Samstag, 21. September 2019

[Start 8.11.2018] Forschungsprojekt „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamte“ an der Ruhr Universität Bochum befragt Betroffene


Dossier

Stoppt PolizeigewaltKörperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen ist bislang kaum empirisch untersucht, obwohl das Thema auch die öffentliche Debatte intensiv beschäftigt. Insbesondere zum Dunkelfeld und zu viktimologischen, also die Opferwerdung betreffenden Aspekten, liegen praktisch keine Erkenntnisse vor. Auch die Dynamik der Konfliktsituationen und ihre Aufarbeitung ist unzulänglich erforscht. Vor diesem Hintergrund untersucht das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt erstmalig systematisch rechtswidrige polizeiliche Gewaltanwendung aus der Perspektive der Opfer und im Kontext des polizeilichen Bearbeitungsprozesses. Im Fokus stehen dabei Viktimisierungsprozesse, das Anzeigeverhalten und die Dunkelfeldstruktur, die mit einer quantitativen Opferbefragung (Online-Fragebogen) und qualitativen Expert*inneninterviews untersucht werden sollen….“ – so beginnt die Vorstellung des Projekts „KVIAPOL“ der Juristischen Fakultät der Ruhr Universität Bochum, das seit dem 08. November 2018 externer Link begonnen hat. Darin werden zur Teilnahme eingeladen: „An der Studie können Betroffene teilnehmen, denen rechtswidrige körperliche Gewalt durch die Polizei in Deutschland widerfahren ist. Das Ausfüllen des Fragebogens dauert ca. 30 Minuten.  Gerne können Sie das Projektteam auch per E-Mail (pgp) kontaktieren…“ Siehe dazu auch die konkrete Vorstellung des Forschungsprogramms:
  • Zwischenbilanz des Untersuchungsprojektes zur Polizeigewalt: Meistens bei Demonstrationen, oft bei Fußballspielen New
    „… Die Ruhr-Universität Bochum hat heute den Zwischenbericht zur größten Polizeigewalt-Studie veröffentlicht, die je in Deutschland durchgeführt wurde. Insgesamt wurden 3.375 Fälle mutmaßlich rechtswidriger oder übermäßiger Polizeigewalt analysiert. Wie immer bei Befragungen von Betroffenen bildet dieser Ausschnitt deren Einschätzungen und Bewertungen ab und nur in wenigen Fällen gerichtlich festgestellte Sachverhalte. In 55 Prozent der erfassten Fälle fand die Polizeigewalt bei einer Demonstration oder politischen Aktion statt, bei 25 Prozent auf einer Großveranstaltung oder einem Fußballspiel, die restlichen 20 Prozent verteilen sich über andere Kontaktsituationen mit der Polizei. In 54 Prozent der Fälle eskalierte die Situation in weniger als zwei Minuten vom ersten Kontakt bis zu der berichteten Gewaltausübung. Das galt vor allem für Großveranstaltungen wie Demonstrationen und Fußballspiele, aber auch für Maßnahmen wie Fest- und Ingewahrsamnahmen, Wohnungsdurchsuchungen und Straßenverkehrskontrollen außerhalb von Großveranstaltungen, heißt es in der Studie. Am häufigsten kam es zu Schlägen und Stößen sowie dem Einsatz von Reizgas (Pfefferspray). Dabei berichteten mehr als zwei Drittel der Befragten von physischen Verletzungen. 19 Prozent der Betroffenen gaben an, schwere Verletzungen erlitten zu haben, zum Beispiel Knochenbrüche, schwere Kopfverletzungen und innere Verletzungen…“ – aus dem Beitrag „Studie: Polizeigewalt richtet sich meistens gegen Demonstrationsteilnehmer und Fußballfans“ von Markus Reuter am 17. September 2019 bei netzpolitik externer Link in dem der vorgelegte Zwischenbericht vorgestellt und kommentiert wird. Siehe dazu auch den Link zum Zwischenbericht, einen Kommentar dazu und eine Meldung über erste Reaktionen:
    • Polizeiliche Gewaltanwendungen aus Sicht der Betroffenen“ von Laila Abdul-Rahman, Hannah Espín Grau und Tobias Singelnstein am 17. September 2019 beim Lehrstuhl für Kriminologie an der RUB externer Link  ist eben der vorgestellte Zwischenbericht des Untersuchungsprojektes, dessen AutorInnen einleitend zur Datenlage und Gültigkeit informieren: „… Von 5.677 vollständig ausgefüllten Fragebögen entfielen 3.678auf den Hauptfragebogen zu eigenen Erfahrungen mit körperlicher Gewalt durch Polizist*innen im Rahmen der Dienstausübung, die die Betroffenen als übermäßig bzw. rechtswidrig bewerteten. Weitere 1.999 Personen nutzten die Befragung, um Zeugenerfahrungen, andere Formen als körperliche Gewalt oder das Fehlen von entsprechenden Gewalterfahrungen zu berichten; diese Angaben sind nicht Gegenstand der vorliegenden Auswertung (s. 2.2).Von den 3.678 abgeschlossenen Hauptfragebögen wurden im Prozess der Datenbereinigung 303 Fragebögen aus dem Datensatz ausgeschlossen. Die verbleibenden 3.375 Fälle fanden Eingang in die Analysen. Wie stets bei Viktimisierungsbefragungen bildet dieses Sample Einschätzungen und Bewertungen der Befragten ab und nur in wenigen Fällen gerichtlich festgestellte Sachverhalte. Dies ist bei der Bewertung der Ergebnisse zu berücksichtigen und von besonderer Bedeutung, da die Abgrenzung zwischen der rechtmäßigen Ausübung unmittelbaren Zwangs durch die Polizei einerseits und rechtswidriger polizeilicher Gewaltausübung andererseits für juristische Lai*innen mitunter nicht einfach vorzunehmen ist...“
