Sonntag, 30. Dezember 2018

In Polen wird über vorgezogene Parlamentswahlen spekuliert

Tricksen mit dem Haushalt


Von Reinhard Lauterbach, Poznan
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Regierender ohne Posten: Jaroslaw Kaczynski beim Kongress der von ihm geführten Partei »Recht und Gerechtigkeit« am 2. September in Warschau
In Polen wird seit Mitte Dezember über vorgezogene Neuwahlen zum Parlament spekuliert. Anhaltspunkt dafür ist, dass die mit absoluter Mehrheit regierende Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) kurz vor den Feiertagen überraschend ihr Abstimmungsverhalten im Sejm geändert hat. Die PiS-Fraktion, sonst bekannt dafür, auch Vorlagen zu schwierigsten Problemen innerhalb weniger Tage oder sogar einer Nacht zu verabschieden, zog nämlich kurz vor der dritten Lesung den Haushaltsentwurf für 2019 aus dem Plenum zurück und verwies ihn erneut an die Ausschüsse.
Dort kann er jetzt Staub ansetzen, denn die nächste reguläre Sitzungswoche beginnt erst am 21. Januar. Und schon wenige Tage später, am 27. Januar, läuft eine Frist ab: Ist der Etat nicht vier Monate nach seiner Einbringung von Sejm und Senat verabschiedet, kann der Präsident das Parlament auflösen. Viele Beobachter in Polen vermuten, dass PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski genau darauf setzt und sich die Option vorgezogener Neuwahlen offenhalten will. Die Entscheidung wird wohl erst Mitte Januar fallen.
Für eine frühere Abstimmung spräche aus Sicht der PiS erstens der Wahlkalender 2019. Im Mai stehen die Wahlen zum EU-Parlament an. Erfahrungsgemäß liegt die Beteiligung an diesen in Polen niedrig, denn daran beteiligen sich vor allem diejenigen, die ein positives Verhältnis zur EU haben. Nachdem schon die Ergebnisse der Kommunal- und Regionalwahlen im Spätherbst für die PiS durchwachsen ausgefallen sind, droht sich eine negative Tendenz zu verstetigen: Eine Niederlage bei den EU-Wahlen wäre eine schlechte Vorlage für die regulär im Herbst anstehenden zum Sejm. Würden diese aber auf einen Termin noch vor dem EU-Wahltag vorgezogen, könnte sich der Trend umkehren. Ein Erfolg der PiS könnte die Bedeutung der EU-Wahl relativieren und gäbe der Partei vier weitere Jahre, um Brüsseler Subventionen zu kassieren und im stillen den »Polexit« vorzubereiten. Die Intention zum Austritt des Landes unterstellen die Liberalen der PiS, auch wenn diese solche Absichten öffentlich dementiert.
Vorgezogene Parlamentswahlen würden der PiS auch taktische Vorteile im Inland bieten. Die Opposition ist nach wie vor unentschlossen, in welcher Konstellation sie zu den Abstimmungen des nächsten Jahres antritt. Die »Bürgerkoalition« aus der christdemokratischen »Bürgerplattform« (PO) und der wirtschaftsliberalen Partei »Die Moderne« hat zwar bei den Kommunalwahlen nicht schlecht abgeschnitten. Aber durch den Übertritt eines Drittels ihrer Abgeordneten unter Führung der Fraktionsvorsitzenden Kamila Gasiuk-Pihowicz zur PO Anfang Dezember hat das Vertrauen beider Partner gelitten, zumal dadurch der Partei »Moderne« der Fraktionsstatus im Sejm verlorenging.
Ob die Partei ins nächste Parlament einziehen könnte, ist nach den Umfragen unsicher. Mit dem Übertritt haben sich die Abtrünnigen jedenfalls die Fortsetzung ihrer politischen Karriere gesichert. Persönliche Rivalitäten bei den Mitgliedern der »Moderne« kommen hinzu: Die Parteivorsitzende Katarzyna Lubnauer und Gasiuk-Pihowicz können einander nicht ausstehen. Außerdem hat der Parteigründer Ryszard Petru nun eine eigene Partei namens »Jetzt!« gegründet, die um liberale Wähler wirbt.
Nicht besser steht es um die Linken. Dort reden alle von der Notwendigkeit eines breiten Bündnisses. Doch wer ihm angehören könnte, ist völlig offen. Zumal der linksliberale LGBT-Aktivist Robert Biedron jetzt eine auf ihn zugeschnittene »Bewegung« gegründet hat, die vor allem bei jungen Leuten einige Sympathien genießt und sich auf Kosten der linkssozialdemokratischen Partei »Razem« profiliert.
Gegen das Experiment mit den vorgezogenen Neuwahlen sollte bei Kaczynski indes die Erfahrung sprechen: Als er 2007 mit einem ähnlichen Manöver versuchte, sich eine zweite Amtszeit zu sichern, trat das Gegenteil ein. Und die PiS musste für acht Jahre in die Opposition.

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