Spaltergruppe Maslow - Ruth Fischer in Deutschland zu verurteilen und jede Verbindung mit ihr abzubrechen”, 3. sich “von jeglicher Fraktionsmacherei und von allem loszusagen, was zur Schaffung einer neuen Partei in der KPdSU (B) führen kann”. Ohne Annahme dieser drei Bedingungen sei ein weiteres Verbleiben Trotzkis und Sinowjews im ZK nicht mehr zuzulassen.163) Die Mehrheit des ZK und Stalin haben eine Geduld mit der Opposition gezeigt, die heute unverständlich erscheinen mag. ­In einer gemeinsamen Sitzung des Präsidiums des EKKI und der Internationalen Kontrollkommission am 27. September 1927164) führte Stalin den Nachweis, daß Trotzki und die Opposition noch zu Lebzeiten Lenins das ZK angegriffen haben. Nach Trotzki hätten einzelne Führer die Macht an sich gerissen, die Macht usurpiert. Als wenn das in einer Millionenpartei mit revolutionären Traditionen ginge.165) Warum aber habe dann Trotzki die Macht nicht an sich gerissen? Das Regime in der Partei sei bereits von Lenin eingeführt worden. Stalin verwies auf Beschlüsse des X. und XI. Parteitages der KPR (B) (März 1921 und März 1922), auf denen die Organisationsformen der Parteiführung sowie das Fraktionsverbot beschlossen wurden. Stalin zitierte aus der “Erklärung der 46” (15. Oktober 1923), unterzeichnet von Pjatakow, Preobrashenski, Serebrjakow, Alski u.a. also noch zu Lebzeiten Lenins: “Das innerhalb der Partei bestehende Regime ist völlig unerträglich. Es tötet die Selbsttätigkeit der Partei und ersetzt die Partei durch einen zu­sammengeschobenen Beamtenapparat, der in normalen Zeiten reibungslos funk­tioniert, der aber in Krisenzeiten unvermeidlich ins Stocken gerät und angesichts der herannahenden ernsten Ereignisse völlig zu versagen droht. Die entstandene Lage ist dadurch zu erklären, daß sich das nach dem X. Parteitag entstandene Regime der fraktionellen Diktatur innerhalb der Partei objektiv überlebt hat.”166) Desgleichen hieß es in einer Erklärung Trotzkis an das ZK und an die ZKK vom 8. Oktober 1923: “Das Regime, das im Wesentlichen schon vor dem XII. Parteitag entstanden­ war, nach dem Parteitag aber endgültig gefestigt wurde und endgültige Form annahm, ist viel weiter von der Arbeiterdemokratie entfernt als das Re­gime in den härtesten Perioden des Kriegskommunismus.”167) Es ginge Trotzki und seinen Anhängern um nichts anderes, als den Leninismus durch den Trotzkismus zu ersetzen und damit die Partei zu spalten und letztendlich zu zerstören. In der Sitzung des vereinigten Plenums des ZK und der ZKK der KPdSU (B) am 23. Oktober 1927 fand die Auseinandersetzung mit der trotzkistischen Opposition ihre Fortsetzung. Die Grundessenz in den Angriffen Trotzkis gegen Stalin bestand in der Entstellung des Leninismus unter dem Vorwand der Bekämpfung Stalins. Er behauptete, daß Lenin mit Stalin gebrochen habe. Diese Version wird bis heute nicht nur von Feinden des Marxismus-Leninismus, sondern auch von “Linken” vertreten, die damit den Antikommunisten Wasser auf die Mühlen leiten und dafür auch von diesen mit gelegentlichen Fußtritten bedacht werden. Als “Beweis” für diesen “Bruch” wird der Brief Lenins an den Parteitag vom Dezember 1922 angeführt, den der kranke Lenin diktiert hat, der auf dem XIII. Parteitag (1924) verlesen und der nach stenograhischen Aufzeichnungen 1956 im “Kommunist” Nr. 9 veröffentlicht wurde.168) Diese Aufzeichnungen sind unterschiedlich mit den Initialen M.W. und L.F. unterzeichnet. Diese Briefe werden von Trotzkisten und Revisionisten als “politisches Testament” bezeichnet, obwohl es sich um Briefe handelt, aus deren Kontext hervorgeht, daß Lenin eine Spaltung der Partei befürchtete, die aus den feindlichen Beziehungen zwischen Stalin und Trotzki hervorgehen könnte. Bei Lenin ist bezüglich dieses Briefes von einem “Testament” nicht die Rede, wobei aus diesem Brief, der in mehrere Abschnitte, Briefe, untergliedert ist, einseitig das herausgestellt wird, was man zu einer Diffamierung Stalins aufbauschen kann. Die oft und gern zitierte Stelle befindet sich in der “Ergänzung zum Brief vom 24. Dezember 1922”, Niederschrift vom 4. Januar 1923, unterzeichnet mit L.F.: “Er ist zu grob, und dieser Mangel, der in unserer Mitte und im Verkehr zwischen uns Kommunisten durchaus erträglich ist, kann in der Funktion des Generalsekretärs nicht geduldet werden. Deshalb schlage ich den Genossen vor, sich zu überlegen, wie man Stalin ablösen könnte und jemand anderen an diese Stelle zu setzen, der sich in jeder Hinsicht von Stalin nur durch einen Vorzug unterscheidet, nämlich dadurch, daß er toleranter, loyaler, höflicher und den Genossen gegenüber aufmerksamer, weniger launenhaft usw. ist. Es könnte so scheinen, als sei dieser Umstand eine winzige Kleinigkeit. Ich glaube jedoch, unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung einer Spaltung und unter dem Gesichtspunkt, der von mir oben geschilderten Beziehungen zwischen Stalin und Trotzki ist das keine Kleinigkeit, oder eine solche Kleinigkeit die entscheidende Bedeutung erlangen kann.”169) Lenin erklärte in diesem Brief vorweg, daß er “eine Reihe von Erwägungen rein persönlicher Natur” anstelle und daß “die eine wie die andere Bemerkung nur für die Gegenwart ...” gelten.170) Es handelt sich also eindeutig um kein “Testament” wie von Chruschtschow, Gorbatschow und anderen Revisionisten behauptet wurde. Lenin kritisierte an Stalin, daß er “zu grob” sei. Lenin “schlug vor”, “zu überlegen, wie man Stalin ablösen könnte ...”. “Zu überlegen” und “ablösen könnte” sind im Konjunktiv ausgedrückt. Man mag darüber streiten, aber eine “Forderung”, Stalin abzulösen, war das nicht. Lenin konnte auch keinen anderen Vorschlag unterbreiten, als “jemand anderen” an die Spitze zu stellen, der nur durch “einen Vorzug” sich von Stalin unterscheide, nämlich “toleranter, loyaler, höflicher ... aufmerksamer, weniger launenhaft” zu sein. Demnach hatte Stalin also Vorzüge! Alle diese wenig schönen Eigenschaften sind aber keine politischen! Dennoch wird diese Briefstelle geradezu wie ein “heiliges Vermächtnis” in der antistalinistischen Publizistik gehandelt. So heißt es bei A.G. Löwy: “Im Januar hatte Lenin mit Stalin gebrochen und die bekannten Nachsätze zu seinem Testament geschrieben, in denen er die Absetzung Stalins als Generalsekretär forderte.“171) Eine sehr ausgewogene Darstellung dieser Problematik findet sich in einem Interview von Richard Iwanowitsch Kosolapow, Prof. Dr. der philosophischen Wissenschaften, von 1998: “Stalin hielt das Andenken an Lenin heilig, und zwar ungeachtet der komplizierten gegenseitigen Beziehungen zu ihm in seinen letzten Lebensjahren, d.h während Lenins schwerer Krankheit. Er hat den Schwur, den er an der Bahre Lenins abgab, niemals gebrochen. Mich haben immer die platten Erzählungen über die ‘Freundschaft’ Lenins und Stalins, über die beiden ‘hehren Adler’, die sich nicht miteinander aussprechen konnten, ziemlich peinlich berührt. Sicher ist aber, daß Lenin den Genossen Stalin als Organisator sehr hoch einschätzte und ihm mehr als den anderen vertraute. Gerade das beunruhigte die nächsten Bekannten der Familie, genauer N. Krupskajas, als da waren Sinowjew, Kamenew und auch Trotzki, die am Krankenbett Lenins Intrigen spannen. Das ZK hatte Stalin beauftragt dafür zu sorgen, daß für Lenin die notwendigen ärztlichen Behandlungsvorschriften eingehalten werden. Sie wurden aber am laufenden Band verletzt, was dann auch zu dem scharfen Gespräch Stalins mit ihr führte. Jetzt ist völlig klar, daß Stalin etwas zu recht befürchtete. Dreimal hintereinander wurden für Lenin falsche Diagnosen gestellt. Man zermürbte ihn mit unnötigen Behandlungsmethoden und war offenbar bestrebt, ihn langsam zu Tode zu heilen und gleichzeitig zu diskreditieren. (siehe Lopuchin, Ju.I., ‘Die Krankheit, der Tod, und die Einbalsamierung Lenins. Wahrheit und Mythen’, Moskau, 1997) Das Verhältnis Lenins zu Stalins wurde an die Grenze des Zerwürfnisses getrieben, aber Stalin gelang es, das zu vermeiden, obwohl Chruschtschow versuchte, das Gegenteil zu beweisen. Stalin stand diese schwere Prüfung durch und trug die Stafette Lenins weiter.171a) Übersehen, oder “vergessen” werden die Äußerungen Lenins in diesen Briefen über Trotzki, Sinowjew, Kamenew, Bucharin u.a., wobei es sich bei diesen Bemerkungen Lenins weniger um persönliche, als um politische Eigenschaften handelte. Lenin meinte jedoch, daß man dies ihnen “nicht als persönliche Schuld” anrechnen könne. Die “Episode mit Sinowjew und Kamenew im Oktober” waren “natürlich kein Zufall”, ... wie auch der “Nichtbolschewismus” Trotzkis.172) Desgleichen bezeichnete Lenin Bucharin als einen “überaus wertvollen und bedeutenden Theoretiker der Partei”, fügte aber hinzu, daß “seine theoretischen Anschauungen ... nur mit sehr großen Bedenken zu den völlig marxistischen gerechnet werden” können, “denn in ihm steckt etwas Scholastisches. (er hat die Dialektik nie studiert und, glaube ich, nie völlig begriffen.)“173) Warum werden diese Bemerkungen, und diese enthalten politische bzw. theoretische Kriterien, denn nicht aus dem “Testament” zitiert? Einfach darum, weil sie nicht in die Stalinphobie passen. Die protokollierten Briefe des kranken Lenins vom Dezember 1922 sollten weder bezüglich Stalins noch der anderen Genannten überbewertet und schon gar nicht in den Rang eines “Testaments” erhoben werden. Dies geschah jedoch auf dem Plenum vom 25. Oktober 1927, als die Opposition sich auf dieses “Testament” berief, als sie ihre Angriffe “hauptsächlich gegen Stalin” richteten.174) Entgegen besserem Wissen behaupteten sie, daß das ZK dieses “Testament” verheimlicht habe. Diese Lüge - bis heute wiederholt - platzte denn auch auf, denn, wie die Mitglieder des ZK und der ZKK natürlich wußten, wurde dieser Brief “Dutzende von Malen” auf dem Plenum des ZK und der ZKK behandelt. Auf dem XIII. Parteitag (Mai 1924) wurde das “Testament” verlesen. Der Parteitag habe einstimmig - also mit den Stimmen Trotzkis, Sinowjews, Kamenews! - beschlossen, dieses “Testament” nicht zu veröffentlichen, “weil Lenin dies selbst nicht gewünscht und verlangt hatte.”175) Auf dem XIII. Parteitag habe Stalin das ZK ersucht, ihn von der Funktion als Generalsekretär zu entbinden. Der Parteitag behandelte selbst diese Frage. “Jede Delegation behandelte diese Frage und alle Delegationen, unter ihnen Trotzki, Kamenew und Sinowjew, verpflichteten Stalin einstimmig, auf seinem Posten zu bleiben.”176) Ein Jahr später hatte Stalin auf einem Plenum diesen Antrag ein zweites Mal gestellt, doch man verpflichtete ihn erneut, auf seinem Posten zu bleiben. Stalin wies noch auf den Sachverhalt hin, daß die “stenographischen Protokolle der Plenartagungen des ZK und der ZKK ... in einigen Tausend Exemplaren gedruckt und an die