Die Thüringer CDU will einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung für begrenzte Zeit zu Mehrheiten verhelfen - trotz eines Kooperationsverbotes der Bundespartei mit den Linken. Bei Verhandlungen von Linkspartei, SPD und Grünen mit den Christdemokraten wurde am späten Freitagabend in Erfurt ein entsprechender Durchbruch erzielt. Die vier Parteien einigten sich auf eine neue Ministerpräsidentenwahl am 4. März, bei der die Linke wieder den früheren Regierungschef Bodo Ramelow als Kandidaten aufstellen will. Außerdem wurde eine Neuwahl des Parlaments am 25. April 2021 beschlossen. Die Vereinbarung soll den Weg aus der Regierungskrise ebnen, in der Thüringen seit mehr als zwei Wochen steckt.
Das Land wird derzeit vom geschäftsführenden Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich ohne Kabinett und Minister regiert. Der FDP-Politiker Kemmerich war am 5. Februar nicht nur mit den Stimmen von CDU und FDP, sondern auch mit denen der AfD zum neuen Regierungschef gewählt worden, was bundesweit für Entrüstung sorgte. Drei Tage später trat Kemmerich zurück.
Unklar blieb zunächst, wie genau die Wahl des Linke-Frontmanns Ramelow mit absoluter Mehrheit abgesichert werden soll. Linke, SPD und Grüne kommen in Thüringen nur auf 42 Stimmen und haben im Parlament damit keine eigene Mehrheit - es fehlen vier Stimmen. Um ohne Stimmen der AfD gewählt zu werden, braucht Ramelow Unterstützung aus CDU oder FDP.
Ein Parteitagsbeschluss verbietet der CDU eigentlich jede Zusammenarbeit mit der AfD und der Linken. Nun aber soll es eine Art Kooperation geben. Thüringens CDU-Vizechef Mario Voigt sagte: »Für den Übergang braucht es diese Formen des verbindlichen Miteinanders, der projektorientierten Zusammenarbeit.« Die CDU werde dennoch eigenständige Initiativen im Parlament starten. »Wir verstehen uns als konstruktive Opposition«, sagte Voigt. Man wolle Kompromisse gemeinsam suchen und dann zum Erfolg führen, aber nur »für eine begrenzte Zeit«, wie Voigt betonte.
Die Linke-Landesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow sprach von einer Minderheitsregierung in Thüringen, die für einen abgesteckten Zeitraum von einer »konstruktiven Opposition« unterstützt werden solle. Nachdem ein Haushalt für das Jahr 2021 beschlossen ist, solle die Neuwahl des Parlaments beantragt werden, sagte sie.
Ramelow sagte, man habe mit der CDU einen »Stabilitätsmechanismus« vereinbart. Damit solle unter anderem verhindert werden, dass die AfD bei Abstimmungen zum Mehrheitsbeschaffer werde. Linke-Chefin Katja Kipping erklärte, dass damit die bisher von der CDU praktizierte Äquidistanz zu AfD und Linken erledigt sei.
»Wir sind sicher, dass diese Wahl gelingen wird und Thüringen eine Regierung bekommt, die von Demokraten getragen wird«, sagte Thüringens Grünen-Fraktionschef Dirk Adams. SPD-Landeschef Wolfgang Tiefensee erklärte: »Die CDU macht damit den Weg frei, bis Ende des Jahres als konstruktive Opposition für stabile Verhältnisse im Parlament und damit in Thüringen zu sorgen.«
Das Verhandlungsteam der Thüringer CDU-Fraktion erklärte nach der Einigung, dass Rot-Rot-Grün keine Vorhaben umsetzen könne, die fundamentalen Überzeugungen der CDU widersprächen. »Die Stabilitätsvereinbarung bedeutet keine Koalition, keine Tolerierung und keine Duldung von Rot-Rot-Grün, sondern eine zeitlich eng begrenzte, projektorientierte Zusammenarbeit zum Wohle Thüringens«, hieß es in einer Mitteilung, deren Wortwahl auch vom erheblichen Konfliktpotenzial des Erfurter Kompromisses für die Union zeugt.
So hatte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak die Wahl eines Linke-Ministerpräsidenten mit Stimmen von CDU-Abgeordneten kategorisch ausgeschlossen. Vor zwei Wochen sagte er im ZDF: »Herr Ramelow hat keine Mehrheit in diesem Parlament, und deswegen wird es auch keine Unterstützung für Herrn Ramelow von der CDU geben. Da braucht man sich überhaupt nichts vorzumachen.« Der ehemalige CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz hingegen bezeichnete den nun vereinbarten Thüringer Kompromiss im »Tagesspiegel« als »vertretbaren Weg aus der Krise, von deren Fortdauer vor allem die AfD profitiert hätte«.
Um den Termin für eine Neuwahl war bei den Verhandlungen schwer gerungen worden. Die CDU wollte zügige Neuwahlen vermeiden - wohl auch, weil sie laut Umfragen in der Wählergunst stark abgesackt ist. Nach jüngsten Umfragen würden sich die Christdemokraten nach dem für sie historisch schlechten Wahlergebnis im Herbst 2019 (21,7 Prozent) noch einmal dramatisch verschlechtern. Dagegen pochten vor allem Linke und SPD auf eine schnelle Auflösung des Parlaments. Beide Parteien sind in den Umfragen im Aufwind. dpa/nd
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