Samstag, 22. Februar 2020

Gebührenordnung der Bundespolizei macht Demonstrieren und zivilen Ungehorsam zur Preisfrage


Dossier

Polizeikessel bei der blockupy-Demo“… Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat das Bundesinnenministerium (BMI) noch etwas hinzugefügt: eine Strafe vor der Strafe. In einer im Oktober in Kraft getretenen Verordnung wurde festgelegt, dass sie für die nicht bestellte Polizeidienstleistung auch noch zahlen müssen. Die Identitätsfeststellung: 53,75 Euro. Die Anordnung zur Gewahrsamnahme: 74,15 Euro. Eine Viertelstunde Fahrt auf die Wache: 15,69 Euro. Erkennungsdienstliche Behandlung mit Fotos und Fingerabdrücken: 59,50 Euro. Jede Viertelstunde in Gewahrsam: 6,51 Euro. Für einen stinknormalen Polizeieinsatz soll man also eine hohe dreistellige Summe auf den Tisch legen, noch bevor der Rechtsstaat über ihre Schuld befindet und die eigentliche Strafe verhängt. Fast verwunderlich, dass man nicht noch 10 Cent für jede angefallene Seite Papier berappen muss. „Besondere Gebührenverordnung des BMI“ externer Link nennt sich diese Schikane. Zur Kasse gebeten werde soll, wer vorsätzlich oder fahrlässig eine „Gefahrenlage“ schafft. Blöd nur, dass der Großteil von Strafrechtsverstößen unter diese Kategorien fällt. (…) Dass die Bundespolizei nun aber ihre ureigensten Tätigkeiten, die die BürgerInnen mit ihren Steuer schon längst finanziert haben, mit einem zusätzlichen Preisschild versieht, ist als Ausuferung eines repressiven Polizeistaats zu verstehen…” Artikel “Bezahlte Repression: Gebühren für Maßnahmen der Polizei” von Erik Peter am 04. Februar 2020 in der taz online externer Link, siehe dazu:
  • Schrittweise Aushöhlung der Freiheitsrechte: Bundesinnenminister plant Ausweitung der Befugnisse der Bundespolizei und Einschränkungen des Versammlungsrechts durch Gebührenverordnung New
    “… Staatsbürgerliches Engagement könnte ab sofort teuer werden. Mit der Einführung der neuen Gebührenverordnung der Bundespolizei wären auch Einschränkungen des Versammlungsrechts möglich. Identitätsfeststellungen, Platzverweise, Anordnung von Gewahrsamnahme und viele weitere Tätigkeiten, die der Steuerzahler sowieso schon bezahlt, sollen seit Oktober 2019 mit zusätzlichen Gebühren belegt werden. Für einen normalen Polizeieinsatz können Bürgern nun hohe dreistellige Summen in Rechnung gestellt werden. Teilnehmer politischer und anderer Versammlungen könnten aus Furcht vor hohen Zwangsgeldern von der Wahrnehmung ihrer bürgerlichen Rechte abgeschreckt werden. Diese Strafgebühren werden ohne richterlichen Beschluss verhängt. Es liegt also im Ermessen der Bundespolizisten vor Ort, ob ein Einsatz “vermeidbar” gewesen wäre oder ein kostenpflichtiger Platzverweis für 88,85 Euro angebracht ist. Die Deutsche Polizeigewerkschaft DPolG verdeutlicht ihre Auffassung zu zivilem Ungehorsam und nicht genehmigten, bzw. verbotenen Protesten auf ihrer Internetseite. Sie verlangt über die bisherigen Gebühren hinaus sogar eine “Kostenbeteiligung” am gesamten Polizeieinsatz, der auch Hubschraubereinsätze und vieles mehr umfassen kann. Nicht thematisiert wird, dass auf diese Art und Weise Demonstrationsteilnehmer vollends ruiniert werden können. (…) Ein Berliner Anwalt rät jedem Betroffenen dazu, vor dem zuständigen Verwaltungsgericht Einspruch einzulegen und gegebenenfalls zu klagen. Wann die Gerichte tatsächlich über die Gebührenordnung urteilen werden, hängt vor allem davon ab, wann Klage erhoben wird – und das können sich oft nur diejenigen leisten, denen ausreichend Zeit und Geld zur Verfügung steht. Eine Chance könnte der Ausschuss für Menschenrechte der Vereinten Nationen sein, der momentan an einem Kommentar zum Schutz friedlicher Versammlungen arbeitet und Fachleute um Mitwirkung bittet. Im aktuellen Entwurf wird die Gefahr für die Versammlungsfreiheit durch die Verhängung von Zwangsgeldern laut Aussagen eines Kommissionsmitglieds noch nicht berücksichtigt. Die Deadline ist der 21. Februar 2020 und momentan gibt es noch keine diesbezügliche Eingabe deutscher Menschenrechtsorganisationen. Inwieweit die Vorgaben der UN-Menschenrechtskommission bindend sind, ist allerdings umstritten.” Beitrag von Hans Weinert vom 19. Februar 2020 bei Telepolis externer Link
  • Einschränkung von Bürgerrechten durch die Hintertür 