Parteimitglieder verteilt” werden, in denen “die Reden der Oppositionellen ebenso wie die Reden der Genossen, die die Parteilinie vertreten”, enthalten sind. “Sie werden von Zehntausenden und Hunderttausenden gelesen. ”177) Die Opposition stünde mit konterrevolutionären Elementen, weißgardistischen Offizieren und ausländischen Kapitalisten in Verbindung. Ihre Tätigkeit wäre auf die Spaltung der Partei von innen gerichtet in Verbindung mit einem Angriff von außen. Sinowjew versuchte, unter Berufung auf Lenin, daß dieser vor dem X. Parteitag (8. - 16. März 1921) “immer und zu jeder Zeit für Diskussionen gewesen” sei, die Forderung nach Fraktionsfreiheit begründen. Lenin habe aber in seinem Referat auf dem X. Parteitag diese Diskussionen als Fehler bezeichnet, wies Stalin nach. Oppositionelle Fraktionen habe Lenin eindeutig als schädlich für die Einheit der Partei bezeichnet: “Die Propaganda in dieser Frage muß bestehen einerseits in der gründlichen Aufklärung über die Schädlichkeit und Gefährlichkeit der Fraktionsbildung vom Standpunkt der Parteieinheit und der Verwirklichung der Willenseinheit der Avantgarde des Proletariats, als Grundbedingung für den Erfolg der Diktatur des Proletariats, anderseits in der Aufklärung über die Eigenart der neusten taktischen Manöver der Feinde der Sowjetmacht. Diese Feinde, die sich davon überzeugt haben, daß die Konterrevolution unter offen weißgardistischer Flagge hoffnungslos ist, machen jetzt alle Anstrengungen, um die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der KPR auszunutzen und die Konterrevolution auf diese oder jene Weise durch Auslieferung der Macht an eine politische Schattierung, die äußerlich der Anerkennung der Sowjetmacht am nächsten kommt, zu fördern.”178) Lenin forderte die Anwendung “äußerster Maßnahmen” gegen Mitglieder des ZK, Kandidaten des ZK und Mitglieder der Kontrollkommission, bis zum Parteiausschluß, bei Verstoß gegen diese Maßregel.179) Dezember 1928 oder Anfang 1929 schrieb Stalin einen Artikel “So tief sind sie gesunken“.180) In dieser kleinen Schrift bezeichnete Stalin den 7. November 1927 als einen Wendepunkt. An diesem Tage seien die Trotzkisten auf die Straße gegangen und hätten gezeigt, daß sie nicht nur mit der Partei, sondern auch mit dem Sowjetregime gebrochen haben. Die trotzkistische Organisation sei zu partei- und sowjetfeindlichen Handlungen übergegangen. Die Parteiführung sei bemüht gewesen, den Trotzkisten zu helfen, ihre Fehler zu erkennen und den Weg in die Partei zurückzufinden. Seit 1923 hätte die Partei geduldig die Linie des ideologischen Kampfes verfolgt. Noch auf dem XV. Parteitag (Dezember 1927) hielt die Partei an dieser Linie fest, obwohl die Trotzkisten bereits von “Meinungsverschiedenheiten taktischen Charakters zu Meinungsverschiedenheiten programmatischen Charakters übergegangen” wären.181) Das Vereinigte Plenum des ZK und der ZKK der KPdSU (B) vom 23. Oktober 1927 hatte bereits den Beschluß über den Ausschluß Sinowjews und Trotzkis aus dem ZK gefaßt. Die Unterlagen über die spalterische Tätigkeit der Führer der trotzkistischen Opposition - Organisierung einer illegalen parteifeindlichen Druckerei zwecks Zerstörung der Partei, Block mit den Renegaten Martow, Ruth Fischer und Souvarien zwecks Zerstörung der Komintern usw. - wurden in der Prawda vom 25. Oktober 1927 veröffentlicht.182) Auf dem XV. Parteitag wurden die aktiven Trotzkisten aus der Partei ausgeschlossen. Im Parteitagsbeschluß werden 75 Personen genannt‚ die ausgeschlossen wurden, darunter Kamenew, Pjatakow, Radek, Smilga und Smirnow, aus einer anderen antirevolutionären Gruppe Sapranow und weitere 23 Personen.183) Im Laufe des Jahres 1928 haben sich die Trotzkisten “vollends aus einer illegalen parteifeindlichen Gruppe in eine illegale antisowjetische Organisation” verwandelt. “Darin bestand das Neue, daß die Organe der Sowjetmacht im Laufe des Jahres 1928 zwang, Repressalien gegen die Funktionäre dieser illegalen antisowjetischen Organisation zu ergreifen.” Von den Trotzkisten wurden eigene Druckereien, eigene Komitees gegründet, Versuche unternommen, antisowjetische Streiks zu organisieren, wurde der “Bürgerkrieg gegen die Organe der proletarischen Diktatur” vorbereitet. Trotzki unterhielt Verbindungen zu Presseorganen der Renegaten und Weißgardisten im Ausland. Die Trotzkisten erklärten direkt, daß man bei der Vorbereitung zum Bürgerkrieg “vor nichts, vor keinerlei geschriebenen oder ungeschriebenen Gesetzen haltmachen” solle.184) Aus dieser subversiven Tätigkeit der trotzkistischen Organisation “erklären sich die in letzter Zeit von der OGPUU ergriffenen Maßnahmen zur Liquidierung dieser antisowjetischen Organisation (Verhaftungen und Ausweisungen).“185) Damit war die ideologische und theoretische Auseinandersetzung beendet und anstelle der Theoriegeschichte tritt die Geschichte der Justiz. Der Mord an Kirow am 1. Dezember 1934, dem Sekretär des ZK der KPdSU (B) und Sekretär des Leningrader Gebietskomitees der Partei verdeutlichte, daß die Drohung mit dem Bürgerkrieg von seiten der Trotzkisten ernst gemeint war, daß sie vor keinen geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen zurückschreckten. Sie setzten den Terror auf die Tagesordnung. Dieser Mord war nicht die Tat eines einzelnen fanatischen Mörders. Er war Mitglied der KPdSU, besaß ein Mitgliedsbuch, unter dessen Mißbrauch er sich Zugang zu Kirow verschaffen konnte. Er war mit der parteifeindlichen Sinowjew-Gruppe verbunden.186) Es ist nicht uninteressant, daß diese Verbindung des Mörders zur Sinowjew-Gruppe in der sechsbändigen Geschichte der KPdSU von 1976 sowie in der Geschichte der KPdSU, Moskau 1969/Berlin 1971 keine Erwähnung findet, als ob der Mörder allein sein Verbrechen hätte durchführen können.187) Dieses Kapitel schließe ich mit einer Einschätzung der viel geschmähten “Geschichte der KPdSU (B), Kurzer Lehrgang” ab, die in den genannten “Geschichten” der KPdSU sorgfältig umgangen, aber indirekt bestätigt werden: “Am 1. Dezember 1934 wurde im Smolny in Leningrad Genosse Kirow durch einen Revolverschuß ruchlos ermordet. Der am Tatort ergriffene Mörder erwies sich als Mitglied einer konterrevolutionären unterirdischen Gruppe, die aus Teilnehmern der sowjetfeindlichen Sinowjewgruppe in Leningrad organisiert worden war. Der Mord an Genossen Kirow, dem Liebling der Partei, dem Liebling der Arbeiterklasse, rief bei den Werktätigen unseres Landes gewaltigen Zorn und tiefste Trauer hervor. Die Untersuchung ergab, daß sich in den Jahren 1933/34 in Leningrad aus früheren Teilnehmern der Sinowjew-Opposition eine unterirdische konterrevolutionäre Terroristengruppe gebildet hatte; an deren Spitze das sogenannte “Leningrader Zentrum” stand. Diese Gruppe setzte sich das Ziel, die Führer der Kommunistischen Partei zu ermorden. Als erstes Opfer war Genosse Kirow aus­ersehen. Aus den Aussagen der Teilnehmer dieser konterrevolutio­nären Gruppe ergab sich, daß sie mit Vertretern ausländischer kapitalistischer Staaten in Verbindung standen und von ihnen Gelder erhielten. Die entlarvten Teilnehmer dieser Organisation wurden vom Militärkollegium des Obersten Gerichtshofes der Sowjetunion zur höchsten Strafe, zur Erschießung, verurteilt.”188) 2.2.4. Die Bucharingruppe Die Tätigkeit der Bucharingruppe unterschied sich von der trotzkistisch-sinowistischen Opposition dadurch, daß sie ihre Angriffe gegen die Mehrheit des ZK vorwiegend auf ökonomischem Gebiet führte, während die Trotzkisten vor allem auf politischem Gebiet gegen die Partei und Sowjetmacht agierten. In der Konsequenz mußten beide unterschiedlichen Richtungen zur Zerstörung der Einheit der KPdSU (B) und der Sowjetmacht führen. Die Kennzeichnung der Bucharingruppe als “rechte” Abweichung, die der Trotzkisten als “linke” trifft nur sehr allgemein zu‚ aus dem damaligen Sprachgebrauch und Begriffsgefüge erklärbar. Auf Bucharin wurde bereits ausführlich in den Arbeiten Stalins zur Politischen Ökonomie des Sozialismus verwiesen.189) In einer “kurzen Niederschrift” über die Bucharingruppe, die Äußerungen Stalins aus Reden enthalten, die er in einer gemeinsamen Sitzung des Politbüros des ZK und des Präsidiums der ZKK der KPdSU (B) Ende Januar/Anfang Februar 1929 gehalten hat, ist die ökonomische Konzeption von Bucharin, Tomski und Rykow kurz zusammengefaßt: Verlangsamung des Entwicklungstempos der Industrie, Einschränkung des Aufbaus der Sowjet- und Kollektivwirtschaften, volle Freiheit für den privaten Handel, Verzicht auf die regulierende Rolle des Staates.190) Zugleich wandte sich Bucharin gegen die Anwendung außerordentlicher Maßnahmen gegen die Kulaken, gegen deren “übermäßige Besteuerung”, Bucharin, Rykow und Tomski drohten mit Niederlegung ihrer Funktionen, wenn die Partei ihre Politik nicht ändere.191) Stalin verwies darauf, “daß Bucharin im Auftrag der Gruppe hinter den Kulissen Verhandlungen mit Kamenew führte, um einen Block der Bucharinleute mit den Trotzkisten gegen die Partei und ihr ZK zu organisieren....”192) Dieses Komplott zwischen Bucharin und Kamenew ist im “Sotsialistitscheski Westnik vom 22. März 1929, ein in Berlin erscheinendes Organ deutscher Trotzkisten, belegt.193) Desgleichen findet die subversive Verschwörertätigkeit in der Zeitschrift der französischen Trotzkisten “Contre le Courant ihre Bestätigung, die auch in “Gegen den Strom”, Organ der KPD (Opposition), Berlin, Nr. 17, 27. April 1929, S. 8, veröffentlicht wurde.194) Aus diesen trotzkistischen Blättern geht eindeutig hervor, daß Bucharin, Tomski und Rykow mit Kamenew gegen Stalin und Molotow, gegen die Mehrheit des ZK intrigiert haben. Danach hat Bucharin gegenüber Kamenew geäußert: “Wir sind der Meinung, daß die Linie Stalins vernichtend für die ganze Revo­lution ist. Mit dieser Linie geraten wir in den Abgrund. Die Dif­ferenzen zwischen uns und Stalin sind viel, viel ernsthafter als alle Differenzen, die zwischen uns und Ihnen bestanden haben. Ich, Rykow und Tomski schätzen die Situation übereinstim­mend folgendermaßen ein: >Es wäre viel besser, wenn wir im Politbüro anstelle von Stalin jetzt Sinowjew und Kamenew hät­ten.< Darüber habe ich mit Rykow und Tomski ganz offenherzig gesprochen; mit Stalin spreche ich schon einige Wochen nicht mehr; er ist ein prinzipienloser Intrigant, der alles der Aufrecht­erhaltung seiner Macht unterordnet....”195) Auch wenn trotzkistischen Blättern gegenüber Vorsicht geboten ist, der Sachverhalt stimmt mit anderen Quellen überein. Die Absprachen zwischen Bucharin und Kamenew verdeutlichen, daß es nicht mehr um die Diskussion unterschiedlicher ökonomischer Theorien ging, sondern daß die Bucharingruppe auf den Sturz des ZK hinarbeitete. Bucharin befürchtete nicht zu unrecht, daß sie im ZK keine Mehrheit für ihre Politik finden würden, denn “der mittlere ZK-Funktionär” begreift “noch nicht die Tiefe der Meinungsverschiedenheiten, ...