Dossier
„Die Todesumstände des CDU-Politikers Walter Lübcke sind unklar. Was man bisher weiß, ist, dass der Regierungspräsident von Kassel mit einem Kopfschuss getötet wurde. Ebenfalls weiß man, dass Lübcke im Fadenkreuz von AfD-Fans und artverwandten Idioten stand – und das bereits seit 2015, als er sich für die Aufnahme von Flüchtlingen in der nordhessischen Provinz stark gemacht hatte. Schon damals erhielt er Morddrohungen. Nicht wenige Beobachter vermuten nun das extrem rechte Milieu hinter der Bluttat. Die Trauer um den ehemaligen Abgeordneten des Hessischen Landtages in Wolfhagen, wo Lübcke zu Hause war, ist groß. Das hält jedoch die Rechten nicht davon ab, grinsend das Mobiltelefon zur Hand zu nehmen und ihrer Freude über den Tod des Lokalpolitikers im World Wide Web freien Lauf zu lassen. Kostprobe: »Die Drecksau hat den Gnadenschuss bekommen ! RESPEKT !«, schreibt einer auf Youtube. Ein anderer auf Facebook: »Selbst schuld, kein Mitleid, so wird es Merkel und den anderen auch ergehen.« Solche Kommentare sind kaum zu ertragen. Sie zeigen, wie vergiftet der politische Diskurs in Deutschland inzwischen ist. Anstatt Trauer zu bekunden, bricht sich der Hass auf Andersdenkende immer weiter Bahn. Grenzen scheint es keine zu geben. Mittendrin statt nur dabei ist die AfD. Auch dieses Mal…“ – aus dem Kommentar „AfD ist mittendrin statt nur dabei“ von Christian Klemm am 04. Juni 2019 in neues deutschland online über die Haßtiraden, die die verschiedenen rechten Strömungen vereinigen. Siehe dazu auch weitere aktuelle Beiträge und die aktuelle Entwicklung:
- Ein Mordverdächtiger mit langer Verbrechens-Karriere, oder: Was der Verfassungsschutz wieder einmal verheimlichen wollte
„Im Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermittelt die Bundesanwaltschaft nun auch wegen einer weiteren Bluttat gegen den Hauptverdächtigen. Der in Untersuchungshaft sitzende Stephan E. stehe im Verdacht, am 6. Januar 2016 in Lohfelden im Kreis Kassel versucht zu haben, einen irakischen Asylbewerber zu töten, teilte die Bundesanwaltschaft am Donnerstag in Karlsruhe mit. Er soll dem Mann von hinten mit einem Messer in den Rücken gestochen und ihn dabei schwer verletzt haben. Grund für die Tat soll die rechtsextremistische Weltanschauung von Stephan E. gewesen sein, was die Übernahme der Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft ermögliche. Der Iraker war nahe der damaligen Erstaufnahmestelle in Lohfelden niedergestochen und an der Schulter verletzt worden. Der Täter entkam unerkannt auf einem Fahrrad, die Staatsanwaltschaft Kassel ermittelte seither wegen versuchter Tötung. Zunächst war fraglich gewesen, ob sich nach mehr als drei Jahren noch Utensilien bei Stephan E. finden, die einen klaren Bezug zu der Straftat ergeben...“ – aus der Meldung „Ermittlungen gegen Verdächtigen im Fall Lübcke ausgeweitet“ am 22. September 2019 in der Süddeutschen Zeitung online über die Aktivitäten eines Mannes, der zu jener Zeit vom Verfassungsschutz einen Freifahrschein hatte („unverdächtig“ befand die aufzulösende Behörde). Siehe dazu einen weiteren aktuellen Beitrag über das Wirken des Verfassungsschutzes auch in diesem Fall – was nicht gelang, zu verheimlichen und „ins Muster“ passt:- „Elf Rätsel und ein Mord“ von Ronen Steinke ebenfalls am 22. September 2019 in der SZ online zu den Informationen, die der Verfassungsschutz eigentlich verheimlichen wollte unter anderem: „… Der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke taucht elf Mal in einem geheimen Bericht des hessischen Verfassungsschutzes über die rechtsradikale Szene von 2014 auf. Dies hat nun der Verfassungsschutz offengelegt, nachdem die Zeitung Die Welt ihn erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden verklagt hatte. Damit gerät die Behauptung des Verfassungsschutzes in Zweifel, man habe den mutmaßlichen Mörder schon lange nicht mehr auf dem Schirm gehabt und deshalb auch nicht mitbekommen können, wie er sich von 2014 an neu radikalisierte und sich mithilfe eines alten Neonazi-Kameraden über Jahre hinweg illegal Waffen besorgte. Auf fast 260 Seiten werden in dem geheimen Verfassungsschutz-Papier (“Abschlussbericht zur Aktenprüfung”) Hinweise zu militanten Rechtsradikalen zusammengetragen, die einen Bezug zur Mordbande NSU aufweisen könnten. Das Papier war 2012 von dem damaligen hessischen Innenminister Boris Rhein (CDU) in Auftrag gegeben worden. Die Stadt Kassel steht darin im Mittelpunkt. Kassel gilt als Hochburg der rechtsradikalen Szene, dort hatte der NSU im Jahr 2006 den 21-jährigen Halil Yozgat hinter dem Tresen seines Internetcafés umgebracht, in dem Café war damals auch ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes. Und dort lebte auch der Mann, der nun des Mordes an Walter Lübcke beschuldigt wird, Stephan E...“
- Ein allseits vernetzter „Einzeltäter“…
„Beim rechtsextremistischen Mordanschlag auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke soll der Mitbeschuldigte Markus H. eine größere Rolle gespielt haben als bislang bekannt. Das geht aus dem jetzt bekannt gewordenen Beschluss hervor, mit dem der Bundesgerichtshof (BGH) eine Beschwerde des 43-Jährigen gegen seine Untersuchungshaft abwies. Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen, so schreiben die Bundesrichter in ihrem Beschluss vom 22. August, habe es Markus H. „spätestens ab Juli 2016“ nicht nur für möglich gehalten, dass der mit ihm eng befreundete Hauptverdächtige Stephan E. einen politischen Entscheidungsträger töten werde, „um diesen für seine liberale Linie in der Flüchtlingspolitik abzustrafen“. Er habe auch dessen Ziele und Motive geteilt und ihn „im Willen zur Tatbegehung bestärkt“. Markus H., der wie E. seit vielen Jahren in der rechtsextremistischen Szene in Kassel aktiv ist, war ursprünglich festgenommen worden, weil er den Erwerb der späteren Tatwaffe bei einem illegalen Waffenhändler vermittelt haben soll. Damit lässt sich nach Ansicht des BGH der Vorwurf der Beihilfe zum Mord allerdings nicht mehr begründen. Denn die Kontaktanbahnung sei schon deutlich vor jener Bürgerversammlung im Oktober 2015 in Lohfelden erfolgt, die E.’s mörderischen Lübcke-Hass erst begründet haben soll…“ – aus der am 17. September 2019 aktualisierten Meldung „Mordfall Lübcke: Welche Rolle spielte der zweite Verdächtige Markus H. wirklich?