Samstag, 9. Dezember 2017

[IMI-List] [0504] Ausdruck (Dezember 2017) / Artikel Sinai-Halbinsel

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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0504 .......... 20. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List findet sich

1.) ein Artikel zur situation auf der Sinai-Halbinsel;

2.) die Dezember-Ausgabe des IMI-Magazins AUSDRUCK.

1.) AUSDRUCK – Das IMI-Magazin (Dezember 2017)
Die gesamte Ausgabe findet sich wie immer gratis auf der IMI-Seite: 
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-87-Dezember-2017-Web.pdf
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INHALTSVERZEICHNIS

MALI: FAKT UND FIKTION
-- Skripted Mali. Aktuelle Berichte zur Lage und offenbare Auslassungen 
der Bundeswehr-Serie (Christoph Marischka)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-87-2017-CM.pdf
-- Das Kerneuropa konstituiert sich im Sahel (Christoph Marischka)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-87-2017-CM2.pdf
-- Die fabelhafte Welt des Malibot (Alexander Kleiß)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-87-Dezember-2017-AK.pdf

DEUTSCHLAND UND DIE BUNDESWEHR
-- Die Ariane-Städte: Nahe an der Atomwaffe (Teil II) (Peter Feininger)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-87-Dezember-2017-PF.pdf
-- Trinationaler Workshop Zivil-Militärische Zusammenarbeit: Vertreter 
von Militär, Staat, NGOs und Konzernen treffen sich in Hamburg 
(Christian Stache)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-87-Dezember-2017-CS.pdf

PROPAGANDA UND INFORMATIONSKRIEGE
-- Ein Beispiel für Nato-Kriegspropaganda: Die Studie zum Umgang mit 
Desinformationskampagnen gegenüber der Luftwaffe (Christopher Schwitanski)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-87-Dezember-2017-CS2.pdf
-- 2026: (Informations-)Krieg NATO vs. Russland (Jürgen Wagner)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-87-2017-JW.pdf
-- Krieg im Informationsraum: Bericht vom IMI-Kongress 2017 (IMI)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-87-2017-IMI.pdf

RUSSLAND UND ZENTRALASIEN
-- Geopolitik und Handel: Die russisch-lateinamerikanischen Beziehungen 
(Mirko Petersen)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-87-Dezember-2017-MP.pdf
-- Kirgisistan und Tadschikistan: Konflikte in der zentralasiatischen 
post-sowjetischen Peripherie (David X. Noack)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-87-2017-DN.pdf

WEITERE ARTIKEL
-- Profiteure der High-Tech-Vegrenzung (Christoph Marischka)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-87-2017-CM3.pdf
-- Angst vor klarem Himmel. In Emran Feroz‘ Buch über den 
US-Drohnenkrieg kommen die Betroffenen zu Wort (Marius Pletsch)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-87-2017-MP.pdf
-- PESCO: Historischer Rüstungsschub? (Jürgen Wagner)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-87-2017-JW2.pdf


2.) Artikel zur Situation auf der Sinai-Halbinsel

IMI-Standpunkt 2017/038
Luftschläge im Sinai sind kein stiller Gruß
Merkels fatales Kondolenztelegramm
http://www.imi-online.de/2017/12/08/luftschlaege-im-sinai-sind-kein-stiller-gruss/ 

Jacqueline Andres (8. Dezember 2017)

In ihrem Kondolenztelegramm an den ägyptischen Präsidenten, Abdel Fattah 
Al-Sisi, betonte Bundeskanzlerin Merkel, sie habe „mit großer Bestürzung 
[...] die Nachricht vom Angriff auf eine Moschee auf der ägyptischen 
Sinai-Halbinsel erhalten, bei dem so viele unschuldige Menschen den Tod 
fanden und viele weitere verletzt wurden.“ Merkel verurteilte diesen 
niederträchtigen Anschlag auf das Schärfste.
Bei dem besagten Anschlag Ende November 2017 auf die Rawda-Moschee in 
dem Ort Al Rawda im Norden Sinais wurden mehr als 305 Menschen getötet. 
Zu diesem Anschlag, der zumindest in den deutsch- und englischsprachigen 
Leitmedien als der blutigste in der modernen Geschichte des Landes 
benannt wird, bekannte sich bislang niemand, doch die ägyptische 
Staatsanwaltschaft hält die sich dem Islamischen Staat zuordneten Gruppe 
Wilaya Sinai (Provinz Sinai) für verantwortlich. An Sisi direkt richtete 
Bundeskanzlerin Merkel folgende politisch schwerwiegenden Worte: „Seien 
Sie versichert, dass Deutschland im Kampf gegen den Terror weiter an der 
Seite Ihres Landes und der Menschen in Ägypten stehen wird.“

