Selbstbesinnung - das ist es, was der deutschen Arbeiterklasse und darüber hinaus dem deutschen Volk not tut.
Selbstbesinnung auf die großen historischen Aufgaben, die sich aus dem völligen politischen und gesellschaftlichen Zusammenbruch durch die Konterrevolution vollzogen hat.
Diese Aufgaben sind im Grunde die gleichen, die Marx und Engels in ihren Werken aufzeigten, für die in Deutschland Bebel, Mehring, Karl Liebknecht , Rosa Luxemburg und Ernst Thälmann und in Rußland Lenin kämpften und starben.
Franz Mehring war einer der Großen in diesem Kampf. Er war das mahnende Gewissen der Partei und damit der Arbeiterklasse. Seiner gedenken anläßlich der 170. Wiederkehr seines Geburtstages heißt, der deutschen Arbeiterbewegung gedenken, die ihm so unendlich viel verdankt und die in ihrem Befreiungskampf so unendlich viel Opfer brachte.
Mehring war marxistischer Historiker und Pamphletist zugleich, der in bisher unerreichter Form vom Standpunkt der materialistischen Geschichtsauffassung an die Erforschung der Geschichte, besonders der deutschen Geschichte heranging und ihre wahren Triebkräfte bloßlegte. Schonungslos zog er gegen die idealistische Geschichtsklitterung der herrschenden Klasse und ihres professoralen Anhanges zu Felde. Was Marx in schöpferischer Kritik auf dem Gebiete der politischen Ökonomie geleistet hatte, daß vollbrachte Mehring auf dem Gebiete der Geschichtsschreibung. Scharfsinnig und mit ätzender Kritik zerstörte er die Legenden, die um die Befreiungskriege von bürgerlichen Historikern gesponnen worden waren.
Mehring war zugleich Literaturhistoriker. Sein einzig dastehendes Werk, die "Lessing-Legende“, seine kleine Schrift über Schiller, ein Lebensbild für Arbeiter - all diese gehören ebenso zu den besten Werken der marxistischen Literatur. In den großen Werken der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie schufen sie sich ein bleibendes Andenken. Er war der Herausgeber des vierbändigen Marx-Engels-Nachlasses und eines kleinen Werkes über “Deutsche Geschichte“.
Und noch kurz vor seinem Tode schenkte er uns seine wundervolle Marx-Biografie, die von der Zensur des deutschen wilhelminischen Staates anfangs arg zerstückelt, schließlich doch noch erlaubt wurde. Dieses Buch über Marx wird immer bleibenden Wert behalten.
Doch darin, daß Mehring ein wortgewaltiger, geistreicher Wissenschaftler war, erschöpft sich seine Bedeutung nicht. Er hatte in all seinen Werken und in seinem Leben die von Marx geforderte Einheit von Theorie und Praxis verwirklicht. Er setzte sich bis in das hohe Alter mit ganzem Herzen und flammender Begeisterung für die Sache des Proletariats ein, nahm an allen Wechselfällen der Geschichte der deutschen und der internationalen Arbeiterbewegung glühenden Anteil.
Wie Marx und Engels kam auch Mehring aus dem Bürgertum zur Arbeiterbewegung. Er wurde am 27. Februar 1846 in Schlawe (Pommern) als Sohn eines preußischen Offiziers geboren. Seine Mutter war adliger Herkunft. Über seine Jugendzeit schrieb er einmal selbst: “Aufgewachsen in dem engen geistigen Bannkreise hinter-pommerscher Kleinstädte mußte ich mich allzu lange von der lauteren Milch preußischer Vaterlandsliebe nähren, und noch in meinem Abiturientenaufsatz habe ich das famose Thema 'Preußens Verdienste um Deutschland' so gläubig behandelt, daß ich die erste Note erhielt.“
Es folgt die Studentenzeit in Berlin, wo er sich ganz dem Studium der Philosophie und der Geschichte widmete. Nach dem Erwerb des Doktorgrades an der Universität Jena war Mehring mehrere Jahre als Journalist an bürgerlichen Zeitungen tätig. Als Mitarbeiter des Demokraten Guido Weiß schrieb er von 1869 bis 1871 in der "Zukunft“ und von 1873 bis 1876 in der “Waage“ zahlreiche Artikel, die seine überragenden Fähigkeiten verrieten, wenn sie auch noch ganz und gar von bürgerlich-demokratischen Geist durchtränkt waren und ihn zeitweise in das Lager der Sozialistengegner trieben. Doch der junge Feuerkopf, ausgestattet mit glänzenden persönlichen Fähigkeiten, ausgerüstet mit dem philosophischen und geschichtlichen Wissen seiner Zeit, blieb dabei nicht stehen. Er machte Bekanntschaft mit Lasalles und später mit Marx' und Engels Werken.
