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Mord an einem Ombudsmann
Von Luis Hernández Navarro
(Mexiko-Stadt, 28. November 2017, la Jornada).- Die Beerdigung von Silvestre de la Toba war noch im Gange, als dessen sichtlich gekränkter Cousin jenen Journalist*innen, die den Gouverneur von Baja California Sur, Carlos Mendoza Davis interviewten, zurief: „Schafft ihn weg, schafft ihn weg. Dahin, wo kein Familienangehöriger ist, wo es keinen Schmerz gibt. Interviewt ihn auf der Straße, da, wo der Gouverneur sein muss.“ Der tote Silvestre war der Ombudsmann des Bundesstaates und wurde zusammen mit seinem Sohn am 20. November von Auftragsmördern erschossen. Empört wies der Cousin des Toten laut und deutlich Gouverneur und Reporter*innen zurecht: „Ihr alle seid ‚bezahlt‘, darum interviewt ihr ihn, prahlt und preist ihn.“ Und: „Ich glaubte Ihnen, Herr Gouverneur. Ich glaubte Ihnen, sie könnten dieses Problem lösen, aber sie tun es nicht.“
Massive Angriffe gegen ein Drittel der Ombudsleute auf Bundesstaatsebene
Silvestre de la Toba und sein Sohn Fernando wurden mit Kugeln von einer bewaffneten Gruppe ‚hingerichtet‘. Die Täter schossen auf das Auto, in denen beide mit dem Rest der Familie unterwegs waren. Ohne es öffentlich zu machen, hatte der Ombudsmann einige wenige lokale Behörden über die Rolle informiert, die Aufnahmezentren für Drogenabhängige in dem Bundesstaat als Teil der Infrastruktur des organisierten Verbrechens spielen.
Bisher sind zahllose soziale Führungspersönlichkeiten, Menschenrechtsaktivist*innen, Journalist*innen, Frauen und Bürger*innen umgebracht worden. Doch bei Silvestre handelt es sich um den ersten umgebrachten Vorsitzenden einer staatlichen Menschenrechtskommission. Andere Ombudsmänner in mehreren Bundesstaaten sind bedroht worden. Luis Raúl González Pérez, Vorsitzender der Nationalen Menschenrechtskoordination (CNDH), hat einige erwähnt. Ramón Navarrete Magdaleno aus Guerrero, José Martín García aus Tamaulipas, und Namiko Matzumoto Benítez aus Veracruz.
Grabkränze und menschliche Eingeweide als Gruß ins Büro
Die Liste ist jedoch weitaus länger, wie La Jornada am 26. November dokumentierte. In den Bundesstaaten Oaxaca, Baja California, Sonora, Chihuahua, Quintana Roo, Zacatecas und Jalisco wurden ebenfalls Ombudsmänner oder Berichterstatter*innen attackiert bzw. eingeschüchtert. Mit anderen Worten: Der massive Angriff gegen sie findet in mehr als einem Drittel der mexikanischen Bundesstaaten statt. In einigen Fällen wurden ihre Kinder entführt, in anderen wurden menschliche Eingeweide oder Grabkränze in ihre Büros geschickt und einige andere haben direkte Todesdrohungen erhalten.
Die Regierung scheint nicht viel zu unternehmen, um Mitglieder von Menschenrechtskommissionen auf Ebene der Bundesstaaten, die Opfer von Aggressionen und Drohungen sind, zu schützen. Einige Ombudsmänner, mit dem Rücken zur Wand, sind verständlicherweise bemüht, nicht noch zusätzliche Konflikte zu denen zu schaffen, die sie teilweise mit den örtlichen Regierungen ausfechten müssen. In einigen Bundesstaaten äußern sie sich vorsichtig und diplomatisch, indem sie auf ihre wehrlose Lage hinweisen. Sie wollen keine Märtyrer*innen sein.