    • „Offizielle Bestätigung“ von Sebastian Bähr am 17. September 2019 in neues deutschland online externer Link zu dieser Veröffentlichung unter anderem: „… Eine Studie zur Erforschung illegaler Polizeigewalt könnte dies nun ändern und die Debatte womöglich sogar voranbringen. Sie bestätigt nämlich das, was den Betroffenen bisher keiner glauben wollte: Ja, illegale Polizeigewalt ist real. Sie schüchtert ein, sie bringt Leid und sie ist vor allem weitaus stärker verbreitet, als die amtlichen Zahlen nahelegen. Betroffene zeigen Beamte nicht an, weil sie Angst haben oder nicht glauben, dass es etwas nützt. Schon seit Jahren werden von Bürgerrechtlern unabhängige Beschwerdestellen und eine individuelle Kennzeichnungspflicht für Polizisten gefordert. Was kam? Neue Polizeigesetze in mehreren Ländern, die die Befugnisse der Beamten noch mehr ausweiten. Ähnliche Tendenzen sind überall in Europa spürbar: Statt mehr Bürgerrechten und Kontrolle der Polizei gibt es autoritäre Sehnsüchte…“
    • „Kaum Anklagen bei Polizeigewalt in BRD“ am 18. September 2019 in der jungen welt externer Link meldet dazu erste Reaktionen: „… Die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke, Ulla Jelpke, sowie Amnesty International Deutschland bekräftigten jeweils am Dienstag ihre Forderungen nach der Einführung unabhängiger Beschwerdestellen, denen Betroffene wie Beamte Vorfälle melden könnten. Zudem müssten die Kontrollmechanismen gegenüber der Polizei gestärkt werden, erklärte Jelpke. In der Ausbildung müsse »der Respekt vor den Bürgerrechten stärker betont werden«...“
  • Studie zu Polizeigewalt: Erstmals werden auch Opfer gehört 
    Manchmal ist ein Polizist nicht Freund und Helfer, sondern Täter. 2.000 Anzeigen wegen Körperverletzung im Amt gibt es in Deutschland pro Jahr. Allerdings landet nur ein Bruchteil der Fälle vor Gericht. Warum das so ist und womit Gewalt durch Polizisten zusammenhängt, untersucht Tobias Singelnstein am Institut für Kriminologie der Ruhr-Universität Bochum. Erstmalig wurden in dieser Studie die Opfer von Polizeigewalt befragt. Nun beginnt die Auswertung. Auch Bielefelder Anwälte und Wissenschaftler sind auf Ergebnisse gespannt, doch die Polizei ist kritisch. (…) Aktuell ist über das Phänomen unrechtmäßige Gewalt durch Polizisten nur wenig bekannt. “Es ist aber ein gesellschaftlich besonders relevantes Thema”, meint Singelnstein. “Schließlich geht es um den Missbrauch staatlicher Exekutivbefugnisse.” Seit Herbst 2018 hat sein Team Opfer von Polizeigewalt zu ihren Erfahrungen befragt, abgerundet wird die Studie durch Interviews mit Polizisten, Juristen und Opferberatungsstellen. Ziel ist es, das sogenannte Dunkelfeld aufzuhellen, also Erkenntnisse über Polizeigewalt zu erlangen, die nicht in den offiziellen Statistiken auftauchen. (…) Der Bielefelder Rechtsanwalt Sebastian Nickel hat auch an der Befragung teilgenommen. Im Zuge der Nazi-Demo geriet er selbst in Konflikt mit der Polizei: Ihm wurde der Zugang zu einem Mandanten verwehrt und er beobachtete, wie eine Kollegin mit einem Halstuch gewürgt wurde. Gewalt durch Polizisten sei ein Thema, das häufig auf seinem Schreibtisch lande. “Aber in meinen 15 Jahren Berufserfahrung habe ich noch nie erlebt, dass jemand Anklage erhoben hat.” Zudem sei es eine schwierige Entscheidung, ob man einen Polizisten wegen Körperverletzung anzeigen solle: “Das muss wohlüberlegt sein. Denn meistens folgt eine Anzeige wegen Widerstand als Retourkutsche”, weiß Nickel. Viele Opfer würden deshalb von einer Anzeige absehen. So können Fälle im Dunkelfeld verschwinden. (…) Bis die Ergebnisse der Studie vorliegen, dauert es aber noch eine Weile, weil die Experteninterviews noch ausstehen…” Artikel von Dominik Lenze vom 19.03.2019 bei Neue Westfälische online externer Link
  • „Forschungsprogramm des Projekts“ ebenfalls seit dem 08. November 2018 bei der Jura-Fakultät der RUB externer Link, worin einleitend festgehalten wird: „Zum Umfang rechtswidriger Gewaltanwendung durch Polizeibeamt*innen liegen bislang kaum empirisch gesicherte Erkenntnisse vor. Einerseits werden die vorhandenen statistischen Zahlen zur Körperverletzung im Amt, die eine äußerst geringe Anklagequote von etwa 2-3 % ausweisen, höchst unterschiedlich interpretiert. Die Deutungen reichen von einem hohen Anteil unberechtigter Anzeigen bis hin zur massenhaften rechtswidrigen Privilegierung von Amtsträger*innen. Andererseits gibt es trotz anhaltender öffentlicher Diskussion praktisch keine Studien zum Dunkelfeld dieses Deliktsbereichs, obwohl dieses mutmaßlich eine besondere Struktur aufweist…

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