“.196) Nun ist das Komplott Bucharins mit Kamenew zum Sturz Stalins als gewähltem Generalsekretär wohl nicht nur eine “Meinungsverschiedenheit”. In der Resolution des gemeinsamen Plenums des ZK und der ZKK der KPdSU (B) (16. - 23. April 1929) wurden die Auffassungen der Bucheringruppe ausführlich analysiert, als falsch und schädlich zurückgewiesen, ihre geheimen Versuche, einen fraktionellen Block gegen das ZK zu organisieren, verurteilt.197) Politbüro und ZKK faßten den Beschluß: a) das Verhalten Bucharins und Sokolnikows (die Unterredung mit Kamenew) als fraktionellen Akt zu verurteilen, der von der völligen Prinzipienlosigkeit Bucharins und Sokolnikows zeugt und außerdem den elementarsten Forderungen der Gewissenhaftigkeit und einfachen Anständigkeit widerspricht­ b) das Verhalten Rykows und Tomskis, die dem ZK und der ZKK die Tatsache der ihnen bekannten geheimen Verhandlungen Bucharins mit Kamenew verheimlichten, als ganz und gar unzulässig zu erklären.198) Die Grundzüge der Bucharinschen Wirtschaftskonzeption 199) bestanden in einer Überbewertung der relativen Stabilisierung des Kapitalismus (die 1929 mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise ohnehin zu Ende ging, UH), im Versöhnlertum gegenüber der Sozialdemokratie, der Ablehnung des Kampfes gegen den “linken” Flügel der Sozialdemokratie, der die Arbeiter hinderte, sich von der Sozialdemokratie zu lösen, in der These, daß sich der Klassenkampf in der UdSSR gegen die Kapitalisten in der NÖP-Periode in dem Maße abschwäche, wie der sozialistische Aufbau vorankomme, daß die Kulaken in den Sozialismus hineinwachsen würden. Der wachsende Widerstand der Kapitalisten in der UdSSR ergäbe sich aus Unzulänglichkeiten der Organe der Sowjetmacht, als Reaktion auf das Versagen des Staatsapparates. Mit Verbesserung des Apparates würde der Widerstand der Kapitalisten aufhören. Stalin meinte dazu, daß damit “die Schädlingsarbeit der bürgerlichen Intellektuellen in Schachty, die eine Form des Widerstands der bürgerlichen Elemente gegen die Sowjetmacht und eine Form der Verschärfung des Klassenkampfes ist, sich nicht aus dem Wechselverhältnis der Klassenkräfte, nicht aus dem Wachstum des Sozialismus, sondern aus der Untauglichkeit unseres Apparats erklären.”200) Dies sei “keine Erklärung, sondern Hohn auf eine Erklärung. Das ist keine Wissenschaft, sondern Afterwissenschaft.”201) Bucharin wolle den Markt, der durch die regulierende Hand des Sowjetstaates in Grenzen gehalten wurde, von diesen “Fesseln” befreien, eine “Normalisierung” des Marktes herbeiführen, die letzten Endes “eine Ära der vollen Freiheit des privaten Handels eröffnen” würde.202) Letztendlich sollte das Tempo der Industrialisierung gedrosselt, die Schaffung von Genossenschaften und Sowjetwirtschaften gebremst, die Kulaken nicht zu hoch besteuert werden. Stalin resümierte, daß zwei verschiedene Pläne der Wirtschaftspolitik bestünden, der Plan der Partei und der Plan Bucharins. Der Plan der Partei sah ein schnelles Entwicklungstempo der Industrie vor als Schlüssel für die Rekonstruktion der Landwirtschaft. Ohne Industrie keine Kollektivierung, keine Mechanisierung der Landwirtschaft als Bedingung für die Steigerung der Getreideproduktion. Ohne Steigerung der Getreideproduktion keine Erweiterung der Viehwirtschaft, ohne Erweiterung der Viehwirtschaft keine bessere Versorgung der Arbeiter mit Fleisch- und Molkereiprodukten. Zu dieser Zeit wurde von den Kulaken noch immer das meiste Getreide angebaut, war die Sowjetmacht noch immer abhängig von den dem Sozialismus feindlich eingestellten Kulaken, die das Getreide horteten, um Wucherpreise zu erzwingen. Aber ohne Industrialisierung, ohne Übergang zu Kollektiv- und Sowjetwirtschaften konnte sich die Sowjetmacht nicht gegenüber den Kulaken und der NÖP-Bourgeoisie behaupten. Industrialisierung oder Restauration des Kapitalismus, so stand die Frage. Bucharin dagegen wollte das freie Spiel des Marktes, die Kulaken nicht zu hoch besteuern, die Kollektivierung verlangsamen, die Industrialisierung bremsen, das Getreidedefizit durch Kauf von Getreide aus dem Ausland beseitigen, wodurch Valuta gebunden wurden, die für den Ankauf von Industrieanlagen vorgesehen waren. Bucharin setzte auf die Entwicklung der individuellen Bauernwirtschaft, was die Kulaken als die stärksten Einzelwirtschaften stärken mußte, damit den Kapitalismus. Die kleinen und mittleren Einzelbauern waren nicht mehr in der Lage, mit den bisherigen Bearbeitungsmethoden die Getreideproduktion wesentlich zu erhöhen.203) Im Rechenschaftsbericht an den XVI. Parteitag (26. Juni - 13. Juli 1930) verwies Stalin auf die Folgen, wäre die Partei der Konzeption Bucharins gefolgt und verglich sie hinsichtlich ihrer Ergebnisse mit der Konzeption der Gruppe Trotzki-Sinowjew: „Was wäre geschehen, wenn wir auf die Rechtsopportunisten aus der Gruppe Bucharins gehört hätten, wenn wir auf die Offensive verzichtet, das Entwicklungstempo der Industrie gedrosselt, die Entwicklung der Kollektivwirtschaften und Sowjetwirtschaften gehemmt und uns auf die indi­viduelle Bauernwirtschaft gestützt hätten? Wir wären unweigerlich mit unserer Industrie gescheitert, hätten die Sache der sozialistischen Rekonstruktion der Landwirtschaft zugrunde ge­richtet, wären ohne Getreide geblieben und hätten der Vorherrschaft des Kulakentums den Weg geebnet. Wir säßen jetzt vor einem Scherbenhaufen. Was wäre geschehen, wenn wir auf die ‘linken’ Opportunisten aus der Gruppe Trotzki-Sinowjew gehört und die Offensive 1926/27 eröffnet hätten, als wir keine Möglichkeit besaßen, die kulakische Produktion durch die Produktion der Kollektiv- und Sowjetwirtschaften zu ersetzen? Wir hätten dabei unweigerlich Fiasko erlitten, hätten unsere Schwäche demonstriert, die Position des Kulakentums und der kapitalistischen Elemente überhaupt gestärkt, den Mittelbauern dem Kulaken in die Arme getrieben, wir hätten unseren sozialistischen Aufbau vereitelt und wären ohne Getreide geblieben. Wir säßen jetzt vor einem Scher­benhaufen. Die Resultate wären die gleichen.“204) Sechzig Jahre später hat Gorbatschow diese Einschätzung Stalins auf seine Weise als richtig bestätigt. Die Übereinstimmung der Wirtschaftspolitik Gorbatschows mit der Konzeption Bucharins ist unübersehbar, was Walter Lagueur veranlaßte, von einer “Kontinuität” von Bucharin zu Gorbatschow zu sprechen. Gorbatschow hat es geschafft, in Umsetzung der Bucharinschen Konzeption die Sowjetunion in einen “Scherbenhaufen” zu verwandeln. 2.2.5. Gegen eine “Schädlingspsychose” Das Ende der innerparteilichen Kämpfe ist bekannt. In den Prozessen von 1936 bis 1938 wurden die führenden Funktionäre der parteifeindlichen Gruppierungen um Sinowjew, Kamenew, Radek, Bucharin u.a. vor ein Militärtribunal gestellt, verurteilt und erschossen. Die Akten zu diesen Prozessen sind bis heute der historischen Forschung noch nicht zugänglich, so daß ich mich nicht dazu äußere. Die bisher vorliegenden Publikationen variieren in ihren Beurteilungen zwischen “gerechten Urteilen” und “Schauprozessen.” Es kann nicht überraschen, daß die kapitalistischen Medien, in den 30er Jahren vor allem die Hearstpresse, Renegaten, Revisionisten, Trotzkisten, diese Prozesse verurteilten und sich in der Verteufelung Stalins als “paranoiden Massenmörder” und der Abqualifizierung der Sowjetjustiz als “Unrechtsregime” gegenseitig überbieten. Sie haben Stalin schon vor diesen Prozessen mit allen nur denkbaren abwertenden Prädikaten charakterisiert, wobei Trotzki, Sinowjew, Radek und Bucharin ein bemerkenswertes Vokabular offenbarten. Die Methode der Diffamierung von historischen Persönlichkeiten ist seit mehr als hundert Jahren bekannt, die der französische Psychologe Gustave Le Bon 1895 in seinem Buch “Psychologie der Massen” beschrieb: “Die reine, einfache, aller Vernünftelei und allen Beweises bare Behauptung ist eines der sichersten Mittel, um der Massenseele eine Idee einzuflößen ... Die Behauptung hat aber nur dann wirklichen Einfluß, wenn sie ständig wiederholt wird, und zwar möglichst mit denselben Worten. Das Wiederholte wird schließlich als eine bewiesene Wahrheit angenommen ... Lesen wir täglich in der selben Zeitung, A sei ein ausgemachter Schuft und B ein Ehrenmann, so glauben wir es schließlich...”204a) Unverständlich ist, daß selbst ernstzunehmende Kommunisten so unkritisch diese “historischen Urteile” übernehmen und als eine Art unumstößlicher Wahrheit verbreiten, an der es nichts zu zweifeln gibt. Eins ist sicher: Durch die Liquidierung der parteifeindlichen Gruppierungen in den 30er Jahren wurde ein Bürgerkrieg in der Sowjetunion verhindert, der zu ihrer Zerstörung geführt hätte. Vielleicht liegt gerade darin der Grund, daß Stalin in der bürgerlichen Historiographie und Publizistik so vehement als “Verbrecher” diffamiert wird. Das ist verständlich, denn welche grandiosen Möglichkeiten hätte sich den in Deutschland an der Macht befindlichen Hitlerfaschisten und anderen imperialistischen Mächten geboten, wenn sich die Sowjetunion in einem Bürgerkrieg zerfleischt hätte! Und genau das hat Stalin verhindert! In Beschlüssen und Resolutionen der KPdSU (B) und der Komintern wurden die parteifeindlichen Gruppierungen einmütig verurteilt, so auch in den Reden Stalins auf dem Plenum des ZK der KPdSU (B) (3. und 5. März 1937) und im Rechenschaftsbericht an den XVIII. Parteitag (10. März 1939). Hier geht es aber um etwas anderes. Auf dem Plenum des ZK ging Stalin auf ernste Mängel in der Parteiarbeit ein, die die Tätigkeit von Partei- und Sowjetfeinden begünstigt haben. Erfolge in der sozialistischen Wirtschaft können Selbstzufriedenheit, ein übertriebenes Selbstbewußtsein erzeugen, zur Unterschätzung der Kräfte der politischen Feinde, zu politischer Blindheit führen. So entstünde eine Atmosphäre von Paradefeierlichkeiten, gegenseitigen Beglückwünschungen, Überheblichkeit und Sorglosigkeit. Es träte eine Atmosphäre ein, in der “die Menschen beginnen, solche unangenehmen Tatsachen zu übersehen wie die kapitalistische Umkreisung, die neuen Formen des Schädlingswesens, die mit unseren Erfolgen verbundenen Gefahren usw. Kapitalistische Umkreisung? Das ist doch Unsinn! ... Neue Formen des Schädlingswesens, Kampf gegen Trotzkismus? All das sind Lappalien! .... Merkwürdige Leute sitzen dort in Moskau, im ZK der Partei, denken irgendwelche Fragen aus, reden von irgendwelchem Schädlingswesen, schlafen selbst nicht und lassen andere nicht schlafen ...”205) Stalin bezeichnete die Auffassung, wonach der Klassenkampf im Zuge des sozialistischen Aufbaus “mehr und mehr erlöschen müsse”, als “faule Theorie”. Die “Reste der zerschlagenen Klassen in der UdSSR” würden nicht