IMI-Analyse 2018/29
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 10. Dezember 2018
Beim folgenden Beitrag handelt es sich um eine leicht aktualisierte Variante eines Artikels, der zuerst in der Graswurzelrevolution (Nr. 434/2018) erschien.
Seit einiger Zeit macht sich die Bundeswehr daran, konkret auszubuchstabieren, was der vom Zaun gebrochene Neue Kalte Krieg mit Russland für die Struktur, Bewaffnung und nicht zuletzt die Finanzierung der Truppe bedeutet – oder zumindest, was auf dieser Grundlage nun ganz oben auf ihrer Wunschliste steht. Wichtige Vorarbeiten hierzu wurden bereits im Jahr 2017 veröffentlicht, die dann in die „Konzeption der Bundeswehr“ (KdB) vom 20. Juli 2018 und das „Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“ (Fäpro), das am 3. September 2018 von Generalinspekteur Eberhard Zorn unterzeichnet wurde, einflossen.
Vorarbeiten: Bühler-Papier und Kriegsplanungen
Den ersten wichtigen Meilenstein für eine grundlegende Neuausrichtung der Bundeswehr in Richtung Russland, markierten im April 2017 die „Vorläufigen konzeptionellen Vorgaben für das künftige Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“. Verfasst unter der Ägide von Generalleutnant Erhard Bühler wurden schon damals keine Zweifel daran gelassen, dass der „Bündnisverteidigung“ und damit faktisch der Rüstung gegen Russland künftig wieder mehr Bedeutung zukommen soll. Deutschland müsse bis 2031 drei schwere Divisionen mit je etwa 20.000 Soldaten in die NATO einbringen können, die erste bereits 2026, so die wichtigste Aussage des Dokumentes (siehe auch IMI-Analyse 2017/11). Den nicht sonderlich zarten Hauch von Kaltem Krieg, den das ganze vermittelte, fasste damals die FAZ (19.4.2017) treffend mit den Worten zusammen: „Damit würden die Divisionen wieder die klassische Struktur aus der Zeit vor 1990 einnehmen.“
Diese Hochrüstung gegen Russland ist überaus ernst zu nehmen, wie allein schon ein ergänzender Blick in das vom Heereskommando Mitte 2017 herausgegebene Papier „Wie kämpfen die Landstreitkräfte künftig“ zeigt. Darin wird ein detailliertes Szenario entworfen, wie die Bundeswehr einen Landkrieg gegen Russland im Jahr 2026 gewinnen kann und welche Fähigkeiten hierfür beschafft werden sollen.[1] In dem Dokument geht es darum, ein „Zielbild Landstreitkräfte (LaSK) 2026“ auszuarbeiten, das sich prägend auf die künftige Struktur und Bewaffnung des Heeres auswirken soll: „Die in diesem Papier dargelegten Ideen und Anforderungen werden in einem Operationskonzept vertieft und dann konsequenterweise in neuen Strukturen münden. […] Das zukünftige Operationskonzept soll dabei die quantitativen und qualitativen Forderungen des Fähigkeitsprofils der Bundeswehr – abgeleitet aus den akzeptierten NATO Planungszielen und den nationalen Aufgaben – mit den hier dargestellten Ideen verknüpfen. Es wird so zum gedanklichen Kernelement der zukünftigen Entwicklung der Landstreitstreitkräfte.“
