Dossier
“Viele Deutsche haben Flüchtlingen mit Bürgschaften geholfen, legal nach Deutschland zu kommen. Das Risiko schien überschaubar. Doch nun fordern Jobcenter teilweise viel Geld von den Bürgen, oft geht es um 10 000 Euro und mehr. Die Helfer fühlen sich im Stich gelassen. Eine Gesetzesänderung erlaubt es dem Staat, Bürger länger zur Kasse zu bitten. (…) Es ist die Zeit, als nur wenige Kontingentflüchtlinge nach Deutschland kommen, die Schrecken des Bürgerkriegs jeden Abend im Fernsehen laufen, der Druck auf die Politik steigt. Aufnahmeprogramme sollen den Druck verringern, die Bürgen kommen da gerade recht, ein paar Monate sollen sie einspringen, bis der Status der Flüchtlinge klar ist, betont die neue schwarz-grüne hessische Landesregierung. Auch das SPD-geführte Innenministerium von Nordrhein-Westfalen erklärt im April 2015: “Die Geltungsdauer einer entsprechenden Verpflichtungserklärung endet bei Beendigung des Aufenthalts oder der Erteilung eines Aufenthaltstitels” – jedoch nicht ohne darauf hinzuweisen, dass das Bundesinnenministerium unter Thomas de Maizière anderer Auffassung ist. Und diese andere Auffassung wird am 6. August 2016 Gesetz. Fast eine Million Flüchtlinge sind nach Deutschland gekommen, die große Koalition verschärft die Regeln für den Zuzug nach Deutschland: “Eine Verpflichtungserklärung erlischt nicht durch eine Änderung des Aufenthaltsstatus” heißt es nun im Paragrafen 68 des Aufenthaltsgesetzes – Verpflichtungen, die vor dem 6. August 2016 eingegangen wurden, enden nach drei, die anderen nach fünf Jahren…” Beitrag von Matthias Drobinski vom 28. August 2017 bei der Süddeutschen Zeitung online und neu dazu:
- Verwaltungsgericht weist Klagen von Flüchtlingsbürgen teilweise ab
“Sechs Klagen von Flüchtlingsbürgen hat das Verwaltungsgericht Gießen am Mittwoch entschieden. Den Klagen wurde zu einem geringen Teil stattgegeben. Das Jobcenter Gießen fordert in 214 Beischeiden insgesamt 900.000 Euro von Bürgen zurück. Das Verwaltungsgericht Gießen hat am Mittwoch erneut über Klagen von Flüchtlingsbürgen entschieden. Die 6. Kammer sei nach demselben Strickmuster verfahren wie bisher, sagte eine Gerichtssprecherin dem „Evangelischen Pressedienst“. Danach wurde den Klagen nur zu einem geringen Teil stattgegeben, soweit nämlich das Jobcenter auch die Kostenübernahme für die Kranken- und Pflegeversicherung verlangt habe. Dieser Anteil lag bei jeweils knapp zehn Prozent der geforderten Kosten. (6 K 353/17.GI. und 5 weitere) Die Bürgen hatten sich gegenüber Ausländerbehörden verpflichtet, für den Lebensunterhalt syrischer Flüchtlinge in Deutschland aufzukommen. Insgesamt verhandelte die 6. Kammer sechs Klagen. Die Bürgen wandten sich gegen Bescheide des Jobcenters Gießen. In allen Fällen erstreckten sich die Verpflichtungserklärungen trotz kleinerer Unterschiede im Wortlaut nach Auffassung der Kammer allein auf den Aufenthaltszweck…” Meldung vom 20. Dezember 2018 beim Migazin
- Flüchtlingsbürgen: Jobcenter zieht 45.000-Euro-Kostenbescheid zurück
“… Erneut ist ein Verfahren über Bürgschaften für Flüchtlinge zugunsten einer Bürgin ausgegangen. Eine Frau aus Bonn muss keine Sozialleistungen an das Jobcenter zurückzahlen, wie eine Sprecherin des Verwaltungsgerichts Köln dem „Evangelischen Pressedienst“ am Mittwoch sagte. Bei der Verhandlung habe das Jobcenter Bonn am Dienstag von sich aus den Kostenbescheid in Höhe von 45.000 Euro aufgehoben, sagte die Sprecherin. Zuvor habe das Gericht den deutlichen Hinweis gegeben, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin bei Abgabe der Verpflichtungserklärung nicht hinreichend geprüft wurde. (Az.: 5 K 2325/18) (…) Das Gericht habe dem Jobcenter empfohlen, vor weiteren Zahlungsbescheiden genaue Einzelfallprüfungen vorzunehmen, sagte die Gerichts-Sprecherin. (…) In einer zweiten am Dienstag verhandelten Klage von Flüchtlingsbürgen wird das Urteil nach Angaben des Gerichts schriftlich zugestellt. Hier sei es um eine Rückforderung des Jobcenters von rund 20.000 Euro Sozialleistungen für zwei Syrer gegangen, erklärte die Pressesprecherin. Der Fall sei ähnlich gelagert wie zwei Verfahren, die das Gericht Ende September zugunsten der Flüchtlingsbürgen entschieden hatte, sagte Osterhaus. (…) Zahlreiche Betroffene ziehen gegen die Kostenbescheide der Behörden vor Gericht. Beim Verwaltungsgericht Köln sind nach eigenen Angaben alleine 100 Klagen aus Bonn anhängig. An den Verwaltungsgerichten in Niedersachsen laufen derzeit 482 solcher Verfahren, wie eine Umfrage des „Evangelischen Pressedienstes“ ergab…” Beitrag vom 13. Dezember 2018 von und bei MiGAZIN