“ bei der FR online über eine weitere Erkenntnis zu mehr als einem Einzeltäter. Dass das Täter-Netzwerk noch viel weiter reichen könnte, macht eine weitere Meldung aus dieser Woche deutlich – und der hessische Innenminister bekommt damit Probleme:- „Weitere Drohschreiben an Frankfurter Anwältin aufgetaucht“ von Frank Angermund am 16. September 2019 beim Hessischen Rundfunk meldet: „… 5. Juni 2019: In den Wohnzimmern läuft Aktenzeichen XY – ungelöst. Die Polizei sucht mit Hilfe der ZDF-Fernsehsendung Zeugen und Hinweise im Fall des ermordeten Kasseler Ex-Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Drei Tage sind seit dem Anschlag auf den CDU-Politiker vergangen. Es soll noch elf Tage dauern, bis der Rechtsextremist Stephan Ernst als Tatverdächtiger festgenommen wird. Aber an diesem 5. Juni erhielt die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz nach hr-Informationen ein Droh-Fax. Sie hatte zuvor schon mehrere Schreiben dieser Art erhalten. Dieses Fax wurde erneut mit NSU 2.0 unterschrieben. Der oder die Verfasser drohten sinngemäß: Wir haben Walter Lübcke getötet. Bald bist Du dran!..“
- „Wenn er so weitermacht…“ – Beuth nach Drohfax von „NSU 2.0“ unter Druck“ von Pitt v. Bebenburg am 17. September 2019 in der FR online zu den Problemen, die sich ein Innenminister beschert: „… Innenminister Peter Beuth (CDU) gerät wegen seiner Informationspolitik im Fall der Drohfaxe gegen die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz weiter unter Druck. „Wenn er so weitermacht, läuft er in einen Untersuchungsausschuss“, sagte SPD-Fraktionschefin Nancy Faeser der Frankfurter Rundschau am Montag. Beuth habe das Parlament und die innenpolitischen Sprecher der Fraktionen nicht über eine wichtige neue Entwicklung in dem Fall informiert, beklagte die Sozialdemokratin. Zuvor war bekanntgeworden, dass Basay-Yildiz weitere Drohungen erhalten haben soll – darunter eine, die einen Bezug zum Mord an Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) hergestellt haben soll. (…) Der Linken-Innenpolitiker Hermann Schaus äußerte die Sorge, es müsse „von einem nach wie vor aktiven, rechtsterroristischen Netzwerk ausgegangen werden, das sich in Kontinuität zum NSU“ sehe. Dies wäre nach Einschätzung des Linken-Abgeordneten der Fall, „sollten die Drohbriefschreiber gewusst haben, dass der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten eine NSU-Nachfolgetat gewesen“ sei...“
- Deutsche Behörden glauben an das Gute im Menschen – er muss nur rechts genug sein. Beispielsweise verdächtig im Mordfall Lübcke
„… Wie die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion mitteilt, wurden bei den bisher ermittelten Verdächtigen insgesamt 46 Schusswaffen gefunden. Außerdem seien Chinaböller, Sportbögen und Messer sichergestellt worden, heißt es in der Antwort der Bundesregierung die »nd« am Mittwoch vorlag. (…) Die LINKE-Bundestagsabgeordnete Martina Renner, die die Anfrage initiiert hatte, erklärte am Mittwoch gegenüber »nd«, die Tatsache, dass die Razzien in fünf Bundesländern stattgefunden haben, deute darauf hin, dass die Festgenommenen im Rahmen eines Netzwerks agieren. »Erfahrungsgemäß gibt es keine rechten Einzeltäter«, sagte Renner. »Umfang und Aktionsradius des Netzwerkes des mutmaßlichen Täters Stephan E.« müssten aufgeklärt werden, forderte die Politikerin. Der 45-Jährige hatte die Tat zunächst gestanden, sein Geständnis später aber widerrufen. Unterdessen berichtete der Rechercheverbund von »Süddeutscher Zeitung«, WDR und NDR am Mittwoch, einer der als Helfer Beschuldigten, Markus H., habe ganz legal Waffen besessen. Das Verwaltungsgericht Kassel habe 2015 entschieden, dass er eine Waffenbesitzkarte mit Munitionsberechtigung haben darf, obwohl er als Neonazi bekannt war. H. habe in dem Schützenverein, in dem auch Stephan E. Mitglied war, mit eigenen scharfen Waffen geschossen, bestätigte der Vorsitzende des Clubs…“ – aus dem Artikel „Verdächtige sind Waffensammler“ von Jana Frielinghaus am 21. August 2019 in neues deutschland online über die inzwischen gefundenen (mindestens) 45 Waffen (wofür es früher den Begriff „Arsenal“ gab). Siehe dazu auch noch einen weiteren Beitrag mit Auszügen zur Rolle des Verfassungsschutzes bei der Waffenbeschaffung:- „»Unbedenklicher« Neonazi“ von Marc Bebenroth am 22. August 2019 in der jungen welt zur Beteiligung einer aufzulösenden Vereinigung an der „Waffenübergabe“: „… Der zweite Versuch, an eine Waffenbesitzerlaubnis zu kommen, glückte H. im Jahr 2015. Gegen die erneute Weigerung der Stadt Kassel klagte er erfolgreich beim Verwaltungsgericht. Die Richterin begründete dem ARD-Bericht zufolge die Entscheidung damit, dass die vom hessischen Landesamt für Verfassungsschutz vorgelegten Informationen zu dessen »rechtsextremen Umtrieben« älter gewesen seien als fünf Jahre. Eine »Unbedenklichkeitsbescheinigung« für den Besitz von Sprengstoff soll die Stadtverwaltung H. bereits 2011 ausgestellt haben. Zuvor war am Mittwoch bekanntgeworden, dass im Rahmen der Mordermittlungen bei Durchsuchungen wesentlich mehr Waffen gefunden wurden, als bisher bekannt war. Die Ermittler beschlagnahmten insgesamt 46 Schusswaffen…“
- Die Untersuchungen im Kasseler Nazimord weiten sich immer mehr aus – die NSU Akten bleiben trotzdem weiter „Geheim!“
„… Den Mord an Lübcke habe er schließlich wortlos durchgeführt – und bereue diesen heute. Niemand müsse für seine Worte sterben, soll Ernst den Ermittlern gesagt haben. Inzwischen zog er sein Geständnis zurück. Zuvor aber hatte er noch Markus H. belastet: Dieser sei es gewesen, der ihn zurück in die rechte Szene gelotst habe. Mindestens bis 2009 hatte Ernst dort selbst aktiv mitgewirkt, auch schwere Gewalttaten verübt. Dann habe er sich gelöst, habe sich auf seine Familie und seinen Job fokussieren wollen, soll Ernst im Geständnis gesagt haben. Bis er wieder auf seinen alten Bekannten Markus H. traf. Auch Markus H. hat eine lange Szenevergangenheit. Fotos zeigen einen bulligen Mann mit kurzgeschorenen Haaren. Schon in den neunziger Jahren soll er sich in Kreisen der rechtsextremen Kleinpartei FAP bewegt haben. Später war er Teil der Kasseler Kameradschaftsszene – und traf dort auf offenbar auf Stephan Ernst. Beide beteiligten sich nach taz-Informationen noch 2009 an einem Angriff von Rechtsextremen auf eine DGB-Kundgebung in Dortmund. Vor gut fünf Jahren will Ernst dann zufällig wieder Markus H. getroffen haben: bei seinem Kasseler Arbeitgeber, einem Hersteller von Mobilitätstechnik. Der bestätigte am Montag, dass H. dort vor Jahren für kurze Zeit als Leiharbeiter beschäftigt war. Laut Ernst nahm Markus H. ihn 2015 auch mit zu der Bürgerversammlung von Lübcke. Ob die Aussage so stimmt, ist unklar. Denn Ernst und H. waren auch gemeinsam Mitglieder eines Kasseler Schützenvereins – und zwar seit gut zehn Jahren, wie deren Vorsitzender Reiner Weidemann am Montag der taz sagte. Dennoch verloren sich die beiden aus den Augen?