Dienstag, 12. Dezember 2017

T wie Terror

https://www.karlnagel.de/t-wie-terror/

Kurz nach Mitternacht, ich liege auf der Matratze und kann nicht schlafen. Bin allein in meiner Dachgeschoßwohnung, im Radio brüllt irgendwer »Wahnsinn, Wahnsinn!«, es folgt Musik – David Hasselhoff singt »I’ve been looking for freedom«. So einen Scheiß braucht niemand in einer Nacht wie dieser, ich kurble zu einem anderen Sender. Erneut wildes Geschrei, das nächste Interview: »Daß ich das noch erlebe«, schluchzt ein Mann, dann Gehupe, Jubel, Durcheinander. Dutzende Hände trommeln auf Trabbi-Dächer, ein Reporter beschreibt, was ich nur ahnen kann.
Ein Schluck aus der Fanta-Flasche, pissen, der nächste Sender. Muß Nachrichten aus Berlin hören, muß, muß, muß, Geschichte wird gemacht!
So verbrachte ich die Nacht vom 9. auf den 10. November 1989. Wenige Stunden zuvor hatte mein Schwarzweiß-Fernseher flackernd vor der Auflösung der DDR kapituliert, er wollte mir das nicht zeigen. Dabei hatte ich die Kiste erst seit ein paar Wochen, abgestaubt von einem Freund, weil mein voriges Gerät nicht mehr wollte. Noch so ein Geschenk, das nur wenige Wochen gelaufen war.
Der Osten ging unter, und ich saß da mit zwei kaputten Glotzen, nachdem ich sieben Jahre ohne Fernseher gelebt hatte.
Am nächsten Tag ging ich zu TV-Werner und kaufte was Offizielles für 150 Mark, einen gebrauchten Nordmende mit Farbe und Garantie. Die beiden abgerauchten Dinger stellte ich hochkant übereinander, den Nordmende obendrauf, natürlich waagerecht. Sah aus wie ein T.
Ich betrachtete mein Werk und war zufrieden. Der Untergang fand nun auch in meiner Bude statt, die Mauer war weg, mein Schutz vorm Wahnsinn da draußen auch.
Ein Knopfdruck, und eine auf SIEG polierte Visage erschien auf der Mattscheibe. Ich hatte dem Monster die Tür geöffnet, es sollte nie wieder gehen.
Und es besaß einen Namen: T wie Terror.
HINWEIS: Aktuell verlinke ich nur ausgewählte Texte bei Facebook und Twitter. Die Sachen, die ich derzeit schreibe, würden dort eh nur gegen die Wand fahren. Wer meinen Scheiß nicht verpassen will, sollte also diesen Blog abonnieren (oben links)!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen