Donnerstag, 15. Dezember 2016

Schluss mit den Bundeswehreinsätzen in Afrika – AfriCom schließen

IMI-Standpunkt 2016/41



Manuskript der Rede von Christph Marischka bei der Demo gegen die Mandatsverlängerung der Bundeswehr am 10.12.2016 in Stuttgart

von: 12. Dezember 2016

 

Liebe Freund_innen und Freunde,
wir demonstrieren ja hier und heute gegen die Mandatsverlängerungen der Bundeswehr. Neben Afghanistan, Syrien und Irak und dem Libanon finden fast alle offiziellen Einsätze der Bundeswehr auf dem afrikanischen Kontinent und vor seinen Küsten statt. Die Bundeswehr ist u.a. in Somalia, Äthiopien, dem Südsudan, Sudan, der Zentralafrikanischen Republik, dem Niger, Mali und der Westsahara aktiv. Ein Schwerpunkt ist dabei Ostafrika. Hier ist die deutsche Armee nicht nur vor den Küsten Somalias im Golf von Aden präsent, um als Exportnationen einen reibungslosen Welthandel abzusichern, sondern sie mischt auch kräftig mit im somalischen Bürgerkrieg selbst. Am Flughafen von Mogadischu sind deutsche Soldaten daran beteiligt, junge Männer als Soldaten auszubilden und anschließend in den Bürgerkrieg zu schicken – für eine somalische Armee, die letztlich nur auf dem Papier besteht, eigentlich ein Söldnerheer ist. Gleichzeitig berät sie das somalische Verteidigungsministerium, das zu einer Regierung gehört, die in Somalia keinen Fuß auf den Boden bekommt. Hierzu fährt sie ab und zu mit schwer bewaffneten Konvois durch Mogadischu, wo die Sicherheitslage katastrophal unsicher ist. Um sich abzusichern wurde u.a. hier in Stuttgart die Zusammenarbeit mit dem US-Oberkommando für Afrika, dem AfriCom in Möhringen, ausgebaut. Jenem Oberkommando, das für Drohnenmorde der US-Armee auf dem afrikanischen Kontinent mitverantwortlich ist, von denen die Bundesregierung aber nichts wissen will. Aber Mord ist Mord und die Verantwortlichen gehören vor Gericht und auch ihre Helfershelfer. Vor allem aber gehören Morde verhindert – doch auch hierzu lassen die Bundesregierung und auch das Stuttgarter Rathaus jeden Ansatz vermissen. Das ist eine Schande und wir müssen den Druck erhöhen, dass die Hofierung von Kriegsverbrechern ein Ende findet.
Aber zurück nach Somalia. Deutschland ist nicht nur mit Soldaten an diesem Bürgerkrieg beteiligt, sondern auch mit viel Geld. Zehntausende Soldaten aus den Nachbarstaaten – Kenia, Uganda und Äthiopien – kämpfen in diesem Bürgerkrieg und sie werden bezahlt aus dem Europäischen Entwicklungsfonds, aus der sog. afrikanischen Friedensfazilität. Über 1,3 Milliarden Euro sind so seit 2007 aus Europa in den somalischen Bürgerkrieg geflossen und es ist schwer vorzustellen, wie dieser Bürgerkrieg ohne den u.a. aus Deutschland und der EU organisierten Zufluss an Geld und Kämpfern so lange und mit dieser Intensität geführt hätte werden können. Überhaupt stellt sich die Frage, wen die zehntausend Soldaten aus dem Ausland in diesem bitterarmen Land überhaupt bekämpfen. Bekämpfen sie die Zivilbevölkerung, oder bekämpfen sie sich nicht in Wirklichkeit gegenseitig – auf dem Rücken der Bevölkerung? Liebe Freundinnen und Freunde, diese Stellvertreterkriege, diese internationalisierten Bürgerkriege müssen ein Ende finden und deshalb müssen Deutschland und die EU aufhören, sie mit Rekrutierung, Geld und Waffen immer weiter mit anzuheizen.
Liebe Freundinnen und Freunde,