Der zunehmenden Bedeutung des Informationsraums[2] – sowohl für die Auseinandersetzung auf dem Gefechtsfeld selbst wie auch an der Heimatfront – wird unter anderem folgendermaßen Rechnung getragen: „Jede Präsenz und Aktion von LaSK auf einem zukünftig ‚gläsernen‘ Gefechtsfeld oder Einsatzraum erzeugt reaktiv einen Effekt im Informationsraum, der ‚Kampf‘ um/mit Informationen muss zwingend – und schnell im Sinne einer ‚Golden Hour‘– geführt werden. […] Das Gefechtsfeld wird transparenter und komplexer, sowohl im Sinne von verbesserten Aufklärungsfähigkeiten aller Seiten, als auch hinsichtlich der Verbreitung von Meldungen/Nachrichten/Gerüchten quasi weltweit, in alle gesellschaftlichen Bereiche und in die eigene Truppe hinein. Das Gefechtsfeld wird durch die Zusammentreffen von verbesserter Aufklärung, schnelleren Entscheidungs- und Bekämpfungszyklen aufgrund taktischer NetOpFü und zielgenauerer und verbesserter Wirkmittel letaler, selbst für gut geschützte Kräfte. […] Taktische Cyber-Kräfte unterstützen offensiv und defensiv den Einsatz von Landstreitkräften und […] ermöglichen auch […] den Angriff auf gegnerische Systeme und die offensive Beeinflussung von Entwicklungen im Informationsraum.“
Daraufhin wird ein Szenario beschrieben, wie aus Sicht des Heeres ein künftiger (Informations-)Krieg gegen Russland ablaufen könnte. Es beginnt mit dem Auflaufen der maßgeblich von Deutschland aufgebauten Ultraschnellen NATO-Eingreiftruppe (VJTF), was aber nicht die erhoffte abschreckende Wirkung erzeugt: „Der Beschluss zur Aktivierung und Verlegung der VJTF (stand by), bestehend im Kern aus dem DEU Einsatzdispositiv (EDP), wurde aufgrund einer überraschenden Lageentwicklung notwendig. […] Dennoch kommt es nach einer Phase von Desinformation, separatistischen Aktivitäten, lokalen Angriffen von Separatisten und verdeckt operierenden Special Operation Forces zum Angriff der gegnerischen Hauptkräfte.“
Als Reaktion auf diesen russischen Angriff startet die NATO daraufhin ihrerseits eine Offensive – auf dem Gefechtsfeld stellt sich das dann wie folgt dar: „Zur Vorbereitung des Gegenangriffs befiehlt der BrigKdr das Auslösen des langfristig vorbereiteten Lähmens des gegnerischen FüInfoSys, um den gegnerischen Entscheidungsprozess zu verlangsamen. Parallel werden in offenen Quellen (soziale Netzwerke, Messenger Services, Nachrichtenkommentare etc.), eine Vielzahl von Meldungen platziert, die auf ein Ausweichen der NATO-Kräfte hindeuten und so die eigene Absicht verschleiern helfen.“
Doch der (Informations-)Krieg soll nicht allein auf dem Gefechtsfeld, sondern auch an der Heimatfront ausgefochten werden: „Nachdem sich der Erfolg des Gegenangriffs abzeichnet, befiehlt der BrigKdr eine offensive und mehrsprachige Informationskampagne, die durch Bilder, Text, Videos etc. die Erfolge der NATO-Truppen herausstreicht und zeigt, dass Kollateralschäden vermieden werden, aber auch eigene Verluste nicht verschweigt. Zeitgleich werden ausgesuchte Angehörige des Gegners und deren Angehörige adressiert. Durch diese zeitnahe ehrliche und offene Berichterstattung wird gegnerischer Propaganda entgegengewirkt, die öffentliche Meinung sowohl in den NATO-Staaten als auch beim Gegner beeinflusst und die Informationshoheit umstritten oder gewonnen.“
Deutlicher ist wohl nach dem Ende der Blockkonfrontation noch nie ein Krieg mit Russland öffentlich einsehbar durchgespielt worden. Noch bedenklicher ist, dass diese anti-russische Stoßrichtung anschließend dann auch Eingang in die beiden wichtigsten offiziellen Bundeswehr-Dokumente fand.