…“ – aus dem Beitrag „Stephan Ernsts rechtsextremer Helfer“ von Konrad Litschko am 08. Juli 2019 in der taz online über einen weiteren Baustein des allmählich zutage tretenden Netzes rund auch um diesen Mord… Siehe dazu auch einen weiteren aktuellen Beitrag, in dem auch die weiterhin gesperrten NSU-Akten Thema sind:- „Psycho-Framing im Fall Lübcke“ von Claudia Wangerin am 09. Juli 2019 in der jungen Welt , worin unterstrichen wird: „… Der hessische Landtagsabgeordnete Hermann Schaus (Die Linke) warnte derweil davor, Stephan Ernst als psychisch labilen Einzeltäter abzutun. »Das machen sie gern«, sagte Schaus, der Ernsts Namen aus dem Untersuchungsausschuss zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) kennt, am Montag im Gespräch mit junge Welt. Seine Fraktion fordert nach wie vor die Freigabe der hessischen Verfassungsschutzakten mit NSU-Bezug, die nun aufgrund des öffentlichen Drucks »nur« noch bis 2044 gesperrt sind. Im Jahr 2014 waren die Akten zunächst für 120 Jahre gesperrt worden. Im Koalitionsvertrag der 2018 bestätigten »schwarz-grünen« Landesregierung war aber eine Überprüfung der Einstufungspraxis vereinbart worden. Zwei weitere Festnahmen infolge des Geständnisses von Ernst waren nicht mit einem Verdacht auf Mittäterschaft bei dem Mord begründet worden, sondern mit mutmaßlichen illegalen Waffengeschäften…“
- Geständnis hin, Geständnis her: Die Schlussfolgerung der Bundesregierung aus dem Mord heißt immer aufrüsten
„… Ernst habe seine Aussagen komplett zurückgezogen, bestätigte dessen neuer Anwalt Frank Hannig der taz. Zu den Gründen, warum dies geschah, wollte er sich nicht äußern. Hannig wurde nach eigener Auskunft erst am Dienstag als neuer Verteidiger von Ernst beigeordnet. Zuvor wurde dieser durch den hessischen Anwalt und NPD-Politiker Dirk Waldschmidt vertreten. (…) Am jetzigen Dienstag wurde der 45-Jährige nach Karlsruhe zum Bundesgerichtshof geflogen, um seinen Haftbefehl zu erneuern. Der bisherige lief noch über das Amtsgericht Kassel. Bei der Anhörung widerrief Ernst sein Geständnis. Der Bundesgerichtshof ließ sich davon nicht beeindrucken: Er verhängte danach dennoch einen neuen Haftbefehl gegen Ernst – wegen eines weiter bestehenden „dringenden Tatverdachts des Mordes“…“ – aus dem Bericht „Verdächtiger widerruft Geständnis“ von Konrad Litschko am 02. Juli 2019 bei der taz online zur veränderten Taktik des Mordwaffenbesitzers. Siehe dazu auch einen Beitrag zur keineswegs widerrufenen Konsequenz der Bundesregierung:- „Freibrief nach dem Schuss“ von Michael März am 03. Juli 2019 in der jungen Welt zur Haltung der Bundesregierung unter anderem: „… Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nutzt den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, um sein seit längerer Zeit erklärtes Projekt, dem Verfassungsschutz mehr Befugnisse und Personal zu überantworten, voranzutreiben. Bereits im Mai, vor dem Tod Lübckes in der Nacht zum 2. Juni, waren Details aus dem Entwurf für ein »Gesetz zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts« öffentlich geworden. Dieser sah unter anderem die digitale Überwachung von Kindern, aber auch Journalisten, die zu den Berufsgeheimnisträgern gehören, ohne Richterbeschluss vor. Die Pläne stießen unter anderem im Justizministerium auf Widerstand und sollen nun überarbeitet werden. Seinen Vorstoß untermauerte Seehofer am Dienstag mit dem erstmaligen Besuch des »Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrums« (GETZ) im Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz. Das GETZ ging aus dem »Gemeinsamen Abwehrzentrum Rechtsextremismus« (GAR) hervor, dass nach dem Auffliegen des »NSU« gegründet wurde. Sein Tätigkeitsfeld wurde 2012 unter anderem auf »Linksextremismus« erweitert. Erwartungsgemäß forderte Seehofer am Dienstag mehr Personal und Befugnisse für den Inlandsgeheimdienst, insbesondere im Internet, und vergaß auch nicht, den Anlass seiner Visite zu betonen: »Wir sind nicht auf dem rechten Auge blind«, sagte er laut AFP…“
- Ein Geständnis als Verteidigungslinie für ein Nazi-Netzwerk. In Kassel. Und in Dortmund. Und wo noch?
„… Stephan E., 45 Jahre alt, zweifacher Familienvater, schwieg eisern. Alle Versuche der Ermittler, ihn zu vernehmen, blieben zunächst erfolglos. Er gab nichts zu, er stritt nichts ab. Nur Schweigen. Bis zum Dienstag dieser Woche. Da erklärte Stephan E., der in der Justizvollzugsanstalt in Kassel inhaftiert ist, ganz plötzlich, er wolle mit der Polizei reden. Was dann in einer acht Stunden währenden Vernehmung folgte, war ein Geständnis: Stephan E. gab zu, den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni erschossen zu haben – auf dessen Terrasse in dem kleinen Ort Wolfhagen-Istha. Der CDU-Politiker saß in seinem Gartenstuhl und rauchte eine Zigarette, als ihn die Kugel in den Kopf traf. Kurz oberhalb des rechten Ohrs. (…) Fast vier Jahre sollten allerdings noch bis zu der Tat vergehen, und warum dies so ist, wann Stephan E. genau den Tatplan fasste, ob er ihn mit anderen besprach und sogar ausführte, gehört zu den noch offenen Fragen des Verfahrens. Stephan E. sagte aus, bereits seit langer Zeit über eine Tat gegen Lübcke nachgedacht und sich damit beschäftigt zu haben. Es sei kein spontaner Beschluss gewesen. Für ihn habe die Bürgerversammlung eine große Rolle gespielt. Dort habe Lübcke nicht etwa erklärt, als Regierungspräsident müsse er Flüchtlinge aufnehmen und versorgen. Er habe das ausdrücklich gutgeheißen…“ – aus dem Beitrag „Ein vorbestrafter Gewalttäter und viele Fragen“ von Florian Flade, Georg Mascolo und Ronen Steinke am 26. Juni 2019 in der Süddeutschen Zeitung online über das überraschende Geständnis des braunen Mörders. Siehe dazu und zu verschiedenen Netzwerken vier weitere aktuelle Beiträge:- „Hinweise auf NSU-nahes Terrornetzwerk in Kassel“ von Markus Decker, Jan Sternberg und Jörg Köpke am 27. Juni 2019 in der FR online zu den bereits jetzt weiteren Festgenommenen und den eingeübten – und wohl nicht wirklich unbeobachteten – Strukturen: „… Je mehr über den Mörder von Walter Lübcke und sein Umfeld bekannt wird, desto schlimmer wird der Alptraum. Die neuesten Erkenntnisse legen nahe, dass sich der Täter Stephan E. in einem Unterstützerumfeld bewegt hat, das in Kassel seit der Zeit des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) besteht. Er hat bei der Planung seines Mordes von Neonazistrukturen profitiert, die auch nach dem Ende der rechtsterroristischen Mordserie weiter bestanden. So hat Stephan E. sich Waffen beschafft, versteckt und teilweise mit ihnen gehandelt. E. gestand den Ermittlern, dass er neben der Tatwaffe auch zahlreiche andere Schusswaffen besitze – darunter eine Pumpgun und eine Maschinenpistole vom israelischen Typ Uzi. E. offenbarte auch die Verstecke – er hatte die Waffen auf dem Gelände seines Arbeitgebers vergraben. Die Tatwaffe vom Kaliber 9 Millimeter war nicht darunter. Bereits 2014 soll er angefangen haben, sich Waffen zu beschaffen, die Tatwaffe kaufte er 2016, drei Jahre, bevor er den tödlichen Schuss auf Walter Lübcke abfeuerte. Zwei Männer wurden wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord festgenommen, der Vermittler und der Verkäufer der Tatwaffe. Der 64-jährige Elmar J. aus dem Landkreis Höxter hat die Pistole verkauft – über ihn weiß man nicht viel. Er gilt als Einzelgänger, lebt im Anbau einer leeren Gaststätte mitten im Örtchen Natzungen im Landkreis Höxter, 50 Kilometer von Kassel entfernt. Über den Vermittler weiß man mehr. So viel, dass sich hinter dem Mord an Walter Lübcke ein Abgrund auftut – und in diesem Abgrund sind die verdrängten Strukturen des NSU zu sehen. Der 43-jährige Markus H. soll den Kontakt zwischen dem kaufwilligen E. und dem Verkäufer im Gaststättenanbau hergestellt haben. Hermann Schaus kennt den Namen Markus H. nur allzu gut. In den Akten des NSU-Untersuchungsausschusses des hessischen Landtags hat der Linken-Obmann ihn immer gelesen. Nachdem der NSU am 6. April 2006 in Kassel Halit Yozgat in seinem Internetcafé erschossen hatte, wurde auch H. vom BKA befragt. Er soll das Mordopfer gekannt haben. Nach seinem rechtsextremen Hintergrund fragten die Ermittler damals nicht…“
- „Fall Lübcke: Mutmaßlicher Mörder mit Verbindungen in Dortmunds Naziszene“ bereits am 17. Juni 2019 bei der Autonomen Antifa 170 über ein Netzwerk nicht nur in Kassel, sondern auch in Dortmund: „… Wie die Tagesschau und andere Medien berichten, soll der Neonazi Stephan E. den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke begangen haben. Der Täter ist kein Unbekannter: Bereits vor 10 Jahren wurde er beim Überfall mehrerer hundert Nazis auf die Demo des Dortmunder DGB zum 1. Mai festgenommen. 400 Neonazis zogen damals – organisiert vom „Nationalen Widerstand Dortmund“ (NWDO) – ohne Anmeldung durch die Dortmunder Innenstadt und griffen Teilnehmende der DGB-Demo an. Der NWDO wurde schließlich im August 2012 verboten, nachdem seine Mitglieder in den Folgejahren zahlreiche weitere schwere Gewalttaten begangen hatten. Verschwunden sind die Neonazis in Dortmund deswegen jedoch nicht. Unter neuem Namen machen dieselben Kader in der Partei „Die Rechte“ bis heute regelmäßig wegen Übergriffen auf Menschen, die nicht in ihre Ideologie passen, Schlagzeilen. Wesentlich brisanter sind die Verbindungen zur rechten Terrorgruppe „Combat 18“, über die E. verfügen soll. Combat 18 (auch: C18) versteht sich als bewaffneter Arm der verbotenen Rechtsrock-Vereinigung „Blood and Honour“ und verfolgt die Strategie des „führerlosen Widerstands“. Sie propagieren Mordanschläge auf politische Gegner*innen – der Mord an Walter Lübcke würde durchaus in dieses Konzept passen. Dortmund hat sich in den letzten Jahren zu einem Hotspot im Netzwerk der Rechtsterrorist*innen entwickelt. Mehrere Mitglieder von C18 wohnen in Dortmund und sind hier politisch aktiv. Robin Schmiemann, der länger inhaftiert war, weil er bei einem Überfall auf einen Supermarkt auf einen Kunden schoss und ihn schwer verletzte, lebt in Dortmund. Schmiemann war Teil einer C18-Zelle, die Mitte der 2000er Jahre in Dortmund aktiv war, und bekennt sich bis heute mit T-Shirts und Tattoos zu der Gruppierung. Er nimmt regelmäßig an den Demonstrationen der Partei „Die Rechte“ teil – die Leute, mit denen zusammen E. die Dortmunder DGB-Demo angriff. Beim letzten Dortmunder Aufmarsch am 25. Mai hatte er die zweifelhafte „Ehre“, vor Beginn des Marsches eine EU-Fahne auf der Straße auszubreiten, über die die Teilnehmer*innen dann hinüberliefen. Schmiemann wurde überregional als Brieffreund des NSU-Mitglieds Beate Zschäpe bekannt…“
- „International aktives braunes Netzwerk“ von Horst Freire am 27. Juni 2019 beim Blick nach Rechts zu denselben Netzwerken nicht nur in Kassel oder Dortmund, sondern auch in Kanada: „… Vor dem Verbot der deutschen B&H-Sektion im Jahr 2000 knüpfte und pflegte der Sänger, Gitarrist und Dudelsackspieler David Allen Surette mit dem Szene-Namen „Griffin“ Kontakte zu internationalen B&H-Gefolgsleuten, speziell auch in Deutschland. Seither gilt der frühere Kopf der kanadischen Band „Stonehammer“ (Toronto) als bestens vernetzt in der Rechtsrock-Szene. Seit etlichen Jahren hat er sich in Berlin und Brandenburg niedergelassen, verdingt sich zum Teil als Tätowierer. Erst vor wenigen Tagen trat er als Opener beim „Schild- und Schwert-Festival“ von Thorsten Heise im sächsischen Ostritz auf, konnte die spärliche Besucherzahl vor der Bühne Beobachtungen zufolge aber nicht von den Sitzen reißen. Als derzeit wohl umtriebigste Rechtsrock-Band aus Kanada ist „Legitime Violence“ aus Quebec anzusehen. Bei einer Europa-Tournee 2015 durch Frankreich, Spanien, Italien und Großbritannien kam die 2008 gegründete Combo in Kontakt mit rechtsextremen deutschen Bands und B&H-Aktivisten, auch wenn offiziell andere Veranstalter wie zum Beispiel „CasaPound“ aus Italien oder die Kampfsportmarke „Pride“ aus Frankreich als Veranstalter agierten…“
