Donnerstag, 15. Dezember 2016

Stellungnahme zum Angriff der Polizei auf die Eröffnungsfeier vom ArbeiterInnen- und Jugendzentrum ALEX


Fast ein Jahr Arbeit
Anfang des Jahres 2016 mietete der Verein Kiez Kultur Leben e.V. neue Räumlichkeiten in der Pestalozzistr. 40 in Magdeburg an. Die neuen Räumlichkeiten sollten einen neuen Anlaufpunkt in Stadtfeld West schaffen und neben einem Büro und der Fahrradwerkstatt Soliradisch einen Treffpunkt für proletarische Familien und Flüchtlinge aus dem Kiez darstellen.
Mit viel Engagement und mehreren tausend Euro Eigenleistung renovierten wir über ein dreiviertel Jahr die komplett heruntergekommene Ladenfläche. Es wurden Wasserrohre verlegt, zwei komplette sanitäre Einrichtungen eingebaut, neue Wände gezogen, über 500 Meter Stromkabel verlegt, ca. 50 Steckdosen angebaut, über 40m2 Decke abgehangen und Schall isoliert, der Fußboden barrierefrei für Rollstuhlfahrer ausgebaut, alle Wände des ca. 140m2 großen Ladens verputzt und gestrichen. Zusätzlich wurde eine neue Küche eingebaut sowie ein Tresen aus Holz installiert. Die Liste aller Arbeiten würde hier den Rahmen sprengen. Für einige Mitglieder des Vereins und des ALEX Kollektivs war eine 60 Stunden-Woche Arbeit über ein halbes Jahr die Regel. Einige Menschen nahmen nach ihrem Schichtdienst regelmäßig noch einige Stunden Arbeit auf sich um das Projekt ALEX erfolgreich auszubauen. Aber das störte uns nicht, denn wir wollten mit dem neuen Laden ein neues Kapitel für Stadtfeld-West und seine Bewohner/innen aufschlagen. Neben dem Ausbau der Ladenfläche für gemeinnützige Vereinsaktivitäten mit und für Familien war die Fahrradwerkstatt Soliradisch von Anfang an integraler Bestandteil des neuen Projektes. Soliradisch ist ein Gemeinschaftsprojekt der BUND jugend Magdeburg und des Spielwagen e.V, bei dem es darum geht, gespendete Fahrräder mit geflüchteten und sozial schwachen Menschen gemeinsam zu reparieren und ihnen kostenlos zu überlassen. Eines der Hauptaspekte dabei sind der Wunsch nach Mobilität für alle und der soziale Kontakt mit geflüchteten Menschen. In einer Zeit, in der annähernd 25 % der Wähler in Sachsen Anhalt die AfD gewählt haben und in Magdeburg Faschisten wieder Häuser anzünden, stellt es ein sehr wichtiges Projekt dar. Mit über 500 reparierten Fahrrädern ist Soliradisch ein Beispiel für praktische Solidarität in Zeiten wachsendem Rassismus. Mit dem Ausbau einer festen Werkstatt wollte der Verein „Kiez Kultur Leben e.V.“ einen Beitrag zu diesem Projekt leisten und es qualitativ nach vorne bringen.
Wir kommunizierten von Anfang an dieses Vorhaben mit dem Vermieter, welcher uns noch eine Eingangstür einbaute damit wir mit den Fahrrädern durch den vorderen Eingang den Laden betreten konnten. Zudem stellte er uns eine Fläche im Keller, in der wir gespendete Fahrräder unterbringen konnten. Ebenfalls wusste er das wir uns gegen Mietwucher und Spekulantentum im Stadtteil engagierten.

Die Woche vor der Eröffnungsfeier
Nach einem dreiviertel Jahr intensiver Arbeit und persönlicher Einschränkungen sollte das ALEX am 12.11.2016 eröffnen. Doch dies geschah nicht ohne Widerstand des Ordnungsamtes und der Polizei, welche bereits Wochen zuvor anfingen die Eröffnung zu sabotieren.
Am 8.11. um neun Uhr morgens fing ein Streifenwagen ein Vereinsmitglied vor dem ALEX ab und stellte Fragen bezüglich der Ladenfläche. So fragte der Polizist, ob hier ein kurdischer Verein einen Laden eröffnet. Dies wurde verneint und im Anschluss daran die Personalien der angetroffenen Person aufgenommen. Keine zwei Stunden später rief der Vermieter bei uns an und meinte das Ordnungsamt habe sich gemeldet wegen der Eröffnungsfeier. Er erklärte,dass das Ordnungsamt die Feier untersage.
