Sonntag, 21. Juli 2013

»Ohne Solidarität hätten wir nicht überleben können«

Gespräch mit Robert Meeropol. Über seine Eltern Ethel und Julius Rosenberg, über Justizmorde und die Rosenberg-Stiftung Interview: Peter Wolter Robert Meeropol wurde 1947 als Sohn der US-amerikanischen Kommunisten Ethel und Julius Rosenberg geboren, die am 19. Juni 1953 auf dem elektrischen Stuhl im US-Zuchthaus Sing Sing hingerichtet wurden. Er und sein Bruder Michael wurden später von dem Ehepaar Anne und Abel Meeropol adoptiert. Robert Meeropol lebt heute im US-Bundesstaat Massachusetts Das Interview erschien zuerst am 28.06.2008 in der Wochenendbeilage von junge Welt. Die US-Behörden hatten die Rosenbergs im Sommer 1950 verhaftet und mit konstruierten Beweisen beschuldigt, Atomspionage für die Sowjetunion betrieben zu haben. Zugleich hatten sie angeboten, auf die Todesstrafe zu verzichten, falls die Rosenbergs der Regierung die Namen von Genossen der KP preisgeben. Sie ließen sich nicht erpressen und gingen eher in den Tod, als zu Verrätern zu werden. Das Schicksal Ihrer Eltern, die am 19. Juni 1953 von der US-Justiz auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurden, hat damals Millionen Menschen in aller Welt bewegt – es war ein kaltblütiger Justizmord. Haben Sie jemals an Rache gedacht? Oder daran, daß die Verantwortlichen auf irgendeine Weise zur Rechenschaft gezogen werden? Als Teenager habe ich natürlich davon geträumt, daß es in den USA eine Revolution gibt. Ich träumte, die revolutionären Führer würden die Verantwortlichen für den Mord an meinen Eltern ermitteln und ich könnte darüber entscheiden, was mit ihnen geschieht. Ich träumte davon, sie an die Wand zu stellen und dann mit einer Maschinengewehrsalve niederzumähen. Mit 30 hatte ich eine andere Position dazu – ich war mittlerweile zu der Überzeugung gekommen, daß die Todesstrafe abgeschafft werden muß, auch im Fall der Leute, die meine Eltern umgebracht haben. Mein Wunsch nach der herkömmlichen Art von Rache hat sich später völlig aufgelöst, als ich den »Rosenberg Fund for Children« (RFC) gründete – das ist eine Stiftung, die den Kindern politisch verfolgter Eltern hilft. Meine heutige Position würde ich »konstruktive Rache« nennen. Die herkömmliche Variante der Rache ist für mich nicht mehr wichtig – die Mörder meiner Eltern haben ohnehin nicht mehr lange zu leben, falls sie nicht schon tot sind. Wie präsent ist in den USA heute noch die Erinnerung an die Hinrichtung der Rosenbergs? Was verbindet der »normale« Bürger damit? Wer jünger als 50 Jahre ist, verbindet wahrscheinlich gar nichts mehr damit, er hat höchstens mal in der Schule gehört, daß da mal zwei Atomspione hingerichtet wurden. Anders ist es in der Linken, da wird es sicher so manche junge Leute geben, die in ihrer politischen Lektüre auf diesen Fall gestoßen sind. Und auf der rechten Seite des politischen Spektrums finden sich bestimmt immer noch Menschen, die den Namen »Rosenberg« als Synonym für das Böse schlechthin empfinden. Sie waren gerade sechs Jahre alt, als Ihre Eltern ermordet wurden. Welche Erinnerung haben Sie an Mutter und Vater? Sie wurden kurz nach meinem dritten Geburtstag verhaftet. Ich habe daher nur vage Erinnerungen an ein glückliches und harmonisches Familienleben – ob das wirklich so war, kann ich nicht beurteilen. Konkreter im Gedächtnis geblieben sind die drei Jahre zwischen der Verhaftung meiner Eltern und ihrer Hinrichtung, da ich sie immer wieder einmal im Gefängnis besuchen konnte. Doch auch aus dieser Zeit sind nur einige Bruchstücke hängen geblieben, z. B. daß meine Mutter deutlich kleiner als mein Vater war oder daß ich im Besucherzimmer des Zuchthauses auf seinem Schoß saß. Sie haben ein jetzt auch in deutscher Sprache vorliegendes Buch darüber geschrieben, wie Sie dieses erschütterndes Erlebnis verarbeitet