Dienstag, 26. September 2017
"Arbeitsgesellschaft" - Diagnose und Perspektiven
Diktatur des Effizienzdenkens
"Wir leben in einer effizienzversessenen Gesellschaft, die, um
möglichst viel Output in kürzestmöglicher Zeit auszuspucken, alle
Lebensvollzüge bis zur Raserei auf Trab bringt. Die alte Einsicht,
dass alles, was gut getan sein soll, seine Zeit braucht, dass es ein
angemessenes, stimmiges Verhältnis zwischen einer Arbeitsaufgabe und
der dafür benötigten Zeit gibt, ist außer Kraft gesetzt, seit es mit
Maschinenkraft möglich wurde, die Dinge schneller laufen zu machen,
als sie von sich aus laufen können. Die Maschinen, dazu ausersehen,
den Menschen ihre Arbeit zu erleichtern und Sklaverei zu ersparen,
haben im Zuge des industriellen Fortschritts die Menschen, die sie
sich zunutze zu machen glaubten, versklavt. Die Instrumente, die
Mittel zu Zwecken sein sollten, sind inzwischen ausschlaggebend dafür,
welche Zwecke gesetzt werden. Während man vor nicht allzu langer Zeit
noch darüber streiten konnte, ob der Zweck die Mittel heiligt, wird
heute ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Mittel
bestimmen, welche Zwecke gesetzt werden sollen. (...) Ivan Illich
plädierte schon vor beinahe fünfzig Jahren für eine „konviviale
Erneuerung“. Die Hypothese, auf der die industrielle Gesellschaft
fußte, „besagte, dass die Sklaverei mit Hilfe von Maschinen
abgeschafft werden kann. Es hat sich gezeigt, dass Maschinen die
Menschen versklaven. … Nicht Werkzeuge, die ihnen die Arbeit abnehmen,
brauchen die Menschen, sondern neue (Hervorhebung M. G.) Werkzeuge,
mit denen sie arbeiten können. Nicht weitere gut programmierte
Energiesklaven brauchen sie, sondern eine Technologie, die ihnen dabei
hilft, das Beste zu machen aus der Kraft und Phantasie, die jeder
besitzt. … Ich wähle den Begriff ‚Konvivialität‘, um das Gegenteil der
industriellen Produktivität bezeichnen zu können. Er soll für den
autonomen und zwischenmenschlichen Umgang und den Umgang von Menschen
mit ihrer Umwelt als Gegensatz zu den konditionierten Reaktionen von
Menschen auf Anforderungen durch andere und Anforderungen durch eine
künstliche Umwelt stehen.“..." Beitrag von Marianne Gronemeyer bei
Streifzüge 70/2017 (Magazinierte Transformationslust)
http://www.streifzuege.org/2017/diktatur-des-effizienzdenkens
Schön im Text: "... „Gute Arbeit kann ich mir nicht leisten“, das ist
ein Stoßseufzer, den insbesondere diejenigen, die in sozialen
Professionen tätig sind, kaum noch unterdrücken können. Man muss
hören, was da gesagt wird: Um der Effizienz, also um der Wirkung
meiner Arbeit willen, muss ich darauf verzichten, gute Arbeit
verrichten zu wollen. Gute Arbeit ist offenbar unbezahlbar geworden.
Aber was meine ich, wenn ich „gute Arbeit“ sage? Die allgemeinste
Antwort wäre: Gute Arbeit ist solche, die nützt und nicht schadet. Das
heißt also: Wenn ich feststelle, dass ich mir gute Arbeit nicht
leisten kann, dann begnüge ich mich nicht nur mit weniger guter
Arbeit, sondern ich nehme in Kauf, dass die Arbeit, die ich mir
leisten kann, Schaden anrichtet. Und da fragt sich, wer denn nun
eigentlich diesen Satz sagt. Spielen wir das einmal am
Gesundheitswesen durch. Das ist immerhin ein Erfahrungsfeld, mit dem
wir alle schon in der einen oder anderen Art Berührung hatten. Wir
könnten auch das Bildungssystem ins Visier nehmen, denn da gelten
ähnliche Spielregeln, oder das Produktions- oder Handwerkswesen oder
die winzigen Reste bäuerlicher Tätigkeit, die es in modernen
Gesellschaften noch gibt. Aber am Gesundheitswesen wird besonders
drastisch deutlich, dass wir in einem „weltweiten Irrenhaus“ (Erich
Fromm) leben. John Berger sprach kurz vor seinem Tod vom „weltweiten
Gefängnis“, in das wir samt und sonders und sogar mit unserer
bereitwilligen Zustimmung eingesperrt sind..."
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