Mit Bomben und brutaler Gewalt gegen Terror?

Sisi antwortete nur einen Tag später mit Luftschlägen auf den Anschlag – 
dabei kamen laut der Zeitung EgyptToday mindestens 30 Menschen ums 
Leben, von denen behauptet wird, an den Anschlägen beteiligt gewesen zu 
sein.[1] Nach Details und rechtlichen Grundlagen wird nicht gefragt. 
Auch die bombardierten Angriffsziele klangen im Artikel fast willkürlich 
und zufällig ausgewählt: es wurden Pickups bombardiert und weitere 
„terrorist hotbeds“ ausgehoben. Auf den von der ägyptischen Luftwaffe 
geposteten Bildern der Operation wird die schlechte Auflösung der Bilder 
deutlich, die wohl als Grundlage ihrer militärischen Maßnahme dienten, 
die auch ganz offiziell nicht die Festnahme Verdächtiger zum Ziel hat, 
sondern ihre „Eliminierung“.[2] An die ägyptischen Streitkräfte stellte 
Sisi die Forderung, innerhalb von drei Monaten die Situation in den 
Griff zu bekommen und befahl ihnen, die dazu „notwendige brachiale 
Gewalt“ anzuwenden. Im kommenden Jahr stehen wieder 
Präsidentschaftswahlen in Ägypten an und es ist davon auszugehen, dass 
Sisi die verbleibende Amtszeit dazu nutzen wird, sich politischer 
Gegner_innen im Rahmen seines Kriegs gegen den Terror zu entledigen. 
Ahmed Shafiq, der 2012 die Präsidentschaftswahl nur knapp gegen Mohammed 
Morsi verlor, stand zunächst nach seiner Absichtserklärung in 2018 
erneut zu kandidieren, in den Vereinigten Arabischen Emiraten unter 
Hausarrest und wurde kurz danach nach Ägypten abgeschoben und gilt 
seither als verschwunden.[3]

Wie Sisi den Terror auf der Sinai-Halbinsel stärkte

Weitet man den Terrorismusbegriff auch auf staatlichen Terror aus, so 
ist der blutigste Anschlag von Sisi selbst gegen die Opposition 
angeordnet worden. Am 14. August 2013 erschossen ägyptische 
Sicherheitskräfte mehr als 1000 Anhänger_innen der Moslembruderschaft, 
die auf dem Rabi'a- und dem Al-Nahda-Platz gegen den Militärputsch Sisis 
und für den aus dem Amt gejagten ersten demokratisch gewählten 
Präsidenten des Landes, Mohammed Morsi, demonstrierten. Hierbei handelt 
es sich laut  Human Rights Watch um eine der brutalsten 
Massenhinrichtungen von Demonstrant_innen in der jüngeren Weltgeschichte 
und um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.[4] Nach dem Massaker 
erhielten die involvierten Sicherheitskräfte eine Bonuszahlung sowie ein 
Ehrendenkmal auf dem Rabi'a-Platz, das die gute Zusammenarbeit von Armee 
und Polizei zum Schutz der ägyptischen Bevölkerung symbolisieren 
soll.[5] Dieses brutale Vorgehen sollte für Sisis weiteren Umgang mit 
Dissens und Opposition zukunftsweisend sein und zu einer Radikalisierung 
und islamistischen Einfärbung des Dissenses vielerorts führen – auch auf 
der Sinaihalbinsel. Nachdem zunächst Unbekannte wiederholt die 
Gaspipeline von Sinai nach Israel sabotierten und sich infolgedessen das 
erste Mal als Ansar Beit Maqdis (ABM) vorstellten, nahm ihr Diskurs 
zunehmend islamistischere Töne an und die ägyptischen Sicherheitsdienste 
sowie die zahlreichen Militärunternehmen stellten ihre neuen 
Angriffsziele dar.