Der Vermieter bat uns das Gespräch mit dem Amt zu suchen, da er seine Ruhe haben wolle. Nach einem persönlichen Gespräch mit dem Ordnungsamt wurde uns eröffnet, dass die Live- Musik und die Theateraufführung, welche für die Eröffnung am 12.11. geplant waren, untersagt wurden. Wir zeigten uns wieder kooperativ um die Eröffnung nicht zu gefährden, verlegten das Konzert und sagten der Theatergruppe den Auftritt ab.
Am 9.11., einen Tag später, gab es in Magdeburg, wie sehr oft zur Zeit, eine Demonstration von Nazis in der Stadt. Da es bereits im Vorfeld zu Drohungen gegen Flüchtlingsheime und linke Einrichtungen gekommen war, hielten wir es für notwendig das ALEX und die Werkstatt Soliradisch in dieser Nacht zu schützen. Diese Notwendigkeit beweist der rassistische Brandanschlag auf ein Wohnhaus nur einige Tage später. ( http://www.spiegel.de/…/magdeburg-solarium-mit-hakenkreuz-b… )
In der besagten Nacht gegen 0 Uhr kam schließlich erneut die Polizei in die Pestalozzistrasse und schaute sich vor dem Laden um. Als sie eine Person im Laden erblickten ,zogen sie ihre Schusswaffen und bedrohten unseren Genossen, welcher sich im Laden befand. Dieser fing sofort an mit den Polizisten zu kommunizieren. Diese nahmen aber angeblich an auf einen Einbrecher zu treffen. Allen Erklärungen zum Trotz und entgegen des Umstandes das der Mensch einen Schlüssel für den Laden besaß (und dies auch den Polizisten mitteilte) wurde er weiterhin mit einer Schusswaffe, gerichtet auf den Oberkörper, bedroht. Unserem Freund wurde noch gestattet die Heizung herab zu drehen und den Laden zu verschließen bevor er in Handschellen zur ED Behandlung auf das Polizeirevier verbracht wurde.
Die Eröffnungsfeier
Nachdem das Programm der Eröffnungsfeier durch das Verbot der Behörden bereits eingeschränkt wurde, ließen wir uns die Stimmung nicht vermiesen. In rauchfreier Atmosphäre kamen bis zu 200 Menschen nicht nur aus Magdeburg auch mit ihren Kindern und freuten sich über die neuen erweiterten Räumlichkeiten für Stadtfeld.
Nachdem Viele gegessen, etwas getrunken und den Tischkicker sowie den Billardtisch ausprobiert hatten, gingen wir nahezu geschlossen mit den Gästen zu der Location, wo dann noch
zwei befreundete Rapmusiker aus Berlin ihr Können zum Besten gaben. Das ausgelassene Konzert dauerte bis ca. 21 Uhr. Im Anschluss wurde noch gequatscht und ein Teil der Besucher/innen begleitete uns zum ALEX zurück, um den Abend gemütlich ausklingen zu lassen. Vorgesehen war, die Feier um 22 Uhr zu beenden, um auch auf die Nachbarschaft Rücksicht zu nehmen. Doch es kam alles anders als geplant:
Um 21:45 Uhr umstellten mehr als 50 Polizisten das AJZ ALEX. Als Vereinsvertreter vor den Laden traten, um sich zu erkundigen, was hier vor sich ginge, wurde lediglich gesagt: Auf Grund eines Landesfriedensbruch zwei Straßen weiter solle nun eine Razzia durchgeführt werden.
Begründet wurde das mit der Aussage, Polizeibeamte hätten angeblich gesehen, wie einige Täter in den Laden gerannt seien. Nach mehrstündigen Verhandlungen mit den Einsatzkräften der Polizei konnte eine Erstürmung des Objektes verhindert werden. Die Kommunikation mit unserer Anwältin wurde vom Einsatzleiter abgelehnt und als nicht notwendig bezeichnet. Danach wurden von allen Anwesenden die Identität festgestellt und Leibesvisitationen durchgeführt. Hierbei kam es zu erheblichen Übergriffen der Polizei gegenüber Besucher/innen der Feier. Ein Gast erlitt dabei erhebliche Gesichtsverletzungen nachdem drei Beamte auf ihn einschlugen und auf den am Boden liegenden Menschen mit ihren Stiefeln mehrmals ins Gesicht traten, um diesen „zu fixieren“.