- „Todeslisten“, Leichensäcke, Ätzkalk: Nazi-Gruppe bereitete weitere Angriffe vor“ von Jörg Köpke (RND) am 28. Juni 2019 in den Kieler Nachrichten online über die Pläne dieser – und anderer – Netzwerke unter anderem: „… Nach RND-Informationen stammt die dreiseitige, handgeschriebene Aufstellung von Mitgliedern der rechtsextremistischen Vereinigung „Nordkreuz“. Die Bundesanwaltschaft ermittelt seit August 2017 gegen Mitglieder dieses Netzwerkes wegen des Verdachts der Vorbereitung einer terroristischen Straftat. „Nordkreuz“ gehören mehr als 30 sogenannte Prepper an, die über den Messenger-Dienst Telegram miteinander verbunden sind und sich auf den „Tag X“ vorbereiten – den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung durch eine Flüchtlingswelle oder islamistische Anschläge und die anschließende Liquidierung politischer Gegner. Die meisten Personen der Chat-Gruppe stammen aus dem Umfeld von Bundeswehr und Polizei, darunter sind mehrere ehemalige sowie ein aktives Mitglied des Spezialeinsatzkommandos (SEK) des Landeskriminalamtes (LKA) Mecklenburg-Vorpommern. Alle Mitglieder von „Nordkreuz“ haben Zugang zu Waffen, verfügen über Zehntausende Schuss Munition und sind geübte Schützen. Gegen drei der Männer ermittelt parallel die Staatsanwaltschaft Schwerin. Ihnen wird vorgeworfen, seit April 2012 illegal rund 10.000 Schuss Munition sowie eine Maschinenpistole aus Beständen des LKA abgezweigt zu haben. Die Beschuldigten bestreiten, „Todeslisten“ angelegt und Ermordungen geplant zu haben. In Sicherheitskreisen heißt es dagegen, die Vorbereitungen auf den „Tag X“ seien mit „enormer Intensität“ betrieben worden. Die „Prepper“ hätten unter Zuhilfenahme von Dienstcomputern der Polizei knapp 25.000 Namen und Adressen zusammengetragen. Dabei handele es sich in den allermeisten Fällen um Personen aus dem regionalen Umfeld der „Prepper“, bevorzugt Lokalpolitiker von SPD, Grünen, Linken und CDU, die sich als „Flüchtlingsfreunde“ zu erkennen gegeben und Flüchtlingsarbeit geleistet hätten…“
- Auf ewig unvollendet: Die Abgrenzung der CDU – nach Rechts
„… Denn in Ordnung war hier auch vor der AfD, vor Pegida, vor den ganzen Bernds und Björns gar nichts. Damals, als noch steif und fest behauptet wurde, dieses Land habe kein handfestes Problem mit rechtem Gedankengut. Der Unterschied zu damals ist: Die Rechten sind heute klar sichtbar – und das stört. Die breite liberale (meist weiße) Öffentlichkeit wäre wohl schon zufrieden, würde die AfD einfach wieder unsichtbar. Verständlich. Aber was ist mit jenen Bürger_innen, die sich auch dann täglich mit strukturellem Rassismus, mit Rechtsextremen, mit Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, vermeintlicher Herkunft oder Religion herumschlagen müssen? Selbst wenn es keine Partei mehr geben sollte, die rechts von der Union steht, wird es immer noch Wähler_innen geben, die rechts von der Union stehen. Wenn die Union sich wirklich gegen Rechtsextremismus abgrenzen will, dann muss sie es nicht nur da tun, wo es endet – bei einem Mord an einem Politiker aus den eigenen Reihen –, sondern auch da, wo es anfängt: bei der Vorstellung, dass es Menschen gibt, die mehr wert sind als andere. Und diese Vorstellung findet sich eben nicht nur in der AfD. Sondern auch in der CDU…“ – aus dem Kommentar „Die CDU ist Teil des Problems“ von Saskia Hödl am 24. Juni 2019 in der taz online zur sehr späten Abgrenzung der CDU-Vorsitzenden nach dem Lübcke-Mord. Siehe dazu auch weiteren Beitrag- „Eine Parteichefin in der Klemme“ von Daniela Vates am 25. Juni 2019 in der FR online zur Abgrenzungsübung – und auch Afdler zitierend, die über die reale Zusammenarbeit vor Ort sprechen: „… Der CDU-Politiker Werner Lübcke ist auf der Terrasse seines Wohnhauses erschossen worden, unter Verdacht steht ein Rechtsextremer. Der CDU-Vorstand legt eine Gedenkminute ein. Dann wird über politische Konsequenzen diskutiert. Das Wort Penzlin fällt nicht, aber es geht um die Zusammenarbeit mit der AfD. Dazu hat die Partei eigentlich eine klare Beschlusslage. Die CDU lehnt Koalitionen „oder ähnliche Formen der Zusammenarbeit“ mit der AfD ab, hat der Bundesparteitag im Dezember beschlossen. Aber am Montag scheint es angeraten, das noch mal schriftlich zu bekräftigen. Kramp-Karrenbauer hat schon reagiert in der vergangenen Woche, mit etwas Verzögerung, aber dann deutlich. Die AfD trage dazu bei, dass Hemmschwellen so sinken, „dass sie augenscheinlich in pure Gewalt umschlagen“, hat sie gesagt. Es könne also „keine Form der Zusammenarbeit mit der AfD geben“. Es scheinen nicht alle zu hören. In Sachsen-Anhalt, wo in zwei Jahren gewählt wird, schreiben zwei Vize-Fraktionschefs der Landtagsfraktion ein Papier, in dem sie fordern, „das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen“. Eine Kooperation mit der AfD müsse möglich sein, finden sie. Das ist eine Umdrehung mehr als in Sachsen, wo Ministerpräsident Michael Kretschmer, der eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen hat, sich von einem Politik-Professor beraten lässt, der für Kommunikationsbereitschaft plädiert. Wie viel Kraft also hat Kramp-Karrenbauer, wie entschlossen ist Kretschmer?…“
- Demonstration in Kassel – und die Frage nach der lauten stille in den Reihen der CDU
„… Der Protest war kurzfristig organisiert, da finde ich 2.500 Menschen in Kassel ein gutes Zeichen. Aber im Grunde hätten es noch viel Menschen sein müssen, die auf die Straße gehen, und zwar überall in diesem Land. Ich finde es viel zu still gerade. [Was heißt das?] Auch Kassel wirkte anfangs wie gelähmt. Ich kann das auf der einen Seite verstehen, auf der anderen aber nicht. Gerade die CDU verstehe ich nicht. Viele der Christdemokraten haben geschwiegen, als Herr Lübcke sich in den letzten Jahren für Geflüchtete einsetzte und dafür von Rechten angefeindet wurde. Nun wurde Lübcke – einer von ihnen – erschossen, und sie schweigen wieder. (…) Es braucht jetzt ein hartes Vorgehen der Behörden gegen rechtsextreme Strukturen. Hier wurde ja genau versagt nach dem NSU-Terror. Trotz vieler Versuche der Anwälte von Halits Familie und den anderen Betroffenen wurden die Unterstützer des Trios bis heute nicht aufklärt, obwohl klar ist, dass sich das Trio in einem Netzwerk von rund 40 V-Leuten und Nazis bewegte. Nach dem NSU-Urteil konnten Angeklagte, bekennende Nazis, frei aus dem Gericht spazieren. Und hessische Verfassungsschutzakten wurden für 120 Jahre weggeschlossen. Darüber haben sie in der Nazi-Szene doch gelacht! Auch der Tatverdächtige im Fall Lübcke, Stefan E., ist kein Einzeltäter, da bin ich überzeugt. Deshalb müssen nun die rechten Strukturen wirklich aufgeklärt werden, auch nochmal der Mord an Halit. Und die gesperrten Akten müssen offengelegt werden…“ das sind Antworten von Ayse Gülenc auf die Fragen von Konrad Litschko in dem Gespräch „„Darüber lachen die doch““ am 23. Juni 2019 in der taz online über die bisherigen Reaktionen auf den Mord in Kassel