allein dastehen. “Sie genießen die direkte Unterstützung unserer Feinde jenseits dar Grenzen der UdSSR. Es wäre ein Irrtum anzunehmen, daß die Sphäre des Klassenkampfes sich auf das Gebiet der UdSSR beschränke.”206) Stalin ging auch auf die Methoden der Schädlingsarbeit ein. “Kein einziger Schädling” würde “fortwährend schädigen, ...” Dann wäre er schnell entlarvt. Von Zeit zu Zeit müsse er “Erfolge” in der Arbeit aufweisen, sich Vertrauen erschleichen. Die Schädlinge entfalten “ihre Schädlingsarbeit in vollem Umfang gewöhnlich nicht in Friedenszeiten, sondern in einer Periode unmittelbar vor dem Kriege oder während des Krieges selbst.”207) Dieser Satz ist sehr wichtig. Stalin hat ihn berücksichtigt, wie sich noch zeigen wird. Stalin verwies auf die konterrevolutionäre IV. Internationale, die zu zwei Dritteln aus Spionen und Diversanten bestehe. Wachsamkeit sei nach wie vor geboten. “Man muß erreichen, daß es überhaupt keine trotzkistischen Schädlinge in unseren Reihen gibt.”208) Im Falle eines Krieges ”werden das Hinterland und die Front unserer Armee, dank ihrer Homogenität und inneren Einheit, fester sein ... als in irgendeinem anderen Lande, woran die ausländischen Liebhaber kriegerischer Zusammenstöße denken sollten.”209) Um diese Festigkeit ging es Stalin, und, um hier vorzugreifen, die hat er erreicht, eine Festigkeit, die die faschistische Wehrmachtsführung einschließlich ihres Oberbefehlshaber Hitler, dem “größten Feldherren aller Zeiten” (GRÖFAZ!), bei ihrem Überfall auf die Sowjetunion nicht in Rechnung gestellt hatte. So wunderte sich der General Kurt von Tippelskirch nach dem Scheitern des “Blitzkrieges” und notierte in seinem Tagebuch: “Spionage, die in Ländern mit freier Wirtschaft unter dem Deckmantel einer harmlos erscheinenden wirtschaftlichen Scheintätigkeit ein leichtes Spiel hatte, fand in der zentral gelenkten Wirtschaft der Sowjetunion ... kein Betätigungsfeld ...” “Man stand einem Feind mit stahlhartem Willen gegenüber, der mit brutalem Einsatz der Kräfte und operativ nicht ohne Geschick führte....” Es wäre “schon zu erkennen: hier handelte es sich nicht darum, in schnellen Schlägen ein Kartenhaus zum Einsturz zu bringen. So leicht und planmäßig wie die früheren würde dieser Feldzug nicht verlaufen.”210) Der ehemalige Botschafter der USA in der Sowjetunion J.E. Davis schrieb, daß es bei der Invasion der Nazis hinter den russischen Linien keine “Arbeit im Innern” gegeben habe. “Es gab keinen sogenannten ‘inneren Angriff’ in Rußland im Kontakt mit dem deutschen Oberbefehl. Der Einmarsch in Prag 1939 vollzog sich unter aktiver militärischer Unterstützung durch die Organisation Henleins in der Tschechoslowakei. Dasselbe traf beim Einfall in Norwegen zu. Im heutigen Bilde der Sowjetunion fehlen die Sudeten Henleins, die slowakischen Tisos, die belgischen Degrelles und die norwegischen Quislinge.” In seinen Erinnerungen an seine Botschaftertätigkeit bis 1941 fand er heraus, “daß so gut wie alle Kniffe und Umtriebe der deutschen Fünften Kolonne, wie wir sie seither kennen gelernt haben, durch die Geständnisse und Zeugenaussagen jener Prozesse (1937/38 UH) gegen die ‘bekennenden‘ Quislinge Rußlands enthüllt und bloßgelegt worden sind. ... Es wurde mir klar, daß die Sowjetregierung vom Vorhandensein dieser Umtriebe überzeugt war, sich aufs höchste beunruhigt fühlte und daranging, sie energisch zu unterdrücken. Bis 1941, das heißt bis zum Einfall der Deutschen, hatten sie jede Spur der vorher organisierten Fünften Kolonne ausgelöscht.”211) In seinem Schlußwort auf dem Plenum des ZK der KPdSU (B) (3. und 5. März 1937) “über die Mängel in der Parteiarbeit”212) warnte Stalin vor einer Gefahr, die sich aus den Prozessen und Parteireinigungen ergaben, der Gefahr einer Schädlingspsychose. Es ginge darum, die “japanischen und deutschen Agenten des Trotzkismus” zu schlagen und zu vernichten, aber nicht diejenigen, “die irgendeinmal nach der Seite des Trotzkismus hin schwankten ...‚ die irgendeinmal in die Lage kamen, durch die Straße zu gehen, durch die irgendeinmal dieser oder jener Trotzkist gegangen ist ...” Es seien “solche Stimmen hier auf dem Plenum laut geworden.” Stalin forderte ein “individuelles, differenziertes Herangehen an die Menschen .... Man darf nicht alle über einen Kamm scheren. So ein summarisches Verfahren kann der Sache des Kampfes gegen die wirklichen trotzkistischen Schädlinge und Spione nur schaden.” Unter den verantwortlichen Genossen gäbe “es eine gewisse Anzahl ehemaliger Trotzkisten, die sich schon längst vom Trotzkismus abgewandt haben und den Kampf gegen den Trotzkismus nicht schlechter, ja besser führen als mancher unserer verehrten Genossen, die nie in die Lage gekommen sind, nach der Seite des Trotzkismus hin zu schwanken....” Es gäbe auch Genossen, die “ideologisch stets gegen den Trotzkismus eingestellt waren, aber trotzdem persönliche Beziehungen mit einzelnen Trotzkisten unterhielten, die sie unverzüglich abbrachen, sobald ihnen die wahre Physiognomie des Trotzkismus klargeworden war....”213) Diese Passagen Stalins verdeutlichen, daß in den 30er Jahren eine politisch-psychologisch angespannte Situation in der Sowjetunion herrschte, die man dem Kontext nach als “Schädlingspsychose” bezeichnen kann. Trotzki, Sinowjew und Bucharin hatten nicht wenige Anhänger in der Partei. Sie waren einst Mitglieder des Zentralkomitees, des Politbüros, bekleideten Spitzenfunktionen in der KPdSU (B) und in der Komintern. Es konnte doch nicht alles falsch sein, was sie gesagt haben! In den Mitgliederversammlungen gab es in dieser Zeit lebhafte politisch-ideologische Diskussionen. Die Politisierung der Sowjetgesellschaft war insgesamt hoch. Mit der Entlarvung und Zerschlagung der partei- und sowjetfeindlichen Gruppierungen waren die Anhänger des Trotzkismus nicht verschwunden, die ideologischen Einflüsse der Ideen Trotzkis und oder Bucharins auf nicht wenige Mitglieder und auch Funktionäre noch nicht überwunden. Hinzu kam ein weiterer Umstand. Wer bestimmte denn nun, wer ein wirklicher trotzkistischer Agent, Spion war, und wer nur in der einer oder anderen Frage noch trotzkistischen Überzeugungen nachhing oder sich tatsächlich längst vom Trotzkismus gelöst hatte. Ohne einer psychologisierenden Geschichtsschreibung das Wort zu reden, psychologische Momente, Charaktereigenschaften der Menschen, sind in solchen Situationen auch nicht zu vernachlässigen. Die Sowjetgesellschaft war noch immer eine Klassengesellschaft. Sie war aus einer mit noch starken feudalen Überresten durchsetzten kapitalistischen Gesellschaft hervorgegangen, erst zwanzig Jahre alt, eine in historischer Sicht sehr kleine Zeitspanne. Der Kapitalismus war in der NÖP noch gegenständlich vorhanden und von der kapitalistischen Umwelt gingen auch noch ideologische Impulse aus. Die Menschen in der Sowjetunion der 30er Jahre konnten sich den ganzen “alten Dreck” noch nicht vom Leibe schaffen, um mit Marx zu sprechen. Dies traf auch auf die Mitglieder und Funktionäre der KPdSU (B) zu. In einer solchen Atmosphäre konnte ein Genosse sehr schnell als “Trotzkist”, als “Schädling” “entlarvt” werden, der vielleicht irgendeine unqualifizierte Äußerung gemacht oder gar den Parteisekretär kritisiert hatte. War der Kritiker nicht früher schon ein Anhänger Trotzkis? Nun beweise mal, Genosse, daß Du kein Schädling bist! Stalin wußte, wovon er sprach. In einer solchen Atmosphäre konnten auch Unschuldige in die Mühlen der Justiz geraten und verurteilt werden. Stalin hat sich mehrfach gegen solche Exzesse gewandt, hat wiederholt verlangt, aus der Partei ausgeschlossene Mitglieder zu rehabilitieren und in die Reihen der Partei wieder aufzunehmen.212a) Es ergibt sich die Frage, wer ist denn nun verantwortlich für die Entstehung einer solchen “Schädlingspsychose”? Von der antikommunistischen Publizistik wird sie natürlich Stalin angelastet. Dieser Vorwurf hält einer historischen Analyse jedoch nicht stand. Von den imperialistischen Mächten wurde vom ersten Tag nach der Oktoberrevolution an eine in ihren Ausmaßen und Intensität in der bisherigen Geschichte unbekannte Diversionstätigkeit gegen Sowjetrußland, ab 1922 gegen die Sowjetunion durchgeführt. Dies ist aktenkundig. Churchill haßte die Sowjetmacht vom ersten Tage ihrer Existenz an, als Stalin international noch wenig bekannt war. Churchill war bemüht, Deutschland und die Sowjetunion gegeneinander zu hetzen, auch dies aktenkundig. Diese These des “sich gegenseitig totschlagen” wurde dann von Truman übernommen. Die Aggressionspolitik, deren Höhepunkt der Überfall des faschistischen deutschen Imperialismus auf die Sowjetunion 1941 war und die atomare Bedrohung durch den US-Imperialismus seit 1945 sind geschichtsnotorisch. Die imperialistischen Regierungen - direkt oder über “private” Organisationen - haben einen regelrechten Agenten-‚ Spionage- und Sabotagekrieg gegen die UdSSR geführt und haben versucht, auch in der KPdSU ihr Agentennetz aufzubauen, wobei sie sich auf die inneren Feinde in der Sowjetunion stützen konnten. Für die Situation in den 30er Jahren tragen die inneren und äußeren Feinde der Sowjetunion die volle Verantwortung. Stalins “Verbrechen” bestand darin, daß er dem dreckigen Spiel des deutsch-faschistischen, des englischen und US-amerikanischen Imperialismus einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht hat, daß er dieses Spiel durchschaut und ihm seine eigenen Regeln aufgedrückt hat. Abschließend zu diesem Kapital und kennzeichnend für die Situation in den 30er Jahren sei noch einmal Lenin zitiert aus seiner Schrift “Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky” aus dem Jahre 1918: “Der Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus umfaßt eine ganze geschichtliche Epoche. Solange sie nicht abgeschlossen ist, behalten die Ausbeuter unvermeidlich die Hoffnung auf eine Restauration, und diese Hoffnung verwandelt sich in Versuche der Restauration. Und nach der ersten ernsten Niederlage werfen sich die gestürzten Ausbeuter, die ihren Sturz nicht erwartet, an ihn nicht geglaubt, keinen Gedanken an ihn zugelassen haben, mit verzehnfachter Energie, mit rasender Leidenschaft, mit hundertfachem Haß in den Kampf für die Wiedererlangung des ihnen weggenommenen “Paradieses‚ für ihre Familien, die ein so schönes Leben geführt haben und die jetzt von dem ‘gemeinen Pack’ zu Ruin und Elend (oder zu ‘gewöhnlicher’ Arbeit...) verurteilt werden. Und hinter den kapitalistischen Ausbeutern trottet die breite Masse des Kleinbürger­tums einher, von dem Jahrzehnte geschichtlicher Erfahrungen in allen Ländern bezeugen, daß es schwankt und wankt, daß es heute dem Prole­tariat folgt, morgen vor den Schwierigkeiten der Umwälzung zurück­schreckt, bei der ersten Niederlage oder halben Niederlage der Arbeiter in Panik gerät, die Nerven verliert, sich hin und her wirft, wehklagt, aus einem Lager in das andere überläuft ... wie unsere Menschewiki und Sozialrevolutionäre. Und bei einer solchen Lage der Dinge, in der Epoche des verzweifelten, verschärften Kampfes, da die Geschichte Fragen des Seins oder Nicht­seins jahrhunderte- und jahrtausendealter Privilegien auf die Tagesord­nung setzt, von Mehrheit und Minderheit, von reiner Demokratie, von Gleichheit des Ausbeuters mit dem Ausgebeuteten zu reden, zu behaup­ten, die Diktatur sei nicht nötig - welch bodenlose Borniertheit, welcher Abgrund von Philistertum gehört dazu!