    Die von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt eingeführte Gebührenordnung der Bundespolizei wird jetzt umgesetzt. Demonstrieren und ziviler Ungehorsam könnten nun teuer werden. (…) In NRW werden aufgrund der neuen Verordnung nun erste Zahlungsaufforderungen verschickt. Eine Frau soll 550,- € zahlen externer Link, weil sie ihren Koffer auf dem Düsseldorfer Hauptbahnhof unbeaufsichtigt ließ. Sie wurde erst nach 30 Minuten ausfindig gemacht, als schon großräumig um das Gepäckstück abgesperrt war. Die Bundespolizei ist zwar hauptsächlich an Bahnhöfen und Flughäfen tätig, wird aber auch auf Anfrage der Bundesländer bei Demonstrationen eingesetzt externer Link. Die Zwangsgelder werden ohne richterlichen Beschluss festgelegt. Es besteht die Gefahr, dass auch Demonstranten, denen Platzverweise erteilt werden, von nun an mit empfindlichen Strafen belegt werden. Ausübung des Demonstrations-, Versammlungsrechts oder ziviler Ungehorsam könnten so unter Umständen existenzgefährdend werden. Die Gebühren werden auf Leistungen erhoben, die der Steuerzahler sowieso schon finanziert. Der Abtransport von Betrunkenen musste auch bisher schon zusätzlich bezahlt werden. So kostet ein Aufenthalt in der Ausnüchterungszelle je nach Bundesland über 200 Euro plus Fahrtkosten. Dass jetzt darüber hinaus zusätzliche Gebühren für ureigene Tätigkeitsbereiche der Bundespolizei erhoben werden, lässt aufhorchen. Denn es scheint weniger um die Aufbesserung der Staatskasse, als um Repressionen zu gehen. Schon jetzt zahlt der Staat sehr viel mehr Geld für Zwangsunterbringungen in Gefängnissen derjenigen, die nicht zahlen können, als von den Inhaftierten hätte gezahlt werden müssen…” Artikel von Hans Weinert vom 11. Februar 2020 bei telepolis externer Link
  • Demonstrationsrecht nach Kassenlage: »Für Betroffene nicht kalkulierbar«. Gebührenverordnung kontra Versammlungsfreiheit: Wenn Festgenommene für Polizeimaßnahmen zahlen“… Neu ist, dass demnach erstmals auch die Bundespolizei nach dem Bundesgebührengesetz abrechnet und nicht wie bisher nach dem Vollstreckungsgesetz, wenn sie zum Beispiel eine Straße räumt und einen Verwaltungsakt mit unmittelbarem Zwang vollstreckt. Das war zwar schon immer kostenpflichtig. Bisher wurden aber Personalkosten als »Sowieso«- oder Fixkosten zum Beispiel nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Schleswig-Holstein 2015 nicht abgerechnet, sondern höchstens Extrakosten, wie die der Abnutzung von Werkzeugen wie Bolzenschneidern, wenn sich Demonstranten angekettet hatten. Durch die Gesetzesänderung können auch Personalkosten fällig werden; sie werden aber nicht zwangsläufig für das Wegtragen erhoben. [Wovon hängt das ab?] In den originären Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei gehören zum Beispiel Maßnahmen auf Bahngelände, wenn Demonstranten oder Fußballfans zu Großereignissen anreisen, und auf Flughäfen. Sonst ist die Bundespolizei nur in Amtshilfe für die Länderpolizeien tätig – dann gelten die Kostenübernahmeregelungen der jeweiligen Landesgesetze. Auch da gibt es schon immer Möglichkeiten, Polizeimaßnahmen in Rechnung zu stellen. Es wird auch teilweise davon Gebrauch gemacht. Aber das ist länderspezifisch sehr verschieden. In Sachsen wird zum Beispiel das Wegtragen explizit vom Gebührentatbestand ausgenommen. (…) Für tatsächlich rechtswidrig halte ich in der neuen Verordnung zum Beispiel die Gebührenerhebung von 59,50 Euro für die erkennungsdienstliche Behandlung zu präventiven Zwecken. Da würde man auch noch für das Informationsinteresse der Polizei bezahlen. (…) Nach der neuen Gebührenverordnung muss übrigens beim Wegtragen nach Dienstgruppen unterschieden werden – der mittlere Dienst ist billiger als der gehobene. Daraus ergibt sich bei ordnungsgemäßer Anwendung und Überprüfung eine individuelle Kennzeichnungspflicht: Es muss nachvollziehbar sein, welche Beamten beteiligt waren.” Interview von Claudia Wangerin in der jungen Welt vom 11.02.2020 mit Michael Plöse externer Link (im Abo) – Rechtsanwalt Michael Plöse vertrat u. a. die Initiative »Ende Gelände« bei Klagen gegen Demonstrationsverbote in Braunkohlerevieren
  • Siehe zum Thema auch am 05. Februar 2020: Wer alles gefährlich lebt im alltäglichen Polizeistaat? Zum Beispiel Bettler. Oder: Fußballfans. Oder Spatzen… und künftig „darf“ man dafür auch noch bezahlen…
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=162725

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