Inzwischen
versuchen viele, sich aus der Schockstarre zu lösen. Etablierte
Politiker in den USA und Europa, die in ihrer elitären Blindheit ganz
sicher waren, dass ihre Kandidatin gewinnen wird und für Trump nur Spott
und Häme übrig hatten, zügeln ihre Worte und bieten konstruktive
Zusammenarbeit an. Schon wird Trumps Antrittsrede weise genannt. Schon
erweist er sich als lernfähig und will Obamacare nicht mehr abschaffen,
sondern verbessern. Die Aktienkurse steigen langsam wieder. The Show
must go on. Zu der auch die bemerkenswerten Hinweise gehören, es habe
Unregelmäßigkeiten bei der Stimmauszählung gegeben. Und die
Gegenproteste der zu spät Erwachten, denn die Wahlbeteiligung war
niedrig. Not our president, könnten drei Viertel der Wahlberechtigten
zurecht plakatieren, aber da die Hälfte von ihnen gar nicht erst an die
Urnen getreten ist, hat ihm ein Viertel der erwachsenen US-Amerikaner
genügt. Das sagt viel über das personelle Angebot, das die verkommene
Parteiendemokratie zugemutet hat.
Es beginnt gleichzeitig ein tief erschrecktes Nachdenken darüber, weshalb die herrschende Klasse den Zerfall ihrer angeblich liberalen, also freiheitsliebenden Demokratie nicht aufhalten konnte. Dabei hat diese Demokratie immer nur die politische und soziale Freiheit einiger geliebt. Nie, wirklich nie, hat sie alle beglückt. In guten Zeiten schaffte sie es für die Mehrheit, in schlechteren ist die Mehrheit abgehängt. Die Elite hat die Opfer ihres Finanzcasinos und der endlosen Kriege verspottet und ausgeplündert. Das war seit Jahrzehnten offensichtlich, es gehörte erhebliche Ignoranz und Selbstbezogenheit dazu, das zu übersehen. Wir haben nie etwas anderes als eine aus Eigennutz mehr oder weniger freigiebige Oligarchie gehabt. Brexit, Trump und Rechtspopulismus sind nun die äußerst untaugliche Rache der Entmündigten. Einen »lebenden Molotow-Cocktail« nennt Michael Moore Trump in seinem neuen Film.
Eine Wählerrevolte, deren erstaunlicher Coup allerdings auch die Überraschungserfolge von Bernie Sanders waren. Eine einmalige Chance, hintertrieben von der Demokratischen Partei, vertan durch letztlich nicht konsequent genug betriebene breite Bündnisse von linksliberalen, sozialdemokratischen und grünen Aktivisten. Gescheitert an tiefsitzenden, antisozialistischen Reflexen. Ein Versagen der auf Alternativen nicht hinreichend vorbereiteten Linken. Demokratie, diese Lektion wird den Bürgern wieder einmal erteilt, heißt für Fehler selbst verantwortlich zu sein.
Immanuel Wallerstein, der an der Yale University zum Doyen der Weltsystem-Theorie geworden ist, schrieb in seinem Text »Die große Depression« schon vor acht Jahren, man könne zuversichtlich davon ausgehen, dass das gegenwärtige System keine Zukunft habe. Früher oder später werde ein neues installiert. »Das wird kein kapitalistisches System sein. Es wird jedoch möglicherweise weitaus schlimmer (noch polarisierender und noch hierarchischer) oder auch viel besser (nämlich relativ demokratisch, relativ egalitär) sein als ein solches. Das Ringen um die Auswahl eines neuen Systems ist jetzt die wichtigste, weltweit ausgetragene Auseinandersetzung unserer Zeit.«
Mit Donald Trump scheint sich dieses Ringen nun für die weitaus schlimmere Variante entschieden zu haben: Die Mehrheit der US-Amerikaner wird innenpolitisch einen Alptraum erleben – den Sieg all dessen, was Generationen leidenschaftlich zu überwinden suchten: Intoleranz und Rassismus, Frauenverachtung und Sexismus, schließlich Protektionismus und Nationalismus. Trump triumphiert über Karl Marx, so er den Namen kennt, da die Ausgebeuteten ihr Schicksal in die Hände eines Milliardärs legen, statt sich durch revolutionäre Selbstermächtigung zu befreien.