- Bürgschaften für Syrer: Petitionsausschuss setzt sich für Flüchtlingsbürgen ein
“… Der Petitionsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags setzt sich für Flüchtlingsbürgen ein, die Zahlungsaufforderungen von Behörden erhalten haben. Die Landesregierung solle sich dafür starkmachen, dass die Rechnungen bis zu einer »endgültigen politischen Lösung« ausgesetzt werden, heißt es in einem jetzt bekannt gewordenen Beschluss des Gremiums. Mit den zuständigen Behörden sollten »auf allen Ebenen« Gespräche in diesem Sinne geführt werden. Rüdiger Höcker vom Kirchenkreis Minden sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), er erwarte, dass die politisch Verantwortlichen endlich eine einvernehmliche Lösung vorlegen. Der Petitionsausschuss hatte in der vergangenen Woche in Düsseldorf über eine Eingabe von evangelischer Kirche und Initiativen aus Minden beraten. Der Ausschuss nehme die Zusage des NRW-Integrationsministeriums »wohlwollend zur Kenntnis«, sich gegenüber dem Bund für eine Lösung im Sinne der Flüchtlingsbürgen einzusetzen, hieß es. (…) Das jüngste Urteil des Verwaltungsgerichts Minden gegen eine Kirchengemeinde unterstreiche, wie dringend eine politische Lösung sei, erklärte der Petitionsausschuss. Das Gericht hatte am 8. August die Evangelische Kirchengemeinde Lübbecke zur Rückzahlung von 10.000 Euro an die Stadt Lübbecke verurteilt. Die Gemeinde hatte für eine 77-jährige Syrerin gebürgt, die nach ihrer Anerkennung Hilfe zur Grundsicherung im Alter bekommt.” Bericht von und bei neues Deutschland vom 24. August 2018
- Rechnungen von Sozialämtern und Jobcentern: Flüchtlingsbürgen sollen zahlen
“Personen, die für Flüchtlinge gebürgt haben, erleben teilweise eine böse Überraschung: Sozialämter und Jobcenter wollen rückwirkend die Lebenshaltungskosten von Flüchtlingen erstattet bekommen. In Bonn haben sich Betroffene zusammengeschlossen – es geht offenbar um Forderungen von bis zu 100.000 Euro. (…) Der Moderator des Abends leitet ein – und die Sorgen im Raum sind geradezu spürbar. Denn: Hier, an der Lukaskirche, geht es um viel Geld – und die Menschen, die heute gekommen sind, haben einst, vor allem in Jahren 2014, 2015 gebürgt. Für die Einreise von Flüchtlingen nach Deutschland. Fast alle hier haben offizielle Schreiben vom Amt dabei, sei es vom Jobcenter oder anderen Einrichtungen. Denn: Diese fordern nun Geld zurück. (…) Die Ursache für die nun aufkommende Unsicherheit liegt an einer Gesetzesänderung aus dem Jahr 2016: Die Große Koalition verschärfte damals die Regeln für den Zuzug nach Deutschland: “Eine Verpflichtungserklärung erlischt nicht durch eine Änderung des Aufenthaltsstatus”, heißt es seitdem in Paragrafen 68 des Aufenthaltsgesetzes. Verpflichtungen, die vor dem 6. August 2016 eingegangen wurden, enden nach drei, die anderen nach fünf Jahren. Im Januar 2017 wurde dies zudem vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt…” Beitrag von Moritz Küpper vom 10. Juli 2018 beim Deutschlandfunk – Da das BVerwG (vgl. BVerwG 1 C 10.16 vom 01.03.2017) nur anhand seiner nicht zwingenden Begriffdefinition des „Aufenthaltszwecks“ entschied, bleibt nach § 119 BGB die Entscheidung weiterhin mehr als fragwürdig. Erlaubt das Gesetz doch ausdrücklich eine Anfechtung wegen Irrtum – eben auch über den Inhalt der Begriffbestimmung von “Aufenthaltszweck” (laut Gericht in der Vereinbarung wörtlich: “bis zur Beendigung des Aufenthalts … oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck”) Doch das BVerwG hat nicht einmal seine kritikwürdige Interpretation mit Blick auf § 119 BGB überprüft, obwohl “anzunehmen ist, dass ” von den Bürgern niemand “bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles” – so das Gesetz – seine Willenserklärung für eine Bürgschaft so abgegeben hätte, wie das Gericht unterstellt.
