Donnerstag, 15. Dezember 2016

Kurs Brexitannien. Gerichte mischen mit (Johann-Günther König)


Wie sagte Donald Trump nach seinem Wahlsieg? Brexit plus, plus, plus. Ich beschränke mich auf den die EU gleichsam aus der Puste bringenden, bislang nur wortreich beschworenen Brexit der in den heutigen Vereinigten Staaten einst herrschenden Kolonialmacht Großbritannien.

Premierministerin Theresa May lässt in ihren – öffentlichen (!) – Aussagen keinen Zweifel daran, dass sie den im Referendum vom Volk knapp mehrheitlich gewünschten Ausstieg aus der Europäischen Union mit ihrer Regierung zu realisieren gedenkt. Dem Europäischen Rat, dem Gremium der Staats- und Regierungschefs der EU, hat sie zugesagt, den noch ausstehenden verbindlichen Austrittsantrag im März 2017 zu stellen. Und zwar zielsicher kurz vor dem 25. März, an dem die Unions-Granden in Rom ein dann genau 60 Jahre zurückliegendes Ereignis feiern wollen – die Unterzeichnung der »Römischen Verträge«. Ein Blick zurück: Am 25. März 1957 erfolgte in den Musei Capitolini die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) für die gemeinsame Erforschung und die zivile Nutzung der Kernenergie. Beide Verträge traten nach ihrer Ratifizierung in den damals erst sechs Mitgliedstaaten am 1. Januar 1958 in Kraft. Zuvor war 1952 bereits die Montanunion, die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, aus der Taufe gehoben worden; die zugleich geplante Europäische Verteidigungsgemeinschaft hingegen war 1954 gescheitert. 1965 wurden im sogenannten Fusionsvertrag die Organe der drei Gemeinschaften in der Europäischen Gemeinschaft (EG) zusammengeführt. Die EG wiederum ist seit 1993 Teil der Europäischen Union.

Ob das britische Austrittsgesuch, das die in Artikel 50 des Lissabonner EU-Vertrags rudimentär festgelegten eigentlichen Verhandlungen über die Herauslösung Großbritanniens aus der Union überhaupt erst auslösen kann, im März 2017 tatsächlich eingereicht wird beziehungsweise werden kann, steht in den Sternen. Und zwar nicht zuletzt, weil Anfang November ein hohes englisches Gericht entschieden hat, dass die Regierung das Gesuch in Brüssel nicht ohne die Zustimmung des Parlaments abgeben kann. Die konservative Regierungschefin ist über diese verfassungsrechtliche Entscheidung, so scheint es, »not amused«. Sie fechtet jedenfalls das Urteil gegenwärtig vor dem Supreme Court, dem obersten britischen Gericht, an. Eine Entscheidung dürfte Ende des Jahres vorliegen.

Nun gehört zu den Verfassungsgrundsätzen Großbritanniens die Parlamentssouveränität. Allerdings gibt es sogenannte Prärogative der Krone in der Außenpolitik, die längst auf die Regierung übergegangen sind. Aus ihnen leitet Theresa May das Recht ab, den Austritt aus der EU ohne ausdrückliche Zustimmung des Parlaments erklären zu können. Sie will oder wollte lediglich Debatten über das Brexitverfahren zulassen. Lordoberrichter Lord Thomas of Cwmgiedd stellte mit zwei Kollegen bei der Verkündung aber fest, dass die Souveränität des Parlaments über allen anderen Verfassungsgrundsätzen steht und deshalb eine parlamentarische Abstimmung über den Austrittsantrag zwingend nötig sei. Bei Licht betrachtet haben die Richter Rückgriff auf europäisches Recht genommen und damit – bis auf weiteres – den Parlamentarismus in Brexitannien gestärkt. Denn eben weil der Austrittsantrag nach dem einst von Briten in den Lissabonner Vertrag beförderten Artikel 50 nur »im Einklang« mit den »verfassungsrechtlichen Vorschriften« des ihn stellenden Mitgliedstaates beschlossen werden kann, kam das hohe Gericht zu dem Urteil, dass genau diese Formulierung (zusammen mit der englischen Gesetzgebung zum EG-Beitritt 1972) eine Zustimmung des britischen Parlaments erforderlich macht.

Ob das von der einflussreichen Boulevardpresse umgehend massiv kritisierte Urteil Bestand hat, werden wir spätestens im Januar 2017 wissen. – »WE MUST GET OUT OF THE EU« (Wir müssen raus aus der EU) titelte etwa der Daily Express. – Offen bleibt die Frage, ob das von May für den März kommenden Jahres in Aussicht gestellte Austrittsgesuch tatsächlich zustande kommt. Wenn der Supreme Court das Urteil des High Court bestätigt, dürfte die dann erforderliche förmliche Befassung von Unterhaus und Oberhaus mit dem Brexitgesuch einige Wochen dauern und den Zeitplan erschüttern. Der Spekulation darüber, ob die Parlamentarier dem Austrittsantrag eines Tages auch mehrheitlich zustimmen, sind zudem inzwischen ebenso alle Türen geöffnet wie der Erörterung der Frage, ob sich aus dem Urteil nicht automatisch auch ein größeres Mitspracherecht des Parlaments bei den konkreten Ausstiegsverhandlungen herleiten lässt.

Auf Mays von ausgewiesenen Brexiteers mitgeprägtes Kabinett kommen stürmische Zeiten zu. Und zwar gewiss nicht nur in verfassungsrechtlicher Hinsicht. Darüber in meinem nächsten Beitrag mehr.

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