“214 Ulrich Huar, Berlin Anhang Plenum des ZK der KPdSU (B) - Januar 1938 Informatorische Mitteilung über das ordentliche Plenum des ZK der KPdSU (B) Vor einigen Tagen fand das ordentliche Plenum des Zentralkomitees der KPdSU (B) statt. Das Plenum behandelte die Fragen der Tagung des Obersten Sowjets der UdSSR und faßte entsprechende Beschlüsse. Das Plenum erörterte das Problem der „Fehler der Parteiorganisationen beim Ausschluß von Kommunisten aus der Partei, die formal-bürokratische Behandlung der Berufungen von aus der KPdSU (B) Ausgeschlossenen und Maßnahmen zur Beseitigung dieser Mängel“ und faßte einen entsprechenden Beschluß, der nachstehend veröffentlicht wird. Außerdem behandelte das Plenum des ZK eine Reihe von Wirtschaftsfragen und faßte entsprechende Beschlüsse. Das Plenum entband P.P. Postyschew von seiner Funktion als Kandidat des Politbüros des ZK der KPdSU (B). Das Plenum nahm den Sekretär des Moskauer Gebietskomitees der KPdSU (B) Gen. N.S. Chruschtschow als Kandidat für das Politbüro des ZK der KPdSU (B) und Gen L.S. Mechlis als Mitglied in das Organisationsbüro des ZK der KPdSU (B) auf. Über Fehler der Parteiorganisationen beim Ausschluß von Kommunisten aus der Partei, über die formal-bürokratische Behandlung der Berufung von aus der KPdSU (B) Ausgeschlossenen und Maßnahmen zur Beseitigung dieser Mängel (Beschluß des Plenums des ZK der KPdSU (B)) Das Plenum des ZK der KPdSU (B) hält es für notwendig, daß Augenmerk der Parteiorganisationen und ihrer Leiter darauf zu lenken, daß bei der großen Arbeit zur Säuberung ihrer Reihen von trotzkistischen rechten Agenten des Faschismus ernste Fehler und Entstellungen begangen wurden, welche die Reinigung der Partei von Doppelzünglern, Spionen und Schädlingen behindern. Trotz mehrmaliger Hinweise und Warnungen des ZK der KPdSU (B) handhaben die Parteiorganisationen in vielen Fällen den Ausschluß von Kommunisten aus der Partei völlig falsch und mit verbrecherischer Leichtfertigkeit. Das ZK der KPdSU (B) hat mehrmals von den Parteiorganisationen und ihren Leitern verlangt, daß sie bei der Entschei­dung über den Parteiausschluß oder der Wiederaufnahme von zu Unrecht aus der KPdSU(B) Ausgeschlossenen in die Partei die Parteimitglieder aufmerksam und individuell zu behan­deln haben. Das Plenum des ZK der KPdSU (B) hat in seinem Beschluß vom 5. März 1937 zum Referat des Genossen Stalin „Über die Mängel der Parteiarbeit und die Maßnahmen zur Liquidierung der trotzkistischen und anderer Doppelzüngler“ auf folgen­des hingewiesen: „Einigen unserer leitenden Parteifunktionäre mangelt es an der nötigen Aufmerksamkeit gegenüber den Menschen, den Parteimitgliedern, den Funktionären. Mehr noch, sie beschäftigen sich nicht mit den Funktionären, wissen nicht, wie sie denken und wie sie sich entwickeln, sie kennen ihre Kader überhaupt nicht. Gerade deshalb gibt es bei ihnen keine individuelle Behandlung der Parteimitglieder und -funktionäre. Die individuelle Behandlung aber ist die Hauptsache in unserer organisatorischen Arbeit. Und gerade weil sie nicht individuell die Parteimitglieder und -funktionäre beurteilen, handeln sie gewöhnlich aufs Geratewohl: entweder sie loben sie grundlos und maßlos oder sie verprügeln sie ebenso grundlos und maßlos und schließen sie zu Tausenden und Zehntausenden aus der Partei aus. Einige unserer leitenden Parteifunktionäre suchen überhaupt in Zehntausenden zu denken, ohne sich um den ‘Einzelnen’, um die einzelnen Parteimitglieder und um deren Schicksal zu kümmern. Tausende und Zehntausende von Menschen aus der Partei auszuschließen, halten sie für eine Kleinigkeit, und sie trösten sich damit, daß unsere Partei groß genug ist und daß Zehntausende von Ausgeschlossenen an der Lage der Partei nicht das geringste ändern können. Aber so können sich nur solche Menschen zu Parteimitgliedern verhal­ten, die dem Wesen der Sache nach zutiefst parteifeindlich sind. Durch ein solches herzloses Verhalten zu den Menschen, den Parteimitgliedern und -funktionären wird künstlich Unzu­friedenheit und Erbitterung in einem Teil der Partei ge­schaffen. Es ist klar, daß die trotzkistischen Doppelzüngler solche verbitterten Genossen leicht für sich gewinnen und sie ge­schickt zu sich in den Sumpf trotzkistischer Schädlingsarbeit ziehen können.“ In dem gleichen Beschluß des Plenums des ZK der KPdSU (B) heißt es weiter: „Die Praxis des formalen und herzlos bürokratischen Verhaltens zum Schicksal der einzelnen Parteimitglieder, zum Ausschluß von Mitgliedern aus der Partei oder zur Wiederaufnahme von Ausgeschlossenen ist scharf zu verurteilen. Die Parteiorganisationen werden verpflichtet, ein Maximum an Vorsicht und kameradschaftlicher Sorge bei der Entschei­dung über den Ausschluß aus der Partei oder über die Wieder­aufnahme von Ausgeschlossenen aus der Partei walten zu las­sen.“ Im Brief vom 2. Juni 1936 „Über Fehler bei der Überprüfung der Berufungen derjenigen, die während der Überprüfung und während des Umtausches der Parteidokumente ausgeschlossen wurden“, hat das ZK der KPdSU (B) auf das leichtfertige und in einer Reihe von Fällen herzlos beamtenmäßige Verhalten von Parteiorganen bei der Prüfung der Berufungen von aus der Partei Ausgeschlossenen hingewiesen: „Entgegen den Anweisungen des ZK“, heißt es in diesem Brief, „werden die Berufungen Ausgeschlossener höchst langsam geprüft. Viele Ausgeschlossene bemühen sich monatelang, die Behandlung der von ihnen eingereichten Bemerkungen zu er­reichen. Eine große Anzahl von Berufungen wird behandelt, ohne mit den betreffenden persönlich Fühlung zu nehmen, ohne die Erklärungen der Einspruch Erhebender zu prüfen, ohne letzteren die Möglichkeit zu gewähren, die Gründe für den Parteiausschluß ausführlich darzulegen. In einer Reihe von Rayon-Parteiorganisationen wurde eine ganz unzulässige Willkür gegenüber den aus der Partei Ausge­schlossenen geduldet. Mitglieder, die wegen Verschleierung ihrer sozialen Herkunft und wegen Passivität, jedoch nicht wegen feindlicher Tätigkeit gegen die Partei und die Sowjetmacht aus der Partei ausgeschlossen waren, verloren automatisch ihre Arbeit, ihre Wohnung u.dgl.m.. Auf diese Weise spielten die leitenden Funktionäre dieser Parteiorganisationen, weil sie sich die Richtlinien der Partei über die bolschewistische Wachsamkeit nicht wirklich zu eigen gemacht hatten, durch ihre formal-bürokratische Einstellung zur Behandlung der Berufungen von Mitgliedern, die bei der Überprüfung der Parteidokumente ausgeschlossen worden waren, den Parteifeinden in die Hände.“ Man sieht, den örtlichen Parteiorganisationen wurden warnende Hinweise gegeben. Und dennoch, trotz alledem, verharren viele Parteiorganisationen und ihre Leiter weiterhin bei ihrer formalen und herzlos bürokratischen Einstellung zum Schicksal der einzel­nen Parteimitglieder. Es sind nicht wenige Tatsachen bekannt, daß Parteiorganisationen ohne irgendeine Überprüfung und folglich unbegründet Kommunisten aus der Partei ausschließen, ihnen die Arbeit nehmen, sie oft sogar völlig grundlos zu Volksfeinden erklären, Gesetzwidrigkeiten begehen und gegenüber den Parteimitgliedern ganz willkürlich verfahren. So gibt es folgende Beispiele: das ZK der KP (B) Aserbaidshans bestätigte auf einer einzigen Sitzung am 5. November 1937 mechanisch den Ausschluß von 279 Personen aus der Partei; das Stalingrader Gebietskomitee bestätigte am 26. November der Ausschluß vor 69 Personen; das Gebietskomitee von Nowosibirsk bestätigte am 28. November mechanisch die Beschlüsse der Rayonkomitees der KPdSU (B) über den Ausschluß von 72 Personen aus der Partei; in der Regionsparteiorganisation von Ordshonikidse hat das Parteikollegium der Kommission für Parteikontrolle beim ZK der KPdSU (B) die Beschlüs­se über den Ausschluß von 101 Kommunisten von 160 Personen, die Berufung eingelegt hatten, als falsch und völlig unbegründet aufgehoben; in der Nowosibirsker Parteiorganisation mußten ebenso 51 Beschlüsse von 80 aufgehoben werden; in der Rostower Parteiorganisation wurden 43 Beschlüsse von 66 aufgehoben; in der Stalingrader Parteiorganisation 58 von 103; in der Saratower 80 von 134; in der Kursker Parteiorganisation 56 von 92, in der Organisation von Winniza 164 von 337 usw.. In vielen Rayons des Charkower Gebiets gibt es unter dem Vorwand der „Wachsamkeit“ zahlreiche Fälle ungesetzlicher Entlassungen und Weigerungen, den aus der Partei ausgeschlossener und parteilosen Funktionären Arbeit zu geben. Im Rayon Smijewo wurden im Oktober und November 1937 36 Lehrer grundlos entlassen und weitere 42 für die Entlassung vorge­sehen. Infolgedessen werden in den Schulen der Dörfer Taranowka, Samostjashnoje, Skrypajewka und anderen kein Un­terricht in Geschichte, Verfassung der UdSSR, Russisch, Ukrainisch und Fremdsprachen erteilt. In der Stadt Smijewo erteilte den Biologieunterricht in der Oberschule die Lehrerin Shurko, 1904 geboren, Tochter eines Kollektivbauern, 8 Jahre pädagogische Dienstzeit; sie hat 4 Jahre am Fernstudium des Pädagogischen Instituts teilge­nommen. In der Lokalzeitung erschien eine Notiz, daß ihr Bruder, der als Pädagoge in der Stadt Isjum arbeitet, Nationalist sei. Das genügte, um die Genn. Shurko zu entlassen. Im Zu­sammenhang mit der Entlassung der Genn. Shurko wurde ihrem Mann das politische Mißtrauen ausgesprochen und auch die Frage seiner Entlassung aufgeworfen. Bei der Überprüfung stellte sich jedoch heraus, daß die Notiz über den Bruder der Genn. Shurko eine Verleumdung darstellte und dieser nicht entlassen worden war. In der Stadt Charkow wurde die Funktionärin des Betriebskomitees des „Tinjakow“-Werkes, Genn. Einhorn, in der Ange­legenheit der verhafteten Trotzkistin Gorskaja von den Orga­nen des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten als Zeugin verhört. Über die Aufforderung, zum Volkskommissariat für innere Angelegenheiten zu kommen, machte sie dem Leiter der Kaderabteilung, Semenkow, Mitteilung, der sogleich da­nach im Parteikomitee des Werks die Frage nach den Verbin­dungen der Genn. Einhorn zu der Trotzkistin Gorskaja stellte. Darauf hin wurde die Genn. Einhorn ihrer Funktion im Betriebskomitee enthoben