Mittwoch, 25. September 2019

Auch keine heile Welt: In Österreich ist Leiharbeit besser reguliert. Eine echte Gleichstellung mit den Stammkräften gibt es aber nicht


Dossier

Leiharbeit abschaffen: FAU-Aktionswoche 18. bis 25. September 2009Seit 1988 ist Leiharbeit in Österreich legal. Handelte es sich dabei ursprünglich um ein Instrument zur Abdeckung von Produktionsspitzen in der Industrie, ist die Anzahl der Lohnabhängigen in der Leiharbeit inzwischen drastisch gewachsen. 73.141 Leiharbeiter gab es laut dem Sozialministerium der Alpenrepublik im Jahr 2017. Glaubt man Aussagen aus dem Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) handelt es sich hier um »gute« Leiharbeit – vor allem im Vergleich zur Situation im Nachbarland Deutschland. So untersagt das österreichische Arbeitskräfteüberlassungsgesetz Diskriminierungen bei Lohn, Arbeitszeit, Urlaub und betrieblichen Vergünstigungen. Seit 2002 gibt es im Produktionsbereich einen eigenen Kollektivvertrag für Leiharbeiter. Dessen jüngste, seit Anfang Januar gültige Fassung sieht für ungelernte Arbeiter einen Stundenlohn von 9,67 Euro und für Facharbeiter 12,73 Euro pro Stunde vor. Daneben haben Leiharbeiter Anspruch auf die vom Beschäftigerbetrieb ausgezahlten Löhne, sollte dort ein höherer kollektivvertraglicher Stundenlohn gelten als vom Zeitarbeit-Kollektivvertrag vorgesehen. Für Leiharbeiter, die als Angestellte tätig sind gibt es keinen eigenen Kollektivvertrag. Für sie gilt derjenige im Handwerk und Gewerbe. Durch diese Regelungen sollen Mindeststandards garantiert werden. Sie können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit der Leiharbeit ganze Belegschaften gespalten werden…” Beitrag von Christian Bunke, Wien, aus der Ersten-Mai-Beilage der jungen Welt vom 25. April 2018 externer Link. Siehe dazu auch:
  • EuGH kippt harte Strafen gegen illegale Leiharbeit in Österreich New
    “Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat scharfe Strafen in Österreich bei illegaler Leiharbeit als unverhältnismäßig verworfen. Solche Sanktionen bei Verstößen gegen arbeitsrechtliche Schutzvorschriften dürften nicht über das hinausgehen, was für ihre Durchsetzung erforderlich ist, urteilte der EuGH am Donnerstag, 12.09.2019, in Luxemburg (AZ: C-64/18 und weitere). Im konkreten Fall geht es um die Sanierung der Kesselanlage eines Zellstoffbetriebs in Österreich durch die österreichische Firma Andritz. Dabei beschäftigte Andritz 200 Arbeiter aus Kroatien, Serbien und Bosnien, die das kroatische Unternehmen Brodmont vermittelt hatte. Bei einer Kontrolle konnte Andritz für diese Arbeiter nicht die erforderlichen Lohnunterlagen vorlegen, weil Brodmont diese Unterlagen gar nicht bereitgestellt hatte. Die österreichischen Behörden reagierten mit scharfen Strafen. So sollte die kroatische Leihfirma Brodmont drei Millionen Euro bezahlen, die vier Vorstandsmitglieder von Andritz jeweils 2,4 bis 2,6 Millionen Euro. Wenn Andritz die Unterlagen auch nachträglich nicht beibringen kann, sollen die Geldstrafen gegen die Vorstandsmitglieder automatisch in Haftstrafen von jeweils etwa viereinhalb Jahren umgewandelt werden. Brodmont und alle vier Andritz-Vorstände klagten. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark fragte beim EuGH an, ob solche Strafen noch „mit dem unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen“ vereinbar sind. Wie nun der EuGH entschied, haben die österreichischen Behörden hier die Grenzen der Verhältnismäßigkeit überschritten. Die Sanktionen gingen über das Maß des Erforderlichen hinaus. (…) Die Einhaltung der entsprechenden Schutzregelungen für Leiharbeitnehmer könne auch mit geringeren Geldstrafen und ohne die gegebenenfalls automatische Umwandlung in Freiheitsstrafen durchgesetzt werden.” Rechtsinfo vom 17. September 2019 von und bei Thorsten Blaufelder externer Link