Nachdem alle Personen einzeln herausgeführt wurden, begannen fünf Polizisten, darunter auch ein Beamter des Staatsschutzes, die Räumlichkeiten zu durchsuchen. Es wurden keine weiteren Personen im Laden angetroffen und fast alle Schränke und Nischen des Ladens durchsucht. (Entgegen der vorherigen Absprache)
Das Ergebnis der Durchsuchung des ALEX und der noch ca. 45 anwesenden Gäste: „ 2 kleine Plastiktütchen mit geringen Mengen Cannabisblüten , ein kleines Pfefferspray , ein Schal.“ Ende.
Volksstimmeartikel
Nur wenige Stunde nach der Polizeiaktion vorm Alex folgte ein Artikel in der Volksstimme Magdeburg. Hier wurde letztlich vom Redakteur Rainer Schweingel der Polizeibericht übernommen und keine weiteren Recherchen unternommen. Dies wundert uns keineswegs, kennen wir doch solche Artikel, wo diese „Qualität“ des hiesigen Regionalblättchens Standard ist. Aus dem am Vorabend beschlagnahmten Gegenstände im ALEX wurden dann „Pfeffersprays (plural) , Vermummungsgegenstände (Schal) sowie Betäubungsmittel gemacht. Ebenfalls wurde in dem Volkstimme Artikel vom „kreativem“ Redakteur ein polizeilicher Verdacht zu einem Fakt um gedichtet. Beteiligte der Auseinandersetzung flüchteten ins ALEX, was wir jedoch nicht bestätigen können. O -Ton „ Zwischenzeitlich flüchteten die Täter in Richtung Große Diesdorfer Straße / Pestalozzistraße. Polizeibeamte beobachteten, dass Tatverdächtige in das Objekt „Infoladen” in der Pestalozzistraße flüchteten. Es handelt sich hierbei um einen Treffpunkt von Anhängern der linken Szene.“
Wir möchten hier erst einmal klarstellen, das auch wenn die Polizei etwas behauptet es nicht zwangsläufig die Wahrheit ist. In Deutschland ist es juristisch normalerweise so, dass bis zur Verurteilung die Unschuldsvermutung gelte. Diesen Umstand scheint Rainer Schweingel nicht zu interessieren. Er hat hingegen lieber einen Artikel veröffentlicht in dem neben falschen Darstellungen an einer Vorverurteilung der neuen Räumlichkeiten und des Vereins gearbeitet sowie jahrelanger sozialer Einsatz im Stadtteil denunziert und diskreditiert wird.
Für seine schlechten bis nicht vorhandenen Recherchen sprechen ebenfalls die Gleichsetzungen des ALEX mit dem Infoladen. Beide Einrichtungen haben andere Konzepte, sind wie oben beschrieben anders ausgerichtet und werden auch von anderen Initiativen getragen. Zudem konnte sich das ALEX noch nicht als „Szenetreffpunkt“ etablieren, da die Eröffnung die erste Veranstaltung darstellte. Rainer Schweingel hat lediglich die Polizeimeldung 1-1 kopiert und damit zu einer enormen Rufschädigung des ALEX beigetragen. Er machte sich Hingegen zum unreflektierten Sprachrohr der Polizei. Warum er überhaupt seinen Namen unter den Artikel gesetzt hat und es nicht schlicht eine Polizeimeldung nennt, bleibt uns ein Rätsel.
Kündigung durch den Vermieter
Bereits einen Tag nach dem Großeinsatz der Polizei im ALEX ist der Vermieter mit uns für ein Gespräch in Kontakt getreten. Er offenbarte, dass er sich von uns hintergangen fühle und Anwohner sich beschwert hätten wegen des Polizeieinsatzes. Er stellte schnell klar, das er dem Verein die Räumlichkeiten kündigen würde. Er erklärte dass er sich bei der Polizei nochmals informieren wolle. Nach einer Woche gab es erneut ein Treffen. Bei diesem zweiten Treffen brachte er gleich die Kündigung mit.