und entlassen. Der Ehemann der Schwester der Genn. Einhorn, der in der Redaktion der Lokalzeitung arbeitete, wurde entlassen, weil er „keine Mitteilung über die Verbindungen der Schwester seiner Frau mit Trotzkisten gemacht“ habe! Das Kursker Gebietskomitee der KPdSU (B) hat die Vorsitzende des Betriebskomitees der Zuckerfabrik von Dmitro-Taranowo, die Genossin Iwantschenkowa, ohne jegliche Überprüfung und ohne persönliche Rücksprache aus der Partei ausgeschlossen und ihre Verhaftung durchgesetzt, indem es ihr die bewußte konterrevolutionäre Vorbereitung des Auftretens des parteilosen Arbeiters Kulinitschenko auf der Wahlversammlung für den Obersten Sowjet der UdSSR zuschrieb. Bei der Überprüfung wurde festgestellt, daß die ganze „Schuld“ der Genossin Iwantschenkowa darin bestand, daß der parteilose Arbeiter Kulinitschenko auf der Wahlversammlung, nachdem er von seinem Leben erzählt hatte, bei seiner Rede aus dem Konzept geriet und vergaß, den Familiennamen des Kandidaten für den Obersten Sowjet zu nennen. In vielen Rayons des Gebiets Kuibyschew wurde eine große Anzahl von Kommunisten mit der Begründung aus der Partei ausgeschlossen, daß sie Volksfeinde seien. Allein die Orga­ne des Volkskommissariats für innere Angelegenheiten finden keinerlei Grund zur Verhaftung dieser aus der Partei Ausgeschlossenen. Zum Beispiel schloß das Rayonkomitee der KPdSU (B) Bolschoje Tschernigowo 50 Personen von den insge­samt 210 Kommunisten, die der Rayon-Perteiorganisation angehören, aus der Partei aus und erklärte sie zu Volksfeinden, während die Organe des Volkskommissariats für Inneres bei 43 dieser Ausgeschlossenen keinen Grund für eine Verhaftung fanden. Im Parteikollegium der Kommission für Parteikontrolle im ZK der KPdSU (B) für das Gebiet Kuibyschew erscheinen viele von den Rayonkomitees der KPdSU (B) als Volksfeinde Ausgeschlossenen mit der Forderung, sie entweder zu verhaften oder das Schandmal von ihnen zu nehmen. Das ZK der KPdSU (B) verfügt über Angaben, daß es solche Tatsachen auch in anderen Parteiorganisationen gibt. Das Plenum des ZK der KPdSU (B) ist der Meinung, daß alle diese und ähnliche Tatsachen in den Parteiorganisationen vor allem deshalb verbreitet sind, weil es unter den Kommu­nisten einzelne noch nicht entdeckte und entlarvte Kommunisten gibt, die Karrieristen sind, die bestrebt sind, sich durch Parteiausschlüsse und durch Repressalien gegen Parteimitglieder auszuzeichnen und hervorzutun, die bestrebt sind, sich vor möglichen Anschuldigungen über Mangel an Wachsamkeit durch Anwendung von wahllosen Repressalien ge­gen Parteimitglieder zu sichern. Ein solcher karrieristisch eingestellter Kommunist glaubt, daß, wenn einmal gegen ein Parteimitglied eine Beschuldigung erhoben ist, auch dann, wenn diese eine falsche oder sogar provokatorische ist, dieses Mitglied für die Organisation gefährlich ist und man es möglichst schnell loswerden muß, um die eigene Wachsamkeit zu beweisen und sich da­durch zu sichern. Deshalb hält er es für überflüssig, die gegen den Kommunisten vorgebrachten Anschuldigungen objektiv zu prüfen und entscheidet die Notwendigkeit seines Ausschlus­ses aus der Partei bereits vorher. Ein solcher karrieristisch eingestellter Kommunist, der sich hervortun will, verbreitet ohne jede Überprüfung Panik wegen Volksfeinden und erreicht durch sein Schreien in Parteiversammlungen mit Leichtigkeit unter irgendeiner formalen Begründung oder ganz ohne eine solche den Ausschluß von Parteimitgliedern. Die Parteiorganisationen stehen oft völlig unter dem Einfluß solcher karrieristischer Schreier. Einem solchen Karrieristen ist das Schicksal der Parteimitglieder gleichgültig; er ist bereit, wissentlich Dutzende von Kommunisten zu Unrecht aus der Partei auszuschließen, um selbst als wachsam zu gelten. Er ist bereit, Parteimit­glieder wegen geringfügiger Vergehen aus der Partei auszu­schließen, um sich „Verdienste“ bei der Entlarvung von Fein­den zuzuschreiben. Wenn aber die übergeordneten Parteiorgane die zu Unrecht aus der Partei Ausgeschlossenen rehabilitieren, ist er nicht im geringsten bestürzt, sondern nimmt die Pose eines Menschen an, der zufrieden ist, daß er sich auf jeden Fall in bezug auf die „Wachsamkeit“ rückversichert hat. Die Parteiorganisationen und ihre Leiter umgeben oft selbst solche „Kommunisten“ mit der Aureole von wachsamen Kämpfern für die Reinheit der Partei, anstatt ihnen die Maske ihrer heuchlerischen Wachsamkeit vom Gesicht zu reißen und sie zu entlarven. Es ist an der Zeit, solche, mit Verlaub zu sagen, Kommuni­sten zu entlarven und sie als Karrieristen zu brandmarken, die bestrebt sind, sich durch Parteiausschlüsse einzuschmeicheln, die bestrebt sind, sich durch Repressalien gegenüber Parteimitgliedern rückzuversichern. Es sind weiterhin viele Tatsachen bekannt, daß getarnte Volksfeinde und doppelzünglerische Schädlinge in provokato­rischer Absicht die Eingabe von verleumderischen Beschuldi­gungen gegen Parteimitglieder organisieren und unter dem Vorwand der Entfaltung der Wachsamkeit den Ausschluß von ehrlichen und der Partei ergebenen Kommunisten aus der KPdSU (B) anstreben, um so den Schlag von sich selbst abzu­lenken und sich selbst in der Partei zu halten.. Der entlarvte Volksfeind, der frühere Leiter des OPRO des Rostower Gebietskomitees der KPdSU (B), Schazki, und seine Komplicen nutzten die politische Kurzsichtigkeit der führenden Funktionäre des Rostower Gebietskomitees der KPdSU (B) dazu aus, ehrliche Kommunisten aus der Partei auszuschließen, den Funktionären wissentlich ungerechte Strafen aufzuerlegen und die Kommunisten auf jede Art zu verbittern. Gleichzeitig unternahmen sie alles nur irgend Mögliche, um ihre konterrevolutionären Kader in der Partei zu halten. In demselben Gebiet, in Rostow, veranlaßte die frühere Lei­terin der Abteilung Schulen des Rostower Gebietskomitees der KPdSU (B), die Volksfeindin Schestowa, im Auftrag einer konterrevolutionären Organisation in der Parteiorganisation des Rostower Pädagogischen Instituts den Ausschluß von ungefähr 30 ehrlichen Kommunisten aus der Partei. Der frühere Sekretär des Kiewer Gebietskomitees der KP (B) der Ukraine, der Volksfeind Kudrjawzew, stellte in den Parteiversammlungen den sich zu Wort meldenden Kommunisten regelmäßig die provokatorische Frage: „Haben Sie denn wenig­stens über jemand eine Erklärung abgegeben?“ Infolge dieser Provokation wurden in Kiew beinahe über die Hälfte der Mit­glieder der Stadtparteiorganisation politisch kompromittierende Erklärungen abgegeben, wobei sich die Mehrzahl der Erklärungen als offensichtlich falsch und sogar provokato­risch erwies. Die heute als feindlich entlarvte Leitung des Rayonparteikomitees des „Barrikaden“-Viertels der Stadt Stalingrad hat das seit 1917 der Partei angehörende Mitglied Mochnatkin, einen ehemaligen roten Partisanen, den Leiter einer der größten Abteilungen des Werkes „Rote Barrikaden“ wegen „antisowjetischer Äußerungen“ provokatorisch aus der Partei ausgeschlossen und seine Verhaftung herbeigeführt. Wie sich bei der Überprüfung herausstellte, bestanden diese „antisowjetischen Äußerungen“ darin, daß Gen. Mochnatkin in einem Gespräch mit Genossen seine Unzufriedenheit darüber geäußert hatte, wie herzlos der Dorfsowjet die Kinder des während des Bürgerkrieges im Kampf gegen die Weißen gefallenen Kommandeurs der Partisanenabteilung behandelte, in der Mochnatkin Adjutant des Kommandeurs gewesen war. Gen. Mochnatkin wurde erst durch das Einschreiten der Kommission für Parteikontrolle beim ZK der KPdSU (B) wieder aufgenommen. Solche Beispiele provokatorischer Tätigkeit von Parteifeinden, die sich in den Parteiapparat eingeschlichen haben, gibt es auch in den Parteiorganisationen von Woronesh, Krasnodar, Tscheljabinsk und anderer Städte. Alle diese Tatsachen zeigen, daß viele unserer Parteiorganisationen und ihre Leiter es bis jetzt noch nicht verstan­den haben, den geschickt getarnten Feind zu erkennen und zu entlarven, der erstens seine feindliche Einstellung mit Geschrei über Wachsamkeit zu tarnen und sich in der Partei zu halten versucht und der sich zweitens bemüht, durch Repressalien unsere bolschewistischen Kader zu zerschlagen und Unsicherheit und unnötiges Mißtrauen in unseren Reihen zu säen. Ein solcher getarnter Feind ist ein übler Verräter und Verleumder, er schreit gewöhnlich am lautesten über Wachsamkeit und beeilt sich, möglichst viele zu „entlarven“, und er tut dies alles, um seine eigenen Verbrechen vor der Partei zu verbergen und die Aufmerksamkeit der Parteiorganisation von der Entlarvung der wirklichen Volksfeinde abzulenken. Ein solcher getarnter Feind ist ein elender Doppelzüngler, der sich auf jede Weise bemüht, in den Parteiorganisationen eine Atmosphäre unnötigen Mißtrauens zu schaffen, in der man jedes Parteimitglied, das einen anderen von irgend jemand verleumdeten Kommunisten verteidigt, sogleich fehlender Wach­samkeit und der Verbindung mit Volksfeinden beschuldigt. Ein solcher getarnter Feind ist ein frecher Provokateur, der in den Fällen, wo die Parteiorganisation eine gegen ei­nen Kommunisten erhobene Beschuldigung nachzuprüfen beginnt, auf jede Weise eine gespannte Situation für diese Überprüfung, eine Atmosphäre politischen Argwohns um diesen Genos­sen schafft und dadurch anstelle einer objektiven Behand­lung dieser Angelegenheit einen Strom neuer Anzeigen gegen ihn organisiert. Statt daß die Parteiorganisationen und ihre Leiter die pro­vokatorische Tätigkeit eines solchen getarnten Feindes ent­larven und brandmarken, lassen sie sich oft von ihm ins Schlepptau nehmen, schaffen für ihn eine Lage, in der die Verleumdung ehrlicher Kommunisten ungestraft bleibt, und gehen selbst dazu über, massenhaft unbegründete Parteiausschlüsse vorzunehmen, Strafen aufzuerlegen und dergleichen mehr. Mehr noch, selbst nach der Entlarvung von Feinden, die sich eingeschlichen haben und ehrliche Kommunisten verleumden, ergreifen unsere leitenden Parteifunktionäre häufig keine Maßnahmen, um die Folgen zu beseitigen, zu denen die Schädlingsarbeit in den Parteiorganisationen hinsichtlich der unrechtmäßigen Ausschlüsse von Kommunisten aus der Partei geführt hat. Es ist für alle Parteiorganisationen und deren Leiter die höchste Zeit, den getarnten Feind, der sich in unsere Reihen eingeschlichen hat und seine feindselige Haltung hinter scheinheiligem Geschrei über Wachsamkeit zu verbergen und sich in der Partei zu halten sucht, um in ihr seine gemeine Verräterarbeit fort­zusetzen, zu entlarven und auszurotten. Wodurch ist zu erklären, daß unsere Parteiorganisationen bis jetzt weder die Karrieristen entlarvt und gebrandmarkt haben, die sich durch Parteiausschlüsse hervorzutun und in den Vordergrund zu schieben suchen, noch auch die getarnten Feinde in der Partei, die