  • “Zweite Klasse”: Leiharbeiter fühlen sich wie Arbeitslose
    Zeitarbeitskräfte gehören heute für Unternehmen zum Alltag. Die Arbeiterkammer findet, dass das Instrument überstrapaziert wird. Sie werden in der Krise als Erste vor die Tür gesetzt. Auch im Betrieb haben sie keinen leichten Stand. Einerseits stehen sie besonders unter Druck, weil sie von der Firma übernommen werden wollen, andererseits fällt zuweilen der Verdienst schmaler aus als bei der Stammbelegschaft. Sie werden schon einmal niedriger eingestuft. Alles in allem: Gleich sieht für Zeit-, Leasing- oder Leiharbeitskräfte oft anders aus. Rund 85.000 gibt es in Österreich, bei 4,3 Millionen Erwerbstätigen bzw. 3,7 Millionen unselbstständig Beschäftigten. Die Quote liegt seit Jahren stabil bei rund zwei Prozent. Dennoch ist Johann Kalliauer, Präsident der Arbeiterkammer Oberösterreich, alarmiert. Grund sind die neuen Ergebnisse des Arbeitsklimaindex. Demnach fühlen sich die Arbeitskräfte auf Zeit nicht nur in ihren Jobs sehr viel weniger wohl als jene in regulären Arbeitsverhältnissen. Nur gut die Hälfte ist mit ihrem Leben insgesamt zufrieden. Bei regulär Beschäftigten liegt der Anteil bei 84 Prozent. (…) Zwei Drittel der Leiharbeiter in Österreich sind Männer, drei Viertel arbeiten im Gewerbe, Handwerk oder der Industrie. Durchschnittlich werden Leiharbeitskräfte für 56 Tage überlassen, hat die Arbeiterkammer erhoben. Knapp die Hälfte von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Auch Bildung schützt nicht zuverlässig vor Leiharbeit: 43 Prozent der Leiharbeiter haben eine Lehre als höchsten Abschluss, 29 Prozent Matura oder gar einen Hochschulabschluss” Beitrag vom 4. Mai 2018 von und bei der Standard.at online externer Link
  • »In der Leiharbeit wird häufig getrickst«
    “Seit 15 Jahren gilt in Österreich der Tarifvertrag zur Arbeitskräfteüberlassung. Doch die Unternehmer umgehen die Vereinbarung oft…” Johannes Supe im Gespräch mit Thomas Grammelhofer in der jungen Welt vom 7. März 2017 externer Link – Thomas Grammelhofer ist bei der österreichischen Produktionsgewerkschaft (ProGe) zuständig für den Bereich Arbeitskräfteüberlassung. Besonders interessante Aussagen von Thomas Grammelhofer:
    • “… Im Kollektivvertrag (Tarifvertrag, jW) für die Arbeitskräfteüberlassung ist das Günstigkeitsprinzip festgeschrieben. Wird jemand in eine Branche überlassen, in der ein besserer Kollektivvertrag gilt, dann muss dieser angewandt werden. Wird er aber dahin entsandt, wo die Löhne niedriger sind, dann gilt der Kollektivvertrag für die Arbeitskräfteüberlassung. (…) Es wird sehr häufig getrickst. Wir haben zwar viele klare Regeln, tarifvertragliche oder gesetzliche. Doch Missbräuche aufzudecken ist schwer. Viele Arbeitnehmer – und da gibt es keinen Unterschied zu Deutschland – sind nicht organisiert, sondern als Einzelkämpfer unterwegs. Ihre Möglichkeit, Betriebsräte zu wählen, ist oft eingeschränkt, denn sie kennen sich untereinander nicht. Außerdem liegt es an der Leihfirma, ob der Beschäftigte wieder Arbeit bekommt – er ist also abhängig. Deshalb halten viele eher den Mund, wenn sie zuwenig bekommen. (…)Den Kampf um das Verbot brauchen die Gewerkschaften weder in Österreich noch in Deutschland oder irgendwo in der Europäischen Union führen. Davon bin ich überzeugt. Die Leiharbeitsrichtlinie der EU schreibt einen freien Marktzugang für die Arbeitskräfteüberlassung vor – sie legt die Möglichkeit fest, dieses Gewerbe auszuüben. Wesentlich ist der Kampf darum, dass die Beschäftigten korrekt behandelt werden, faire Löhne erhalten und gute Arbeitsbedingungen vorfinden. Die Stehzeit muss nicht nur bezahlt, sondern auch dazu genutzt werden, die Kollegen weiterzuqualifizieren. Das Hire-and-fire-Modell, das jetzt praktiziert wird, muss jedenfalls weg.”

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