Dachdokument der Rüstung: Konzeption der Bundeswehr
Am 20. Juli 2018 unterzeichnete Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen die „Konzeption der Bundeswehr“, die nun auch offiziell die (Re-)Fokussierung auf Auseinandersetzungen mit Russland zum Inhalt hatte. Dies ist allein aus dem Grund bereits relevant, da die in der „Konzeption der Bundeswehr“ vorgenommenen Weichenstellungen weitreichende Auswirkungen haben, schließlich handelt es sich dabei laut Planungsamt der Bundeswehr um das „Dachdokument der Gesamtkonzeption der militärischen Verteidigung Deutschlands.“
Und tatsächlich titelte die Süddeutsche Zeitung damals noch über den zu diesem Zeitpunkt zirkulierenden KdB-Entwurf bereits am 4. Mai 2018 „Deutschland am Hindukusch verteidigen – das war einmal“, wodurch bereits im Aufmacher angedeutet wurde, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sei im Begriff, einen grundlegenden Kurswechsel vorzunehmen: „Die CDU-Politikerin plant, die jahrelang vorherrschende Fokussierung auf Auslandseinsätze, die unter anderem als Argument für Einsparungen herhalten musste, zu beenden, und sich künftig ‚gleichrangig‘ wieder der Landes- und Bündnisverteidigung zu widmen.“
Dazu ist einiges anzumerken: So ist die Behauptung, die Fokussierung auf Auslandseinsätze habe „Einsparungen“ zur Folge gehabt, ebenso sachlich falsch wie der Titel des Beitrags, da „Hindukusch-Einsätze“ keineswegs Geschichte sind, wie hier insinuiert wird. Im Artikel selbst wird ja direkt darauf hingewiesen, dass beide Einsatzformen künftig „gleichrangig“ behandelt werden sollen. Deutschland soll künftig eben nicht nur am Hindukusch und in der Sahelzone, sondern zudem auch wieder in Osteuropa und wo sonst auch immer man meint, Streit mit Russland anfangen zu wollen, „verteidigt“ werden. Nichts anderes ist gemeint, wenn von einer „gleichrangigen“ Fokussierung auf Auslandseinsätze und Landes- und Bündnisverteidigung die Rede ist.
Russland wird in der KdB zwar nicht ausdrücklich erwähnt, aber immer wieder ist die Rede davon, dass aufgrund „der sicherheitspolitischen Entwicklungen der letzten Jahre […] die kollektive Bündnisverteidigung wieder in den Fokus der strategischen Überlegungen der NATO gerückt“ sei. Hierbei könnten die Maßnahmen der Bündnissolidarität „der Bundeswehr absehbar zusätzliche Leistungen und Fähigkeiten, besonders in den Randgebieten der Bündnisse, aber auch aufgrund der besonderen Lage Deutschlands als Transitland in der Mitte Europas und als Host Nation abverlangen“. Zudem sollten aufgrund der „Relevanz der Landes- und Bündnisverteidigung“ alle Angehörigen der Bundeswehr ihre Rolle hierbei identifizieren und sich auch in der Ausbildung wieder verstärkt auf diese Aufgabe ausrichten. „Abschreckung und Verteidigung auf Grundlage einer geeigneten Mischung aus konventionellen, nuklearen und Raketenabwehrfähigkeiten“ seien weiterhin ein Kernelement der Gesamtstrategie. Landes- und Bündnisverteidigung sei außerdem „der bestimmende Parameter für die Grundaufstellung der Bundeswehr“.
Und weiter: „Die Bundeswehr muss […] in der Lage sein, zur kollektiven Bündnisverteidigung in allen Dimensionen mit kurzem Vorlauf, mit umfassenden Fähigkeiten bis hin zu kampfkräftigen Großverbänden innerhalb und auch am Rande des Bündnisgebietes eingesetzt zu werden.“ Am wahrscheinlichsten sei ein „konventioneller Angriff“ an den Außengrenzen, deshalb müsse die Bundeswehr „über Kräfte und Mittel verfügen, die nach kurzer Vorbereitung an den Grenzen oder jenseits des Bündnisgebietes einsetzbar sind.“ Diese Formulierungen sind entlarvend, lassen sie doch genug Spielraum, um die Bundeswehr auch für Auseinandersetzungen in einem der aktuell noch „blockfreien“ Länder zwischen der NATO und Russland hochzurüsten, in denen die Spannungen seit Jahren zunehmen.