Dessen rückwärtsgewandte Verheißungen haben nichts Messianisches, sie bleiben ganz in der hergebrachten Logik von Wachstum auf Kosten der Umwelt. Von Profitmaximierung auf Kosten von Bildung, Kultur und Sozialleistungen. Neoliberalismus im Kostüm des tabubrechenden, renitenten Außenseiters, der in Wahrheit ein Narr aus dem innersten Zirkel des Kapitals ist. Mitschöpfer dessen, was abgelehnt wird. Ein Narr, der das seit Langem praktizierte Primat der Wirtschaft nun demokratisch legitimiert.
Hätte Hillary Clinton das Ausschlagen des Pendels zur schlimmeren Variante verhindert? Innenpolitisch vielleicht. Doch in weiten Teilen der Welt ist sie verhasst als Kriegstreiberin, als Killery. Sie hat allein mit ihrer Zustimmung zum Irakkrieg und seinen in der Folge über eine Million Toten, die wiederum die Geburtsstunde des IS waren, schon ganz anderen Schaden angerichtet, als Trump mit seinem unterirdischen Wahlkampf. Sie gehört zu jenen, die knallhart alle bekämpfen, die sich der westlichen Dominanz entgegenstellen.
Wenn Politik und Militär das Überflügeln der USA durch die BRICS-Staaten allein nicht verhindern könnten, so bedürfe es zusätzlich einer »ökonomischen NATO« verriet sie in der Washington Post vom 5.12.12. TTIP solle diese Aufgabe übernehmen und die globale US-Vorherrschaft gegen die aufstrebenden Volkswirtschaften verteidigen. Zu dieser Strategie gehörte der mitbetriebene Bruch zwischen der EU und Russland, zwischen der Ukraine und Russland, über die Kettenreaktion der failed states im Nahen Osten, deren Flüchtlinge in der EU eine Psychose der Überfremdung auslösen, bis zu 300 Militärmanövern 2015, die vorzugsweise gegen Russland gerichtet waren und die berechtigte Angst vor einer Konfrontation von NATO und Russland auslösten.
Das schlimme an Hillary war gerade ihre Berechenbarkeit. Dann wollte die Mehrheit doch lieber amerikanisches Roulette mit dem Unberechenbaren. Trump ist auch deshalb gewählt worden, weil er keine Ahnung vom verhassten politischen Geschäft hat, das nun schon aus Unkenntnis nicht fortgeführt werden soll. Wenn er tatsächlich mit der verhängnisvollen Interventionspolitik bricht, wenn er sich TTIP nicht aufschwatzen lässt, wären aus europäischer Sicht mit der Außenpolitik dieses Präsidenten auch Hoffnungen verbunden. Unter ihm sind die Chancen größer, dass Europa sich endlich von den USA emanzipiert. Ob Trump genug Eigensinn haben wird, sich von seinem ultrakonservativen Team nicht doch wieder vor den alten Karren spannen zu lassen, lohnt Neugier.
War die Amtszeit Obamas, der viele von seinen ehrgeizigen Zielen nicht verwirklichen konnte, nicht der Beweis, dass US-Präsidenten gar nicht so machtvoll sind, wie ihnen unterstellt wird? Oder setzt erst die eigene Mehrheit im Kongress und im Obersten Gericht die übrigen Checks and Balances außer Kraft? Von einem Lehrstück in Demokratie ist jetzt die Rede. Gibt es noch Gewaltenteilung, hat es sie je gegeben? Das plötzlich eingeräumte Erweckungserlebnis über die Abgehobenheit der politischen Kaste ist lächerlich. Seit es die Parlamentarische Demokratie gibt, wird diese Kluft von Intellektuellen und selbst Politikern beschrieben.
Nach der Hälfte seiner Amtszeit und trotz manchem Sieg zugunsten des Gemeinwohls kam US-Präsident Theodore Roosevelt 1906 zu dem Schluss: »Hinter dem, was wir für die Regierung halten, thront im Verborgenen eine Regierung ohne jede Bindung an und ohne jede Verantwortung für das Volk. Die Vernichtung dieser unsichtbaren Regierung und Zerschlagung der unheiligen Allianz von korrupter Wirtschaft und korrupter Politik ist die entscheidende politische Herausforderung dieser Zeit.«
Bis zum Ende seiner Amtszeit konnte Roosevelt daran nichts ändern. Und auch nach ihm niemand. Nach zwei Weltkriegen kam Hanna Arendt in ihrem Buch »Über die Revolution« zu dem Befund, der entscheidende Konflikt verlaufe nicht zwischen rechts und links, sondern zwischen Parlament und Volk, das seine Macht an die Parteienoligarchie verloren habe. Hat das Volk diese Macht je gehabt? Außer in wenigen Monaten revolutionärer Umbrüche?