haben. Was hat Sie zu diesem Buch veranlaßt? Geschrieben habe ich es 2002, ein Jahr später, zum 50. Jahrestag der Hinrichtung, ist es erschienen. Ich wollte damit eine Reihe von Dingen erreichen: Zum einen die Geschichte meiner Eltern erzählen, zum anderen auch, wie es mir gelungen ist, das Trauma ihrer Hinrichtung zu überwinden und ins Positive zu kehren. Ich wollte auch die Geschichte erzählen, wie es zur Gründung des RFC kam. Und schließlich kam es mir darauf an, eine Art politisches Statement zu dem Attentat vom 11. September 2001 und der dadurch ausgelösten Entwicklung abzugeben. Natürlich ist das, was mir zugestoßen ist, irgendwie einzigartig – aber weniger Drastisches geschieht auch vielen anderen Menschen. Die Frage ist ja, wie wir darauf reagieren: Mit biblisch-zerstörerischer Rache oder konstruktiv, indem wir das Böse zum Guten wenden. Es gibt natürlich auch die Möglichkeit, einfach aufzugeben. Was Individuen zustößt, gilt natürlich auch für Länder – die USA z. B. haben nach dem 11. September den Weg der Rache beschritten. Ich wollte aber dazu beitragen, daß meine Landsleute dieses Ereignis durch das Prisma der »konstruktiven Rache« betrachten und aus dieser Erfahrung etwas Gutes machen. Ich weiß sehr wohl, daß diejenigen, die in meinem Land die Macht haben, das archaische Rachegefühl bewußt stimulieren. Sie nutzen die Situation zynisch aus, auch wenn sie vielleicht nicht einmal selbst glauben, was sie sagen. Wie es zu den Attentaten vom 11.September 2001 kam, ist immer noch umstritten. Viele Menschen glauben, daß die US-Regierung zumindest von den Plänen wußte. Andere meinen sogar, daß sie das Attentat selbst inszeniert hat. Was ist Ihre Meinung? Ich weiß darüber nicht mehr als andere, die sich mit diesem Attentat beschäftigt haben – die Leser der jungen Welt sind also in etwa derselben Lage wie ich. Was genau geschehen ist, weiß ich nicht. Ich bin von Beruf Anwalt, und im Jurastudium wurde mir beigebracht, daß man bei der Untersuchung eines Verbrechens den Täter in der Regel unter denjenigen findet, die davon ihren Nutzen haben. Und es ist offensichtlich, daß von diesem monströsen Verbrechen niemand mehr profitiert hat als US-Präsident George W. Bush und seine Spießgesellen. Wie würden Sie Bush charakterisieren? Er ist gefährlich. Nicht dumm, wie viele sagen, aber gerissen. Andererseits hat er auf der kognitiven Seite viele blinde Flecken, er weiß vieles überhaupt nicht, will es auch nicht wissen – ein Ignorant in vielfacher Hinsicht. Was ich eben über ihn sagte, beweist natürlich nicht, daß er und seine Leute die Täter sind – ich wollte lediglich andeuten, daß es Gründe für diese Annahme gibt. Möglicherweise, was auch wahrscheinlicher ist, war es so, daß es in der US-Regierung damals einige gab, die zumindest eine Ahnung davon hatten, was auf uns zukommen würde, daß sie aber nichts dagegen unternommen haben. Welche dieser Varianten richtig ist, weiß ich nicht – letztere klingt mir überzeugender. Ihr Buch und auch Ihre politische Aktivitäten sind nicht gerade schmeichelhaft für die US-Justiz. Wie reagieren die Behörden auf Sie? Gibt es Widerstand gegen Sie, gelten Sie als Staatsfeind? Ihre Strategie war immer, alles zu ignorieren, was mein Bruder Michael und ich unternommen haben. Das war auch so in den 70er Jahren, als wir versuchten, die Wiederaufnahme des Prozesses zu erreichen. Kann sein, daß die Behörden irgend etwas gegen uns unternommen haben – wir haben davon bisher jedoch nichts erfahren. Ich bin und bleibe jedenfalls das Kind meiner Eltern und somit bin ich für die Behörden nicht akzeptabel – gleich, was ich auch unternehme. Ich kümmere mich einfach gar nicht darum, ob mich Geheimdienste beobachten, wenn ich mich politisch engagiere, ich will nicht ständig argwöhnisch nach hinten über meine Schulter schauen. Alles, was wir bisher in der RFC