hinter Geschrei über Wachsamkeit ihre feindliche Haltung zu verbergen und sich in der Partei zu halten suchen, die sich bemühen, durch Anwendung von Repressalien unsere bolschewistischen Kader zu zerschlagen und unnötiges Mißtrauen in unseren Reihen zu säen? Das ist zu erklären aus der verbrecherisch leichtfertigen Einstellung zum Schicksal der Parteimitglieder. Allen ist bekannt, daß sich viele unserer leitenden Parteifunktionäre als politisch kurzsichtige, prinzipienlose Praktiker erwiesen haben, daß sie den Volksfeinden und Karrieristen ermöglichten, sie hinters Licht zu führen, daß sie leichtfertig zweitrangigen Funktionären die Ent­scheidung von Fragen überließen, die das Schicksal von Parteimitgliedern betrafen, und daß sie es in verbrecherischer Weise unterließen, diese Angelegenheit zu leiten. Die Gebietskomitees, Regionskomitees, die Zentralkomitees der nationalen Kommunistischen Parteien und ihre Leiter versäumen es nicht nur, die parteifeindliche und dem Bolschewismus fremde Praxis beim Ausschluß von Kommunisten aus der Partei zu korrigieren, sondern tragen häufig selbst durch ihre falsche Leitung zu diesem formalen und herzlos bürokra­tischen Verhältnis zu den Parteimitgliedern bei und schaf­fen damit einen günstigen Nährboden für Karrieristen und getarnte Parteifeinde. Es hat keinen einzigen Fall gegeben, daß Gebietskomitees, Regionskomitees und Zentralkomitees der nationalen Kommunistischen Parteien nach Klärung einer Angelegenheit die Praxis der unterschiedslosen und summari­schen Behandlung von Parteimitgliedern verurteilt und die Leiter der örtlichen Parteiorganisationen für den unbegründeten und unrechtmäßigen Ausschluß von Kommunisten aus der Partei zur Verantwortung gezogen hätten. Die Leiter der Parteiorganisationen sind der naiven Meinung, daß die Korrektur der Fehler in bezug auf die unrechtmäßig Ausgeschlossenen die Autorität der Partei untergraben und der Entlarvung der Volksfeinde schaden könne. Sie verstehen nicht, daß jeder Fall eines unrechtmäßigen Parteiausschlusses Wasser auf die Mühle der Parteifeinde ist. In vielen Gebiets- und Regionsorganisationen liegt eine große Anzahl von ungeprüften Berufungen vor, die überhaupt nicht behandelt werden. Im Gebiet Rostow sind mehr als 2.500 Berufungen nicht überprüft, in der Region Krasnodar 2.000, im Gebiet Smolensk 2.300, im Gebiet Woronesh 1.200, im Gebiet Saratow 500 usw.. Die Gebietskomitees, Regionskomitees und die Zentralkomitees der nationalen Kommunistischen Parteien, die es ablehn­ten, Berufungen von Ausgeschlossenen zu überprüfen, haben die Beschlüsse der Rayon- und Stadtkomitees der KPdSU (B) in dieser Frage, entgegen dem Parteistatut, in unwiderruf­liche und endgültige Beschlüsse verwandelt. Alles dies bedeutet, daß die Gebietskomitees, Regionskomi­tees und die Zentralkomitees der nationalen Kommunistischen Parteien es in Wirklichkeit unterlassen haben, die Tätigkeit der örtlichen Parteiorganisationen in einer überaus wichti­gen und brennenden Frage, in der Frage des Schicksals von Parteimitgliedern, zu leiten, daß sie die Entscheidung die­ser Frage dem Selbstlauf und häufig der Willkür überlassen haben. Die Gebietskomitees, Regionskomitees und die Zentralkomitees der nationalen Kommunistischen Parteien fördern selbst die Praxis der massenweisen, unterschiedslosen Parteiausschlüsse, indem sie diejenigen leitenden Parteifunktionäre straflos ausgehen lassen, den Kommunisten gegenüber willkürlich verfahren. Es ist an der Zeit, mit dem den Bolschewiki fremden, forma­len und herzlos bürokratischen Verhalten zu den Menschen, den Parteimitgliedern Schluß zu machen. Es ist an der Zeit zu verstehen, daß: „... die Partei zu einer sehr bedeutenden und ernsten Angelegenheit für das Parteimitglied geworden ist und die Mit­gliedschaft in der Partei oder der Parteiausschluß ein großer Umschwung im Leben des Menschen ist.“ Es ist an der Zeit zu verstehen, daß: „... für die einfachen Parteimitglieder das Verbleiben in der Partei oder der Parteiausschluß eine Frage auf Leben und Tod ...“ ist (Stalin). Es ist an der Zeit zu begreifen, daß das Wesen der bolschewistischen Wachsamkeit darin besteht, daß man es versteht, den Feind zu entlarven, so listig und geschickt er auch sein mag, in welches Gewand er sich auch hüllen mag, und nicht darin, wahllos oder „auf alle Fälle“ alle, die einem in die Hände fallen, zu Dutzenden und Hunderten aus der Partei auszuschließen. Es ist an der Zeit zu begreifen, daß die bolschewistische Wachsamkeit ein Maximum an Vorsicht und kameradschaftlicher Sorge bei der Entscheidung von Fragen des Parteiausschlusses oder der Wiederaufnahme in die Partei nicht nur nicht ausschließt, sondern im Gegenteil voraussetzt. Das Plenum des ZK der KPdSU (B) fordert von allen Parteiorganisationen und ihren Leitern, daß sie die bolschewistische Wachsamkeit der Massen der Parteimitglieder im höchsten Grad verstärken, daß sie alle freiwilligen und unfreiwilligen Parteifeinde entlarven und ausmerzen. Das Plenum des ZK der KPdSU (B) hält die völlige Liquidierung der die Partei schädigenden Praxis der unterschiedslosen, nicht individuellen und summarischen Behandlung der Menschen, der Parteimitglieder für die wichtigste Voraussetzung zur er­folgreichen Lösung dieser Aufgabe. Das Plenum des ZK der KPdSU (B) beschließt: Die Gebietskomitees, Regionskomitees, die Zentralkomitees der nationalen Kommunistischen Parteien und alle Parteiorganisationen werden verpflichtet, endgültig Schluß zu machen mit den rnassenweisen wahllosen Parteiausschlüssen und eine wirklich individuelle, differenzierte Behandlung bei der Entscheidung über den Parteiausschluß oder die Wiederaufnahme von Mitgliedern herbeizuführen. Die Gebietskomitees, Regionskomitees und die Zentralkomitees der nationalen Kommunistischen Parteien werden ver­pflichtet, diejenigen leitenden Parteifunktionäre ihrer Funktionen zu entheben und seitens der Partei zur Verantwortung zu ziehen, die die Direktiven des ZK der KPdSU (B) nicht erfüllen, Mitglieder und Kandidaten der KPdSU (B) ohne sorgfältige Überprüfung aller Materialien aus der Partei ausschließen und Willkürhandlungen gegenüber den Parteimitgliedern begehen. Die Gebietskomitees, Regionskomitees, die Zentralkomitees der nationalen Kommunistischen Parteien und die Parteikollegien der Kommission für Parteikontrolle beim ZK der KPdSU (B) werden beauftragt, innerhalb von 3 Monaten die Überprüfung der Berufungen aller aus der Partei Ausgeschlossenen abzuschließen. Alle Parteikomitees werden verpflichtet, in ihren Beschlüssen über den Ausschluß von Kommunisten aus der Partei klar und genau die Motive darzulegen, die als Begründung für den Ausschluß gedient haben, damit die übergeordneten Parteiorgane die Möglichkeit haben, die Richtigkeit dieser Beschlüsse zu überprüfen. Jeder solcher Beschluß eines Rayon-, Stadt- oder Gebietekomitees bzw. eines Zentralkomitees einer nationalen Kommunistischen Partei ist unbedingt in der Presse zu veröffentlichen. Es wird festgelegt, daß die Parteiorgane bei der Wieder­aufnahme von Parteimitgliedern, die von den örtlichen Parteiorganisationen zu Unrecht ausgeschlossen wurden, ver­pflichtet sind, in ihren Beschlüssen genau anzugeben, wel­ches Rayon- oder Stadtkomitee der KPdSU (B) dem Wiederaufgenommenen die Parteidokumente auszuhändigen hat. Die Rayon- und Stadtkomitees der Partei werden verpflich­tet, den Wiederaufgenommenen unverzüglich die Parteidokumente auszuhändigen, sie zur Teilnahme an der Parteiarbeit heranzuziehen und allen Mitgliedern der Grundorganisationen klarzumachen, daß sie für die bolschewistische Erziehung der in die KPdSU (B) Wiederaufgenommenen verantwortlich sind. Die Parteiorganisationen werden verpflichtet, Personen vor der Partei zur Verantwortung zu ziehen, die sich der Verleumdung von Parteimitgliedern schuldig gemacht haben, diese Parteimitglieder völlig zu rehabilitieren und in den Fällen ihre Beschlüsse in der Presse zu veröffentlichen, in denen vorher diskreditierendes Material über diese Par­teimitglieder erschienen war. Den Parteiorganisationen wird verboten, den Ausschluß eines Kommunisten aus der Partei vor der Überprüfung der Berufung und vor dem Zustandekommen eines endgültigen Be­schlusses über den Ausschluß in die Registrierkarte einzu­tragen. Die falsche und schädliche Praxis, die aus der KPdSU (B) Ausgeschlossenen sofort aus ihrer Arbeit zu entlassen, wird verboten. Es wird angeordnet, daß in all den Fällen, in denen es sich im Zusammenhang mit dem Ausschluß aus der KPdSU (B) als notwendig erweist, den Funktionär seiner Stellung zu entheben, diese Entlassung nur vorgenommen werden kann, nachdem ihm eine andere Arbeit nachgewiesen wurde. Die Gebiets- und Regionskomitees sowie die Zentralkomitees der nationalen Kommunistischen Parteien werden ver­pflichtet, über die entsprechenden Sowjet- und Wirtschaftsorgane dafür zu sorgen, daß die aus der KPdSU (B) Ausgeschlos­senen bis spätestens 15. Februar 1938 eine Arbeit aufnehmen, und in Zukunft nicht mehr zu dulden, daß aus der KPdSU (B) Ausgeschlossene ohne Arbeit bleiben. „Prawda“ Nr. 19, 19. Januar 1938; Quelle: Die Kommunistische Partei der Sowjetunion und Resolutionen und Beschlüssen der Parteitage, Konferenzen und Plenen des ZK. Band IX, Berlin 1957. Anmerkungen (Quellennachweise) 1.) Leo Trotzki: Mein Leben. Versuch einer Autobiographie. Berlin 1990, S. 521 - 530. 2.) Ebd. S. 521. 3.) Ebd. S. 522. 4.) Ebd. 5.) Ebd. 6.) Ebd. 7.) Ebd. 8.) Ebd. S. 523. 9.) Siehe Kurt Gossweiler: Betrachtungen zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt von 1939. In: Kurt Gossweiler: Wider den Revi-sionismus. München 1997, S. 167 - 191. 10.) Trotzki: Mein Leben, a.a.O., S. 523. 11.) Ebd. S. 524. 12.) Ebd. S. 525. 13.) Ebd. S. 527 f. 14.) Lenin: Brief an den Parteitag, 22. Dezember 1922. In: LW 36/579. 15.) Zu Bucharin siehe Ulrich Huar: Stalin als Theoretiker des Marxismus-Leninismus, Teil II-2, Beiträge zur politischen Ökonomie des Sozialismus. In: Schriften­reihe für marxistisch-leninistische Bildung der Kommunistischen Partei Deutschlands, Heft Nr. 86/II-2, Berlin, August 2002, S. 3 - 10. (im weiteren “Schriftenreihe...” genannt.). Der Bucharin-Biograph A.G. Löwy verweist darauf, daß es ihm unmöglich war, aus den ihm “zur Verfügung stehenden Quellen verläßliche Daten über Bucharins Leben zu entnehmen. In der westlichen Literatur fanden sich nur die widersprüchlichsten Angaben über seine Le-bensweise...”, so daß er das “erforderliche Quellenstudium” durch Gespräche aus dem persönlichen Bekanntenkreis Bucharins er-gänzen” mußte. Solche in Gesprächen er-worbenen Kenntnisse dürften nicht frei von Subjektivismus sein und sind nur mit Vorsicht zu berücksichtigen. A.G. Löwy: Die Welt-geschichte ist das Weltgericht. Leben und Werk Nikolai Bucharins. Wien 1990, S. 8. 