auch die Menschen im Südsudan leiden fürchterlich. Hunderttausende von ihnen sind erst 2010/2011 vom Norden in den Süden gekommen – geflogen und gefahren worden – weil ihnen dort der Aufbau eines neuen Staates versprochen wurde. NATO, EU und Deutschland haben kräftig mitgewirkt an der Abspaltung des Südsudan, weil zuvor vor allem asiatische Firmen und Staaten Zugriff auf das dort lagernde Erdöl hatten. Das beinhaltete durchaus auch militärische Drohungen und eine EU-Mission in den Nachbarstaaten des Sudan, Tschad und der Zentralafrikanischen Republik, betrifft aber auch und v.a. die sog. Entwicklungshilfe, die den südsudanesischen Staat aufbaute, für die Unabhängigkeit des Südens warb und massenhaft Menschen für den Umzug in den Süden mobilisierte, noch bevor das Referendum über die Unabhängigkeit stattfand und der neue Staat – unter internationalem Beifall – ausgerufen wurde. Kurz darauf zerfiel der neue Staat in einen der häßlichsten Bürgerkriege weltweit, die Migrant_innen aus dem Norden irren zwischen den diffusen Frontlinien umher. Statt in einem prosperierenden Staat, sind sie in riesigen Flüchtlingslagern gelandet. Gekämpft wird dieser Krieg u.a. mit Waffen, die die USA – ebenfalls vor der Unabhängigkeit, mithilfe der deutschen Beluga-Reederei über Kenia in den Südsudan lieferte. Bekannt wurden diese Lieferungen, weil Piraten eines der Schiffe, die Faina, kaperten und die an Bord befindlichen Kleinwaffen plünderten. Kurz darauf begannen die NATO und die EU Ihre Anti-Piraterie-Missionen am Horn von Afrika. Wir sehen auch am Beispiel des Südsudan: Krieg beginnt hier, und zwar nicht nur an den Bundeswehrstandorten und im AfriCom, sondern immer öfter auch durch sog. Entwicklungszusammenarbeit, die sich in den Dienst imperialer Interessen stellt. Auch dort muss der Krieg beendet werden.
Bevor ich zu Mali komme, muss ich noch kurz auf Äthiopien zu sprechen kommen, das in beiden genannten Kriegen eine unschöne Rolle spielt und trotzdem als Statthalter deutscher und westlicher Interessen wahrgenommen und aufgerüstet wird. In Äthiopien herrscht eine Ein-Parteien-Diktatur, die das Land hemmungslos an internationale Investoren verscherbelt und die Bevölkerung im großen Maßstab vertreibt. Angela Merkel nannte dieses Land kürzlich bei ihrem Besuch in Addis Abeba einen Stabilitätsanker und ein Beispiel für erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung. Bei Protesten gegen Infrastrukturprojekte und Landraub waren in den Monaten zuvor etwa eintausend Menschen getötet worden, am Tag vor ihrem Besuch verhängte das äthiopische Regime den Ausnahmezustand – für sechs Monate. Merkel jedoch versprach eben diesem Regime Unterstützung bei der Polizeiausbildung und weitere Militärhilfe. Offizieller Anlass ihres Besuches war die Einweihung eines neuen militärischen Hauptquartiers in der äthiopischen Hauptstadt – finanziert vom Auswärtigen Amt, gebaut unter Leitung der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ.
Liebe Freundinnen und Freunde, diese Form der wirtschaftlichen Entwicklung durch Landraub und Vertreibung lehnen wir ab. Und diese Zusammenarbeit mit Diktaturen lehnen wir auch ab. Wir wissen andererseits, dass es viele gute Initiativen zur Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Gruppen aus Afrika und Europa gibt und wir können von den Kämpfen gegen Landraub u.a. in Äthiopien auch vieles lernen. Die Menschen dort sprechen von einer doppelten Kolonialisierung – durch den Welthandel einerseits und durch die Regierung im eigenen Land andererseits. Das finde ich einen interessanten Ansatz. Für uns muss das heißen: Wir stellen und gegen die Aufrüstung von Diktaturen – Schluss mit Waffenlieferungen und Militärhilfe! Und wir verstehen das als und wir suchen neue Wege der Solidarisierung mit den Enteigneten und Vertriebenen im globalen Süden.