- Ob mit oder ohne die geschredderten oder gesperrten Akten des Verfassungsschutzes: Jeder wusste, dass der Verdächtige im Mordfall Lübcke aktiver Nazi war
„Die Kasseler Kneipe “Stadt Stockholm” war jahrelang Treffpunkt der Neonazi-Szene. Auch Stephen E., der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke, verkehrte hier – zum Ärger der Gastwirte. Das 17 Jahre alte Foto ihrer Gaststätte, das gerade deutschlandweit die Runde macht, würde Claudia Hauck am liebsten löschen lassen. Es zeigt ein Dutzend Rechtsextremer vor der Kneipe „Stadt Stockholm“ am Entenanger in der Kasseler Innenstadt. Gut zu erkennen auf dem Foto ist Stephan E., der am Samstag festgenommen wurde, weil er den Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermordet haben soll. Das Foto dokumentiert, wie sich Neonazis am 30. August 2002 für eine Auseinandersetzung mit linken Gegendemonstranten wappnen. Anlass war eine Wahlkampfveranstaltung der NPD. Dabei hält Stephan E. einen Stuhl als Wurfgeschoss in der Hand. Die anderen Rechtsextremisten haben sich mit Stöcken und Steinen bewaffnet. Hauck kann sich noch gut an Stephan E. erinnern, denn der Neonazi war nicht nur an diesem Tag mit seinen Kumpels im „Stadt Stockholm“ zu Gast. Die Gaststätte, die ihren Namen dem schwedischen König verdankt, der hier im 18. Jahrhundert übernachtet haben soll, galt jahrelang als Treffpunkt der rechten Szene. (…) Oft mittendrin: Stephan E., der auch in körperliche Auseinandersetzungen verwickelt war. Trotzdem war Hauck erstaunt, als sie am Montag erfuhr, dass der 45-Jährige verdächtigt wird, Walter Lübcke erschossen zu haben. Über die Tat wird auch an ihrer Theke geredet. „Wir haben noch einige Gäste, die den Stephan von früher kennen. Die sagen alle: Der war das nicht, zumindest nicht allein.“ Für Hauck ist Stephan E. nicht der Typ, der etwas organisieren kann: „Aufs Gymnasium hätte der nicht gehen können. Das war immer nur ein Mitläufer.“ Die Ansagen seien damals vor allem von Mike S. gekommen, der als einer der Köpfe der Kasseler Neonazi-Szene gilt…“ – aus dem Bericht „In dieser Kasseler Kneipe trafen sich Stephan E. und die Neonazis“ von Florian Hagemann, Ulrike Pflüger-Scherb und Matthias Lohr am 20. Juni 2019 in HNA online über Stadtgespräche in Kassel… Siehe weitere Aktualisierungen zum Fall:- „Die braunen Schläfer erwachen“ von Sascha Lobo am 19. Juni 2019 bei Spiegel online unterstreicht: „… In der niederländischen Studie steht, es komme auf “das breitere, radikale Milieu” an. Die im Raum stehende These möchte ich erweitern: Nicht nur das Milieu, sondern auch größere gesellschaftliche Stimmungen können auf rechtsextreme Attentäter ermutigend wirken. Die Manifeste des norwegischen Massenmörders von 2011 und des australischen Massenmörders von Christchurch 2019 deuten darauf hin. In beiden Fällen wurde zunächst ein gesellschaftlicher Handlungsdruck imaginiert, der sich in einen persönlichen Handlungsdrang verwandelte, bevor der Entschluss zur Tat gefasst wurde. Bei beiden haben soziale Medien eine entscheidende Rolle gespielt. Der Norweger hat Passagen aus bekannten, rechtsextremen Blogs in sein Manifest eingebaut. Das ist die wahrscheinliche Verbindung zwischen der rechten Hetze in sozialen Medien und der Aktivierung von braunen Schläfern, der Tag der Abrechnung sei gekommen oder müsse mit einer aufrüttelnden Tat herbeigeführt werden: der Tag X. Der Massenmörder von Christchurch wollte ausdrücklich an diesem Tag provozieren. Genau in dieser Weise haben auch die kürzlich aufgedeckten, rechtsextremen Netzwerke in Bundeswehr und Polizei gearbeitet, die zehntausend Schuss Munition sammelten. Weil sie auf den einen Tag warteten, der die Geschichte Deutschlands verändern soll…“
- „Schredder laufen wieder“ von Claudia Wangerin am 20. Juni 2019 in der jungen welt zur üblichen Verwaltungsarbeit beim VS unter anderem: „…Das hessische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) hat schon während der Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) eine obskure Rolle gespielt und einen Teil seiner Akten dazu für 120 Jahre sperren lassen – am Mittwoch äußerten Oppositionspolitiker auch im Mordfall Walter Lübcke einen Vertuschungsverdacht gegen das Amt. Angeblich gibt es im LfV keine Personalakte mehr über den mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten – dies berichtete am Mittwoch der Hessische Rundfunk. Der Landtagsabgeordnete Hermann Schaus (Die Linke) erinnert sich aber, dass dem NSU-Untersuchungsausschuss im Jahr 2015 Akten vorlagen, in denen sich »ein geheim eingestuftes Dokument mit relevanten Informationen« zu dem heute dringend tatverdächtigen Neonazi Stephan Ernst befand. Der Geheimdienst lasse medial verbreiten, dass Akten beim LfV fünf Jahre nach der letzten aktenkundigen Tätigkeit des Betroffenen aus Datenschutzgründen gelöscht werden müssten, so Schaus – das sei aber im Fall Ernst nicht korrekt. Schaus verwies auf das wegen der NSU-Ermittlungen 2012 erlassene Löschmoratorium für Akten, die die rechte Szene betreffen – und bekanntlich habe sich Ernst 2009 am Überfall auf eine DGB-Kundgebung in Dortmund beteiligt. Der heute 45jährige Ernst, dessen DNA an der Kleidung des Anfang Juni erschossenen Walter Lübcke gefunden wurde, war bereits 1993 wegen eines versuchten Rohrbombenanschlags auf eine Flüchtlingsunterkunft verurteilt worden…“
- „Aufgaben der Zivilgesellschaft“ von Sebastian Bähr am 20. Juni 2019 in neues deutschland online kommentiert: „… Daraus ergeben sich Aufgaben: Die Zivilgesellschaft muss den Behörden im Fall Lübcke auf die Finger schauen und die Ermittlungen kritisch begleiten. Dies bedeutet, eine Versteifung der Ermittler auf eine Einzeltäter-These zu verhindern, für die Offenlegung der NSU-Akten einzutreten, Recherchen von Journalisten und Antifaschisten zu berücksichtigen. Es bedeutet auch, Bedrohte zu informieren, zu schützen und ihnen zuzuhören. Abseits der Ermittlungen ist ein gesellschaftliches Umdenken notwendig. Viele Bürger nehmen rechten Terror nicht ernst, weil sie bisher nicht zu seinen Opfern gehörten. Andere denken immer noch, dass es trotz rechter Anschläge legitim ist, auf Rechtsaußen mit Dialog- und Bündnisangeboten zuzugehen. Gerade aus dieser vermeintlichen Akzeptanz ziehen dabei militante Neonazis ihre Zuversicht…“
- Die Täter von Kassel: Das nächste mörderische Netzwerk wurde übersehen – oder gefördert?