Krieg gegen Terror, den niemand sieht

Widersprechen kann den Erfolgsmeldungen des Militärs bezüglich seines 
Krieges auf dem Sinai auch kaum niemand – seit der Einführung des 
Ausnahmezustands auf dem Sinai im Jahr 2014 herrscht ein „media 
blackout“ auf der Halbinsel. Durch das wiederholte Abschalten des 
Mobilfunks und  Internets können selbst Bewohner_innen die Vorgänge vor 
Ort oft nicht nach außen tragen.
Journalist_innen können nur selten in den Sinai einreisen und sollten 
sie in ihrer Berichtserstattung über den Krieg gegen den Terror auf der 
Halbinsel von der Linie der Regierung abweichen, so verstoßen sie gegen 
das 2015 erlassene Anti-Terrorgesetzt und landen immer wieder vor 
Militärgerichten, wie u.a Mohannad Sabry. Sabry sieht einen Grund für 
diesen Berichtsverbot darin, dass die Regierung befürchtet, den 
Erfolgsbehauptungen von Seiten seines Militärapparats könnte 
widersprochen werden und die traurige Realität eines mehrdimensionalen 
Versagens der Regierung offensichtlich werden. Auch nach dem Anschlag 
gestattete das Militär den Journalist_innen keinen Zugang zu der Moschee 
und verbat, Bilder der Beerdigungen zu machen.[6] Nach Aussagen von 
Khaled Megahed, einem Sprecher des Gesundheitsministeriums, habe dieses 
den Medien ohne weitere Erklärung verboten, mit den Verletzten zu 
sprechen.[7]
Seit der Amtszeit von Sisi wurden hunderte Menschen grundlos 
festgenommen, gefoltert und zum Teil auch außergerichtlich hingerichtet. 
Wie sein Amtsvorgänger ließ auch Sisi Tunnel zum angrenzenden 
Gazastreifen mit Salzwasser fluten, wodurch das Grundwasser versalzt. Um 
die Errichtung neuer Tunnel zu erschweren, ließ Sisi in der Zeit von 
Juli 2013 bis August 2015 mehr als 3.255 an den Gazastreifen angrenzende 
Häuser in der ägyptischen Stadt Rafah zerstören, um eine Pufferzone zu 
errichten. Viele der vertriebenen Bewohner_innen sahen sich durch die 
unverhältnismäßige geringe Entschädigung dazu gezwungen, in selbst 
errichteten Hütten in der Wüste zu leben, oder auch Zuflucht in Orten 
wie Al Rawda zu suchen.
Diese militärische Terrorismusbekänpfung verschlimmert die Situation auf 
dem Sinai, schafft einen fruchtbaren Boden für die Rekrutierung 
islamistischer Gruppierungen und verschärft die Misere der zwischen die 
Fronten des staatlichen und des islamistischen Terrors geratenen 
Anwohner_innen.

Ziel des Anschlags?

