Montag, 25. Juni 2012
Staatliche Tortur
Eine Studie über Geschichte und Gegenwart der Folter im »demokratischen« Spanien
Von Alexander Bahar
jungeWelt vom 24. Juni 2012 (auf Kommunisten-online am 24. Juni 2012) – Sie haben mir ihre Finger in die Augen gedrückt, dann hinter die Ohren; ich bekam harte Schläge auf den Rücken (…); als ich zu schreien begann, verstopften sie mir den Mund und hinderten mich zu atmen; sie quetschten meine Geschlechtsteile und schlugen meinen Kopf gegen die Wand, bis das Blut aus der Stirn die Wand beschmierte und sie davon abließen. Ich verlor jeglichen Sinn für die Zeit.«
Dies ist nicht der Bericht eines syrischen oder belorussischen Regimegegners. Mit diesen Worten beschrieb Fernando Elejalde die Mißhandlungen im Polizeipräsidium von Donostia, Sitz des Zivilgouverneurs der baskischen Provinz Gipuzkoa in Spanien. Elejalde war am 11. März 1997 verhaftet worden.
Der Fall Elejalde ist einer von vielen, die Xabier Makazaga in seiner beängstigenden Studie »Demokratie und Folter. Das Beispiel Spanien« anführt. Da sich der Zustand des Gefangenen unmöglich verheimlichen ließ, flüchteten sich die spanischen Autoritäten in die Behauptung, dieser sei bei einem angeblichen Fluchtversuch von einem Auto angefahren worden. Nachdem Elejalde die Folter bei einem Gericht in Donostia angezeigt hatte, demontierten Zeugen in der mündlichen Verhandlung die offizielle Version. Trotz aller Indizien legte der Richter die Ermittlungen zu den Akten, so daß es nicht einmal zu einem ordentlichen Prozeß kam.
Bekanntlich gehört das Messen mit zweierlei Maß zum Standardrepertoire der medial vermittelten Weltsicht im NATO-Imperium. Während die Mainstreammedien voll sind von Berichten über Menschenrechtsverletzungen in Staaten wie Syrien, der Ukraine oder Belarus, legen sie über vergleichbare oder gar schlimmere Verbrechen bereitwillig den Mantel des Schweigens, wenn es um mit dem Westen verbündete Diktaturen und Regime wie Saudi-Arabien, Usbekistan oder die Philippinen geht. Noch beredter wird ihr Schweigen, betreffen derartige Menschenrechtsverletzungen zentrale Mitgliedsstaaten des westlichen Bündnisses selbst.
Nach allgemeiner Auffassung ist die Folter im Spanien der Post-Franco-Ära mit dem Übergang zur Demokratie verschwunden. Berichte von Menschenrechtsgruppen zeichnen freilich ein ganz anderes Bild. Nach den von der landesweit tätigen Madrider Koordination zur Folterprävention C.P.T. veröffentlichten Berichten haben allein von 2001 bis 2009 mindestens 6310 Personen angezeigt, daß sie im polizeilichen Gewahrsam oder Gefängnis gefoltert bzw. mißhandelt worden seien.
Obwohl die Menschenrechtsgremien von UNO und EU sowie Organisationen wie Amnesty International alljährlich gegen die Folterungen in spanischen Gefängnissen protestieren, bestreiten Justiz und Politik in Post-Franco-Spanien hartnäckig alle Folter- und Mißhandlungsvorwürfe – selbst dann noch, wenn es einmal ausnahmsweise zu einem Strafprozeß kommt wie im Fall Elejalde. Durch den Skandal, den dieser Folterfall auslöste, sahen sich die spanischen Behörden dennoch zu gewissen Maßnahmen gezwungen: Der Zivilgouverneur mußte zurücktreten und der leitende Kommissar der Policia Nacional in Donostia wurde ausgetauscht. Elf Jahre später löste erneut ein Folterfall ein gewisses Pressecho aus. Am 6. Januar 2008 waren Igor Portu und Mattín Sarasola von der paramilitärischen Guardia Civil verhaftet worden. Wieder folterten Beamte die beiden Verhafteten auf brutalste Weise, wieder leugneten Behörden selbst das Augenscheinlichste. Wie seinerzeit im Fall Elejalde eine konservative »Partido Popular«-Regierung tat nun die inzwischen regierende sozialistische PSOE alles, um die von ihr zu verantwortenden Mißhandlungen und Folterungen unter den Teppich zu kehren. Doch im Gegensatz zu 1997 wurde keine interne Untersuchung angeordnet. Innenminister Alfredo Perez Rubalcaba bestritt Mißhandlungen und Folter einfach: Die Vorwürfe von Portu und Sarasola seien dem »Handbuch der ETA für den Fall einer Verhaftung« entnommen. Ein solches »Handbuch« hatten die Behörden 1997 noch nicht zur Hand gehabt. Erstmals 2003 argumentierten sie, daß die »Behauptungen von Mißhandlungen und Folter in derart generalisierter Form eine gängige Methode der terroristischen Organisationen seien, um die Sicherheitskräfte zu diskreditieren und die Gunst der Bevölkerung zu gewinnen«, schreibt Makazaga. Das angebliche »Handbuch der ETA zur Verbreitung erlogener Foltervorwürfe« ist seither ein beliebtes Argument der spanischen Behörden, um auf Mißhandlungsvorwürfe von Menschen zu reagieren, die aufgrund des politischen Konflikts im Baskenland verhaftet wurden. Wie Xabier Makazaga anhand zahlreicher Zitate aus dem (im Unterschied zu anderen ETA-Texten) im Internet abrufbaren Dokument belegt, legen sowohl Stil und Sprache als auch die teils lächerlichen, teils unmöglich umzusetzenden Empfehlungen eine polizeiliche Autorenschaft nahe. Dennoch ist das ominöse Handbuch bis heute »das Hauptargument aller, die die Existenz der Folter in Spanien negieren«.