16.) LW 26/464. 17.) Oh.L. Montesquieu: Vom Geist der Gesetze. Buch XIV - XVIII, hrsg. von K. Weigand. Stuttgart 1965, S. 221. 18.) Die Wahrheit über Stalin. Gespräch mit Richard Iwanowitsch Kosolapow. In: Schrif-tenreihe... Berlin, September, Heft Nr. 45 S. 23. Die Kommunistische Partei der Sowjetunion in Resolutionen und Beschlüssen der Parteitage, Konferenzen und Plenen des ZK, Band IX. Berlin 1957, S. 229 - 244. (im weiteren KPdSU in R. u. B. genannt.) 19.) Isaak Deutscher: Stalin. Eine politische Biographie. Berlin 1990, S. 377. 20.) Ebd. S. 378. 21.) LW 21/345. 22.) LW 23/52. 23.) Ebd. S. 74. 24.) Ebd. S. 92. 25.) Ebd. S. 356. 26.) LW 24/298 - 301. 27.) LW 25/358 und 369 f. 28.) LW 26/77. 29.) Ebd. S. 273. 30.) Ebd. S. 442 - 446, 471. 31.) LW 27/49. 32.) Ebd. S. 338. 33.) LW 29/42. 34.) Ebd. S. 330. 35.) LW 30/147. 36.) LW 31/391 und 393. 37.) Ebd. S. 405. 38.) Ebd. 427. 39.) LW 32/335. 40.) LW 33/488. 41.) Am 4. Juli 1917 ließ die Regierung Kerenski eine friedliche Demonstration von Arbeitern und Soldaten durch konterrevolutionäre Truppen zusammenschießen. Damit war die Möglichkeit eines friedlichen Übergangs der Macht an die Sowjets nicht mehr gegeben. Ab Juli herrschte eine konterrevolutionäre Militärdiktatur. Lenin setzte nunmehr den bewaffneten Aufstand, dessen Verbindung mit der Massen-bewegung der Arbeiter, Bauern und Soldaten, auf die Tagesordnung. Siehe hierzu Lenin: Die politische Lage, - Zu den Losungen, - Eine Antwort. LW 25/174 - 176, 181 - 139, 209 - 220. 42.) Siehe Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion in sechs Bänden. Bd. III, 1. Buch, Moskau 1971, S. 219. (im weitern GKPdSU/6 genannt). 43.) SW 3/161. 44.) Ebd. S. 159 f. 45.) VI. Parteitag der SDAPR (Bolschewiki). Protokolle. S. 104 f. russ. Zitiert nach GKPdSU/6, III/1, a.a.O., S. 217. 46.) Ebd. S. 219. 47.) SW 3/172 f. 48.) SW 6/323 - 339. Trotzkis Theorie der “permanenten Revolution” ist nicht zu ver-wechseln mit der Forderung von Marx und Engels “...die Revolution permanent zu machen” aus dem Jahre 1850 in Auswertung der europäischen Revolutionsperiode 1848 - 1850. Bei Marx/Engels heißt es: “...Während die demokratischen Kleinbürger die Revolution möglichst rasch und unter Durch­führung höchstens der obigen Ansprüche zum Abschluß bringen wollen, ist es unser Interesse und unsere Aufgabe, die Revolution permanent zu machen, so lange, bis alle mehr oder weniger besitzenden Klassen von der Herrschaft verdrängt sind, die Staatsgewalt vom Proletariat erobert und die Assoziation der Proletarier nicht nur in einem Lande, sondern in allen herrschenden Ländern der ganzen Welt so weit vorgeschritten ist, daß die Konkurrenz der Proletarier in diesen Ländern aufgehört hat und das wenigstens die entscheidenden produk­tiven Kräfte in den Händen der Proletarier konzentriert sind. Es kann sich für uns nicht um Veränderung des Privateigentums handeln, sondern nur um seine Vernichtung, nicht um Vertuschung der Klassengegensätze, sondern um Aufhebung der Klassen, nicht um Verbesserung der beste-henden Gesellschaft, sondern um Gründung einer neuen.” MEW 7/247 f. 49.) SW 6/327. 50.) Ebd. S. 324 f. 51.) Ebd. S. 327. Hervorhebungen im Original. 52.) Ebd. S. 329. 53.) Ebd. S. 331. 54.) Ebd. S. 332. 55.) Ebd. S. 334. 56.) Ebd. 57.) Ebd. S. 334 f. 58.)Ebd. S. 336. 59.) Ebd. 60.) SW 7/14. 61.) Ebd. S. 14 f. Stalin ließ in diesem Brief den folgenden Satz Lenins weg, den ich hier vollständig zitiere: “Das ist noch nicht die Errichtung der sozial­istischen Gesellschaft, aber es ist alles, was zu dieser Errichtung notwendig und hinreichend ist.” LW 33/454. In der Polemik gegen Trotzki im Mai 1925 zitiert Stalin diesen Passus dann vollständig. SW 7/100. 62.) SW 7/15 f. 63.) Ebd. S. 94 - 104. 64.) Ebd. S. 96. 65.) Ebd. S. 96 f. 66.) Ebd. S. 98 - 101. 67.) Ebd. S. 101. (Lenin, Werke, 4. Aus-gabe, Bd. 27, S. 336. russ. In der deutschsprachigen Ausgabe konnte ich dieses Zitat nicht finden.) 68.) Ebd. S. 102. 69.) SW 8/10 - 81. 70.) SW 6/62 - 166. 71.) SW 8/54 und SW 6/94 f. 72.) SW 8/55. 73.) Ebd. S. 55 f. 74.) Ebd. S. 59 - 61. 75.) Ebd. S. 63. Siehe die KPdSU in R. u. B., a.a.O., V/250. 76.) SW 8/64 - 66. 77.) Ebd. S. 192 - 208. 78.) Ebd. S. 194 f. 79.) Ebd. S. 197. 80.) Ebd. S. 247. 81.) Ebd. S. 248. 82.) Ebd. S. 249. Pompadour: Typus eines bornierten und starrsinnigen Provinz­gewaltigen aus dem Werk des russischen Satirikers Saltykow-Schtschedrin “Die Pompadoure und ihre Damen.” 83.) MEW 7/97. 84.) MEW 19/111. Es empfiehlt sich, den ganzen Brief zu lesen, S. 107 - 112. 85.) MEW 18/663 - 674. 86.) Ebd. S. 674. 87.) Ebd. S. 667. 88.) MEW 7/19 f. 89.) SW 8/250. 90.) Die KPdSU in R. und B., a.a.O., Bd. IV., S. 263. 91.) Ebd. Bd. V., S. 171. 92.) Deutscher, a.a.O., S. 209 f. 93.) SW 8/262. 94.) Die KPdSU in R. und B., a.a.O., Bd. IV, S. 246. 95.) SW 8/264. 96.) Ebd. S. 279. 97.) Ebd. 98.) Siehe Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. In: LW 22/189 - 309. 99.) SW 8/281. 100.) SW 8/283 101.) LW 21/409. 102.) SW 8/284 f. 103.) LW 9/74, 75, 87, 90. 104.) SW 8/292 - 297. 105.) Ebd. S. 297 - 313. 106.) Ebd. S. 297. 107.) Ebd. S. 293 f. 108.) Ebd. S. 299 - 301. 109.) Ebd. S. 301. 110.) Ebd. 111.) Ebd. S. 302. 112.) Ebd. S. 302 f. 113.) Ebd. S. 303. LW, 4. Ausgabe, Bd. 21, S. 381 f. russ. In der deutschsprachigen Ausgabe der Lenin-Werke habe ich diesen Artikel nicht gefunden. Er muß dem Kontext nach 1915 geschrieben worden sein. 114.) SW 8/304. Die KPdSU in R. und B., a.a.O., Bd. V., S. 250 f. Das Leninzitat siehe 2.2.1. Lenins Theorie vom Sozialismus in einem Land. 115.) SW 8/313 - 315 116.) Ebd. S. 316. 117.) Ebd. Siehe GKPdSU/6, a.a.O., Bd. IV/1, S. 387 - 396. Siehe Trotzkis Brief an die Oppo-sitionellen, September 1926. - Anlage zum stenographischen Proto­koll der Sitzungen des Politbüros vom 8. und 11. Oktober 1926. 118.) Ebd. S. 391. 119.) Ebd. S. 389. 120.) Ebd. S. 393. 121.) Ebd. S. 396. 122.) SW 9/3 - 132. 123.) Ebd. S. 3 f. 124.) Ebd. S. 7 125.) Ebd. S. 8., MEW 35/374. Der Brief von 1885 in MEW 36/365. 126.) SW 9/18 - 20. 127.) Ebd. S. 22. 128.)Ebd. S. 24. 129.) GKPdSU/6, a.a.O., Bd. IV/1, S. 518 und 519. 130.) SW 9/33. 131.) Ebd. S. 44. 132.) Ebd. S. 45. 133.) Ebd. S. 47. 134.) Ebd. S. 48. 135.) Ebd. S. 49. 136.) Ebd. S. 114. 137.) Ebd. 138.) Ebd. S. 127. 139.) Ebd. S. 127 und 128. 140.) Ebd. S. 128. 141.) Ebd. S. 129 f. Siehe auch GKPdSU/6, Bd. IV/1, S. 512 - 522. 142.) Ebd. S. 517. 143.) Deutscher, a.a.O., S. 379. 144.) Ebd. 145.) SW 6/290 - 319. 146.) Ebd. S. 312. 147.) Ebd. S. 313. 148.) Ebd. S. 315. 149.) Ebd. S. 316. 150.) Ebd. S. 317. 151.) Ebd. Siehe Leo Trotzki: Über Lenin. Essen. Arheiterpresse, 1996, S. 112 f.; Die Kritik Stalins an diesem Buch ist noch sehr zurückhaltend. Lenin werden von Trotzki Äußerungen unterstellt, die er nicht belegen kann. 152.) SW 6/317. 153.) Ebd. S. 318. 154.) SW 7/306 - 340. 155.) Ebd. S. 330. 156.) Ebd. S. 333 f. 157.) Ebd. S. 339. 158.) Siehe Vereinigtes Plenum des ZK und der ZKK der KPdSU (B), 29. Juli - 9. August 1927. In: SW 10/3 - 74. 159.) Fremdwörterbuch des VEB Biblio-graphisches Institut, Leipzig 1954.; Friedhelm Hübner: Fremdwörterbuch. Deutsche Bibli-othek. (Bassermann-Ratgeber) Niederhausen/Ts. 1995. 160.) SW 10/46. 161.) Ebd. S. 47. 162.) Ebd. S. 51 f. 163.) Ebd. S. 72 f. 164.) Ebd. S. 133 - 145. 165.) Ebd. S. 138. 166.) Ebd. S. 141. 167.) Ebd. 168.) LW 36/577 - 596. Auf diese Briefe wurde bereits in dem Heft “Stalins Beiträge zur Theorie der nationalen Frage”, Schriftenreihe für marxistisch-leninistische Bildung der Kommunistischen Partei Deutschlands, Heft 86/1, Juni 2002, S. 33 und in “offensiv”, Zeitschrift für Frieden und Sozialismus, Heft 5/2002, S. 30 verwiesen. 169.) LW 36/580. 170.) Ebd. S. 578 und 580. 171.) A.G. Löwy: Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Leben und Werk Nikolai Bucharins, Wien 1969/1990, S. 193. 171 a.) Die Wahrheit über Stalin, Gespräch mit R.I. Kosolapow. Schriftenreihe..., a.a.O., S. 13 f. 172.) LW 36/579. 173.) Ebd. 174.) SW 10/150 f. 175.) Ebd. S. 151. 176.) Ebd. S. 153. 177.) Ebd. S. 155. 178.) LW 32/246. 179.) Ebd. S. 248. Dieser Absatz wurde auf Beschluß des Parteitages nicht veröf­fentlicht. Erst auf der XIII. Konferenz der KPR (B) am 17. Januar 1924 wurde er veröffentlicht. KPdSU in R. u. B., a.a.O., Bd. IV, S. 270. 180.) SW 11/280 - 284. Es handelt sich um eine Erstveröffentlichung, zu der kein Datum und kein Ort angegeben ist. 181.) Ebd. S. 260 f. 182.) KPdSU in R. u. B., a.a.O., Bd. VI, S. 331f. 183.) Ebd. Bd. VII, S. 96 f. 184.) SW 11/281 ff. 185.) Ebd. S. 283. 186.) Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Moskau 1959) Berlin 1960, S. 611. 187.) GKPdSU/6, Bd. IV/2, S. 296. Hier wird nur von “Umtrieben feindlicher Kräfte” gesprochen.; Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Moskau 1969) Berlin 1971, S. 535. Hier ist nur von einem Einzeltäter die Rede, der “erfüllt war von Feindschaft und Haß gegen die Partei und ihre leitenden Funktionäre, die konsequent die auf den Sieg des Sozialismus gerichtete Generallinie der Partei verfolgten.” Nach dieser Lesart hatte Stalin wohl mit der “Generallinie” nichts zu tun!? 188.) Geschichte der Kommunistischen Partei (Bolschewiki) Kurzer Lehrgang, 1938, Berlin 1946, S. 394 f. 189.) Siehe Schriftenreihe... Beiträge zur politischen Ökonomie das Sozialismus Heft Nr. 86 II - 2, Berlin, August 2002, S. 7 - 9 und S. 18 oder “Offensiv” Zeitschrift für Sozialismus und Frieden, 8/02, S. 41 - 44 und S. 50. 190.) SW 11/235. 191.) Ebd. S. 286. 192.) Ebd. 193.) Siehe Nikolai Bucharin: 1929 - Das Jahr des großen Umschwungs, Berlin 1991, S. 132 - 138. 194.) Ebd. S. 139 - 141. 195.) Ebd. S. 132 f. 196.) Ebd. S. 134. 197.) Siehe KPdSU in R. u. B., a.a.O., Bd. VII. S. 190 - 218. 198.) Ebd. S. 203. 199.) Siehe Über die rechte Abweichung in der KPdSU (B), In SW 12/1 - 95. 200.) Ebd. S. 32. 201.) Ebd. S. 33. 202.) Ebd. S. 39. 203.) Ebd. S. 54 - 56. Siehe auch Schriftenreihe... Beiträge zur politischen Ökonomie des Sozialismus, Heft 86/II - I, Abschn. III und IV. S. 20 - 47 oder “Offensiv”, a.a.O., S. 16 - 38. 204.) SW 12/270 f. 204 a). G.Le Bon: Psychologie der Massen, Stuttgart 1960, S. 102. Zit. nach W. Walther: Der andere Krieg, Leipzig 1983, S. 17. 205.) SW 14/132. 206.) Ebd. S. 136. 207.) Ebd. S. 138. 208.) Ebd. S. 140. 209.) Ebd. S. 210. 210.) Zitiert nach G.K. Shukow: Erinne-rungen und Gedanken, Bd. 1, Moskau 1969/Berlin 1970, S. 369 und 372. 211.) J.E. Davis: Als USA-Botschafter in Moskau. Authentische und vertrauliche Berichte über die Sowjetunion bis Oktober 1941. S. 210 und 211. Zürich 1943. 212.) SW 14/144 - 160. 212 a.) Siehe Anlage: Plenum des ZK der KPdSU (B), Januar 1938. 213.) SW 14/146 214.) LW 28/252 f.

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