„… Auffallend ist, dass selbst dem Untersuchungsausschuss, der jahrelang die gewalttätige Kasseler Neonazi-Szene durchleuchtete, keine Informationen über den Anschlag in Hohenstein-Steckenrodt zur Verfügung gestellt worden waren, der von einem Neonazi begangen wurde, der spätestens seit Anfang der 2000er Jahre in Kassel wohnte. Die vergangenen Jahre soll Ernst in Süddeutschland gelebt haben. Erst vor kurzem sei er, so heißt es, wieder nach Kassel gezogen. Es deutet derzeit einiges darauf hin, dass Ernst zum Netzwerk «Combat 18» mindestens Kontakte unterhielt. Möglicherweise war er dort tiefer eingebunden. Eine zentrale Person des deutschen «Combat 18»-Ablegers ist der ehemalige Kasseler Stanley Röske, mit dem Ernst spätestens seit den frühen 2000er Jahren bekannt ist. Exif hat erst im Jahr 2018 seine Recherchen über dieses terroristisch ambitionierte neonazistische Netzwerk offen gelegt. Es ist offensichtlich, dass dieses Netzwerk von Spitzeln verschiedener Behörden und Geheimdienste durchsetzt ist und deswegen seit Jahren von den Behörden, allen voran vom Verfassungsschutz, klein geredet und „an der langen Leine“ laufen gelassen wird…“ – aus dem (laufend ergänzten) Beitrag „Tatverdächtiger im Fall Lübcke ist bekannter Neonazi“ am 17. Juni 2019 bei Exif-Recherche zum nächsten Einzeltäter… Siehe dazu eine kleine aktuelle Beitragssammlung:- „Mordfall Lübcke: Polizei liegen angeblich Hinweise auf weitere Täter vor“ von Ulrich Weih und Melanie Bäder am 18. Juni 2019 in der FR online meldete unter anderem: „… Bereits im Haftbefehl gegen Stephan E., den eine Richterin des Amtsgerichts Kassel am Samstag ausgestellt hatte, hieß es, es gebe “Hinweise auf Mittäter oder Mitwisser”. Bei der Durchsuchung der Wohnung von Stephan E. entdeckten die Ermittler demnach einen weiteren Autoschlüssel, der im CD-Fach eines Radios im Gäste-WC versteckt war. Dieser gehört zu einem Fahrzeug der Marke Skoda, das Stephan E. kurz vor der Tatnacht von einem Familienmitglied übernommen haben soll. Er habe das Auto für den Verwandten verkaufen sollen. Nach Angaben der Ehefrau von Stephan E. ist dies zwischen dem 2. und 4. Juni auch geschehen. Bis jetzt konnte dieses Auto nicht gefunden werden…“
- „Erweiterte Toleranz für Rechtsterrorismus?“ von Tomasz Konicz am 18. Juni 2019 bei telepolis zu Herren wie Gauck in der aktuellen Entwicklung: „… Ganz viel, so wörtlich, “erweiterte Toleranz” gegenüber der Neuen deutschen Rechten forderte jüngst auch der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck. Man könne doch nicht eine ganze Partei zum “Feind erklären”, klagte das ehemalige Staatsoberhaupt der Bundesrepublik mit tolerantem Blick auf die AfD. Damit würde man nur die Anhängerschaft der Neuen Rechten “noch weiter in eine Trotzreaktion” treiben, so Gauck. Die aufschäumende rechte Gewalt geht somit einher mit Bemühungen, die Neue Rechte als eine neue Normalität des deutschen politischen Spektrums zu etablieren. Insbesondere am breiten rechten Rand der CDU, der sich seit 2017 in der sogenannten “Werteunion” formiert, scheinen diese Bemühungen forciert zu werden. Ziel scheint letztendlich die Normalisierung einer schwarz-Braunen Koalition zu sein. Dies hat ein unumstrittener Experte für die Normalisierung rechter Gewalt, der ehemalige Verfassungsschutzchef Maaßen, jüngst explizit öffentlich formuliert. In einem Interview wollte das prominente Mitglied der Werteunion eine Koalition der CDU mit der AfD nicht mehr ausschließen. (…) Im Licht dieser Auseinandersetzungen innerhalb der CDU, wo offensichtlich die Bereitschaft zu Schwarz-Braun zunimmt, scheinen die wütenden Angriffe der AfD auf Lübcke nicht nur ideologisch motiviert zu sein, da dieser “christliche Werte” über den völkischen Wahn der Neuen rechten stellte, sondern auch machtpolitisch. CDU-Politiker, die – im Gegensatz zu einem Herrn Gauck – ihre christlichen Werte ernst nehmen, stellen schlicht ein politisches Hindernis bei der von der AfD-Führung anvisierten Koalition mit der CDU dar. Dieses politische Kalkül, die Schwächung des gemäßigten Flügels des deutschen Konservatismus, motiviert die verbalen Attacken von AfD und Pegida auf die “Volksverräter” in der CDU – die nun von militanten Nazis buchstäblich exekutiert worden sind. Letztendlich handelte es sich bei dem Mord an Lübcke um einen rechten Terrorakt, der all jene Kräfte im deutschen Konservatismus einschüchtern soll, die Schwarz-Braun im Weg stehen. Lübcke war ein Hindernis auf dem Weg zu Schwarz-Braun, die Angst, die dieser Terrorakt in sein politisches Milieu hineinträgt, soll dazu beitragen, es zu paralysieren…“
- „„Wir schießen den Weg frei“ – bereitet die AfD-Sprache den Boden für rechten Terror mit?“ von Katja Thoorwarth am 19. Juni 2019 in der FR online zu Zusammenwirken: „… Die Liste lässt sich beliebig lang fortsetzen, Youtube hat es bislang nicht für nötig befunden, hier moderierend einzugreifen. Auch die hessische AfD-nahe Politikerin Erika Steinbach hatte den Hass auf Lübcke neu angeheizt. „Zunächst sollten die Asylkritiker die CDU verlassen, bevor sie ihre Heimat aufgeben!“, tweetete sie im Februar dieses Jahres. Zahlreiche Reaktionen bezogen sich auf Walter Lübcke – „ Landesverrat. An die Wand mit dem. Hat ja direkt die Antwort bekommen…“ war neben einem Galgen eine der Reaktionen, die sich laut „t-online.de“ im Juni noch unkommentiert auf Facebook und Twitter fanden. Weiteres prominentes Beispiel ist Akif Pirincci. Der türkische Autor, bekannt für seine rechten Hetztiraden, hatte 2015, kurz nach Lübckes Rede, von Politikern im Kontext der Flüchtlingspolitik als den „Gauleitern des eigenen Volkes“ gesprochen. Beispielhaft war für ihn Walter Lübcke: „Offenkundig scheint man bei der Macht die Angst und den Respekt vor dem Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann“, wird er aus einer „Pegida“-Rede zitiert. Systematisch wurde in den letzten Jahren gegen einen Mann gehetzt, der aufgrund seiner humanitären Haltung nun wohl Opfer eines Neonazis wurde. Umso erstaunlicher, dass ein Kommentator der „Dresdner Neusten Nachrichten“ sich an „kaltblütige Anschläge der RAF“ erinnert fühlte. Mittlerweile wurde die Überschrift um die NSU ergänzt, jedoch sei an dieser Stelle auf eine Statistik des Terrorismusexperten Daniel Köhler verwiesen, den der „Deutschlandfunk“ im März 2018 veröffentlichte: Seit 1971 geschahen in Deutschland 229 rechtsterroristische Morde, 123 Sprengstoffanschläge, 2173 Brandanschläge, 12 Entführungen und 174 bewaffnete Überfälle durch 92 rechtsterroristische Gruppen und Einzelpersonen…“
- „Trauern um Walter Lübcke“ von Jagoda Marinic am 17. Juni 2019 in der taz online kommentiert: „… Man kann bei einem politischen Mord (und allem Anschein nach war es ein politischer Mord) nicht zwei Wochen für die öffentliche Trauer auf Stand by schalten, nur um keine falschen Debatten auszulösen. Vor allem wenn die Ursache für die falschen Debatten schon an sich untragbar ist: Drohungen, die Menschen über sich ergehen lassen müssen, wenn sie sich in diesem Land für Nächstenliebe und die Umsetzung des geltenden Asylrechts starkmachen. Die „Schonfrist“ für die öffentliche Aufarbeitung gilt meist insbesondere dann, wenn rechtsextreme Milieus nicht vorschnell beschuldigt werden sollen. Angeblich um die Spaltung der Gesellschaft nicht voranzutreiben. Demokratie kann sich Geduld dieser Art nicht leisten. Jeder politische Mord erfordert umgehend Parteinahme und Schutz, ganz gleich welche Motive noch zu ergründen sind. Als am 16. Juni 2016 die britische Politikerin Jo Cox ermordet wurde, gestattete sich Großbritannien zu trauern, auch wenn die Hintergründe noch offen waren. Ihr Mörder galt zunächst lediglich als psychisch gestört. Im Nachhinein wurden Verbindungen in die Neonaziszene bekannt…“