Kontinuität zu Franco
In Sachen Folter, so Makazaga, haben sowohl die konservative PP als auch die »sozialistische« PSOE »eine Kontinuität mit der Franco-Diktatur unter Beweis gestellt«. Die Partido Socialista Obrero Espanol (Spanische Sozialistische Arbeiterpartei) war von 1982 bis 1996 ununterbrochen an der Regierung und regierte erneut von 2004 bis 2011. Unter ihrer Ägide trieben zwischen 1983 und 1987 die »Grupos Antiterroristas de Liberación« (GAL), verdeckt agierende paramilitärische Gruppen, die als Todesschwadronen in Spanien und Frankreich aktiv waren und die Bekämpfung der baskischen Untergrundorganisation ETA zum Ziel hatten, ihr Unwesen. Die Kommandos waren für die Morde an 28 Personen verantwortlich, von denen nachweislich etwa ein Drittel keinerlei Beziehung zur ETA gehabt hatte. Die GAL-Gruppen wurden illegal von hohen Funktionären der spanischen Regierung während der Amtszeit des sozialistischen Ministerpräsidenten Felipe Gonzalez ins Leben gerufen. Sie wurden vom spanischen Innenministerium für den Kampf gegen die ETA geführt, finanziert und protegiert.
Wiederholt wurde die schleppende Arbeit der spanischen Justizbehörden bei Ermittlungsverfahren gegen Polizisten und Gefängnispersonal beklagt, auch von internationalen Gremien wie dem UN-Komitee gegen Folter oder dem UN-Sonderberichterstatter, ebenso die mangelhafte Ermittlungseffizienz der Justiz. In aller Regel werden die Verfahren nach einer gewissen Zeit von den Gerichten eingestellt. Falls aber eine Anzeige diese erste Hürde überwinden kann, vergehen durchschnittlich vier bis fünf Jahre, bis es zu einem rechtskräftigen Urteil kommt, wenn die Anzeige wegen Körperverletzung gestellt wurde. Bei Anzeigen wegen Folter, so der Autor, habe es zum Teil bis zu 20 Jahren gedauert, ehe es zu einem Prozeß kam.
In der ersten Hälfte der 1980er war die Anwendung von Folter in verschiedenen Justizverfahren nachgewiesen worden. Die Gewalt auf dem Polizeirevier mußte perfektioniert werden, schreibt Makazaga, damit die Spuren der Folter nicht weiter die Praxis der staatlichen Sicherheitskräfte verrieten. Die von Staaten wie den USA, Großbritannien und Frankreich exportierte Praxis moderner, »sauberer« Foltertechniken, die keine sichtbaren physischen Spuren beim Opfer hinterlassen, hielt auch in Spanien Einzug. Der Unterschied zwischen den heutigen und den früher angewandten Methoden springt ins Auge. Der von Makazaga zitierte Oriol Marti, der unter Franco und erneut nach der großen Razzia gegen die katalanische Unabhängigkeitsbewegung anläßlich der Olympiade in Barcelona 1992 gefoltert wurde, sagte: »Die Folterer (…) haben ihre Techniken verbessert, hinterlassen weniger sichtbare Spuren, lassen dich mehr und intensiver binnen kürzerer Zeit leiden. Die Folterer des Franquismus waren unbesonnene Draufgänger, die von heute benutzen eine Plastiktüte.«
Modernisierte Folter
Nach dieser »Modernisierung« der Mißhandlungen sind Folterprozesse gegen spanische Beamte laut dem Autor drastisch zurückgegangen. Seit dem »Schlüsseljahr« 1986 finden sich die Verantwortlichen der Folterungen nur noch ausnahmsweise auf der Anklagebank wieder, nur ein einziges Mal kam es zu einer Verurteilung. Zugleich erschweren die Richter die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen, indem sie dem Opfer die Beweispflicht für die Folter auferlegen, wohlwissend, daß die totale Kontaktsperre es extrem schwierig macht, Beweise aus diesem nicht einsehbaren Raum beizubringen.
Doch interne polizeiliche Dokumente belegen, daß nach wie vor – auf Anweisung von oben – gefoltert wird: Nach einer von dem Richter Grande-Marlaska angeordneten Razzia, bei der am 14. April 2010 zehn Personen verhaftet wurden, fand man ein internes Dossier der Guardia Civil. Xabier Makazaga schreibt: »Dort ist schwarz auf weiß nachzulesen, was eigentlich schon immer bekannt war: Sondereinheiten mit spezialisierten Beamten, deren Namen im Dossier codiert sind, sollen die baskischen Gefangenen illegalen Verhören unterziehen, um ›Erklärungen zu bekommen, die die vorliegenden juristischen Anschuldigungen bestätigen.‹ Mit anderen Worten: Geständnisse und Selbstbeschuldigungen.«
Xabier Makazaga: Demokratie und Folter - Das Beispiel Spanien. Assoziation A, Berlin/Hamburg 2011, 160 Seiten, 14,80 Euro
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