Gleichzeitig spricht die KdB aber eben auch von einer „permanenten 360-Grad-Bedrohung“ und meint damit nicht nur, dass die Konflikte mit Russland inzwischen auch nördlich und südlich des Bündnisgebietes ausgetragen werden, sondern dass man generell auch weiter global interventionsfähig sein will. Schließlich könne es erforderlich sein, so die KdB weiter, „Schifffahrt, Luftverkehr und Handelswege zu sichern.“ Hierfür könne auch ein „zeitlich begrenzter friedenserzwingender Kampfeinsatz erforderlich werden.“ Und weiter: „Streitkräfte müssen einen Waffenstillstand einschließlich der Einrichtung von Flugverbotszonen, Puffer- und Schutzzonen und der Entwaffnung und Rückführung der Konfliktparteien umsetzen können.“ Kommt es dann zu einer Intervention, stellt sich die Bundeswehr auch noch selbst die Lizenz aus, gegebenenfalls direkt die Administration des betroffenen Landes zu übernehmen – anders ist die folgende Passage nur schwerlich zu interpretieren: „Ist das betroffene Land selbst nicht in der Lage, die öffentliche Sicherheit und Ordnung umfassend sicherzustellen, kann die Bundeswehr in einem ressortübergreifenden Ansatz vorübergehend auch Ordnungsaufgaben wahrnehmen, deren Äquivalent im Inland von nicht-militärischen Stellen geleistet wird.“
Der aktuell so lautstark artikulierte finanzielle „Mehrbedarf“ ergibt sich deshalb also vor allem daraus, das eine („Bündnisverteidigung“) wieder verstärkt tun, ohne das andere („Hindukusch-Einsätze“) lassen zu wollen. Das Märchen von der kaputtgesparten Bundeswehr und die Verweise auf die – im Wesentlichen vom Westen zu verantwortende – Eskalation der Beziehungen zu Russland kommen dabei gerade recht, um Ausgabensteigerungen gegenüber einer diesbezüglich sehr skeptischen Bevölkerung rechtfertigen zu können. Die Feinausplanung hierfür wurde kurz darauf im „Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“ vorgenommen.
Fähigkeitsprofil: Rüstungsstufenplan und erhöhter Personalbedarf
Das „Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“ vom 3. September 2018 übernimmt im Wesentlichen die bereits im Bühler-Papier auffindbaren Vorschläge, präzisiert sie aber noch einmal deutlich. So visiert das Fäpro einen dreistufigen Umbau der Bundeswehr an – Schritt eins soll 2023 erfolgen. Zu diesem Zeitpunkt wird beabsichtigt, ein Brigadeäquivalent – also etwa 5.000 Soldaten (unter Berücksichtigung von Rotations- und Ruhezeiten noch einmal deutlich mehr) – mit voller Bewaffnung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung aller anderen „Verpflichtungen“ (zB für die EU-Kampftruppen) in die NATO einbringen zu können. Der zweite Schritt soll dann 2027 folgen (also ein Jahr später als noch im Bühler-Papier vorgesehen), da will die Bundeswehr dann eine Division (knapp 20.000 Soldaten) beisteuern. Das Ende des im Fäpro beschriebenen Planungshorizontes ist schließlich 2031 erreicht, von da ab sollen dann alle Teilstreitkräfte für einen Krieg mit Russland gerüstet sein: Drei Divisionen (Heer), vier gemischte Einsatzverbände (Luftwaffe), 25 Kampfschiffe (davon elf Fregatten) und 8 U-Boote (Marine) sowie Kapazitäten zur Erlangung der Hoheit im Informationsraum (Cyber) will die Bundeswehr bis dahin am Start haben.[3]
Auch am Umfang der Truppe soll gedreht werden: Die Bundeswehr soll von derzeit knapp 180.000 Soldaten bis 2025 auf 203.000 Soldaten anwachsen.[4] Allerdings macht sich aktuell unter Brancheninsider Skepsis breit, ob dieses Ziel erreicht werden kann: „Wir haben keinen Anlass, von unserer Einschätzung abzurücken, dass die Trendwende Personal gescheitert ist: Der Elefant im politischen Raum ist die demographische Entwicklung. Unter den Brücken von Berlin spricht man leise über andere Umfangszahlen.“ (griephan Briefe Nr. 28/2018) Aufgrund der bereits heute existierenden Rekrutierungsprobleme, denen die Truppe mit ihren massiven Werbeanstrengungen begegnet, dürfte sich in diesem Bereich in den nächsten Jahren so einiges tun. Zumal, wenn man berücksichtigt, dass der Personalbedarf sich für die spätere Aufstellung der anvisierten Divisionen noch einmal deutlich erhöhen dürfte.