Einige Anwohner_innen sehen den Grund des Anschlages neben des Angriffs 
auf eine Moschee des Jaririya-Sufi-Ordens vor allem auch in der 
Zusammenarbeit der Dorfbewohner_innen mit den staatlichen 
Sicherheitskräften innerhalb der vergangenen Monate, die vor allem aus 
der Weitergabe von Informationen über die Bewegungen der Wilayat Sinai 
oder am Straßenrand platzierte unkonventionelle Sprengvorrichtungen 
bestand.[8] Der Krieg auf dem Sinai bringt die Bewohner_innen in die 
Situation, sich auf die Seite einer der Kriegsparteien zu stellen und 
zieht sie somit immer weiter in die Spirale der Gewalt. Die nach dem 
Anschlag gestellte Forderung der Union der Stämme Sinais nach einer 
Bewaffnung ihrer Mitglieder durch das Militär für den Krieg gegen 
Wilayat Sinai ist besorgniserregend und könnte den Weg in einen 
Bürgerkrieg pflastern.[9]
Bei dem Anschlag auf die Rawda-Moschee schienen die hinterlassenen 
Munitionsreste Aufschluss über die Täterschaft zu geben: auf ihnen waren 
die Initialen der ägyptischen Armee zu erkennen. Bisher, laut 
Al-Monitor, sei es nur der Gruppe Wilayat Sinai gelungen, bei Angriffen 
auf das Militär dessen Waffen und Munition zu erbeuten. Mehr Waffen 
versprechen mehr Gewalt. Zudem könnten nach einer Bewaffnung der Union 
der Stämme Sinais auch interne Streitigkeiten unter dem Vorwand der 
Terrorismusbekämpfung bewaffnet ausgetragen werden.

Die Legitimierung der Luftschläge sind kein stiller Gruß

Das mit „stillem Gruß“ gezeichnete Kondolenztelegramm gießt somit mehr 
Öl ins Feuer, das seit Jahren Tausenden Menschen auf der Halbinsel Sinai 
das Leben gekostet hat und alle Bewohner_innen unter eine 
Kollektivstrafe stellt. Die Luftschläge, hinter denen Bundeskanzlerin 
Merkel steht, werden den durch Staatsterror und Marginalisierung 
entstandenen islamistisch eingeordneten Terrorismus auf der Halbinsel 
eher stärken als schwächen. Sabrys Ansicht nach müsse die Regierung, um 
die Situation vor Ort zu bessern, zunächst eingestehen, dass ihre 
Militäroperationen und Sicherheitspolitik der letzten Jahre ein 
Fehlschlag waren. Außerdem müssten die staatlichen Behörden unverzüglich 
die gravierenden und zahlreichen Menschenrechtsverletzungen beenden, die 
- gepaart mit der aus wirtschaftlichen und politischen Marginalisierung 
entstandenen Perspektivlosigkeit - die lokale Jugend in die Arme 
bewaffneter Gruppen treibt. Die Wurzeln des Konfliktes liegen in der 
historischen Benachteiligung der Bedouinen auf dem Sinai, deren Unmut 
gegen den Staat mit der Kriminalisierung und Kollektivbestrafung von 
Seiten der Mubarak und der Sisi Regierungen stieg.  Gespräche, Bildung, 
soziale Einbindung und wirtschaftliche Teilhabe könnten den 
hausgemachten Konflikt viel eher beheben. Doch davon ist in Merkels 
Kondolenztelegramm und der weitergehenden polizeilichen, militärischen 
und geheimdienstlichen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Ägypten 
nichts zu erkennen.

Anmerkungen
[1] Air Force kills terrorists of mosque attack in fleeing pickups, 
egypttoday.com, 25.11.2017
[2]القوات الجوية تقتل عدد من العناصر الإرهابية المنفذة للهجوم الإرهابى , 
mod.gov.eg, 25.11.2017
[3]Ahmed Shafiq whereabouts unknown after he is 'deported to Cairo', 
middleeasteye.net, 03.12.2017
[4] Ägypten: Tötungen in Rabaa und andere Tötungen wohl Verbrechen gegen 
die Menschlichkeit, hrw.org, 24.08.2014
[5]Five Egyptians arrested for vandalising army-built memorial in Rabaa, 
english.ahram.org.eg, 15.05.2014
[6]Mourad Hegazi: Province of Sinai ordered Rawda Sufis to halt rituals 
1 week before Friday attack, madamasr.com, 24.11.2017
[7]Karoline Kamel, I was in Rawda, madamasr.com, 26.11.2017
[8]Sinai massacre forebodes more violence, al-monitor.com, 28.11.2017
[9]Should Egypt arm Sinai tribes to confront extremists?, 
al-monitor.com, 07.12.2017
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