gemacht haben, ist legal und völlig transparent. Ihr Onkel David Greenglass hat damals durch Falschaussagen nicht nur seinen Schwager Julius, sondern sogar seine eigene Schwester ans Messer geliefert, um die eigene Haut zu retten. Was hätten Sie ihm gesagt, wenn Sie ihm jemals begegnet wären? Ich habe ihn nie getroffen und will es auch nicht. Wenn ich ihm irgendwo begegnete, würde ich mich umdrehen und weggehen. Ich bin oft gefragt worden, warum ich ihn nicht zur Rede stelle, warum ich ihn nicht zwinge, zuzugeben, was er getan hat. Das wäre völlig sinnlos. Ihre Eltern waren Mitglieder der Kommunistischen Partei. Sehen Sie sich auch in dieser Tradition? Ich wurde in der Tradition der alten Linken erzogen, nicht zuletzt, weil meine Pflegeltern Abel und Anne Meeropol KP-Mitglieder waren. Sie sind irgendwann aus der Partei ausgetreten – aber ich glaube nicht, daß das politische Gründe hatte. Das war wohl eher aus Verantwortung für Michael und mich, sie wollten bessere Chancen haben, daß die Behörden unsere Adoption erlaubten. Ich wurde zum Kommunisten erzogen und als Teenager hätte ich mich sicher auch als ein solcher definiert. Nicht in der Öffentlichkeit natürlich. Dann ging ich aber zum College, wo ich mich vorwiegend im Studentenverband »Students for a Democratic Society« (SDS) engagiert habe. Das heißt nicht, daß ich meine Sympathien für marxistische Theorie und kommunistische Prinzipien verloren hätte. Im Gegenteil, als Student habe ich mich viel intensiver als zuvor damit befaßt. Allerdings bin ich in dieser Zeit auch immer kritischer geworden gegenüber dem Organisationsprinzip kommunistischer Parteien, dem demokratischen Zentralismus. Und je älter ich wurde, desto weniger wurde mein Denken von Ideologie geprägt. Heute habe ich das Gefühl, daß ich viel mehr weiß als früher – und daß ich zugleich immer weniger Antworten auf meine Fragen finde. Was ich auf gar keinen Fall will, das weiß ich aber genau: den Kapitalismus. Er ist nicht akzeptabel und nicht haltbar, weder in sozialer, noch in militärischer noch in ökologischer Hinsicht. Im Scherz habe ich hin und wieder gesagt, daß ich heute rosa und grün bin. Ich sehe mich in der Tradition des Helden der amerikanischen Revolution Thomas Paine, der sagte, er sei ein Bürger der ganzen Welt und seine Religion bestehe darin, Gutes zu tun. Diesem radikalen Prinzip fühle ich mich verpflichtet. Die Solidarität US-amerikanischer Kommunisten hat Sie und Ihren Bruder vor dem Waisenhaus bewahrt. In welcher Weise hat diese Hilfe dazu beigetragen, daß Sie Ihren eigenen politischen Weg gefunden haben? Ohne diese Hilfe hätten Michael und ich nicht überleben können. Die Genossinnen und Genossen haben zwar nicht das Leben meiner Eltern retten können – wohl aber das von Michael und mir. Und das ist ein wichtiger Teil der Geschichte, die ich in meinem Buch erzähle. Das ist auch zugleich das Modell für die Arbeit des RFC. In den USA erleben wir seit einigen Jahren, wie die Rechte immer stärker wird – in einer solchen Situation darf die Linke sich nicht untereinander verfeinden. Ich versuche jedenfalls immer, das Einigende in den Vordergrund zu stellen und das Trennende so klein wie möglich zu halten. Der RFC dient der Unterstützung von Kindern, deren Eltern – wie Sie selbst – politisch verfolgt wurden. Was hat die Stiftung bisher erreicht? Zunächst müssen wir Geld sammeln, bevor wir es verteilen können. Seit 1990 haben wir mehr als drei Millionen Dollar ausgegeben, den größten Teil davon in den vergangenen acht Jahren. Damit haben wir Hunderten Kindern aus den verschiedensten Bewegungen und Strömungen geholfen. Welcher Art ist die Hilfe? So elementare Dinge wie Ernährung, Wohnung usw. können wir nicht finanzieren, das wäre angesichts der beschränkten Mittel der Stiftung viel zu teuer. Wir geben Zuschüsse für die Ausbildung der Kinder – auch Stipendien –, bezahlen Therapien oder finanzieren den Aufenthalt in linken Sommercamps. Wir organisieren auch, daß Kinder ihre Eltern im Gefängnis besuchen können. Dabei achten wir immer darauf, daß wir diese Kinder nicht ins Rampenlicht rücken. Sind das vorwiegend US-amerikanische Kinder oder auch aus anderen Ländern? Es sind größtenteils Kinder aus den USA. Wir können uns natürlich nicht um die ganze Welt kümmern, wir müssen unseren Wirkungskreis schon allein aus finanziellen Überlegungen heraus beschränken. Bemüht sich die Stiftung auch um finanzielle Unterstützung aus dem Ausland, aus Deutschland zum Beispiel? Was könnten Leser der jW beitragen? Wenn jemand einen Beitrag leisten will, findet er die entsprechenden Kontoverbindungen auf rfc.org," target=»_blank«>rfc.org, das ist die Homepage der Stiftung. Allerdings habe ich meine Probleme damit, z. B. bei linken Bewegungen in Europa Geld zu sammeln, das dann in den USA ausgegeben wird. (lacht) Ich möchte das nicht gerade Imperialismus nennen – aber ich habe da eben meine Vorbehalte, denn auch in anderen Ländern ist es nötig, Kindern politischer Gefangener zu helfen. Die ideelle Grundlage unserer Stiftung beruht übrigens teilweise auf den Erfahrungen der südafrikanischen Bewegung African National Congress (ANC), der zur Zeit der Apartheid in ähnlicher Weise politisch verfolgte Familien unterstützt hat. Aus den USA sind vor allem zwei politisch motivierte Justizmorde bekannt. 1927 wurden die aus Ita­lien stammenden Anarchisten Nicola Sacco und Bart Vanzetti umgebracht. Der zweite Fall war der Ihrer Eltern. In den 70er Jahren scheiterte der geplante Justizmord an Angela Davis an der Empörung und der Solidarität, die sich weltweit entwickelte. Noch nicht gescheitert ist der Versuch, den schwarzen Bürgerrechtler Mumia Abu-Jamal zu ermorden, der seit zwei Jahrzehnten in der Todeszelle sitzt. Was muß aus Ihren Erfahrungen heraus für ihn getan werden? Ich glaube, auch bei Mumia ist die internationale Solidarität der Grund, daß er noch nicht hingerichtet wurde. Alle, die etwas für ihn getan haben – ob Protestunterschrift, Teilnahme an einer Demonstration oder Geldspenden für seine Anwälte – haben dazu beigetragen. Seine Situation ist jetzt aber sehr schwierig geworden. Nach einer im März ergangenen Gerichtsentscheidung sieht es so aus, daß er möglicherweise nicht hingerichtet wird, aber für den Rest seines Lebens im Gefängnis sitzen muß. Damit hätte Mumia ein ähnliches Schicksal wie der US-amerikanische Indianerführer Leonard Peltier, der wegen zweier Morde, die er nicht begangen hat, seit 1977 in Haft ist. Wie auch immer – die Solidarität mit Mumia darf nicht nachlassen, wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um ihn aus dem Gefängnis herauszubekommen. Zu Beginn unseres Gesprächs hatten Sie erwähnt, daß Sie als Jugendlicher auf die Revolution in den USA gehofft hatten. Hoffen Sie immer noch? Nicht nur die USA, sondern die gesamte Welt braucht eine grundlegende Transformation. Das jetzige politische System ist nicht überlebensfähig. Leider sehe ich noch keine Anzeichen für eine solche Transformation, wohl aber viele Gebiete, auf denen wir kämpfen müssen. Eines davon ist die ökologische Katastrophe, vor der wir stehen. Und es ist leider noch nicht absehbar, welche politischen Katastrophen auf uns warten. Robert Meeropol: Als die Regierung entschied, meine Eltern umzubringen. Der Fall Rosenberg – Ein Sohn erzählt. Zambon-Verlag, ISBN 978-3-88975-152-2, 381 Seiten, 15 Euro Meeropol berichtet in dem Buch über seinen jahrzehntelangen Kampf, seine Eltern zu rehabilitieren. Er konzentrierte seine Anstrengungen schließlich auf die Gründung des »Rosenberg Fund for Children«, eine Stiftung, die in den USA Kinder politisch verfolgter Eltern unterstützt.

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