„Es kam im Zusammenhang mit ihrer Veranstaltung zu erheblichen Störungen und Sachbeschädigungen. Die Störungen der Ordnung waren so erheblich, dass es zu außergewöhnlichem Polizeieinsatz kam und in verschiedenen Medien wirksam gezeigt wurde. Es gab bereits in den Tagen zuvor Polizeieinsätze in den gemieteten Räumen. Der Verein hat die Veranstaltung organisiert, war aber nicht in der Lage, die ordentliche Durchführung sicher zu stellen. Es wurden mit der Veranstaltung nicht die mietvertraglichen Vereinbarungen eingehalten und es wurden Gesetzesverstöße festgestellt. Eine Fortsetzung des Mietvertrages mit dem Verein ist nach den Vorkommnissen leider nicht mehr möglich.“
Wir versuchten den Hintergrund zu erklären und klarzustellen, dass wir auf die Geschehnisse des Abends zwei Straßen weiter, keinen Einfluss hätten. Als Nachweis für die Falschdarstellung durch die Volksstimme legten wir das Protokoll der Durchsuchung vor in welchem klar stand, welche Gegenstände nun letztlich beschlagnahmt wurden. Dies spielte für ihn keine Rolle mehr und er verwies weiter auf den Volksstimmeartikel. Zudem erklärte er, dass er sich über den Verein informiert und mit mehreren Polizisten gesprochen habe. Diese hätten ihm erklärt, wir wären linke Straftäter und solch ein Klientel möchte er nicht in seinem Laden. Es wurde sogar noch etwas weiter verhandelt um eventuell die Räumlichkeiten für die Werkstatt von Soliradisch zu retten.
Doch er stellte klar, dass er keine Besucherfrequenz mehr im Laden wünsche.
Womit letztlich auch das Projekt Soliradisch aus dem Laden gedrängt wurde.
Als er uns seine Argumentation offenbarte, hatten wir deutlich das Gefühl, dass er sich die Situation zu nutze machte um uns los zu werden. Nachdem wir ihm in einem Jahr Arbeit und mehreren tausend Euro Eigenaufwand den Laden renoviert hatten gab er uns keine weitere Chance. Wir boten sogar eine Abmahnung an oder konkrete Regeln für den Laden zum „Schutz“ seiner Mieter/innen. All das hatte keinen Erfolg. Er sieht sich in der Opferrolle, obwohl ihm bis jetzt kein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist. Im Gegenteil, er kündigt uns und erhält eine sanierte Ladenfläche, welche er nun fürs vielfache vermieten könnte. Genauso wie die Polizei scheint er die Chance genutzt zu haben allerdings um sich selber zu bereichern.
Einschätzung
In unseren Augen hat vor allem die Polizei einen Vorwand gesucht und gefunden, um die frisch renovierten Räumlichkeiten möglichst frühzeitig zu durchsuchen. Denn wie bereits beschrieben, war das der dritte Besuch der Polizei innerhalb einer Woche. Das macht für uns den politischen Charakter sehr deutlich. Weiter wurde hinterher bekannt, dass eine Hundertschaft der Polizei bereits seit nachmittags des 12.11. in Stadtfeld stationiert war. Auch der Einsatz von Spürhunden und einem Hubschrauber nach nur 10 Minuten lässt auf eine geplante Aktion der Polizei schließen.
Von daher werten wir die Ereignisse auch als einen konkreten Angriff auf unseren Verein und unsere Projekte der Selbstorganisierung. Die Abfolge der Geschehnisse lässt auf eine geplante Aktion aus den Schubladen der Amtstuben schließen. Von dieser Denunziations- und Kriminalisierungskampagne werden wir uns sicherlich nicht einschüchtern lassen.
In einem Bundesland, wo letztlich 25 % der Wähler/innen die Stimme der AfD gaben, scheint es nicht gewollt zu sein mehr Schutzräume gegen Faschisten entstehen zu lassen. Vielmehr wird alles daran gesetzt, unsere Selbstorganisierung zu schwächen um den Nazi Banden weiter Platz zu schaffen. Vielmehr sollen linke und rebellische Projekte sowie Mieter/innen aus Stadtfeld vertrieben werden, um den Yuppies und Konsumeinrichtungen Platz zu machen.
Aus diesen Erfahrungen werden wir lernen und unsere Arbeit zur Erweiterung der Freiräume in Stadtfeld fortsetzen. Wir werden uns weiter für die Entstehung eines ArbeiterInnen- und Jugendzentrums in Stadtfeld einsetzen und kämpfen.
Wir wollen keinen toten Kiez und keine graue Stadt und wir werden die Verantwortlichen ganz sicher nicht in Ruhe lassen!
ALEXKollektiv, 24.November 2016

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