Das Sozialistengesetz, dieser brutale Vergewaltigungsversuch Bismarcks an der aufstrebenden Arbeiterklasse, öffnete Mehring die Augen. Als Berliner Korrespondent, der Bremer Konservativen “Weserzeitung“ setzte er sich 1881 und 1882 für die verbotene Partei ein und griff kühn und unerschrocken Bismarcks Gewaltpolitik an. Von 1884 bis 1889 war er an der bürgerlichen “Berliner Volkszeitung“ tätig, seit 1885 als ihr Chefredakteur. Hier zeigte er sich bereits als Marxist, der mit der unvergleichbaren Schärfe seines Geistes und dem Rüstzeug der materialistischen Geschichtsauffassung viele Lanzen für die immer noch verbotene Sozialdemokratische Partei brach.
Mehring, der innerlich längst mit dem Bürgertum gebrochen hatte, vollzog diesen Bruch auch äußerlich, trat 1890 nach dem Fall des Sozialistengesetzes der Sozialdemokratie bei und wurde Redakteur der “Neuen Zeit“, dem wissenschaftlichen Organ der Partei. Er stand in der Folgezeit immer auf dem linken Flügel und war zusammen mit Rosa Luxemburg der schärfste Gegner des aufkommenden Revisionismus. Auf dem berühmt gewordenen Dresdner Parteitag im Jahre 1903, der eine scharfe Abrechnung mit den Revisionismus, unter anderem durch Bebel, brachte, war von seinen zahlreichen Gegnern eine Menge Material gegen ihn aus seiner bürgerlich-demokratischen Zeit zusammengetragen worden, um den scharfen unbequemen Kritiker mundtot zu machen. Diese Dinge sind heute längst Geschichte und unwesentlich geworden. Mehring war ein Mensch mit all seinen Vorzügen und Schwächen, der, vom Bürgertum kommend, als junger Journalist zunächst belastet war mit all den Bildungsvorurteilen seiner Klasse, und der sich erst im langen inneren Kämpfen der Selbstverständigung zum Marxisten durchringen mußte. Er war ein Mensch mit all seinen Fehlern und Schwächen, aber er war zugleich ein leidenschaftlicher Revolutionär, der das einmal erkannte Ziel nie mehr aus den Augen verlor, der dem Proletariat seine ganze Lebensarbeit, die Arbeit eines genialen und scharfsinnigen Marxisten widmete. Und was er im Vorwort zu seiner Biographie über Marx schreibt: “Meine Bewunderung wie meine Kritik... gilt dem großen Menschen, als daß ihm nichts Menschliches fremd sei ...“, das können wir auch von ihm selbst sagen.
Hervorragendes hat Mehring neben Engels als Marxist auf kriegswissenschaftlichen Gebiet geleistet. Im ersten Teil der "Lessinglegende"bringt er eine glänzende Analyse der wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen der Kriege Friedrichs des Großen. Er schreibt unter anderem über die Ursachen des Kriegsendes: „Wie der Dreißigjährige, so erstarb auch der Siebenjährige Krieg an der allgemeinen Erschöpfung: die Verwüstung Deutschlands nach dem einen wie dem anderen war-so bezeugt wenigstens König Friedrich - gleich groß.“ Nicht das Genie einzelner Feldherren, sondern die ökonomischen und sozialen Voraussetzungen eines Landes bestimmen, im Zusammenhang mit der geschichtlich-geographischen Gesamtsituation, die Kriegsstrategie und den Ausgang eines Krieges. Und was Mehring rückschauend für den Siebenjährigen Krieg nachwies, das entwickelte er später in einer ausführlichen Kritik zum dritten Band von Delbrücks “Geschichte der Kriegskunst“, die 1908 erschien. Er entwickelte im einzelnen die Formen eines modernen kommenden Krieges, die weitgehend bestimmt sind durch die vorhandenen ökonomischen und technischen Voraussetzungen. Wörtlich heißt es darin:“Insoweit haben die Bewunderer des modernen Militarismus ganz recht, wenn Sie sagen, ein mit scharfen und schnellen Schlägen geführter Krieg sei leichter zu tragen als ein Krieg, der sich ohne durchgreifende Entscheidung hinschleppe; ihre Torheit beginnt erst, wenn sie behaupten, die gewaltigen Rüstungen zu Land und zu Wasser, in denen heute alle großen Staaten wetteifern, seien die sicherste Bürgschaft für eine Niederwerfungsstrategie. Bei dem heutigen Zustand der internationalen Rüstungen kann keine Macht oder keine Koalition von Mächten darauf rechnen, eine andere Macht oder eine andere Koalition von Mächten mit überlegener Kraft nieder zu werfen. Sie sind alle darauf angewiesen, sich gegenseitig abzuwarten, freilich mit Mitteln der Zerstörung, die über die gesamte gesittete Welt noch ganz anders dahinfahren werden, wie der Peloponnesische Krieg über Griechenland oder der Dreißigjährige Krieg über Deutschland dahingefahren ist.“