Was aus all dem in jedem Fall klar wird – und daran lässt auch das Fähigkeitsprofil keinerlei Zweifel aufkommen: die Umsetzung dieser Pläne wird eine Menge Geld kosten.
Die Rechnung für den Kalten Krieg
Schon vor einiger Zeit kündigte Verteidigungsministerin von der Leyen an, der Militärhaushalt solle bis 2024 auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigen. Bereits im Mai 2018 tauchten in einem Papier der Bundeswehr-Universität erste Zahlen auf, was das konkret für die Haushalte der nächsten Jahre bedeuten würde, die nun weitgehend vom Fähigkeitsprofil übernommen wurden.
Obwohl der Bundeswehr-Etat bereits rasant von 23,8 Mrd. (2000) auf 38,5 Mrd. (2018) auch inflationsbereinigt um knapp 30 Prozent kräftig zulegte, wurden für den Haushalt 2019 zunächst sogar 42,9 Mrd. Euro vorgesehen. Weil auch das augenscheinlich nicht genügte, wurden dann schlussendlich Ende November 2018 ein Etat von 43,22 Mrd. Euro für das kommende Jahr verabschiedet. Doch all das verblasst regelrecht gegenüber dem, was im Fäpro für die kommenden Jahre anvisiert wird. Ausgehend vom bereits verabschiedeten Haushalt 2019 sollen saftige jährliche Erhöhungen schließlich in einen Haushalt münden, der 2025 satte 59,78 Mrd. Euro und damit etwa 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts umfassen soll – etwa 135 Prozent mehr als noch im Jahr 2000![5]
Natürlich ist das Fähigkeitsprofil eine Art Wunschliste des Verteidigungsministeriums, insbesondere die Finanzausstattung der Truppe ist schließlich Sache des Parlaments. Und ja, aktuell ziert sich die SPD noch, Ausgabensteigerungen in diesem drastischen Umfang zuzustimmen. Und wohl genau deshalb sprang Kanzlerin Angela Merkel ihrer Verteidigungsministerin schnell beiseite und stellte sich ebenfalls hinter das 1,5 Prozent-Ziel, das dann auf dem NATO-Gipfel im Juli 2018 auch offiziell als deutsche Zusage in deutlich konkreterer Form als frühere Absichtserklärungen angezeigt wurde.
Zu diesem Vorgehen kritisierte auch der Grüne Bundestagsabgeordnete Tobias Lindner: „Zusagen an die NATO zu treffen, die zu Ausgabensteigerungen im zweistelligen Milliardenbereich führen, ohne diese wirklich darzulegen, oder zu diskutieren, ist problematisch. Die zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge der Organisation der Streitkräfte ergeben sich laut Grundgesetz aus dem Haushaltsplan, der durch das Parlament festgelegt wird.“ (Newsletter Verteidigung, 36/2018)
Dadurch wurde wohl bewusst eine Verpflichtung eingegangen, die es den Sozialdemokraten schwer machen soll, diesbezügliche Bestrebungen abzulehnen – und durch besonderen Widerstandswillen in Sachen Aufrüstung sind sie ja ohnehin seit Langem nicht wirklich aufgefallen. Damit das gerade auch angesichts einer durchaus rüstungsskeptischen Bevölkerung auch so bleibt, möchte die Bundeswehr zudem nach Möglichkeit jede öffentliche Diskussion über ihre Pläne vermeiden.
Rüsten nicht reden
Seit Jahren beklagen sich Bundeswehr und Sicherheitsestablishment über das angeblich mangelnde Interesse der Öffentlichkeit für militärische Fragen. Insofern ist es doppelt zynisch, dass das Fähigkeitsprofil als „VS – nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft wurde – es darf also nicht daraus zitiert werden (obwohl Teile des Inhaltes gleich an befreundete Zeitungen durchgeschossen wurden). Da passt es ins Bild, dass mit dem Schreiben, in dem Staatssekretär Benedikt Zimmer die Abgeordneten auf den Geheimhaltungsstatus des Papiers hinwies, er auch gleichzeitig betonte, mit dem Fähigkeitsprofil ergebe sich ein „transparentes und nachvollziehbares Gesamtbild der Bedarfe der Bundeswehr.“
Der Vogel wurde aber mit drei Anlagen zum Fäpro abgeschossen, in denen – mutmaßlich – eine detaillierte Aufstellung der Rüstungsprojekte mitsamt ihrer Kosten bis zur ersten „Ausbaustufe“ 2023 sowie die zwischen 2024 und 2031 anvisierten Vorhaben enthalten sein sollen. Die Anlagen sind als „geheim“ eingestuft, Abgeordnete dürfen sie nur in der Geheimschutzstelle des Bundestages einsehen, sich keine Notizen darüber machen und auch nicht darüber reden. Augenscheinlich möchte man vermeiden, dass es zu einer Debatte über den Sinn bzw. Unsinn eines derartigen Fähigkeitsprofils kommt. Dieses Bestreben ist – zumindest wenn man versucht, die Sache aus der Warte der Bundeswehr zu betrachten – durchaus nachvollziehbar. Schließlich bedeuten ihre unverschämten Forderungen angesichts der schwarzen Null ja eigentlich zwangsläufig, dass dieses Geld an anderen dringend benötigten Stellen fehlen wird.
Doch auch hier haben findige Militaristen eine mögliche „Lösung“ parat. So schrieb Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, vor einiger Zeit in in Capital (19.9.2018): „Was nützt uns die ‚Schwarze Null’, die wir quasi zu den Zehn Geboten zählen, wenn uns der Zusammenhalt in der EU um die Ohren fliegt. [Deutschland wird] in die beiden zentralen außenpolitischen Säulen unseres Landes, die EU und die NATO, deutlich mehr Geld investieren müssen. Das wird teuer, womöglich sehr viel teurer.“
Anmerkungen
[1] Thesenpapier I: „Wie kämpfen die Landstreitkräfte künftig?“ Das Papier wurde wohl im Sommer 2017 fertiggestellt, erschien aber erst später zuerst auf pivotarea.eu, 22.9.2017. Erst danach wurde es dann auch auf der offiziellen Seite des Heeres veröffentlicht. Daraufhin folgten bislang Thesenpapier II „Digitalisierung von Landoperationen“ sowie Nummer III „Rüstung digitalisierter Landstreitkräfte“.
[2] Siehe hierzu ausführlich die Broschüre IMI (Hg.): Krieg im Informationsraum, Tübingen 2018. Besonders wird das Feld logischerweise im Papier II „Digitalisierung von Landoperationen“ beackert. Am 4. Dezember teilte dann das Heereskommando in einer Pressemitteilung mit, nun wird der „Startschuss für die Digitalisierung der Landstreitkräfte“ gegeben: „Am Donnerstag [6.12.2018] beginnt das Deutsche Heer mit der Aufstellung von Test- und Versuchsstrukturen für digitale Technologien. […] Der Stationierungsort der Test- und Versuchskräfte wird Munster in Niedersachsen sein. Die Soldatinnen und Soldaten dieser neuen Einheit werden Technologien der Zukunft für den Einsatz in den Landstreitkräften erproben.“
[3] Offiziell zugänglichen Informationen zum Fähigkeitsprofil finden sich bei: https://www.bmvg.de/de/aktuelles/neues-faehigkeitsprofil-der-bundeswehr-27550
[4] Augengeradeaus (29.11.2018) präzisiert, wie sich diese Zahl genau zusammensetzen soll: „Die Bundeswehr soll bis zum Jahr 2025 auf eine Planungsgröße von 203.000 Soldaten und 66.000 zivilen Beschäftigten aufwachsen. In diesen Zahlen sind allerdings, das ist öffentlich vielleicht nicht so bewusst, 198.500 aktive Soldatinnen und Soldaten und 4.500 Reservistenstellen enthalten.“
[5] Was die Einzelposten anbelangt, sollen vor allem die Bereiche Rüstungsinvestitionen und Materialerhaltung profitieren – von 8,16 Mrd. Euro (2019) sollen sie auf 17,33 Mrd. Euro (2025) ansteigen.
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