Bevor Angela Merkel nach Äthiopien ging, war sie ja in Niger und Mali, wo die Bundeswehr gegenwärtig ihren robustesten und gefährlichsten Einsatz hat. Etwa eintausend deutsche Soldat_innen sind bereits dort, Anfang 2017 soll das Mandat um Kampfhubschrauber und Hubschrauber zur medizinischen Evakuierung erweitert werden. Bereits jetzt sind dort große Drohnen vom Typ Heron I stationiert, die sonst bislang von der Bundeswehr nur in Afghanistan zum Einsatz kamen. Sehr wahrscheinlich wird Mali – oder der Sahel – auch der Ort sein, wo ab 2018 erstmals auch bewaffnete Drohnen der Bundeswehr zum Einsatz kommen werden. Die Bundeswehr bildet in Mali einerseits im Rahmen einer EU-Mission im Süden Truppen für den Kampf um den Norden aus; andererseits übernimmt sie selbst in Gao – im umkämpften Norden – die Aufklärung und Absicherung jener – überwiegend afrikanischer – Truppen, die das Gebiet sichern sollen. Über hundert Soldaten dieser UN-Mission sind bereits gestorben – alleine im November etwa ein Dutzend. Es gab auch schon Angriffe auf das deutsche Feldlager Camp Castor und der Flughafen, an den es angrenzt, wurde jüngst durch einen Anschlag verwüstet. Insgesamt habe sich die Lage in Mali in den letzten Monaten „dramatisch verschlechtert“, wie selbst die der Bundesregierung nahestehende Stiftung Wissenschaft und Politik einräumt und sie verschlechtert sich auch im Süden und in den Nachbarstaaten.
Liebe Freundinnen und Freunde, das Folgende ist wichtig: Freigekämpft werden die Orte im Norden von der Französischen Armee in enger Zusammenarbeit mit jenen Sezessionisten, welche die Krise in Mali 2012 letztlich auslösten. Die anschließende „Stabilisierung“ durch die Bundeswehr erfolgt unter einem UN-Mandat, das die Rückkehr der – zuvor von der Bundeswehr im Süden ausgebildeten – malischen Armee in den Norden vorsieht. Diese Rückkehr der staatlichen Truppen wird aber wiederum von denen bekämpft, mit denen Frankreich an vorderster Front kooperiert und es wird immer offensichtlicher, dass Frankreich und Deutschland, obgleich im Bündnis, letztlich unterschiedliche Ziele verfolgen.
Wir sehen hier überdeutlich, was für viele Konflikte in Afrika und auch jenen in Syrien gilt: Dass die internationalisierten Bürgerkriege im globalen Süden letztlich vor Allem eine Arena sind, in der die NATO-Staaten untereinander ihre innerimperialen Auseinandersetzungen austragen. Der Friede, den die Europäische Union vermeintlich unter ihren Mitgliedsstaaten gestiftete hat, bedeutet letztlich nichts anderes, als die Auslagerung ihrer Konflikte in die Peripherie, dass auf dem Rücken der Bevölkerungen im Süden um die Vorherrschaft in Europa und im transatlantischen Bündnis gekämpft wird. Und ich bin froh, dass wir heute hier sind, um ein deutliches Zeichen gegen diese Politik zu setzen!
Was passiert nun mit jenen Menschen, die vor diesen Konflikten – den militärischen, aber auch den sozialen und politischen, der Vertreibung und den vom Norden aufgerüsteten Diktaturen fliehen. Die meisten jedenfalls kommen hier gar nie an. Parallel zum Militäreinsatz in Mali führt die EU Missionen zum Polizeiaufbau in Mali und Niger durch, auch die GIZ ist kräftig daran beteiligt, den Grenzschutz zu forcieren. Im Gegenzug für Rücknahmeabkommen verschenkt der deutsche Innenminister Überwachungs- und Polizeiausrüstung an die nordafrikanischen Staaten und eine libysche Küstenwache wird zukünftig auf EU-Militärschiffen im Mittelmeer ausgebildet – weil es selbst für die Ausbilder-Soldaten in Libyen noch zu gefährlich ist. Wer aber von dort flüchtet, soll von der libyschen Küstenwache aufgehalten werden. Wer es trotzdem schafft, wird dann von der EU-Mission EUNAVFOR MED aufgehalten werden und wer es trotzdem schafft, dem schlägt hier nicht nur die xenophobe Propaganda von Parteien wie der AFD entgegen, sondern der gesammte Flüchtlingsdiskurs, wie er mittlerweile längst auch von den sog. etablierten Parteien und öffentlich-rechtlichen Medienanstalten gepflegt wird.
Liebe Freundinnen und Freunde,
nach all der Regierungsschelte aber abschließend noch etwas positives, eine Vision. Sehr wenige Menschen, nur eine kleine Elite eigentlich, stehen hinter dieser Politik der Aufrüstung, der Stellvertreterkriege und der Fluchtbekämpfung. Wie gesagt gibt es auch viel Solidarität und viele Ansätze einer „Entwicklungszusammenarbeit“ von Unten. Diese bräuchte vielleicht einen Ort, für das Zusammenkommen und den Austausch. Deshalb hier zum Schluss eine Frage: Wer von hier war schon einmal beim AfriCom in Möhringen? Ist ja eigentlich eine ganz schöne Lage, es gibt viel Wohnraum, Infrastruktur, Konferenzräume undsoweiter. Wäre das nicht ein guter Ort, um mit Menschen zusammenzukommen, zusammenzuleben und gemeinsam Ideen für eine andere kommunale, landespolitische Zusammenarbeit mit afrikanischen Gruppen und Gesellschaften zu entwickeln? Wäre das Africom – wie kürzlich durch Leaks bekannt geworden ohnehin nur für wenige Jahre in Stuttgart geplant – nicht ein großartiger Ort für ein Begegnungszentrum, eine Werkstatt, einen Ort des Austauschs und der Aktion? Lasst uns hier in Stuttgart für diese Konversion kämpfen: Für eine Schließung des AfriCom und eine andere Afrikapolitik, gemeinsam und von Unten!

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