Die Forderungen der Novemberrevolution – Frieden, Brot und Solidarität – sind heute wieder aktuell – erst recht angesichts der Rechtsentwicklung in Europa. Gespräch mit Hans Modrow
Von Interview: Arnold Schölzel
Foto: picture alliance/CPA Media
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Hans Modrow (geb. 1928) geriet als Angehöriger des Volkssturms mit 17 Jahren in sowjetische Kriegsgefangenschaft. 1949 kehrte er nach Deutschland zurück, trat der SED bei und war in verschiedenen Funktionen für die Partei und in der FDJ tätig. Von 1967 bis 1989 war er Mitglied des Zentralkomitees der SED, von 1973 bis 1989 Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden. Von November 1989 bis März 1990 war er Ministerpräsident der DDR. Von 1990 bis 1994 vertrat er die PDS im Bundestag, von 1999 bis 2004 im EU-Parlament. Er ist seit 2007 Vorsitzender des Ältestenrates der Partei Die Linke
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Bevor ich Wilhelm Pieck kennenlernte und überhaupt einen Zugang zu diesem historischen Ereignis bekam, war ich seit 1945 Kriegsgefangener in der Sowjetunion. 1948 absolvierte ich eine Antifaschule in Rjasan bei Moskau. Dort hielt Prof. Nikolai Janzen, ein Philosoph, Vorlesungen. Er sprach sehr gut Deutsch und brachte uns nicht nur die Geschichte der SU auf lebendige Weise nahe, sondern auch die KPD-Geschichte und den Kampf gegen den Faschismus. Ihm ging es darum, uns zum Nachdenken zu bringen, unser Denken für eine antifaschistische Überzeugung zu öffnen.
Im Januar 1949 kam ich zurück nach Deutschland, wurde Mitglied der SED – und damit wurde die Geschichte für mich Gegenwart, z. B. durch Wilhelm Pieck. Seine Rolle bei der Vereinigung von KPD und SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands wird oft auf den symbolischen Handschlag mit Otto Grotewohl auf dem Vereinigungsparteitag im April 1946 reduziert. Das ist aber nicht richtig. In meinem Betrieb, in dem ich ein dreiviertel Jahr als Schlosser arbeitete, gab es z. B. Diskussionen über den Anspruch der SED als einheitlicher Arbeiterpartei. Damals war es Wilhelm Pieck, der für uns junge Genossen die Arbeiterbewegung verkörperte, vor allem bei den Januar-Demonstrationen zur Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde, bei denen er sprach. Später erfuhr ich, dass er auch die Idee zur Gestaltung der Gedenkstätte entwickelt hatte. Für uns war prägend, ihn als Mitbegründer der KPD zu erleben, der zutiefst mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verbunden gewesen war, zugleich aber auch als einen Genossen, der ebenso mit den Sozialdemokraten, die nun Mitglieder der SED waren, aufs engste zusammenarbeitete.
In den 50er Jahren kämpften SED und KPD vor allem gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und die Gefahr eines neuen Weltkrieges. Wie haben Sie das als junger Funktionär der SED, Volkskammerabgeordneter und FDJ-Aktivist erlebt?
Im Vordergrund stand für uns Anfang der 50er Jahre der Aufbau des Sozialismus. Ein Beispiel: 1952 und 1953 besuchte ich die Komsomol-Hochschule in Moskau und sollte dort einen Vortrag über die Volksdemokratien halten. Ich vertrat die Auffassung, die DDR sei keine, sondern ein antifaschistisch-demokratischer Staat mit mehreren Parteien und anderen Elementen bürgerlicher Demokratien als Lehre aus dem Faschismus und im Widerstand gegen das Wiederaufleben faschistischer Elemente in Westdeutschland. Das sei, sagte anschließend der Professor, nicht die Lehrmeinung, gab mir aber dennoch »Otlitschno – ausgezeichnet«. Für mich, für uns war in dieser Zeit der gemeinsame Widerstand gegen die Aufrüstung in der BRD wichtig. Denn es ging schließlich auch um atomare Aufrüstung. Es waren die USA, die Hiroshima und Nagasaki zerstört hatten und nun in der BRD stationiert waren.
Ich war damals für die FDJ in Gesamtberlin verantwortlich. Wegen des Besatzungsstatus konnte sie in Westberlin nicht verboten werden, in Ostberlin gab es Die Falken als Jugendorganisation. So war es auch möglich, dass ich 1958 als Jugendkandidat auf der Wahlliste für das Westberliner Abgeordnetenhaus stand. Die Auseinandersetzungen machten uns sehr bewusst, dass wir in Ost und West in Staaten lebten, die Mitglieder militärischer Bündnisorganisationen waren, der NATO und des Warschauer Vertrages. Die jeweiligen Verpflichtungen daraus spielten auf beiden Seiten eine große Rolle. Zugleich sammelten wir übergreifend in allen Teilen Berlins Unterschriften unter den »Stockholmer Appell« für das Verbot von Atomwaffen.