Schreckliche Botschaft
Andere dagegen sprechen offener über die Aggressionen, die sich gegen sie richten. Rául Arturo Ramírez, Vorsitzender der staatlichen Menschenrechtskommission in Sonora, weist darauf hin, dass die einzige Unterstützung, die er bekommen hat, vom nationalen Ombudsmann und der Vereinigung der Ombudsleute kam: „Wir bleiben schutzlos, verletzbar“. Arturo Peimbert, Vorsitzender der Menschenrechtsbehörde der Völker Oaxacas [so heißt die offizielle Menschenrechtskommission in diesem Bundesstaat], hat darauf hingewiesen, dass Rubén Vasconcelos, der Generalstaatsanwalt Oaxacas „ein klares Desinteresse gezeigt hat, die Straftaten zu verfolgen und aufzuklären, die gegen Menschenrechtler*innen im Bundesstaat begangen wurden“. Peimbert selbst wurde von einigen Pistoleros gezwungen, sich hinzuknien, während sie ihm eine Schusswaffe auf das Gesicht setzten und ihn aufforderten, die Finger vom Fall Nochixtlán zu lassen.
Der nationale Ombudsmann Gónzalez Pérez hat die große Gleichgültigkeit der Autoritäten der drei Regierungsbehörden angeklagt, wenn es um Aggressionen und Verbrechen gegen Menschenrechtsverteidiger*innen geht. „Wenn ein/e Menschenrechtsverteidiger*in attackiert wird oder verschwindet, dann ist das eine Attacke auf die kollektive Würde“, kommentierte er. Die „Hinrichtung“ des Vorsitzenden der Menschenrechtskommission von Baja California Sur schickt eine schreckliche Botschaft an das Land: Wenn ein vom Staat eingesetzter Ombudsmann ermordet wird, ohne dass etwas passiert, was können dann die gewöhnlichen Sterblichen erwarten? Wer wird den Bürger*innen helfen, wenn diejenigen, die sie schützen sollen, selbst bedroht sind?
Spielregel: Straffreiheit
Die Morde an sozialen Führungspersönlichkeiten, Journalist*innen, Menschenrechtsaktivist*innen und nun dem Ombudsmann sind trotz aller Alarmstufen, Vorbeugemaßnahmen und Empfehlungen ausgeführt worden. In Mexiko können Frauen, soziale Aktivist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Medienschaffende misshandelt, gefoltert, ermordet werden, oder man lässt die verschwinden. Nichts geschieht.
Ab und zu, wenn die Morde die Öffentlichkeit erschüttern, wie im Fall des Journalisten Javier Váldez, inszenieren die höchsten Autoritäten des Landes „Shows“, bei denen sie ihre Entschlossenheit verkünden, das Recht walten und den Mord nicht straffrei zu lassen. Reine Worte und Gesten für die Tribüne. Die Dinge ändern sich nicht. Der mexikanische Staat tut so gut wie nichts, um diese „Hinrichtungen“ zu verhindern. Es gibt eine kriminelle Unterlassung von seiner Seite. Er hat keine effektiven Mechanismen geschaffen, diese Attacken zu stoppen oder zu reduzieren. Die Spielregel heißt Straffreiheit. Weit davon entfernt, ein vereinzeltes Vorgehen zu sein, sind die Fahrlässigkeit der Regierung und die fehlende Bestrafung der Schuldigen Teil eines Verhaltensmusters.
Keine Zweifel mehr am Narco-Staat
Der Mord an Silvestre de la Toba sowie die Angriffe und Drohungen gegen die Ombudsleute sind das letzte Glied einer Kette der schwerwiegenden Menschenrechtskrise im Land. Die Verletzbarkeit und das Ausmaß der Einschüchterung, der sie sich gegenüber sehen, sind ein untrüglicher Wegweiser für die Abgründigkeit dieser Situation.
Die Tatsache, dass Regierungsinstitutionen wie die Menschenrechtskommissionen, die Teil der staatlichen Struktur sind, dass Ombudsleute, die die Funktion haben, den Respekt der Individualrechte gegenüber dem Staat zu garantieren, straffrei attackiert werden können, zeigt: Es existiert eine Komplizenschaft zwischen dem organisierten Verbrechen und zahlreichen und wichtigen öffentlichen Funktionär*innen. Warum sonst werden diejenigen Funktionär*innen, die die Bürger*innen gegenüber dem Staat (oft zaghaft) verteidigen, attackiert? Wenn irgendjemand daran zweifelt, dass Mexiko immer mehr ein Narco-Staat ist, muss sich nur diese Realität anschauen
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