- OVG Münster: Bürge muss nicht weiter für Flüchtlinge zahlen
“Ein Bürge muss nicht für Sozialleistungen eines syrischen Flüchtlings aufkommen, nachdem ihm Asyl gewährt wurde. Das entschied das Oberverwaltungsgericht Münster. Bisher hatten Gerichte unterschiedlich geurteilt. (…) Das Bundesverwaltungsgericht habe zwar grundsätzlich geklärt, dass ein Flüchtlingsbürge auch nach einer Anerkennung für den Lebensunterhalt der Flüchtlinge aufkommen müsse, erläuterte das Oberlandesgericht. Das Jobcenter habe jedoch bei seiner Forderung nicht die in diesem Fall maßgebliche Anordnung des rheinland-pfälzischen Integrationsministerium berücksichtigt. In zwei anderen Fällen hatte das Gericht am 8. Dezember entschieden, dass Bürgen aus Nordrhein-Westfalen auch nach der Anerkennung von syrischen Flüchtlingen weiter für ihren Lebensunterhalt haften müssen (AZ: 18 A 1040/16 und 18 A 1197/16). Allerdings müssten die Bürgen nicht für Kranken- und Pflegeversicherung aufkommen. In diesen Fällen gelte die Aufnahmeanordnung des NRW-Innenministeriums…” Meldung vom 22. Dezember 2017 beim Migazin zum Urteil AZ: 18 A 1125/16 (darin verlinkt)
- Rechtsstreit geht weiter: Gericht verhandelt erneut über Klagen von Flüchtlingsbürgen
“… Das Verwaltungsgericht Gießen verhandelt an diesem Dienstag erneut über Klagen von Flüchtlingshelfern, die Bürgschaften für syrische Kriegsflüchtlinge übernommen haben. Die Kläger wenden sich gegen Bescheide des Jobcenters Gießen, das entstandene Kosten von den Bürgen zurückfordert. (…) In anderen Bundesländern wurden dazu bereits Gerichtsurteile gefällt, die die Bürger zur Zahlung verpflichten. So entschied am Freitag das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster, dass, wer für Flüchtlinge gebürgt hat, auch nach deren Anerkennung für ihren Lebensunterhalt haften muss. Das Urteil fiel unter Verweis auf den die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes vom Januar dieses Jahres (BVerwG 1 C 10.16 ). (…) Laut dem Gießener Gericht sind die Kläger der Meinung, dass mit der Flüchtlingsanerkennung die Verpflichtungserklärungen erloschen seien. Durch die Gewährung von Asyl habe sich der Status der Flüchtlinge geändert. (…) Hintergrund der Streitereien vor den Gerichten sind unterschiedliche Rechtsauffassungen der Behörden. Im Kern geht es um eine Bestimmung im Aufenthaltsgesetz und die Frage, ob sich der Aufenthaltszweck der Flüchtlinge durch die Anerkennung des Asylstatus ändert – und damit die Bürgschaft endet…” Beitrag vom 12. Dezember 2017 von und bei Migration
- Innenministerkonferenz: Länder suchen Lösung für Flüchtlingsbürgen“Menschen, die für Flüchtlinge gebürgt haben, werden immer häufiger zur Kasse gebeten. Teilweise sollen die Bürgern mehreren Zehntausend Euro zahlen. Jetzt suchen die Bundesländer eine Lösung. Man können die Helfer nicht im Regen stehenlassen. (…) In Niedersachen fordern Kommunen, Flüchtlingsrat und Diakonie die Einrichtung eines Hilfsfonds des Landes für Bürgen. Privatpersonen und Institutionen hätten 2014 und 2015 auf Basis einer „problematischen Rechtsauffassung“ des Innenministeriums Bürgschaften für geflüchtete Syrer unterschrieben, erklärte der niedersächsische Städtetag am Freitag. Es dürfe nicht sein, dass wohlmeinende Bürger oder Kirchengemeinden Härten ausgesetzt würden, weil sie falsch beraten worden seien.” Beitrag vom 11. Dezember 2017 von und bei Migazin
- Bürgen von Flüchtlingen sollen Unsummen zahlen
“Flüchtlingspaten haben Syrern geholfen, sich legal vor dem Bürgerkrieg nach Deutschland zu retten – und mit ihrem Hab und Gut gebürgt. Nach einer Gesetzesänderung fanden Flüchtlingshelfer horrende Forderungen in der Post. Sind sie in den Mühlen einer zunehmend restriktiven Flüchtlingspolitik geraten? (…) [Ahmad] Tayeb bürgt mit seinem Hab und Gut für 37 Angehörige: Brüder, Schwestern und deren Kinder. Er ist nur einer von zahlreichen Flüchtlingshelfern, denen das örtliche Jobcenter in den letzten Wochen Kostenbescheide zustellte – zum Teil geht es um Forderungen von 100.000 Euro und mehr. (…) Im Vertrauen auf die Rechtsauffassung der Landesregierung gingen Tayeb, Thormeier und Hunderte weiterer Flüchtlingspaten davon aus, dass die Bürgschaft erlischt, sobald ihre Schützlinge als Flüchtlinge in Deutschland anerkannt sind – und damit in die Obhut des staatlichen Sozialsystems übergehen. Aus dem Innenministerium heißt es, man vertrete weiterhin die Auflassung, dass die Bürgschaft mit dem Tag der Anerkennung der Flüchtlinge enden müsse. Doch die Bundesregierung sah das anders (…) Der Fall landete vor dem Bundesverwaltungsgericht – und das hat im Januar dieses Jahres zugunsten der Bundesregierung entschieden. Die Große Koalition im Bund verschärfte unterdessen die Regeln für den Zuzug nach Deutschland. Das Arbeitsamt kann nun für die Dauer von bis zu fünf Jahren die Kosten von den Bürgen zurückverlangen, wenn anerkannte Flüchtlinge Hartz IV beziehen.” Beitrag von Alexander Budde vom 30. November 2017 beim Deutschlandfunk (Audiolänge: ca. 5:50 Min.)- Anm.: Trotz der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist diese Rückwirkung verfassungsrechtlich fragwürdig, betonte doch das Bundesverfassungsgericht z.B. am 3. Dezember 1997: “Es würde den Einzelnen in seiner Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an sein Verhalten oder an ihn betreffende Umstände im nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt seines rechtserheblichen Verhaltens galten..” (BVerfGE 2 BvR 882/97). Offenbar gilt jedoch bei Gesetzen zur Flüchtlingsproblematik anderes Recht als bei Kapitalsubventionen (deutsches Klassenrecht). Siehe BVerwG-Pressemitteilung und das BVerwG-Urteil
- Anm. zum Beitrag von Matthias Drobinski vom 28. August 2017 bei der Süddeutschen Zeitung online : Wie aus dem Rentenrecht bekannt, bei dem eine neue günstigere Regel bezüglich Abzüge bei vorzeitiger in Anspruchnahme der Rente nicht für die Fälle vor der Gesetzesverabschiedung gelten soll (keine Rückwirkung), soll dies nun bei beim Flüchtlingsrecht völlig anders sein. Hier wird bei der Bürgschaft eine Gesetzeslage angewandt werden, die bei der Abgabe der Bürgschaft gar nicht existierte. Ob hier eine Anfechtung wegen Irrtum möglich ist, was vorgeschlagen wird, ist schon logisch fragwürdig. Denn was da noch an Angriffen auf soziale Rechte kommt, hier irren sich wohl heute viele.
Siehe dazu auch:
- Flüchtlingspolitik: Zwei Jahre “Wir schaffen das”: Asylhelfer blicken zurück“Zum Amt begleiten, Rasen mähen lassen, vor die Tür setzen: Flüchtlingshelfer schildern ihr Engagement und erzählen, was sich seit Sommer 2015 geändert hat…” Protokolle von Bernd Kastner vom 31. August 2017 bei der Süddeutschen Zeitung online
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