Diese Zeit wird in heutigen Betrachtungen in den Hintergrund gerückt. Das ist aus meiner Sicht ein Grund dafür, dass der Widerstand gegen atomare Bewaffnung nicht mehr den Rang hat, den er haben müsste. Denn die Gefahr ist mindestens so groß wie damals. Außerdem: Wofür braucht dieses erstarkte Deutschland immer mehr und bessere Waffen? Wo will man sie einsetzen? Da gibt es Lehren und Erfahrungen, die in die Gegenwart gehören.
Was bedeutete das Verbot der KPD 1956 für Sie und Ihre Tätigkeit?
Als die KPD verboten wurde, lebte Wilhelm Pieck noch. Für uns war er mehr noch als Walter Ulbricht nicht nur Mitbegründer und Vorkämpfer der jungen KPD, er strahlte einfach Wärme aus und fand immer eine Brücke zur Jugend. Für ihn waren sie und die Partei eine Einheit, die Jugend nicht nur deren Kampfreserve. Wir sollten selbst politische Erfahrungen machen und sie begreifen. Das KPD-Verbot hieß daher für uns junge Leute: Das trifft auch uns, zumal die FDJ schon seit 1951 verboten war. Die Inhaftierung von FDJ-Genossen wie Jupp Angenfort, Wolfgang Seiffert, Sepp Maier und vielen anderen – das verlangte Solidarität, auch international, etwa im Rahmen des Weltbundes der Demokratischen Jugend. Es bedeutete Kampf gegen die Verbote vom Boden der DDR aus. Den organisierten wir.
Viel später erst habe ich die Tragweite begriffen. Ich bekam in den 1970er Jahren den Auftrag zur Gründung einer Freundschaftsgruppe mit Japan in der DDR-Volkskammer und las in den Memoiren eines japanischen Ministerpräsidenten, dass er sich bei Konrad Adenauer erkundigt hatte, was nach dem Verbot 1956 passiert sei. Er frage sich nämlich, ob auch in Japan die KP verboten werden könne. Das geschah dann nicht. Ich denke, ihnen wurde bewusst, welche Einschränkung der Demokratie solch ein Verbot bedeutet. Genauer: Man hielt sich in Japan an den Friedensvertrag, in der BRD aber nicht ans Potsdamer Abkommen.
In der heutigen Geschichtsschreibung herrscht die Darstellung vor, Spartakusgruppe und KPD hätten in der Novemberrevolution keine besondere Rolle gespielt. Auch manche linke Historiker sehen das so. Die Geschichte der KPD wird häufig auf Fehler reduziert wie die These vom Sozialfaschismus in der SPD oder darauf, die KPD sei nur Instrument sowjetischer Außenpolitik gewesen. Wie ist Ihre Bilanz?
Ohne Gründung der KPD wäre kein starker Widerstand gegen den Faschismus möglich gewesen. Wer sich die großen historischen Fotografien auf dem U-Bahnhof Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin anschaut, dem wird klar, wie stark sich die KPD Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre gegen die Nazis engagierte. Am Parteigebäude der KPD, das an diesem Platz stand und steht, der heutigen Bundesgeschäftsstelle der Partei Die Linke, hat sie mit großen Transparenten immer wieder gegen den Faschismus mobilisiert und sich für die nicht eingelösten Forderungen der Novemberrevolution eingesetzt: Frieden, Brot und Solidarität. Und das bewegt mich jetzt wieder neu. Vor zehn oder gar vor 20 Jahren hätte niemand geglaubt, dass im Bundestag mit der AfD eine Widerspiegelung von faschistischen Elementen in der Bundesrepublik sitzt. Das geht nicht nur Kommunisten an, sondern auch Sozialdemokraten und Sozialisten überhaupt.
Man kann viel über Helmut Schmidt diskutieren, aber er war es, der nach dem Beitritt der DDR zur BRD das Wort vom Raubtierkapitalismus verwendete. Den hat Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 mächtiger gemacht, das Land für die Verbreitung von Armut geöffnet.
Einseitige Geschichtsbetrachtung etwa der Novemberrevolution und der KPD trifft der Vorwurf, dass sie nicht die Lehren zieht, die angesichts der Rechtsentwicklung in Europa gezogen werden müssen. Als ich 1999 Abgeordneter des Europaparlaments wurde, gab es dort einige Rechte, aber keine starken Fraktionen wie heute. Widerstand gegen diese Tendenzen, gegen den Faschismus ist dringend nötig – wie damals in den Jahren nach 1918.
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