Unterdessen sind zwei Kriege über Europa dahin gebraust. Beide in grauenhafter Weise bestätigend, was Mehring voraussagte. Ganz besonders gilt das für den hinter uns liegenden faschistischen Raubkrieg Hitlers. Bar jeder tieferen Einsicht in die ökonomischen und sozialen Zusammenhänge und ihrem politischen Überbau, versuchte er in einer Reihe von Blitzkriegen ganz Europa zu unterwarfen. Die
Wirtschaftsdiktatoren Deutschlands, die Schwerindustrie und das Finanzkapital hatten ihn vorher zu imaginärer Größe aufgepumpt. Der wahre Generalstab Hitler-Deutschlands saß an Rhein und Ruhr und hielt alle Fäden in der Hand, an denen die politischen Marionetten der Hitler, Göring, Goebbels und Konsorten tanzten. Es wurde ein grausiger Totentanz, angeführt vom “größten Feldherrn aller Zeiten“, der geradewegs in das verderben führte und zahlreiche Staaten Europas einschließlich Deutschlands an den Rand des Abgrunds brachte.
Während des Weltkrieges 1914 bis 1918 blieb Mehring seiner konsequenten marxistischen Gesinnung treu, wendete sich scharf gegen die Politik der Bewilligung der Kriegskredite durch die Partei. Er gehörte neben Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zu den Begründern der Spartakusbundes. Das kaiserliche Deutschland sah in ihm einen seiner gefährlichsten Gegner. Im August 1916 wurde Mehring in Schutzhaft genommen. Seine Wahl in den Preußischen Landtag befreite ihn 1917 wieder. Es war selbstverständlich, daß Mehring die Oktoberrevolution in Rußland begeistert begrüßte. Im Juni 1918 schrieb er an die Bolschewiki einen Brief, in dem es unter anderem hieß: “Ich schreibe diesen Brief, in dem ich einem Wunsche nachkomme, der wiederholt aus den Kreisen der Gruppe Internationale geäußert worden ist: Um unseren russischen Freunden und Gesinnungsgenossen zu sagen, daß wir mit Ihnen allen durch die Bande leidenschaftlicher und tiefster Sympathie verbunden sind.“
Mehring starb am 29. Januar 1919 wenige Tage nach der Ermordung Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.
Eduard Fuchs, der Verwalter seines literarischen Nachlasses, schrieb über seine letzten Tage: “Franz Mehring starb am Tote seiner Freunde Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg... Der Alte wollte nicht glauben, daß diese Tat hatte geschehen können. Als die Nachricht von dem bestialischen Meuchelmord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zu ihm traf, irrte er stundenlang in seinem Zimmer auf und ab ständig trieb es ihn umher, solange, bis der Greisenkörper erschöpft in den Lehnsessel sank. Aber er sprang immer sofort wieder auf, sobald er sich notdürftig erholt hatte, und von neuen begannen erst seine ruhelosen Wanderungen.
Es war erschütternd anzusehen, wie dieser große Geist noch im Absterben die höchste Kraft der Liebe und des Hasses in sich barg. Die Folgen dieser nächtlichen Wanderungen war eine starke Erkältung, aus der sich eine schwere Lungenentzündung entwickelte. Diesem Angriff war der alte, von der früheren Schutzhaft ausgemergelte Körper nicht mehr gewachsen.
Ein Kämpferleben im Dienste des Proletariats war zu Ende gegangen.
Auch um Franz Mehring trauert die deutsche und internationale Arbeiterbewegung. Mit ihm verlor sie einen ihrer besten.
Leben und arbeiten wir auch in seinem Geiste, im Geiste des wahrhaft revolutionären Marxismus!
Kämpfen wir als eine kommunistische Partei für ein wahrhaft demokratisches sozialistisches Deutschland!
Sonja Schmuck
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen