IMI-Standpunkt 2016/039 - in: AUSDRUCK (Dezember 2016)
von: Marius Pletsch | Veröffentlicht am: 29. November 2016
Der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Berthold Kohler fordert im Angesicht des Wahlsiegs Donald Trumps zum 45. Präsidenten der USA eine „Revision“ der deutschen Außenpolitik. Die Wahl Trumps sei eine „Kontinentalverschiebung“, auf die reagiert werden müsse. Russland und China könnten nach dem Ende der Amtszeit Obamas ohne starke Vereinigte Staaten an Macht und Einfluss(-sphären) gewinnen. Trump hätte bei seinem Wahlkampf Zweifel daran geweckt, dass die USA in Zukunft noch ihre schützende Hand über die Alliierten in der NATO und im Pazifikraum hält. Und diese Zweifel gefährden „die den Frieden sichernde Macht der Abschreckung“ (FAZ, 27.11.2017).
Hier die entscheidende Passage aus dem Artikel: „Wenn Trump bei seiner Linie bleibt, dann wird Amerika die Verteidigung Europas in einem Maße den Europäern überlassen, das sie seit 1945 nicht mehr kennen. Das wäre so widernatürlich nicht, für viele Europäer aber dennoch eine Zumutung, weil damit unangenehme Folgen verbunden wären, denen man unter dem oft verteufelten, aber bequemen amerikanischen Schutzschirm ausweichen konnte: höhere Ausgaben für die Verteidigung, die Wiederbelebung der Wehrpflicht, das Ziehen roter Linien – und das für deutsche Hirne ganz und gar Undenkbare, die Frage einer eigenen nuklearen Abschreckungsfähigkeit, welche die Zweifel an Amerikas Garantien ausgleichen könnte. Die französischen und britischen Arsenale sind dafür in ihrem gegenwärtigen Zustand zu schwach. Moskau aber rüstet auf.“
Zu dem Thema Moskau rüstet auf: Ja, Russland modernisiert aktuell sein nukleares Arsenal und die Trägerplattformen, wie auch die USA. Beide Modernisierungsprogramme sind extrem kostspielig, wie Hans M. Kristensen bei der Arms Control Association 2014 ausführte. Russland wird zwischen 2014 und 2024 geschätzt 54 Mrd. US-Dollar für seine nuklearen Fähigkeiten ausgeben. Die USA werden zwischen 2014 und 2024 geschätzt 355 Mrd. US-Dollar ausgeben, bis 2044 sollen insgesamt ca. eine Billion US-Dollar in das amerikanische Nuklearwaffenprogramm geflossen sein. So unberechenbar Trump außenpolitisch sein mag, noch hat er seine Meinung, mehr für das US-Militär ausgeben zu wollen, nicht geändert und erhätte die Möglichkeiten durch den, von den Republikaner_innen kontrollierten Kongress die Möglichkeit, die Grenzen für das Militärbudget weiter auszuhebeln, wie war-on-the-rocks (10.11.2016) schreibt. Hier war er bislang konsistent, während er bei anderen Themen nicht einmal binnen weniger Augenblicke bei einer Meinung bleiben konnte. So geschehen in der Sendung 60-Minutes, wo er innerhalb einer Minute auf die Frage, ob er auf die obersten US-Militärs hören würde, völlig verschiedene Antworten gab (siehe politico, 22.11.2016).
Frankreich ist in den letzten Zügen der Modernisierung seiner gut 300 Atomsprengköpfe und der Trägersysteme, so dass diese mindestens bis 2050 einsatzbereit bleiben können. Auch Großbritannien möchte seine U-Boote, die als Trägerplattform dienen, gerne in den 2020ern durch Neure ersetzen. Die derzeit noch 225 Sprengköpfe sollen bis dahin auf ca. 180 Stück reduziert werden. Wenn diese originär europäischen Arsenale (heißt ohne die nukleare Teilhabe der fünf NATO-Staaten Deutschland, Belgien, Niederlande, Italien und Türkei) „zu schwach sind“, was soll dann zusätzlich an Sprengkraft nötig sein, damit auch die FAZ wieder ruhig schlafen kann? (Eine aktuelle Aufstellung der Anzahl von Sprengköpfen der Nuklearmächte findet sich bei SIPRI)
Hier sind wir dann auch beim eigentlichen Punkt des Artikels: das „Undenkbare“, also die eigene nukleare Bewaffnung Deutschlands, wird hier ins Gespräch gebracht. Begründet wird diese Forderung mit der auf den Neorealismus zurückgehenden Idee der stabilen, friedlichen Koexistenz durch Nuklearwaffen. Auch ließe sich erst aus einer Position der Stärke und mit der Gewissheit der sicheren gegenseitigen Vernichtung (im Englischen: Mutual Assured Destruction, kurz: MAD) erst so richtig über Abrüstungsinitiativen verhandeln. Dass Deutschland für den Aufbau entsprechender Kapazitäten, erst einmal völkerrechtliche Verträge, wie den Nicht-Verbreitungsvertrag, brechen und den 2011 beschlossenen Atomausstieg kassieren müsste, scheint an diesem Punkt auch egal zu sein. Trump wurde ja gewählt. Wenn Franz Josef Strauß das noch hätte erleben dürften.
Umso schlimmer, dass Kohler hier mit seiner Forderung nicht alleine steht. Auch der prominente CDU-Politiker Roderich Kiesewetter forderte zum Beispiel, in Fragen der nuklearen Abschreckung dürfe es „keine Denkverbote geben.“ (Deutschlandfunk, 18.11.2016) In welche Richtung der CDU-Mann hier konkret denkt, berichtet German-Foreign-Policy.com (29.11.2016): „Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Roderich Kiesewetter [hat] gefordert, Berlin solle in Paris und in London dafür werben, einen ‚Nuklearschirm‘ für die EU zu errichten. Kiesewetter gibt an, dafür schon vor den Wahlen in den USA geworben, aber erst nach Trumps Sieg Zustimmung geerntet zu haben. Es sei möglich, den teuren Nuklearschirm aus dem EU-Militäretat zu finanzieren, der 2019 eingerichtet werden solle.“
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