- „»Direkte Linie« zum Mord“ von Claudia Wangerin am 19. Juni 2019 in der jungen Welt über einige Beweggründe der extrem seltsamen Haltung der CDU zum Mord an ihrem Mitglied: „… In der CDU sorgten die Erkenntnisse zum Mord an ihrem Parteimitglied Lübcke Anfang der Woche für fundamental unterschiedliche Reaktionen. Michael Brand, Mitglied im Innenausschuss des Bundestags, sagte am Dienstag im Deutschlandfunk, er sehe »eine direkte Linie von der grenzenlosen Hetze« von AfD-Politikern wie Björn Höcke »zu Gewalt und jetzt auch zu Mord«. Max Otte, Mitglied des rechtskonservativen CDU-Flügels »Werteunion« und Vorsitzender des Kuratoriums der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, hatte zunächst getwittert, der »Mainstream« habe jetzt »eine neue NSU-Affäre und kann hetzen. Es sieht so aus, dass der Mörder ein minderbemittelter Einzeltäter war, aber die Medien hetzen schon jetzt gegen die ›rechte Szene‹, was immer das ist«. Später löschte er den Eintrag und bezeichnete ihn als Fehler…“
- „Wie Lübcke zum Ziel rechter Hetze wurde“ von Zita Zengerling am 17. Juni 2019 in der SZ online zur Vorgeschichte des Mordes: „… Der getötete Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke war seit Jahren Opfer von Hetze und Drohungen. Der Hass gegen ihn ging vor allem von einer Aussage aus, die eigentlich ein Appell an christliche Werte sein sollte. Auf einer Bürgerversammlung im hessischen Lohfelden hatte Lübcke im Oktober 2015 über eine Erstaufnahme-Einrichtung für Geflüchtete gesprochen. Immer wieder war er dabei durch Zwischenrufe unterbrochen worden. Schließlich entgegnete Lübcke den Störern, dass er stolz auf das ehrenamtliche Engagement und das Vertreten christlicher Werte in der Flüchtlingshilfe sei: “Wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen”, sagte der Behördenleiter. Es folgte ein Raunen im Zuschauerraum, Pfiffe und Buhrufe, jemand rief, Lübcke solle verschwinden. Auch wenn es im Bericht der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen (HNA) zu der Veranstaltung hieß, dass die Stimmung nicht kippte und die dem Flüchtlingsthema aufgeschlossenen Besucher in der Überzahl gewesen seien, wurde ein Video mit Lübckes Satz noch am selben Tag auf Youtube hochgeladen. Darunter sammelten sich Kommentare mit Beleidigungen, Rücktrittsforderungen und Todeswünschen: “So eine Drecksau!!”, schrieb ein User, ein anderer kommentierte “Aufhängen!”, und ein User, der sich “kein Nazi” nennt, schrieb: “Gott sei Dank war ich da nicht mit dabei, denn sonst würde ich jetzt wegen einer Straftat im Knast sitzen!“…“
- „Der Mord an Walter Lübcke“ am 17. Juni 2019 bei der Antifa Pinneberg fasst zusammen: „… Seit Jahren wird von Rassit*innen und organisierten Faschis*innen aller Couleur gedroht und gehetzt, von Sarrazin (SPD), Palmer (Grüne), Maaßen (CDU), Erika Steinbach, „Identitätre Bewegung“, „Alternative für Deutschland“, „Pegida“, „NPD“ und“ Dritter Weg“. Ein Teil dieser Szene sieht sich spätestens seit 2015 im Krieg gegen die Regierung und gegen alle anderen Menschen die nicht in ihr Weltbild passen. Die Antifa Bonn/Rhein-Sieg berichtet treffend nach dem Attentat auf Henriette Reker Oberbürgermeisterin von Köln durch Frank Steffen einem Nazi der in den 90er in der verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) organisiert war. „Die menschenverachtenden Täter der 90er Jahre wurden juristisch kaum verfolgt und ihre Taten wurden durch die Justiz als Taten von „verrückten Einzeltätern“ verklärt und entpolitisiert. Dass die Nazis der 1990er Jahre zu einem Teil immer noch das gleiche Gedankengut haben bemerken wir zum Beispiel bei dem Waffenhändler Ralf Tegethoff, der Mitorganisator des jährlich stattfindenden Naziaufmarsches in Remagen ist und Ausbilder der inzwischen verboten Kameradschaft Aktionsbüro Mittelrhein war. Der ehemalige Chefnazischläger Norbert Weidner ist heute in der rechtsextremen Burschenschaft der Raczeks zu Bonn aktiv…“
- Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten: Verdächtiger mit Nazi-Aktivitäten…
„… Im Fall des Mordes an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke verdichten sich die Hinweise, dass es sich um einen Anschlag mit politischem Hintergrund handeln könnte. Nach Angaben der Polizei wurde am Samstag ein 45 Jahre alter Mann unter dringendem Tatverdacht festgenommen. Gegen ihn wurde mittlerweile Untersuchungshaft verhängt. Nach F.A.Z.-Informationen handelt es sich um eine Person, die früher in der rechtsextremistischen Szene aktiv war Geprüft wird derzeit, inwieweit der Mann dort jüngst noch aktiv war. Der Verdächtige soll über eine DNA-Spur identifiziert worden sein, die am Tatort gefunden wurde. Offenbar war der Mann einschlägig bekannt. Wie die Staatsanwaltschaft Kassel und das hessische Landeskriminalamt am Sonntag mitteilten, wurde der Verdächtige am frühen Samstagmorgen gegen zwei Uhr festgenommen. Nähere Informationen zu der Person machten sie zunächst nicht. Sie wollen sich an diesem Montag zu den möglichen Hintergründen der Tat äußern…“ – aus dem Artikel „Dringender Tatverdacht gegen Rechtsextremisten im Mordfall Lübcke“ von Katharina Iskandar am 16. Juni 2019 im FAZ.net , worin auch noch die Möglichkeit einer „längeren Liste“ potenzieller Mordopfer Thema ist.
- „Walter Lübcke: AfD Kreisverband verhöhnt getöteten Regierungspräsidenten“ von Katja Thorwarth am 04. Juni 2019 in der FR online hebt dazu hervor: „… Die AfD Kreis Dithmarschen nahm den Tod des Politikers zum Anlass, um zu demonstrieren, wes Geistes Kind sie ist: „Mord???? Er wollte nicht mit dem Fallschirm springen…“ hieß es auf Facebook – mit einem einigermaßen unzweideutigen Verweis auf den Suizid von Jürgen Möllemann 2003. Verantwortlich für die Seite zeichnet laut Impressum Mario Reschke. Der ruderte Stunden später zurück, ein jeder solle „… Halbsätze selbst zu Ende denken…“ entsprechend sei jeder „auch für seine Gedanken selbst verantwortlich“. Häme oder Spott wies er weit von sich. Reschke, der seit 1. April 2017 den Vorsitz des AfD-Kreisverbandes stellt, ist in der rechten Szene kein Unbekannter. Er soll der Reichsbürgerbewegung nahe stehen, dass er ein Waffennarr zu sein scheint, legt ein einschlägiges Bild von ihm auf der mittlerweile stillgelegten Facebookseite Ma Reschke nahe. Dort posierte er öffentlich sichtbar mit geschwellter Brust und einer Maschinenpistole. Ebenso archiviert sind antisemitische Posts und Verschwörungstheorien…“
- „Fall Lübcke: Sanitäter soll Tatort verändert haben“ bis zum 05. Juni 2019 in der FR online ist eine Chronologie zu dem Mord, in der es unter anderem heißt: „… Im Rahmen der Ermittlungen prüft die Staatsanwaltschaft Kassel auch die Hasskommentare im Netz, in denen Rechtsextreme den getöteten Regierungspräsidenten, der sich mit seiner Haltung gegenüber Flüchtlingen im rechten Lager viele Feinde gemacht hat, verhöhnen. Die Ermittler prüfen jeden einzelnen Kommentar auf „strafrechtliche Relevanz“, so Thöne. Beleidigung, Störung des öffentlichen Friedens und die öffentliche Aufforderung zu Straftaten kämen als Delikte in Betracht. (…) Auch nach Lübckes Tod kommt es noch zu geschmacklosen Kommentaren und Verhöhnungen im Netz von einschlägiger Seite. Rechtsextreme zeigen offene Freude über die Tat. In den sozialen Medien finden sich zahlreiche Grenzüberschreitungen: “Die Drecksau hat den Gnadenschuss bekommen! RESPEKT!”, schreibt etwa ein “Franz Brandwein” auf YouTube. Auf Facebook kommentiert ein Nutzer “Selbst schuld, kein Mitleid, so wird es Merkel und den anderen auch ergehen“…“
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