In welcher Welt wollen wir leben? Wenn die neuen Herausforderungen von Wahlergebnissen endlich zu dieser Debatte führen würden, wäre viel gewonnen. Nationale Lösungen sind der Größe der Aufgabe nicht gewachsen. Vielmehr würde die Abkehr von regime chance und Kriegslogik die Jahrtausende alte Utopie der »Einheit des Menschengeschlechts« beleben. Die Idee des an Humanität orientierten globalen, gebildeten Souveräns. Prekarier aller Länder vereinigt euch.
Es beginnt gleichzeitig ein tief erschrecktes Nachdenken darüber, weshalb die herrschende Klasse den Zerfall ihrer angeblich liberalen, also freiheitsliebenden Demokratie nicht aufhalten konnte. Dabei hat diese Demokratie immer nur die politische und soziale Freiheit einiger geliebt. Nie, wirklich nie, hat sie alle beglückt. In guten Zeiten schaffte sie es für die Mehrheit, in schlechteren ist die Mehrheit abgehängt. Die Elite hat die Opfer ihres Finanzcasinos und der endlosen Kriege verspottet und ausgeplündert. Das war seit Jahrzehnten offensichtlich, es gehörte erhebliche Ignoranz und Selbstbezogenheit dazu, das zu übersehen. Wir haben nie etwas anderes als eine aus Eigennutz mehr oder weniger freigiebige Oligarchie gehabt. Brexit, Trump und Rechtspopulismus sind nun die äußerst untaugliche Rache der Entmündigten. Einen »lebenden Molotow-Cocktail« nennt Michael Moore Trump in seinem neuen Film.
Eine Wählerrevolte, deren erstaunlicher Coup allerdings auch die Überraschungserfolge von Bernie Sanders waren. Eine einmalige Chance, hintertrieben von der Demokratischen Partei, vertan durch letztlich nicht konsequent genug betriebene breite Bündnisse von linksliberalen, sozialdemokratischen und grünen Aktivisten. Gescheitert an tiefsitzenden, antisozialistischen Reflexen. Ein Versagen der auf Alternativen nicht hinreichend vorbereiteten Linken. Demokratie, diese Lektion wird den Bürgern wieder einmal erteilt, heißt für Fehler selbst verantwortlich zu sein.
Immanuel Wallerstein, der an der Yale University zum Doyen der Weltsystem-Theorie geworden ist, schrieb in seinem Text »Die große Depression« schon vor acht Jahren, man könne zuversichtlich davon ausgehen, dass das gegenwärtige System keine Zukunft habe. Früher oder später werde ein neues installiert. »Das wird kein kapitalistisches System sein. Es wird jedoch möglicherweise weitaus schlimmer (noch polarisierender und noch hierarchischer) oder auch viel besser (nämlich relativ demokratisch, relativ egalitär) sein als ein solches. Das Ringen um die Auswahl eines neuen Systems ist jetzt die wichtigste, weltweit ausgetragene Auseinandersetzung unserer Zeit.«
Mit Donald Trump scheint sich dieses Ringen nun für die weitaus schlimmere Variante entschieden zu haben: Die Mehrheit der US-Amerikaner wird innenpolitisch einen Alptraum erleben – den Sieg all dessen, was Generationen leidenschaftlich zu überwinden suchten: Intoleranz und Rassismus, Frauenverachtung und Sexismus, schließlich Protektionismus und Nationalismus. Trump triumphiert über Karl Marx, so er den Namen kennt, da die Ausgebeuteten ihr Schicksal in die Hände eines Milliardärs legen, statt sich durch revolutionäre Selbstermächtigung zu befreien.
Dessen rückwärtsgewandte Verheißungen haben nichts Messianisches, sie bleiben ganz in der hergebrachten Logik von Wachstum auf Kosten der Umwelt. Von Profitmaximierung auf Kosten von Bildung, Kultur und Sozialleistungen. Neoliberalismus im Kostüm des tabubrechenden, renitenten Außenseiters, der in Wahrheit ein Narr aus dem innersten Zirkel des Kapitals ist. Mitschöpfer dessen, was abgelehnt wird. Ein Narr, der das seit Langem praktizierte Primat der Wirtschaft nun demokratisch legitimiert.
Hätte Hillary Clinton das Ausschlagen des Pendels zur schlimmeren Variante verhindert? Innenpolitisch vielleicht. Doch in weiten Teilen der Welt ist sie verhasst als Kriegstreiberin, als Killery. Sie hat allein mit ihrer Zustimmung zum Irakkrieg und seinen in der Folge über eine Million Toten, die wiederum die Geburtsstunde des IS waren, schon ganz anderen Schaden angerichtet, als Trump mit seinem unterirdischen Wahlkampf. Sie gehört zu jenen, die knallhart alle bekämpfen, die sich der westlichen Dominanz entgegenstellen.
Wenn Politik und Militär das Überflügeln der USA durch die BRICS-Staaten allein nicht verhindern könnten, so bedürfe es zusätzlich einer »ökonomischen NATO« verriet sie in der Washington Post vom 5.12.12. TTIP solle diese Aufgabe übernehmen und die globale US-Vorherrschaft gegen die aufstrebenden Volkswirtschaften verteidigen. Zu dieser Strategie gehörte der mitbetriebene Bruch zwischen der EU und Russland, zwischen der Ukraine und Russland, über die Kettenreaktion der failed states im Nahen Osten, deren Flüchtlinge in der EU eine Psychose der Überfremdung auslösen, bis zu 300 Militärmanövern 2015, die vorzugsweise gegen Russland gerichtet waren und die berechtigte Angst vor einer Konfrontation von NATO und Russland auslösten.
Das schlimme an Hillary war gerade ihre Berechenbarkeit. Dann wollte die Mehrheit doch lieber amerikanisches Roulette mit dem Unberechenbaren. Trump ist auch deshalb gewählt worden, weil er keine Ahnung vom verhassten politischen Geschäft hat, das nun schon aus Unkenntnis nicht fortgeführt werden soll. Wenn er tatsächlich mit der verhängnisvollen Interventionspolitik bricht, wenn er sich TTIP nicht aufschwatzen lässt, wären aus europäischer Sicht mit der Außenpolitik dieses Präsidenten auch Hoffnungen verbunden. Unter ihm sind die Chancen größer, dass Europa sich endlich von den USA emanzipiert. Ob Trump genug Eigensinn haben wird, sich von seinem ultrakonservativen Team nicht doch wieder vor den alten Karren spannen zu lassen, lohnt Neugier.
War die Amtszeit Obamas, der viele von seinen ehrgeizigen Zielen nicht verwirklichen konnte, nicht der Beweis, dass US-Präsidenten gar nicht so machtvoll sind, wie ihnen unterstellt wird? Oder setzt erst die eigene Mehrheit im Kongress und im Obersten Gericht die übrigen Checks and Balances außer Kraft? Von einem Lehrstück in Demokratie ist jetzt die Rede. Gibt es noch Gewaltenteilung, hat es sie je gegeben? Das plötzlich eingeräumte Erweckungserlebnis über die Abgehobenheit der politischen Kaste ist lächerlich. Seit es die Parlamentarische Demokratie gibt, wird diese Kluft von Intellektuellen und selbst Politikern beschrieben.
Nach der Hälfte seiner Amtszeit und trotz manchem Sieg zugunsten des Gemeinwohls kam US-Präsident Theodore Roosevelt 1906 zu dem Schluss: »Hinter dem, was wir für die Regierung halten, thront im Verborgenen eine Regierung ohne jede Bindung an und ohne jede Verantwortung für das Volk. Die Vernichtung dieser unsichtbaren Regierung und Zerschlagung der unheiligen Allianz von korrupter Wirtschaft und korrupter Politik ist die entscheidende politische Herausforderung dieser Zeit.«
Bis zum Ende seiner Amtszeit konnte Roosevelt daran nichts ändern. Und auch nach ihm niemand. Nach zwei Weltkriegen kam Hanna Arendt in ihrem Buch »Über die Revolution« zu dem Befund, der entscheidende Konflikt verlaufe nicht zwischen rechts und links, sondern zwischen Parlament und Volk, das seine Macht an die Parteienoligarchie verloren habe. Hat das Volk diese Macht je gehabt? Außer in wenigen Monaten revolutionärer Umbrüche?
In welcher Welt wollen wir leben? Wenn die neuen Herausforderungen von Wahlergebnissen endlich zu dieser Debatte führen würden, wäre viel gewonnen. Nationale Lösungen sind der Größe der Aufgabe nicht gewachsen. Vielmehr würde die Abkehr von regime chance und Kriegslogik die Jahrtausende alte Utopie der »Einheit des Menschengeschlechts« beleben. Die Idee des an Humanität orientierten globalen, gebildeten Souveräns. Prekarier aller Länder vereinigt euch.
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